Rhetorik.ch |
|
Knill.com |
---|
|
Das richtige Verhalten bei überraschenden Krisen wäre einfach,
sofern es vorher trainiert würde. Es gibt bei der Krisenkommunikation
wenige Grundprinzipien, die einzuhalten sind. Krisen kommen immer unverhofft.
Wenn sie das sind, kann das richtige Verhalten nicht mehr trainiert werden.
Zeitdruck und Stress dominiert. Wer bei Krisen die Verhaltensrituale nicht
verinnerlicht hat, muss dies in der Regel nachträglich bitter büssen. Das Lesen der Checklisten und Fachartikel als Vorbereitung allein genügt nicht. Die theoretischen Tipps sind im Grunde genommen einfach. Sie leuchten ein und viele denken: "Das kann ich dann schon, falls es mich trifft". Doch wenn dann die Person 1:1 handeln muss, ist das Umsetzten dieser Tipps in der Praxis nicht mehr so einfach. Stress und Überraschunseffekt lähmen das Denken. |
Theoretisch wüssten wir schon, was bei unverhofften Krisen
zu tun wäre:
|
Todsünden bei der Krisenkommunikation sind:
|
1. Fehler: | Das Urteil erfolgte, bevor alle Fakten geklärt werden konnten: | Die Skyguide gibt sofort bekannt: Unsere Lotsen trifft keine Schuld. |
2. Fehler: | Ungeklärte Fakten wurden an eine Medienkonferenz vermittelt: | Zuerst hiess es, der Befehl zum Sinkflug sei 1 1/2 Minuten vor der Kollision erteilt worden. Dann wurde mitgeteilt, es sei etwas mehr als eine Minute vorher gewesen. Später waren es angeblich nur noch 50 Sekunden. Später zeigten Auswertung der Ton- und Radaraufzeichnung in Zürich, dass der Fluglotse erst 44 Sekunden vor dem Crash die Gefahr realisierte. Das war zu spät. Nach Peter Schlegel, Chef der deutschen BFU hätte der Pilot spätestens 1 1/2 Min vor dem Kreuzungspunkt absinken müssen. Als der Zürcher Fluglotse zum ersten Mal den Kurswechsel befohlen hatte, dauerte es 14 Sekunden bis der russische Kapitän mit 45 Kindern an Bord tasächlich reagierte. |
3. Fehler: | Missachtung der Grundregel: Zuerst Fakten klären, dann koordiniert informieren. | Zuerst wurde behauptet, die Lotsen hätten korrekt gehandelt. Dann war zu hören, ein Mann hätte gearbeitet und der andere sei kurz nach draussen gegangen. Im Radio sagte später Anton Maag, der zweite Lotse habe pflichtwidrig seinen Arbeitsplatz verlassen. Das sei ein möglicher Grund für den Unfall gewesen. Nach wenigen Stunden erfolgte nun ein Dementi: Alles sei nur ein Missverständis gewesen. Nach interner Regelung könne ein Mitarbeiter den Arbeitsplatz verlassen. Aussage und Gegenaussage. Das "Hin und Her" machten alle anderen Aussagen ebenfalls unglaubwürdig. |
4. Fehler: | Fragen dürfen nicht vage beantwortet werden. | Die Frage, ob die Warnung nicht zu spät erfolgt sei, wird mit folgendem Satz beantwortet: "Es war eng - aber tolerierbar". Diese Antwort ist vage. Konkrete Angaben fehlten. Besser wäre gewesen: "Es gibt Bestimmungen und Limits. Wir melden ihnen in 20 Minuten die genaue Toleranzgrenze". Eine schwammige Antwort hinterlässt ungute Gefühle; sie weckt Vermutungen: Kennen die Verantwortlichen die Limits bei Bestimmungen und Vorschriften nicht? Wo ist nun die Toleranzgrenze? |
5. Fehler: | Pseudobegründungen sind Nahrung für spätere Vorwürfe. | Auf die Frage eines Journalisten, weshalb die Skyguide so spät reagierte, kam die Antwort dass die Piloten lieber hoch fliegen, um Brennstoff zu sparen. Man gehe deshalb nicht ohne weiteres auf Sinkflug. Mit dieser Pseudobegründung, wollte der Sprecher möglicherweise Verständnis schaffen. Diese Begründung ist jedoch zu wenig durchdacht! Zwangsläufig liegt der Vorwurf in der Luft: "Weil Brennstoff gespart wird, nimmt die Flugsicherung ein grösseres Risiko in Kauf!" |
6. Fehler: | Ungereimtheiten. | Wurde der Pilot ein - zwei oder dreimal zum Sinkflug aufgefordert? Es gab auch bei dieser Frage widersprüchliche Aussagen. |
Die Zeitung Wremija Nowostei publizierte in Russland folgende Schlagzeile: | "Fluglotsen schickten Tupolew in den Frontalzusammenstoss!" |
Und Iwestija behauptete: | "Schweizer Fluglotsen glaubten, es sei alles ruhig." |
Fazit:
Die Schuldfragen der Fluglotsen oder der Flugsicherung in Zürich
abzuklären, wird Sache der Untersuchunsinstanzen sein. Wir kennen
die anspruchsvolle Arbeit der Fluglotsen. Es ist auch durchaus möglich,
dass bei der Skyguide intern vorbildlich kommuniziert wird. Wir mussten
jedoch darlegen, dass vom Krisenkommunikationsmangement
bei diesem Flugunfall zu viel falsch gemacht wurde.
Die vielen Spekulationen wucherten, weil es während der ersten Tage
zu viele Berichtigungen, Dementis und widersprüchliche Aussagen gab.
Das Kriseninformationsmanagement bei Skyguide war katastrophal.
Dass der PR-Verantwortliche der Flugsicherungsfirma in einem
Interview vom 5. Juli
im Bund keine Mängel bei den eigenen
Kommunikationsverantwortlichen sieht, ist erstaunlich. Bei der Krisenkommunikation ist es wie beim Ausdrücken einer Zahnpastatube. Ist der Inhalt ausgedrückt, so kann die Paste nicht mehr in die Tube zurückbefördert werden. Mit nachträglichem Schweigen und Dementis können widersprüchlichen Aussagen nicht mehr so leicht rückgängig gemacht werden. |
Nachtrag vom 22. Juli 2002, Luftblasen statt klare Weisungen. Die Frage, ob und wann nur ein Lotse am Bildschirm sitzen darf, war schon vor sieben Monaten bei einem weiteren "Fast-Zusammenstoss" ein Thema, das die Fluglotsen beschäftigt hatte. Die Überwacher verlangten damals von der zuständigen Behörde klare Vorschriften. An jenem ominösen 13. Dezember 2001 sass ebenfalls nur ein zuständiger Flugverkehrsleiter vor seinem Radarschirm. Der "Single Manned Operation" (SMO) wurde in Zürich seit Oktober 2001 in verkehrsarmen Zeiten auch tagsüber zugelassen. Damals verlangten jedoch die Fluverkehrsleiter-Gewerkschaften Aerocontrol und Skycontrol im Februar vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) klare Vorgaben, ob und wann SMO zugelassen wird. Das Bazl sollte die Schranken und Risiken prüfen und konkrete flankierende Massnahmen definieren. Die nachfolgenden Formulierugen des Bazl Mitarbeiters René Aebersold veranschaulichen, wie Beamte vage und unbestimmt anworten können (Siehe Airbagrhetorik Reden und nichts sagen). Die Luftblasenformulierungen erinnern an die vielgeschmähte Politikersprache, die zwar schön tönt, aber nichts konkretes aussagt. Ein Muster aus Äbersolds Antwortschreiben:
Kein Wort von klaren Weisungen, "sollte" so sein - ist zu vage. Weiter sagte er, tagsüber "sollten" SMO nur begrenzt und mit Begleitmassnahmen zugelassen werden. Ausserdem sollte der Einmann-Sektorbetrieb nur "sehr defensiv" gehandhabt werden, bis "genügend Erfahrungen" vorliegen. Was heisst dies konkret? Was ist defensiv? Welche genaue Begrenzung? Was heisst genügend? (wieviel?) Zudem sollte mit der Meteo Schweiz die Wettersituation abgeklärt werden und je nach Lage auf SMO verzichtet werden. "Angesichts der heutigen Infrastruktur von Skyguide empfahl das Bazl, die Arbeit möglichst mit zwei Flugleitern durchzuführen." Auch diese "Gummiempfehlung" wurde auch in der Nacht der Katastrophe angewandt. Es war bekanntlich auch für den Chef unklar, welche Regelung nun gilt. Nach aussen hiess es, der zweite Fluglotse hätte pflichtwidrig gehandelt. Dann erfuhr die Öffentlichkeit, das Team könne selbst entscheiden, ob jemand allein arbeiten dürfe. Die CVP wunderte sich: "Warum hat das Bazl noch Ende Mai 2002 die Skyguide angewiesen, von "Single Manned Operations" tagsüber nur äusserst zurückhaltend Gebrauch zu machen? Warum wurde dies nicht nach dem ersten Fast- Zusammenstoss sofort verboten?" Wir stellen ebenfalls fest: Bei den Vorgaben zum Einmann-Radarbetrieb erhielt die Skyguide schwammige Empfehlungen. Mit "Luftblasen-Formulierungen" wurde sie sich selbst überlassen. Das Bazl hat erst nach der Katastrophe mit über 70 Toten reagiert. Die Behörde verbot der Skyguide - am 9. Juli erstmals eindeutig - jegliche SMO, auch nachts. Selbst Laien wunderten sich, dass die Einmannbesetzung von der Aufsichtsbehörde toleriert wurde, selbst dann, wenn Telefonleitungen und Geräte revidiert wurden. |
Nachtrag vom 24. Juli. Bundesrat Leuenberger
geht in die Offensive Der Verkehtsminister nahm den Druck ernst, dem er im Nachgang zur Skyguidegeschichte ausgesetzt war.
|
Nachtrag vom 29. Juli: Kellerhals zum Krisenmanagement der Skyguide. In einem Interview in der Sonntagszeitung vom 29. Juli nahm Franz Kellerhals, der Verwaltungspräsident der Skyguide Stellung zu den Kommunikationspannen und zum Personalmangel der Skyguide. Im Gegensatz zu den offiziellen Sprechern lenkte er seine Antworten geschickt und konnte die vorbereiteten Kernaussagen "unterbringen". z.B.:
Die Antworten überzeugen weitgehend. Nur zwei Fehler unterliefen dem Verwaltungsratspräsidenten:
Damit bleibt in den Ohren der Zuhörer das Wort falsch hängen. Ist doch etwas falsch gelaufen? fragen sich die Leser. Wenn nichts falsch gelaufen wäre, so müsste die Antwort lauten: Es lief alles bestens. Doch diese Formulierung würde von jedem Laien als "falsche" Aussage erkannt. Denn: Es lief bekanntlich zu vieles falsch! Vertrauen kann eine Person nur aufbauen, wenn die Antworten glaubwürdig bleiben, wenn offensichtliche Mängel auch eingestanden werden. DIe Antwort des Verwaltungsratspräsidenten auf die Frage:
müsste Franz Kellerhals nachträglich eingehender analysieren. Wir verstehen unter Krisenmanagement, dass Informationsbelange mit den Mitarbeitern vorher trainiert werden müssten. Die Kommunikation gehört zum Krisenmanagement. Ein Krisenmanagement darf nicht mit einem Krisenkonzept, das in der Schublade vor sich "hinschlummert", verwechselt werden. Schade, dass Herr Kellerhals sich nicht vor dem Interwiew auf diese zentrale Frage gründlich vorbereitet hatte. Aus unserer Sicht hat diese Antwort das Interview abgewertet. Wenn bei Skyguide etwas falsch gelaufen ist, so war es vor Allem im Bereich Krisenmanagement, dem Kommunikationsverhalten in Krisen. |
Links zum Thema: |
Nachtrag vom 2. Juli, 2003
Ein von der Skyguide geschalteten Trauerinserat
anlässlich des Unglück-Jahrestages in Tageszeitungen
lautete:
Es war die Frage gestellt worden, ob das echte Anteilnahme oder eine geschickte Strategie im Zusammenhang mit den jetzt aktuellen Geldforderungen war. Was uns zu denken gab: In verschiedenen Beiträgen im deutschen Fernsehen beklagten sich die Angehörigen, dass sich die Skyguide nach dem Unfall nie gemeldet hätte oder ein Wort der Anteilnahme verlauten liess. Falls dies tatsächlich zutrifft, würde das gutformulierte Inserat wohl eher als geschickte Wiedergutmachung einer publik gemachten Kritik wahrgenommen. |
Nachtrag vom 30. März, 2004:
Angehörige beschuldigen die Schweiz
In einem offenen Brief beschuldigen die Familien der Crash-Opfer die
Schweiz und Skyguide. Das Schweizer Flugsicherungsunternehmen
Skyguide behindere die laufenden Entschädigungsverfahren.
Und die Schweiz sei schuld an der Langsamkeit der Verhandlungen,
ist dort zu lesen. Dahinter stecke das Interesse, jegliche juristische
Verfolgung von Skyguide zu unterbinden. Das wies Patrick Herr,
Sprecher der Schweizer Flugsicherung, umgehend zurück.
Bereits im Juni 2003 hätten sich die Schweiz, Deutschland und
Skyguide auf einen Entschädigungsfonds geeinigt. Auch das Eidgenössische Volkswirtschaftdepartement (EVD) hat Kenntnisse von dem Brief, wie Sprecher Christophe Hans bestätigte. Sie hätten von "Le Temps" auch eine Kopie auf Russisch erhalten. Jetzt prüft das EVD eine passende Antwort. Ebenfalls heute tauchten in Zürich Flugblätter auf, in denen Vorwürfe gegen die deutsche Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung und die Staatsanwaltschaft Konstanz erhoben wurden. Die beiden Stellen seien Schuld am Tod des Fluglotsen, da sie die Verantwortlichen der Katastrophe noch nicht zur Rechenschaft gezogen hätten. Dies bestätigte der Zürcher Bezirksanwalt Pascal Gossner gegenüber "Radio 24". |
Nachtrag vom 19. Mai 2004: Endlich entschuldigt sich
Skyguide Beim Unfall Überlingen können wir vorläufig einen Schlussstrich ziehen. Erstmals entschuldigt sich die Skyguide für ihr Verhalten im Zusammenhang mit dem Flugzeugunglück. Es hat tatsächlich zu diesem Schritt lange - viel zu lange gedauert. Skygide hatte zwei Jahre lang lediglich das Bedauern ausgespochen. Bislang fehlten Worte der Entschuldigung. Wir hatten immer wieder bemängelt, dass die Informationspolitik der Skyguide ungenügend war. Jetzt endlich wurde zugegeben, dass nur eine Person den Flugverkehr überwachte und die Telefonleitungen nicht funktionierten. Ein rechtzeitiges Mea Culpa hätte den Druck enorm reduzieren können. Es fehlte den zuständigen Stellen an Einfühlungsvermögen und vor allem an Kenntnissen im Krisenmanagement. Die Hinterbliebenen hätten bestimmt viel weniger aggressiv reagiert, wenn die Informationsverantwortlichen gemerkt hätten, wie man mit Menschen umgeht. |
Rhetorik.ch | 1998-2012 © K-K Kommunikationsberatung | Knill.com |
---|