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www.rhetorik.ch aktuell: (1. August, 2004)

Zum Informationsmanagement beim Hiflyer-Drama





Der Fesselballon "Hiflyer" vom Luzerner Verkehrshaus der Schweiz wurde im Oktober 2000 als neue Attraktion in Betrieb genommen. Der Ballon steigt in wenigen Minuten auf eine Höhe von 120 Metern und ermöglicht einen Rundblick über Luzern. Der fest am Boden verankerte, mit Helium gefüllte Ballon ist 36 Meter hoch, hat einen Durchmesser von 22 Metern und transportiert 25 bis 30 Personen. Er wird durch ein 22 Millimeter dickes Stahlseil gehalten und gesteuert.
Trotz vorliegender Sturmwarnung war der Ballon am 23. Juli 2004 mit 22 indischen Touristen und dem Piloten gestartet. Beim Aufstieg wurde "Hiflyer" von einer Böe erfasst und hin und her geschleudert. Dabei prallte er gegen ein Gebäude des Museums. Im Passagierkorb löste sich eine Bodenplatte, eine 49-jährige Frau fiel durch das Loch auf das Dach der Strassenhalle des Museums und starb. Fünf Touristen und der Pilot wurden leicht bis mittelschwer verletzt und mussten ins Kantonsspital Luzern eingeliefert werden.


Zur Krisenkommunikation nach dem Unfall

Die Informationspraxis nach dem Ballon-Drama war denkbar schlecht. Nach dem Unglück redeten zu vielen Zungen. Nach dem Todesfall in Luzern meldeten sich die verschiedensten Instanzen mit unterschiedlichsten Aussagen. Alle meldeten sich vorschnell zu Wort.

Die Geschichte illustriert wieder einmal, dass nach Unfällen Informationen und Medienmitteilungen koordiniert werden müssen.


Beatrice Tschanz hatte dies bei all ihren Referaten über das Informieren in Krisensituationen oder nach einem Unglück immer wieder unterstrichen. Ihr Credo

Die betroffene Institution muss mit einer Stimme reden!


wäre auch hier angebracht gewesen. Denn gegensätzliche Aussagen führten zu Mutmassungen. In diesem Fall, machten verschiedene Gremien: Polizei, Verkehrshaus, das Bazl, der Hiflyer Importeur usw, vor den Medien unterschiedliche Aussagen. Die Mitteilungen an die Öffentlichkeit wurden weder geführt, noch koordiniert. Wie nach dem Blutbad bei der ZKB kam es zu Mutmassungen. Selbsternannte Ballon-Experten gaben ihre individuellen Thesen zum Besten. Auch Verkehrs-Direktor Steiner mischte mit. Niemand wollte mit dem Luzerner Todes-Ballon etwas zu tun haben. Niemand fühlte sich verantwortlich.


Frühere Fälle

Eine Liste von Aktuell Artikeln zur Krisenkommunikation finden Sie hier. Siehe auch die Artikel Im Falle von Skyguide erlebten wir schon einmal, wie sich die Führungsverantwortlichen unterschiedlich zu Wort meldeten. Die Koordination der Botschaften fehlte. Die Folgen des Hin- und Her waren gravierend.

Auch nach der Bluttat bei der ZKB (siehe "Bei Krisen versagen viele Chefs"), fehlte das Informationsmanagement.

Fragen

Zu viele Fragen blieben offen oder wurden zum Teil gegensätzlich beantwortet. Beispielsweise:

Erteilte die Bazl (Bundesmt für Zivilluftfahrt) eine Bewilligung für den Ballonbetrieb?


Wenn das Bazl den Hiflyer tatsächlich den "Schaustellergeschäften" zugewiesen haben sollte, stünde er unter dem Gesetz über das Gewerbe der Reisenden vom 23. März 01. Dann hätte aber der Hilflyer gleich wie die von Schaustellern betriebenen Fahrgeschäfte eine Bewilligung aufgrund eines Sicherheitsnachweises und periodischer Überprüfung durch dem TÙV haben müssen. Dies fand Peter Howald, Präsident des Schaustellerverbandes Schweiz. Der Verkehrshausdirektor Daniel Suter liess aber verlauten: "Der Kanton hat die Bau- und das Bazl die Betriebsbewilligung erteilt." Nach Suter haben die Gegebenheiten dem bewilligten Zustand durchaus entsprochen. Er fand: Der Fesselballon gehöre zu den Luftfahrzeugen besonderer Art. Laut der entsprechenden Verordnung würden Freiluftballons nicht im Luftfahrzeugregister eingetragen. Deshalb sei das Bazl nicht verpflichtet, deren Lufttüchtigkeit zu überprüfen.

Weshalb verlangte das Bazl eine Haftpflichtversicherung im Umfang von einer Million Franken und die Zusicherung, dass die Vorgaben des britischen Herstellers eingehalten worden sind?


Am 27. Juli 04 machte der neue Präsident des Verkehrshauses, Franz Steinegger, im "Blick" eine weitere vorschnelle Aussage:

"Der Unfall hat mich betroffen gemacht. Aber deswegen den Ausbau Strategie des Verkehrshauses zu wechseln , halte ich eine Schnapsidee....für mich ist der Hiflyer nicht gestorben." Erstaunlich: Steinegger sagte dies, bevor er sich in Luzern ein Bild von der Sachlage machen konnte. Gleichentags war zu erfahren, dass das Bundesamt für Zivilluftfahrt dem Verkehrshaus Luzern ab sofort die Bewilligung zum Betrieb des Hiflyer entzog.


Steinegger hatte es schon als Expokrisenmanager verstanden, geschickt mit beschönigenden Informationen umzugehen. Er verstand es damals, einen finanziellen Misserfolg in einen Erfolg umzumünzen. Die Frage ist sicherlich berechtigt:

Wie kann eine Bewilligung entzogen werden, die nie erteilt werden musste?


Nach vier Tagen mangelt es an befriedigenden Antworten zu wichtigen Fragen noch immer:

  • Welche Qualifikationen musste der Pilot erfüllen?
  • Traf den Piloten die Hauptschuld?
  • Wurde wegen der vorliegenden Wetterprognose vom Flug abgeraten?
  • Weshalb lag der Bretterboden nicht auf einem stabilen Gitterroost?


Der Bazl Prüfungsexperte Herbert Scholl, der den Hiflyer in die Schweiz gebracht hatte, fand auf die Gitterroostfrage im "Blick" vom 27. Juli 2004 eine bedenkliche Antwort:

"Zusätzliche Gitterroste würden die Nutzlast reduzieren. Damit könnten weniger Passagiere aufgenommen werden, was die Wirtschaftlichkeit verschlechterte."


Die Aussage unterstreicht den Vorwurf, dass Wirtschaftlichkeit wichtiger als Sicherheit gewesen war.

Empfehlungen missachtet?

Der "Tagesanzeiger" recherchierte und fand heraus:
  • Der englische Hersteller der Ballon-Anlage schreibt auf seiner Webseite, dass sich im Umkreis von 25 Metern vom Ballon keine hohen Gebäude oder ander Ballone befinden sollten, da sich der Ballon bei Wind bewegen könne. In einer Höhe von 120 Metern könne er sich bis zu 75 Meter vom Zentrum entfernen.
  • Die Entfernung zwischen dem Hiflyer und dem Restaurant des Verkehrshauses beträgt jedoch weniger als 25 Meter, wie Verkehrshaus-Direktor Daniel Suter in der "Tagesschau" von SF DRS sagte:
  • Das Restaurant und die Hiflyer-Anlage wurden laut Suter von den Behörden gleichzeitig bewilligt. Zum einen habe das Verkehrshaus eine Baubewilligung des Kantons erhalten, zum andern eine Betriebsbewilligung des Bundesamtes für Zivilluftfahrt.
  • Das BAZL knüpfte angeblich die Bewilligung an die Auflage, dass das Verkehrshaus die Bedingungen des Herstellers einhält, wie seine Sprecherin Célestine Perissinotto in der "Tagesschau" sagte.

Endlich klare Informationen

Vier Tage nach dem Unfall folgten endlich klare Informationen ohne Mutmassungen: Das Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) wurde beauftragt, den Vorfall zu untersuchen. Die Abklärungen sollen zeigen, ob seitens des Bundes Handlungsbedarf besteht. Das heisst, dass das Büro für Flugunfalluntersuchungen (BFU) ersucht wurde, möglichst rasch den genauen Hergang und die Ursache des Unfalls zu klären. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) wurde beauftragt, die sicherheitsrelevanten rechtlichen Bestimmungen für Fahrten mit Fesselballonen und deren Vollzug zu prüfen.
Das Bazl soll laut Mitteilung des Uvek insbesondere auch die heutige Verteilung der Verantwortlichkeit auf die Behörden des Bundes und der Kantone sowie auf die Hersteller und Betreiber von Fesselballon-Anlagen kritisch unter die Lupe nehmen.

Schadenersatzforderungen?

Bis zum 27. Juni sind beim Verkehrshaus noch keine Forderungen auf Schadenersatz eingegangen.
Das Museum bot unmittelbar nach dem Unglück den betroffenen indischen Touristen Hilfe an und ermöglichte ihnen den Aufenthalt in Luzern.

Verkehrshaus-Direktor Daniel Suter betonte, dass es dabei um eine unmittelbare Hilfe und nicht um juristische Ansprüche oder Schadenersatzforderungen gehe.

Verkehrshaus ist abgesichert

Solche Forderungen, so Suter, müssten von Seiten der betroffenen Touristen an den Reiseveranstalter gerichtet werden. Dabei geht es um Ansprüche im Zusammenhang mit dem Reiseabbruch und der Rückreise. Der Reiseveranstalter, in diesem Fall Thomas Cook, kann dann vom Verkehrshaus Regress verlangen.

Laut Daniel Suter ist das Verkehrshaus für diesen Fall gerüstet und verfügt über die entsprechende Versicherungsdeckung. Das Prozedere sei mit der Versicherung bereits durchgespielt worden.

Der Reiseleiter will klagen

Ein Reiseleiter der indischen Touristen trägt sich mit dem Gedanken einer Schadensersatzklage. Gegenüber der Nachrichtenagentur SDA erklärte er heute Dienstag, er spreche im Namen der 22 Touristen, die beim Unglück zusammen mit ihm im Hiflyer waren. Die meisten der Passagiere im Fesselballon seien traumatisiert, sagte der Reiseleiter. Viele von ihnen litten immer noch unter Schlafstörungen. Über die Höhe der Forderung wollte er keine Angaben machen. Er sei nicht vertraut mit den rechtlichen Möglichkeiten in der Schweiz.

Strafverfahren gegen Unbekannt

Die Bundesanwaltschaft hat nach dem Unglück des Fesselballons Hiflyer im Verkehrshaus Luzern ein Strafverfahren gegen Unbekannt eröffnet. Es bestehe der Verdacht auf fahrlässige Tötung und fahrlässige schwere Körperverletzung. Gleichzeitig veranlasste das zuständige Departement in Bern eine Untersuchung.

Spätes Eingestehen von Fehlern

Erst am 1. August gestand das Bazl, Fehler gemacht zu haben. Erst nach einer Woche bestätigte sich, dass die geschilderten Bedenken berechtigt waren. Widersprüchliche Aussagen machen Medien immer hellhörig.

Recherchen des Sonntagblick ergaben, dass die Behauptung des Bazl - sie hätten bei diesem Ballon keine Aufsichtspflicht gehabt - nicht stimmen konnte.

Obschon dies vom Bazl immer bestritten wurde (mit der Begründung: Das Luftfahrzeug sei eine besondere Kategorie), musste nun Bazl Sprecherin Perissinotto doch zugeben, dass das Bazl eine Bewilligung erteilt hatte und damit auch die Pflicht zur Kontrolle und Aufsicht verbunden gewesen sei.

Medienmitteilungen der Kapo Luzern ( Quelle):


Erkenntnis:

Beschönigungen und Selbstschutzbehauptungen lohnen sich nie! Viele Führungskräfte rechtfertigen sich nachträglich nachdem die Fehler analysiert worden sind:
  • Dass es leicht sein, von aussen das Verhalten nach einem Unfall zu kritisieren.
  • Wenn man in einer Krise stecke, sei alles viel schwieriger als im Lehrbuch.
  • Der Zeitdruck stresse.
  • Es wird betont, dass in der Hektik Fehler vorprogrammiert seien.
Wir finden:

Eben, weil in Krisensituationen alles hektischer ist, weil alle gestresst sind, und bei Überraschungen die banalsten Fehler gemacht werden können, müssen Krisensituationen vorher praktisch durchgespielt werden


Urs Hürlimann, der Kommandant der Kantonspolizei Zug, hätte bei der Krisensituation in Zug kaum so überlegt reagieren können, hätte er nicht seine Checkliste zur Hand nehmen können. Krisensituationen wurden von ihm antizipiert. Frau Tschanz hatte auch deshalb Erfolg, weil sie den Absturz eines Grossraumflugzeuges in zwei internen Veranstaltungen auf oberster Führungsebene schon vor dem Absturz konkret geübt hatte. Wer das richtige Verhalten nicht "trainiert", wird in den ersten Minuten weniger gelassen handeln und mehr Fehler machen. Der Kontakt mit den Journalisten kann durch Training im Mediensimulator ritualisiert werden, damit während der ersten Sekunden all die "klassischen" Fehler vermieden werden können, die wir in all unseren Beiträgen ausführlich beschrieben haben.




Nachtrag vom 8. August, 2004: Inder wollen Schadenersatz.

Nach Sonntagsblick vom 8. August prüfen indische Anwälte eine Schadenersatzklage gegen das Reisebüro Thomas Coook.


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