Rhetorik.ch


Knill+Knill Kommunikationsberatung

Knill.com

www.rhetorik.ch aktuell: (12. Juni 2002)

Schockreklamen verbieten?




Ein Microsoft Werbespot für eine Spielkonsole im englischen Fernsehen schockte die Zuschauer und die Aufsichtsbehörde.
Der Spot beginnt mit der Darstellung einer Kindsgeburt, bei der das Baby aus dem Spital heraus in eine Flugbahn geschossen wird. Während des Fluges wird das Neugeborene unter panischem Geschrei zum Erwachsenen und zum Greis gemorpht, um schliesslich in ein offenes Grab einzuschlagen. Die Werbebotschaft ist:

"Das Leben ist kurz. Mehr spielen. X-Box"


Nach Protestanrufen schockierter Zuschauer arrangierte die Britische Independent Television Commission ein Verbot des Spots. Microsoft gab sich erstaunt: der Film sei schliesslich "eine positive Äusserung über das Leben". Die ITC erkennt dagegen in den Aufschreien der Hauptfigur eher eine traumatische Erfahrung.

Microsoft zog das Filmchen aus der Fernsehwerbung zurück, will es aber in Kinos und Internet weiter vorführen. Dort ist die ITC nicht zuständig.

Die Reklame ziehlt natürlich auf die eher jüngere Generation, die potentiellen Kunden der Spielkonsole. Dass Proteste von sensiblerem Fernsehzuschauern kommen würden, war natürlich vorhergesehen, miteingeplant und erhofft. Das Geschrei der "Spiesser" macht das Filmchen erst recht zum Kultobjekt. Die Proteste sind natürlich ein voller Erfolg für die Werbemacher.
Wir hatten andere Werbebeispiele gesehen, wo auferlegte Leitplanken zum Schutz vom Publikum geschickt als Werbepromotion benutzt worden sind.
  • Benetton Werbekampagne Ein blutiges Hemd eines toten Soldaten kann mehr schockieren als eine Kriegszene. Aktuell September 24, 2001. Benetton Werbung
  • Die Aidsreklame (siehe Aktuell März 6, 2002) zeigt meist harmloses Gemüse. Die Reaktion und Gehirnarbeit des Betrachters bewirkt die Reaktion. Aids Werbung
Auch die Xboxreklame schockiert ohne ein Tabu zu brechen: kein Sex, keine Gewalt, Fäkalsprache oder Blasphemie. Auch kamen beim Filmen keine Tiere oder Menschen zu schaden. Kritik kommt auch von anderer Seite: Die französische Filmemacherin Audrey Schebat verklagte Microsoft, weil der skandalträchtigen Xbox-Werbefilm von ihrem Kurzfilm "Life". geklaut sei. Ist der Film ein Plagiat??
Im Zusammenhang mit dem Drama von Ehrfurt wurde vielerorts die Meinung vertreten, Gewalt- oder Schockvideos müssten verboten werden, weil diese Filme zu Gewalttaten animierten. Das Xbox Werbefilmchen gehört nicht ganz in diese Kategorie, denn es wird darin keine Gewalttat verübt. Der Film kann tatsächlich als Parabel für das Thema "Bahn des Lebens" gesehen werden. In vielen Gebrüder Grimm Märchen oder Kriminalromanen wird mehr Gewalt verübt. Psychospiele wird in vielen Shows praktiziert. Auch Geburt und Tod wurden im TV schon mehrfach "live" gezeigt.
Trotzdem gelang die Schockwirkung mit einem weniger als eine Minute dauernden Spot. Aber urteilen Sie selbst:

Experiment: Schauen sie sich den Werbespot an:
Der Movie (1.8 MBytes mpg). ( Quelle: download.playmore.com )
  • Welche Gefühle weckt der Kurzfilm?
  • Soll diese Werbung toleriert werden?
  • Falls Sie schockiert wurden sind: Wo wurde eine Toleranzlinie überschritten?


Nachtrag vom 25. Juni: Antitabakwerbung löste Panik aus.
Anti Raucher Werbung Ein Spot, der in Frankreich vor den Abendnachrichten ausgestrahlt wurde, führte zu einem Zusammenbruch der Telefonleitung. Unzählige Konsumenten wurden verunsichert und wollten wissen, um welches Produkt es sich handelt. Der Spot war lediglich eine kurze Warnung, die lautete:

Warnung! Es ist ein Produkt mit gefährlichen Giftstoffen wie Quecksilber, Azeton etc. im Umlauf.


Dass es ich um Zigaretten handelt, wurde im Spot nicht erwähnt. Die Antitabakbewegung steht trotz dem Wirbel zu ihrer Schock - Werbung, Obwohl der Chefredaktor eines Tabaksmagazins sofort gegen diese aus seiner Sicht unangemessenen Werbung protestierte, konnte die Werbung von der Behörde nicht gestoppt werden.

"Mit Presslufthämmern ist ein kleiner Nagel eingeschlagen worden".


fand der "Anwalt" der Tabakindustrie. Zudem fügte er bei, dass mit so einer Schockwerbung die ganze Bevölkerung terrorisiere - Raucher und Nichtraucher. Alle würden unötigerweise in Angst und Schrecken versetzt. Es sei heute bereits allen Rauchen klar, dass Rauchen der Gesundheit schade. Die Antitabakbewegung will hingegen auf ihre Schockwerbung nicht verzichten. Denn in Frankreich sterben jährlich 60'000 Leute an den Folgen des Tabakkonsums.

Wir sehen einmal mehr, dass die Grenzen der Schockwerbung noch nicht abgesteckt sind. Die Frage bleibt offen: Darf auch für eine angeblich "gute" Sache die Bevölkerung wachgerüttelt werden? Uns würde vor allem die Antwort auf die Frage interessieren, welchen Erfolg der Schock-Spot lägerfristig hat.




Nachtrag vom 24. Juli, Schockbilder am Fernsehen
Drastische Bilder eines Lungenkrebspatienten kurz vor seinem Tod schockierten die Fernsehzuschauer in Frankreich. Der TV-Spot zeigte den Todeskampf eines der jährlich 60'000 Opfer des Zigarettenkonsums. 27 Sekunden lang wurden die Bilder des auf 39 Kilogramm abgemagerten Krebskranken und Fotos aus seinem Leben gezeigt. Ein Fernsehsprecher informierte die Zuschauer darüber, dass Richard G. im Alter von 14 Jahren mit dem Rauchen angefangen habe und mit 39 Jahren das erste Mal an Krebs erkrankte. Die in Fernsehen gezeigten Bilder hat die eigene Frau aufgenommen. Sie wollte damit etwas Gutes tun und Jugendliche vor dem Rauchen abhalten. Sollten Schockbilder für einen guten Zweck eingesetzt werden. Ist ein schockierender Film oder eine verbale Ermahnung noch sinnvoll, wenn es schon zu spät ist? Haben Schockbilder eine Wirkung?


Die folgende Geschichte wurde uns von einem Chirurgen erzählt:

Ein Lehrer wollte von einem Chirugen die Aufnahme eines Raucherbeins haben, um mit diesem Bild Jugendliche präventiv vom Rauchen abzuhalten. Der Chefarzt schilderte hierauf dem Lehrer im Detail die Amputation eines Raucherbeins im Spital und sagte dazu: Zwei seiner Assistenzärzte - sie waren chronische Raucher - halfen bei der Amputation. Doch griffen sie nach der Operation sofort zur obligaten Zigarette. "Was helfen derartige Bilder", meinte der Arzt, "wenn Personen nach so einem Erlebnis nichts gelernt haben". Bilder können niemanden von einer Sucht befreien - lautete die These des Arztes. Der Lehrer war verunsichert und meinte: "Ich zeige die Bilder trotzdem - bevor sie süchtig sind."


Bei Autorasern zeigt sich:

Wer dem Gechwindigkeitsrausch verfallen ist, drosselt zwar bei Anblick eines schweren Verkehrsunfalls eine gewisse Zeit das Tempo. Doch geht es nicht lange und die Wirkung dieser Beobachtung ist bei Temposüchtigen verflogen. Vielleicht müssten bei diesen Personen auf dem Armaturenbrett immer wieder neue Schockbilder eingeblendet werden.


Wir teilen die Meinung des Chirurgen nicht ganz: Bilder beeinflussen stark. Bilder werden im Unterbewussten gespeichert, obschon die Sucht stärker sein kann als die Wirkung der Bilder.


Nachtrag vom 20. September 2002: Schockierende Kunst Am 19. September wurde die Statue "tumbling woman" (Fallende Frau) vom Rockefeller Center in New York entfernt. Die Bronze Statue des Künstlers Eric Fischl zeigt eine nackte Frau im Moment des Aufpralls nach einem Sturz. Der Künstler wollte die "Verletzlichkeit des Menschlichen Körpers" illustrieren. Die Skulptur sollte eine "Symptatiekundgebung für die Opfer vom Terroranschlag vom 11. September und die Menschheit im Allgemeinen" sein.


Nachtrag vom 30. September 2002: Ein weiteres Beispiel von Werbung, die unterschiedliche Reaktionen auslösete, war die Initiative Vote 2002 von 43 Popstars die zum Ziel hatte, junge Frauen und Männer dazu zu bewegen, im September 2002 zur Bundestagswahl zu gehen.



Nachtrag vom 27. Februar 2003: Riskante Reklamen.
Riskante Werbung
Informationsquelle: txema.antville.org. Das obige Thumbnailphoto ist verkleinert.
Der spanische Touristmusverband Turespaña musste kürzlich ein Bild zurückziehen, das als Reklame fürs Land gedacht war. Auf dem umstritten Photo zeit ein Model den sonnengebräunten Rücken, hinter einem schwarzen, tief ausgeschnittenes Kleid. Die Fotoserie "Spain marks" bestand aus einer Serie eher gewagter Bilder. Die Werber sagten, dass sie das Fraueninstitut vorher gefragt hätten, ob die Bilder unter der Gürtellinie seien und die Antwort sei gewesen, dass die Bilder positiv, nicht sexistisch seien. Auch waren Männer auf anderen Bildern zu sehen. Eine Folge des Rückzugs der Bilder ist, dass man das Bild heute auf Dutzenden von Weblogs findet.


Nachtrag vom 15. April 2003: Gefälschte Schockreklamen.
Pumawerbung
Informationsquelle: Spiegel online. Das obige Thumbnailphoto ist stark verkleinert.
Markenunternehmen haben auch zunehmend Probleme mit gefälschten Anzeigen. Der Sportschuhhersteller Puma musste sich mit solchen Problemen herumschlagen. Seit einiger Zeit kursieren im Internet Bilder, die wie eine Pumawerbung daherkommen: Vor den Beinen eines Mannes der mit Puma-Slippern beschuht ist kniet ein Mädchen im Minirock mit den gleichen Schuhen. Neben ihr liegt eine Handtasche mit dem Raubtier-Logo. Was genau da vor sich geht, zeigt das Foto nicht. Aber um das zu kapieren, braucht es nicht viel Phantasie, das Bild garantiert jedoch Aufmerksamkeit. Solche Bilder werden per email zehntausendmal weiterverschickt. PR-Strategen haben E-Mails deshalb bereits vor einiger Zeit als kostenlosen Werbeträger entdeckt. Weil sich per elektronischer Post Bilder und Videoclips seuchenartig verbreiten lassen nennt man das Viral Marketing. Die Firma Puma freute sich nicht über die Gratis Werbung. Sie wollen die Marke nicht mit Sexismus in Verbindung bringen. Puma versuchte es mit einer Gegenoffensive und teilte mit, dass es sich keinesfalls um eine offizielle Puma-Anzeige handle. Mehrere Webseiten, die das Bild veröffentlicht hatten wurden von der Rechtsabteilung des Sportherstellers mit Unterlassungserklärungen bedacht.


Nachtrag vom 19. Oktober 2003: Falsche IWC Werbung.
Wie "Facts" berichtet, sorgen seit kurzem Spam E-mails mit falschen IWC Reklamen für Ärger. Die Bilder sehen wie richtige IWC Reklamen aus.
Spams verursachen immer wieder Ärger. Die User sind heute noch machtlos. Das abgebildete gefälschte Inserat der IWC, das als Spam E-Mail versandt wurde, muss für die Firma für besonderen Ärger gesorgt haben. Auch zahlreiche Kunden wurden verärger. Ob das rechtliche Vorgehen (das von der IWC-Werbeleiterin in Erwägung gezogen wird) in diesem Fall richtig ist?
Die Mails wurden bereits breit gestreut und könnten weiter versandt werden. Das FACTS druckte das Plakat ebenfalls ab. (Zur Information) Auch wir zeigen es an dieser Stelle (Zur Veranschaulichung). Nach unserem Dafürhalten lohnt sich in diesem Fall der rechtliche Weg nicht. Besser wäre: Schweigen. Nicht reagieren. Gras darüber wachsen lassen.


Der Deutsche Werberat hat im ersten Halbjahr 2003 mehrere Werbeanzeigen gerügt, in denen Verbraucher die Irre geführt würden, Gewalt gefördert werde, Frauen zu Lustobjekten herabgewürdigt würden oder religiöse Gefühle verletzt würden. Ein drastischer Fall war die Anzeige des Hamburger Fitnessstudios Feuersports, wo der Hintern einer breitbeinig knieenden Frau in Spitzenunterwäsche als Werbemotiv eingesetzt wurde.


Insgesamt hatte der Werberat 140 Kampagnen im ersten Halbjahr 2003 unter die Lupe genommen - und manche Motive hatten es wahrlich in sich. Zwei Drittel der 30 gerügten Unternehmen reagierten und zogen ihre Kampagnen freiwillig zurück.
Die Branche mit den meisten Übeltätern sind die Hersteller von alkoholischen Getränken. Der Werberat fand zum Beispiel den Spruch "Komm Poppen" nicht lustig weil der Begriff "Poppen" auch für den Geschlechtsverkehr verwendet würde, erwecke die Werbung den Eindruck, mit alkoholischen Getränken könne der sexuelle Erfolg gefördert werden.


Auch trinkende Leistungssportler oder eine Destillerie, die für ein alkoholisches Produkt mit dem Titel "Das Vaterunser des Gräf's Pflümli" geworben hatte wurden gerügt. Eine der zurückgezogenen Werbungen zeigte einen Haufen Steine mit dem Prosit "Auf den Heiligen Stephanus" (der Heilige Stephan war wegen seines Glaubens gesteinigt worden). Sex in die Werbung ist Eine Hamburger Recycling-Firma warb auf grossen Plakaten für die Verwertung ihrer Altautos: die Plakate zeigten eine onanierende Frau mit dem Spruch "Selber machen ist geil!" Nicht alle Klagen von aufmerksamen Zuschauern wurden auch gerügt. Ein TV-Spot, in dem Verona Feldbusch mit Ess-Stäbchen im Haar eine Marmelade zum "Flühstück" lobte, sah der Werberat nicht als Verunglimpfung von Japanerinnen.


Quelle: Spiegel, Oktober, 2003
Links zur Thematik: Weitere Links
Rhetorik.ch 1998-2012 © K-K Kommunikationsberatung Knill.com