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www.rhetorik.ch aktuell: (16. September, 2004)

Neues Schock-Inserat der SVP



Das umstrittene ganzseitige Inserat (hier von der Weltwoche 37/2004 vom 9. September) Gratisreklame in der Sonntagszeitung vom 12. September, nachdem das Plakat an einigen Zeitungen abgelehnt wurde.


Ein umstrittene Muslim-Plakat der SVP wird in der "Berner Zeitung", im "St. Galler Tagblatt" sowie im "Tages-Anzeiger" nicht mehr veröffentlicht. Als Grund wird Schürung der Fremdenfeindlichkeit vermutet. Die Sonntagszeitung vom 12. September bildete es trotzdem verkleinert ab, verbunden mit der Meldung:

Bundesrat Schmid distanziert sich von diesem Inserat.


Obschon das SVP Plakat von der Redaktion im Titel als Schockinserat gebrandmarkt hat, kann sich die SVP trotzdem über diesen Beitrag freuen.


Weil es in anderen Zeitungen unterbunden wird, findet nun die verkleinerte, gut lesbare Abbildung im 'Sonntags Blick' Zehntausende von Lesern. Der Text wirkt bekanntlich auch unter negativem Vorzeichen. Es gibt unzählige Leserinnen und Leser der ganzen Schweiz, die Angst haben, dass die Schweiz mit der erleichterten Einbürgerung leiden muss. Der Text verstärkt diese Einstellungen.


Die Abbildung im Sonntagsblick erspart somit der SVP viel Geld, denn ein Inserat im Sonntagsblick wäre recht kostspielig gewesen. Zusätzliche Flugblätter und Druckkosten erübrigen sich nun. Die Botschaft wurde grossflächig verbreitet. Die Erfahrung zeigt: Es stört immer, wenn Plakate vorenthalten werden, denn dies erinnert an Zensur oder als Eingriff in die Pressefreiheit.

Bis jetzt fehlt übrigens eine gerichtliche Beurteilung, ob das Plakat gegen Rassismusgesetze verstösst.

Die Redaktoren haben intern entschieden, ob sie das Plakat veröffentlichen wollen oder nicht. Einmal mehr stellen wir fest, dass in jedem Fall die Vor- und Nachteile einbezogen werden müssen.

Links zum Thema





Nachtrag vom 20. September, 2004: Neues Plakat der der Jungen SVP:



Die Walliser Jung SVP provoziert mit einem Bin Laden Inserat.






Nachtrag vom 22. September:

Für "Blick" stand die SVP (Blocher, Maurer, Plakate) tagelang im Kreuzfeuer kritischer Beiträge. Am 22. September wurde das Provokationsplakat "Bin Laden" zur Frontgeschichte. Titel:

"SVP- Nationalrat Oskar Freysinger lügt und ist noch stolz darauf!"


Wiederum wurde das Plakatmotiv der Jungen SVP farbig abgebildet und festgestellt, dass es gar nicht möglich wäre, Bin Laden einzubürgern. Die Werber werden der Lüge bezichtigt.

Für Freysinger ist es jedoch zulässig einen Sachverhalt zu überzeichnen, denn es gehe nicht darum. Ob eine Einbürgerung Bin Ladeen möglich wäre. Für Freysinger gilt.

Ein Plakat müsse vereinfachen - Plakate wolle Aufmerksamkeit wecken. Der Zweck heiligt die Mittel.


Tatsächlich geht die Rechnung für Freysinger auf. Obschon Blick das Plakat hart kritisiert, hilft er mit seinem Beitrag letzlich der jungen Walliser SVP. Dies verdeutlicht Freysingers Aussage:

"In danke der Presse für den Rummel. Dank der Gratis-Werbung sparen wir gut und gerne 200'000.-- Franken."






Nachtrag vom 28. September: Umstrittene Kampagne der SVP war erfolgreich



Meinungsumfragen haben eine Annahme der Einbürgerungsvorlagen prognostiziert. Das überraschende doppelte Nein führte nach der Abstimmung zu vielen Pressekommentaren. Nach jeder Abstimmung folgt die hohe Zeit der Kommentatoren. Die "Basler Zeitung" findet: Die wertvollste Unterstützung findet die SVP in der Empörung der anderen.


Auch wir haben verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Wiederholung der Bildaussage (auch in einem kritischen Artikel) gefährlich ist. Die Pressekommentare sich sich einig:
  • Das Doppel-Nein war ein Bauchentscheid
  • Die Autoraserkampagne (Aussagen von Ex-Jugoslawen) hat auch mit zur Emotionalisierung beigetragen.
  • Das Engagement der Befürworter - auch des Bundesrates - war zu lau. (Vergleiche: Aktuell vom 28. August).
Der Faktor "Propaganda" wird in den "Schaffhauser Nachrichten" relativiert: Ein derart klares Nein könne nicht "herbeigepoltert" werden. "Das schamlose SVP-Spiel mit der Angst hatte jedenfalls nur Erfolg, weil der Nährboden dafür vorhanden war." meint der "Bund".

Swissinfo schrieb: "Als einzige Regierungs-Partei hatte die SVP die beiden Einbürgerungs-Vorlagen bekämpft. Und dies auf eine Weise, die sogar im eigenen bürgerlichen Lager Abscheu hervorrief. Dabei ging es unter anderem um Inserate mit schwarzen Händen, die nach roten Schweizer Pässen greifen, und um Statistiken, die für 2040 eine muslimische Bevölkerungs-Mehrheit in der Schweiz voraussagen." Unten sind Aussschnitte aus einem Interview von Swissinfo mit dem Politikwissenschafter Andreas Ladner, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Bern:


Swissinfo Ladner
Umfragen sagten zwei Ja zu den erleichterten Einbürgerungen voraus, herausgekommen sind zwei Nein. Wie führte die SVP diesen Stimmungsumschwung herbei? Grundsätzlich ist es bei Umfragen immer sehr schwierig, ein ganzheitliches Bild zu erhalten, weil man nicht so viele Leute befragen kann. Das Lager der Nein-Stimmenden hat aber bei den beiden Vorlagen stärker zugenommen als üblich. Verantwortlich dafür sind sicher die SVP-Kampagne und der Mobilisierungs-Effekt, denn es sind deutlich mehr Leute an die Urnen als üblich.
Die SVP fuhr eine gehässige Kampagne mit falschen Zahlen - ist eine differenzierte Argumentation seitens der anderen Parteien gar nicht mehr möglich? Es war Bestandteil der Kampagne, dass sie an die Grenzen des Gewohnten gegangen ist und diese teilweise sogar überschritten hat. Ich glaube aber nicht, dass die falschen Zahlen der SVP zur Ablehnung beigetragen haben. Das war vor allem ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu erwecken und zu Mobilisieren. Und das hat funktioniert. Wenn die Zahlen weniger falsch gewesen wären, wären die Vorlagen wahrscheinlich trotzdem abgelehnt worden. Mit der Kampagne allein kann man die 70 oder 80% der Nein-Stimmen aber nicht erklären. Einbürgerungen sind offensichtlich ein Punkt, bei dem die Leute in gewissen Gebieten sehr zurückhaltend sind. Für sie ist das Bürgerrecht etwas ganz Spezielles, das man nicht einfach so erhält.
Die Medien tragen zum Mobilisierungs-Effekt bei, indem sie die SVP-Inserate veröffentlichen und dann über die ausgelöste Debatte berichten. Wäre hier allenfalls mehr Zurückhaltung am Platz? Die Medien ermöglichen oder verstärken solche Kampagnen überhaupt erst, indem sie sie aufgreifen oder versuchen, Empörung dagegen zu mobilisieren. Letztendlich wird damit aber immer das primäre Ziel erreicht, die Aufmerksamkeit. Ohne solche hätten diese Kampagnen überhaupt keine Wirkung. Die Frage ist, inwieweit die Medien etwas totschweigen sollten. In einer Demokratie sollte man aber vom Grundsatz ausgehen, dass über etwas unabhängig von strategischen Überlegungen berichtet wird. Denn das ist der Anspruch an Information und Öffentlichkeit. Die Anti-Raser-Kampagne, die kurz vor der Abstimmung in den Medien gefahren wurde, hatte zwar keinen direkten Zusammenhang mit den Einbürgerungsvorlagen. Sie trug aber ebenfalls dazu bei, dass Leute Nein gestimmt haben.
Die klaren Worte von FDP-Präsident Rolf Schweiger und Arbeitgeber-Verbands-Präsident Peter Hasler in letzter Minute gegen die SVP-Kampagne fanden offenbar im bürgerlichen Lager kein Gehör. Weshalb? Mit dem Abstimmungs-Ergebnis lässt sich erklären, weshalb sich ein Teil der bürgerlichen Parteien mit der Pro-Kampagne schwer getan hat. Wenn in FDP- und CVP-Stammgebieten 70 oder 80% der Leute gegen die Vorlagen stimmten, wäre es schon fast komisch, wenn die Parteispitzen dafür wären. Und diese haben natürlich gewusst, dass sie an der Parteibasis nicht die breite Unterstützung für die Vorlagen hatten.
In den USA setzen die Republikaner kompromisslos auf Anti-Kerry-Kampagnen, die es mit der Wahrheit auch nicht so genau nehmen. Könnte man von einer Amerikanisierung von Abstimmungs- oder Wahlkampf hierzulande sprechen? Das ist nichts grundsätzlich Neues, denn in der Politik wird schon lange mit Überspitzungen und Dramatisierungen gearbeitet. Früher wurden beispielsweise Firmenbesitzer in Bildern als Kapitalisten-Schweine dargestellt. Neu ist vielleicht, dass die SVP mit solchen Kampagnen Erfolg hat.




Nachtrag vom 29. September 2004: Karrikatur zu weit gegangen?

Der bekannte Karikaturist Nico Cadsky des Tagesanzeigers zeichnete nach dem doppelten Nein zur erleichterte Einbürgerung eine Karikatur mit SVP Präsident Maurer, der einen Ausländer am Spiess grilliert. Der Tagesanzeiger wurde überhäuft mit Protestbriefen. Der Chefredaktor Peter Hardmeier zeigte sich erstaunt, dass sogar der Nationalratspräsident zu Beginn der Verhandlungen dieses menschenverachtende Bild gerügt hatte. Die Zeichnung weckte tatsächlich Assoziationen zu: Menschenfresser, Kannibalismus. Die SVP schockte die Öffentlichkeit ebenfalls verschiedentlich mit provokativen Plakaten. Vielleicht wollte der Zeichner der SVP das fragwürdige Mittel der Provokation überspitzt vor Augen halten. Nach unserem Wissen kam es bei Karikaturen noch nie zu einem gerichtlichen Urteil, das die Grenzen der zulässigen Diffamierung im Bereich Satire eindeutig festlegte. Wir gehen davon aus, dass auch die fragwürdige Zeichnung Nicos keine grossen Wellen mehr wirft.




Nachtrag vom 1. Oktober 2004: Kann die SVP mit der eigener Waffe geschlagen werden?

Nach dem Wahlerfolg der SVP mit der provokativen Bildrhetorik soll nun die Partei mit der eigenen Waffe geschlagen werden. Die Schengen-Befürworter wollen die Bevölkerung auch mit emotionalen Mitteln beeinflussen.

Das Plakat ist auch hemdsärmlig. Doch mit einer entgegengesetzter Botschaft. Es ist gleichsam eine Bumerangrhetorik.


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