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www.rhetorik.ch aktuell: (6. März, 2002)


Gemüse, Sex und Expo



Gemuese
Es gehört zum alltäglichen Handwerk jedes Werbers, Bilder und Worte so zu nutzen, dass die Aussage und die Assoziationen beim Betrachten einer Werbeseite das bewirken, was der Auftraggeber bezweckt.
Die farbigen Gemüse-Plakate mit dem kleingedruckten Text STOP AIDS zusammen mit dem kurzen Hinweis auf die EXPO 02, d.h. die Ausstellung "Le premier regard", sind gewiss das Endprodukt monatelanger, aufwendiger Vorbereitungs- und Denkarbeit.
Wie bei der Rhetorik zählt bei der Bildsprache nur das, was bei den Empfängern ankommt.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG), der Auftraggeber der Gemüse-Plakate hat sich bestimmt reiflich überlegt:

  • Wer soll angesprochen werden? Was ist das Zielpublikum?
  • Was bezweckt die Kampagne?


Moderne Werber wollen nicht immer auf Anhieb verstanden werden. Sie provozieren gerne oder suchen Aufmerksamkeit. Inserate sind gleichsam Köder für die Augen. Bei den sogenannten Teaser- Kampagnen wird beispielsweise nur ein Rätsel aufgeben, um später augenzwinkernd die Lösung zu präsentieren. Werber lieben Irritationen und Überraschungen.


Bei den erwähnten Plakaten mit dem "Gemüse" wählten die Werber sicherlich bewusst eine knappe, schnelle Information mit Fotos.
Wir fragten uns, wie diese Gemüsebilder bei den Betrachtern, den Adressaten ankommen. Vielleicht gehören jene Personen, die kopfschüttelnd vor den eindeutig zweideutigen Bildern standen, nicht zum eigentlichen Zielpublikum. Immer wieder hörten wir den Ausspruch: "Was soll das?" Bei den meisten Betrachtern fiel recht schnell der Groschen und die Gedanken kreisten sofort um Sex. Doch gerieten die Beobachter erst recht ins Grübeln und fragten sich beim Lesen des Kleingedruckten nach dem Zusammenhang zwischen Fotos und Expoausstellung.

Wer Verständnis hatte für kreative Ideen à la Pipilotti fand die Aufnahmen lustig und originell. Die Verbindung mit "Le premier regard" hingegen sagte den meisten Betrachtern recht wenig. Eine Kommentatorin meinte schalkhaft: "Als Chind hämmer au gügggslet." Bei vielen Betrachtern dominierte Ratlosigkeit. Es fehle der Text, kritisierten etliche. In der Tat: Das Bild, die Bildsprache dominiert bei den Plakaten.
Es ist eine Werbekampagne ohne eine Schlagzeile. Im Internetauftritt des BAG wäre zwar das abgewandelte biblische Liebesgebot bereits vorhanden:

"Schütze deinen Nächsten wie dich selbst."


Dieser soundbitefähige Satz hätte bestimmt das Verständnis beschleunigt. Doch ist dieser Spruch für kreative Werber bereits zu abgegriffen oder er könnte den Prozess des Reflektierens blockieren.
Die Verantwortlichen blieben jedenfalls bei den gewählten Grossaufnahmen. Absichtlich? Als bewusstes Training gegen die lange Leitung des Normalpublikums?

Wir vermuten, dass die Werbekreativen diese aufwendige Aktion als reizvolle Herausforderung sahen, um einmal pflanzliche Fruchtformen mit fotografischen Mitteln auf antroposexuelle Analogien zu untersuchen.
Falls nun die optischen Vergleiche hinken und die Betrachter mit den Aufnahmen nichts anfangen können - ausser sich ein wenig zu amüsieren - so wäre diese Spielerei von Werbern doch ein zu kostspieliges Vergnügen.


Es bleibt nur noch die Hoffnung, dass jene Gruppe junger Leuten, die die Bildsprache schneller als das Durchschnittspublikum kapiert, sofort erkennt, was mit den Plakaten "Gemüse - Sex - und Stop Aids" beabsichtigt war. Vielleicht gehören diese Menschen ausgerechnet zum ausgewählten Zielpublikum.
In diesem Falle wäre die Aktion - trotz der grossen Streuverluste - kein verschwendetes Werbegeld.


Links zur Vertiefung der Thematik:


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