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www.rhetorik.ch aktuell: (04. Nov, 2009)

Zwei Phasen Werbestrategie

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:


Die Behindertenorganisation "Pro Infirmis" kritisiert eine mysteriöse Plakatkampagne in der Schweiz. Auf den Plakaten sind die Provokationen:

"Behinderte sind dauernd krank" "Behinderte kosten uns nur Geld"


zu sehen.
Interessanterweise ist unbekannt, wer hinter den Plakaten steckt. Die Allgemeine Plakatgesellschaft hat den Namen des Auftraggebers nicht bekannt gegeben. "20 Minuten" vermutetet, dass die Invalidenversicherung der Auftraggeber ist und die erste Phase einer zwei Phasen Kampagne ist:

1. Phase: Publikation einer Provokation. 2. Phase: Auflösung des Rätsels.


Quellen:


Nachtrag: 2. Phase: Die Auflösung:




Nachtrag vom 10. November 2009:

Siehe auch Persoenlich Blog

Die Plakate waren bereits am ersten Tag ein Diskussionsthema bei einem Seminar, bei dem auch Behinderte dabei waren. Es zeigte sich, dass die Behinderten dieser Schockkampagne nichts Gutes abgewinnen konnten. Die Wenigsten wussten von der Auflösung, der zweiten Stufe der Kampagne. Die Diskussion machte bewusst, dass es bei dieser Plakataktion auch ums Verstehen und Missverstehen geht. Die Macher der sechs Millionen teuren Kampagne hatten sicherlich ihre Aktion als guter Beitrag für die Behinderten betrachtet. Die Aktion weckte immerhin Aufmerksamkeit und man redete darüber. Die Behinderten selbst, die von der gestaffelten Aktion keine Ahnung hatten, ärgerten sich aber grün und blau. Eine Organisation hatte in den Plakate Anzeichen übler Nachrede und Verleumdung entdeckt und klagte die Auftraggeber ein.

Ob durch das Erzeugen von Aufregung den Behinderten geholfen wird? Es darf bezweifelt werden, dass die Aktion dazu führt, dass Behinderte vermehrt integriert werden. Die Werber hatten die selektive Wahrnehmung der Menschen nicht berücksichtigt. Leser und Macher redeten nebeneinander vorbei. Man weiss, dass beim Wahrnehmen von Aussagen auf Plakaten vor allem Aussagen nachhaltig wirken, die die eigenen Meinung stützt. Gegenteilige Meinungen werden in der Regel ausgeblendet.

Schon im Herbst 2003 führte eine eigenwillige Antirassismuskampagne zu einem Wirbel. Damals wurde mit Worten und Bildern provoziert. Das Kalkül von Sigi Feigel, dem Präsidenten der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus ging damals auf: Mit relativ wenig Aufwand wurde mit einer Provokation grosse Aufmerksamkeit erzielt. Danach hagelte es aber Kritik. Es stellte sich damals heraus, dass das Kleingedruckte nicht gelesen wurde. Die Bilder und die fettgedruckten Texte haben die Vorurteile nur zementiert. Feigel reagierte zuerst gelassen und war erfreut über die Kritik. Er wollte wachrütteln und vor allem die Jungen erreichen, denn "bei denen kann man noch etwas bewirken". Den Jungen gefalle die Kampagne. Der "Vater der Antirassismusplakate" bestätigte damals, er habe mit den provokativen Sprüchen und "visualisierten Vorwürfen" bewusst irritieren und wachrütteln wollen. Dass die provokativen Vorwürfe von vielen Passanten missverstanden könnten und es zu vielen kritischen Stimmen kommen wird, war keine Überraschung. Werber müssten sich mit wahrnehmungspsychologischen Phänomenen besser auseinander setzen. Um zu erkennen, dass Bilder mehr als Worte bewirken können, ist kein Psychologiestudium nötig. Die Auflösung der Aussagen auf den Antirassismusplakaten war zu klein geschrieben und wurde von den Passanten kaum wahrgenommen. Auch die NZZ vom 2. November 2003 meinte damals, es sei falsch zu glauben, den Teufel mit dem Belzebub austreiben zu können. Das Erreichen von Aufmerksamkeit dürfe nicht das oberste Ziel der Werbung sein. Die Kampagne habe Vorurteile zementiert anstatt sie abzubauen. Eine Analyse mit 120 Testpersonen habe dies bestätigt. Walter Bösch von der Marketingberatungsfirma Management-Tools musste damals eingestehen: "Die Kampagne ist derart missverständlich, dass die Gefahr der Fehlinterperetationen gross ist." Die kaum lesbaren verbalen Pointen wurden kaum wahrgenommen. Das Kleingedruckte bewirkte weniger als drei Prozent der Aufmerksamkeit. Die Augen der Testpersonen fixierten 90% der Zeit das rassistische Bild.

Bei allen Kommunikationsprozessen entscheidet bei Wahrnehmungsprozessen der Empfänger. Wird eine Botschaft falsch verstanden, so ist der Sender schuld.




Nachtrag vom 5. November, 2009: 20 Minuten macht eine Übersicht über Schockplakate. Die meisten Beispiele hatten wir auf Rhetorik.ch behandelt, und mehr:

Behinderten Plakat, 2009

Minarett, 2009

Es gibt kein Gott, 2009

Hitler und AIDS, 2009

Weinende Kinder, 2009

Kondomwerbung, 2009

Maria statt Scharia, 2009

Diebische Raben, 2008

Neue Aids Werbung, 2008

Ditch the Bitch, 2007

Schwarzes Schaf, 2007

Gruppenvergewaltigung, 2007

Dreistes Gucci, 2007

iGasm Werbung, 2007

Anti AKW, 2007

Nolita Kampagne, 2007

AIDS, 2007

Schockauto, 2006

Sexistische Werbung, 2006

EU Plakate, 2005

Radio Energy, 2004

16 jährig und Tabu, 2004

Einbürgerung, 2004

Bin Laden Plakat, 2003

Microsoft Schockreklame, 2002

Reklame mit Behinderten, 2002

Gemüse, 2002

Benetton, 2001


Nachtrag vom 28. November, 2009:

20 Minuten meldet: Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) stoppt die umstrittene Plakatkampagne mit Sprüchen wie "Behinderte sind dauernd krank". Bundesrat Didier Burkhalter hat beschlossen, auf die geplante Weiterführung im Frühling 2010 zu verzichten.


Nachtrag vom 3. Februar: SN vom 3. Februar.



Tabu Plakate



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