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www.rhetorik.ch aktuell: (11. Oktober, 2003)

Antirassismuskampagne mit grosser Wirkung



Die neue eigenwillige und irritierende Antirassismuskampagne der GRA in Zürich sorgt für Polemiken - und hat damit ihr grösstes Ziel bereits erreicht. Ob die Aktion längerfristig Erfolg haben wird, ist weniger klar.


Die Plakate

Das Kalkü von Sigi Feigel, dem midial versierten Präsidenten der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus GRA ist aufgegangen: Mit relativ wenig Aufwand wurde maximale Wirkung zu erzielt:



Kaum hängen die ersten Plakate in denen simple Klischees und hässliche Vorurteile von einer unerwarteten Pointe gefolgt werden, wird die Kampagne aber bereits breit diskutiert.
"Woher haben die Kosovo-Albaner ihre Autoradios?" steht auf dem einen Plakat in fetten Lettern, daneben lacht ein holzschnittartig gezeichneter Männerkopf mit Goldzahn. Wer auch das Kleingedruckte lesen mag, erfährt die Antwort: "Aus dem Fachgeschäft, wie die meisten Schweizer auch." Die bunten Sujets sind richtige Augenfänger.



Kritiker

  • "Was soll das mit diesen Bananen und Kokosnüssen?", fragt sich Andrew Katumba, Sohn eines Einwanderers aus Uganda. "Ich lebe seit meiner Geburt in einer Stadt, bin ein Kosmopolit, so wie die meisten Schwarzen hier. Wir kommen doch nicht aus dem Busch." Ihn stört, dass die Ausländer gleich doppelt karikiert werden, sowohl in den Sprüchen als auch in der Bildsprache. Dies wirke in der Kombination allzu platt.
  • Nach Ansicht von Natalie Avanzino, einem Vorstandsmitglied des Vereins "Secondo", sind die Werber "eine Spur zu weit gegangen". Katumba und Avanzino bezweifeln zudem, dass die Aktion tatsächlich zum Nachdenken anregt. Der Schuss könnte nach hinten losgehen, sagen die beiden, weil ein Grossteil der Leute die klein gedruckte Pointe ganz unten am Plakat übersehen, ergo den Witz nicht verstehen. Somit würde die Aktion bei den Leuten bloss vorhandene Vorurteile zementieren. Ironie und Satire wird vom Durchschnittspublikum nicht verstanden. Wer dies nicht beachtet, muss damit rechnen, dass die Aussage falsch verstanden wird.
  • Eine Beobachtung, die Willy Wyss, verheiratet mit einer Thailänderin und Präsident der Thai Swiss Association, bereits gemacht hat: Einige Bekannte hätten ihn auf die Plakate angesprochen, erzählt er. Aber sie hätten sich nur die Bilder angeschaut, die Botschaft dahinter nicht erkannt. "Ist ja auch klar, an Plakaten fährt man vorbei, man bleibt nicht stehen und studiert sie minutenlang." Ihn erinnert die Sache deshalb an vergangene SVP-Kampagnen, etwa jene Plakate in Zürich, auf denen gross "Kosovo-Albaner Nein" stand, erst dem Kleingedruckten entnahm man, dass sich das Nein auf ein geplantes Kontaktnetz bezog.
  • Tatsächlich kann auch SVP-Präsident Ueli Maurer eine gewisse Ähnlichkeit erkennen, von den Zeichnungen her, von der Art her - "das ist ja unser Stil", habe er als Erstes gedacht, sagt er. Wobei er die Aktion als "fragwürdig" bezeichnet und noch fragwürdiger findet, dass der Bund aus dem Fonds für Projekte gegen Rassismus und für Menschenrechte 200'000 Franken an die Kampagne bezahlt hat.

Irritation erwünscht?

Sigi Feigel Sigi Feigel, der die Kampagne verantwortet, reagiert darauf gelassen. Er sei erfreut über die Kritik. Sie gehöre zum Konzept. Man wolle wachrütteln, vor allem die Jungen, denn "bei denen kann man noch etwas bewirken". Und den Jungen, da ist er sich sicher, gefällt die Kampagne. Feigel kann als Erfolg verbuchen, dass es die Kampagne auch auf die redaktionellen Seiten der Presse schafft - und vielleicht bald Diskussionsrunden im Fernsehen abwirft. Er habe Urs Leuthard empfohlen, das Thema in der "Arena" aufzunehmen, erzählt er unverblümt. Ebenso als Erfolg darf Feigel werten, dass sowohl Zeitungsverleger als auch die Plakatgesellschaft Plakanda gratis Platz für die Aktion zur Verfügung stellen und er die Spots umsonst in den Kinos zeigen kann.
Der "Vater der Antirassismusplakate" wollte mit den provokativen Sprüchen d.h. den "visualisierten Vorwürfen" bewusst irritieren und wachrütteln und das Feld nicht den Politlümmeln überlassen. Feigel ist der Ansicht, dass immer wieder derartige Vorwürfe zu hören sind.

Fazit

Dass die provokativen Vorwürfe von vielen Passanten missverstanden werden und es zu vielen kritischen Stimmen kommen wird, war vorhersehbar. Man muss sich nicht einmal mit wahrnehmungspsychologischen Phänomenen auseinandersetzen, um zu erkennen, dass Bilder mehr als Worte bewirken können. Die Auflösung der Aussagen ist zu klein geschrieben und wird von den Passanten kaum wahrgenommen. Ironie wird von der Masse leider selten richtig verstanden. Nach unserem Dafürhalten ist diese Werbekampagne langfristig kontraproduktiv, obschon sie nun überall thematisiert wird. Billige Vorurteile werden unnötigerweise erneuert und nisten sich im Unterbewusstsein ein.

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Nachtrag vom 21. Oktober: Geht der Schuss hinten hinaus?
Auch die NZZ am Sonntag teilt unsere Meinung: Es könne bei der Antirassismusaktion schiefgehen, wenn man glaube, den Teufel mit dem Belzebub austreiben zu können. Der Einwand, die Plakate seien letztlich rassistisch und geschmacklos, kann Feigel nicht mit seiner Begründung wettmachen, die Aktion habe immerhin das Hauptziel erreicht: Sie habe eine breite Diskussion ausgelöst. Feigel ist stolz, dass sich sogar deutsche und französische TV- Teams angemeldet haben. Nach NZZ müsste argumentativ schon noch ein bisschen mehr geleistet werden, wenn zuerst die gross aufgemachten rassistische Vorurteile, welche mit Wort und Bildern zusätzlich verstärkt wurden, nachträglich wieder erfolgreich abgebaut werden sollten. Auch wir vermuten, dass sich bei dieser Kampagne vor allem Werber nachträglich auf die Schulter klopfen können. Sie haben die Aufmerksamkeit erreicht. Das genügt ihnen. Das ist ihr Ziel. Ob sie jedoch mit den Plakaten die Vorurteile reduziert haben, steht auf einem anderen Blatt. Nach NZZ ist es bei dieser Aktion, wie bei diesen scheinbar so seriösen TV- Reportagen über die Zustände im Rotlichtmilieu - die dann vor allem die Voyeure freuen.


Nachtrag vom 2. Nov. Untersuchungen über Antirassismusplakate
Die NZZ am Sonntag vom 2. November meinte in einem Artikel mit dem Titel "Kampagne gegen Rassismus ist kontraproduktiv", dass die breitgestreute Plakatkampagne gegen den Rassismus die Vorurteile zementiere, anstatt sie abzubauen. Dies habe eine Analyse mit 120 Testpersonen bestätigt. Seit Wochen wurde in der Öffentlichkeit über die Wirkung der provokativen Plakate diskutiert. Jetzt wurde die erste Antwort mit wissenschaftlichem Anspruch veröffentlicht. Walter Bösch von der Marketingberatungsfirma Management-Tools meinte nachdem er eine Wahrnehmungsanalyse durchgeführt hatte:

"Die Kampagnen ist derart missverständlich, dass die Gefahr der Fehlinterperetationen gross ist."


Passanten wurden am Hauptbahnhof Zürich in Speziallabors mit Plakatsujets konfrontiert bei der mit riesige Schrift die Vorurteile gezeigt werden und und im Kleingredrucktem die Entlarvung des Klischeedenkens gegeben wird. Wie vermutet, werden die kleingedruckten Pointen kaum wahrgenommen: Während der ersten Sekunden der Wahrnehmung, erregt das Kleingedruckte bei allen Personen weniger als drei Prozent der Aufmerksamkeit. Selbst wenn nur drei Sekunden lang das Plakat betrachtet wird, fixieren die Augen über 90% das rassistische Bild mit dem grossgeschriebenen Vorurteil und höchstens zu 10% die Auflösung. Plakate werden generell kaum länger als drei Sekunden betrachtet. Bösch:

"Der obere Teil des Plakates mit dem Vorurteil bekommt ein solches Übergewicht, dass die Auflösung gar nicht wahrgenommen wird."


Peter Metzinger von der Firma "4c Business Campaignin" bestätigt dies:
"Langfristig zementiert die Kampagne eher Vorurteile, als sie zu verhindern!"


Metzinger war früher Kampagnenleiter bei Greenpeace. Dass die Werbeagentur "Wirz" und ihr Kreativdirektor nach wie vor zu ihrer Kampagne stehen, ist zwar verständlich. Ihr Ziel war einmal mehr, zu irritieren. Sie vertreten der Meinung, dass sich die Betrachter die notwendige Erklärung im Nachhinein sonstwie beschaffen. Auch Sigi Feigel ist immer noch überzeugt davon, dass die Plakate ihr Ziel erreicht haben. Für ihn hat die Kampagne die Thematik auf den Tisch der Nation gebracht.

Fazit: Bei allen Kommunikationsprozessen entscheidet letztlich bei den Wahnehmungsprozessen der Empfänger. Wird eine Botschaft falsch verstanden so ist der Sender schuld. Für die Macher, die es in diesem Fall gut gemeint hatten, müssten nach der neusten Untersuchungen nachträglich doch noch über die Bücher gehen. Dazu ist es nie zu spät.


Nachtrag vom 8. November: Persönlich - doppelt nach. Auch die Fachzeitschrift "Persoenlich" die auch von Werbern und PR-Spezialisten gelesen wird, bezweifelt die Wirkung der Antirassismusplakate.
Der Fachbeitrag belegt, dass nur Information Vorurteile beseitigen kann. Dazu kommt aber die Schwierigkeit, dass all jene, die keine Vorurteile haben, meist keine Informationen annehmen wollen. Der Autor Robert Stalder schreibt aus unserer Sicht treffend:

"Es ist egal, ob eine Kampagne greift oder nicht. Die Kampagne bewirkt ohnehin nichts. Ich habe im Tagesanzeiger gelesen, dass Sigi Feigel schon deshalb zufrieden ist, weil sie so ins Gespräch gekommen ist. 'Es wird wenigstens darüber gesprochen', ist immer die Ausrede, wenn jemand nicht weiss, ob seine Kampagne wirklich funktioniert. Ich bin eher für Kampagnen, die nicht ins Gespräch kommen, aber etwas bewirken."


PS: wir haben einen Filmer getroffen, der alles andere als rassistisch ist. Es sagte, dass bei ihm beim Überfliegen der Plakate nachträglich nur noch die Vorurteile gedanklich fixiert blieben. Nach dem Betrachten hätte er zwar das Kleingedruckte gelesen. Doch die Bilder mit den versteckten Botschaften hätten immer wieder dominiert. Das habe ihn geärgert.
Für uns ist dies eine weitere Bestätigung dafür, dass Sigi Feigel mit diesen Plakaten nichts zur Beseitigung von Vorurteilen beigetragen hat. Im Gegenteil.
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