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www.rhetorik.ch aktuell: (30. September, 2001)

Corti stellt sich den Medien


Zum Auftritt in der ARENA bei SF DRS vom Freitag dem 28. September:
Wir haben Cortis Umgang mit den Medien bereits früher in verschiedenen Beiträgen beschrieben: Mario Corti, Photoquelle www.edicom.ch Corti war in den letzten Monaten mehrmals gefordert, seine Stärke als Kommunikator unter Beweis stellen. Es ging darum Vertrauen bei Belegschaft, Aktionären, Kunden, Geldgebern und der Öffentlichkeit aufzubauen.
Nach der längeren Pause betrachten wir hier erneut Mario Cortis Medienrhetorik. Wir beleuchten sein Kommunikationsverhalten an einem seiner wichtigsten Medienauftritte, den in der ARENA vom 28. September 2001. Ob es Corti gelingen wird, langfristig das Vertrauen aufbauen, werden die Resultate zeigen. Bisher war es Corti nicht gelungen, das marode Unternehmen zu sanieren.
Die finanzielle Situation bei der Swissair hat sich unterdessen laufend verschlechtert und nahm nach den Einbussen nach dem 11. September dramatische Formen an. Der Swissair stand somit hinsichtlich Finanzen mit dem Rücken zur Wand. Es ging letztlich nur noch um die knallharte Überlebensfrage: Kann ein Konkurs noch abgewendet werden?

In dieser prekären Situation wurde in einer Fernsehdiskussion ARENA der Themenkreis öffentlich diskutiert: "Ist die Swissair noch zu retten?" Mario Corti stellte sich dem Publikum und nahm an der Diskussionsrunde persönlich teil.
Was wir positiv werten: In der Krisensituation stellte sich Corti den Medien. Er erkannte:

Wir müssen Medien in Krisensituationen nutzen. Der eigene Auftritt ist immer eine einmalige Chance, alle Adressaten anzusprechen.


Mario Corti verstand es in der ARENA, schon in den ersten Sätzen seine Kernbotschaft zu platzieren:
"Nach dem 11.9. erlitten alle Fluggesellschaften unvorhersehbare Einbussen. Die Swissair, die schon seit Monaten ums Überleben gekämpft hatte, kam mit den zusätzlichen Verlusten in einen unzumutbaren Schleuderkurs. Sie ist deshalb auf externe Hilfe angewiesen." Etwas später fügte Corti noch explizit bei: "Ich bin aus zwei Gründen hierher gekommen:
  • Um zu zeigen, dass wir für das Ueberleben der Swissair kämpfen wollen
  • und vor allem deshalb, um alle Angestellten und Mitarbeiter anzusprechen.
Denn es ist schwer, in diesen schwierigen Zeiten den Betroffenen direkt ein Zeichen zu geben". Damit wurde allen Zuschauern bewusst:
Corti nutzte das Medium Fernsehen als Möglichkeit, alle Mitarbeitenden direkt anzusprechen. Er wollte noch Verständnis für die ernste Situation wecken. Die vielgeschmähten elektronischen Medien sind in Notlagen immer eine wertvolle Hilfe.
Aus unserer Sicht gelang es dem Swissairchef, in dieser heiklen Situation das Fernsehen geschickt zu nutzen. Medienrhetorisch fiel uns auf: Am Anfang wirkte Corti gefasst und bewusst (zu bewusst?) entspannt. Doch war doch das Unbehagen spürbar, hörbar und sichtbar: Es gab zwar eine Summe von Anzeichen "des Unwohlseins":
  • die Stimme war noch näselnder als sonst
  • In der ersten Hälfte gab es zu viele falsche rhythmische Akzente
  • die Hände stützten sich auf der Tischfläche ab. (Grounding nicht am Boden)
  • Damit war keine Gestik möglich (weiche Knie?/zu wenig geerdet mit den Füssen?)
Nachteil: Stress wurde mit Pendelbewegungen des Körpers abgebaut (Das Schwanken störte)
  • Gefasst (zu gefasst?)
  • Obwohl das Sprechtempo nicht hektisch war, hörten wir noch mehr "Aehs" als sonst.
  • Sehr konzentriert wirkte der Blickkontakt.
  • Über-vorsichtig war Corti in der Wortwahl.
  • Manchmal wurde auch die Standardsprache und Mundart nicht sauber getrennt
  • Viele unbestimmte Formulierungen fielen auf z.B. "An gewisse Bedingungen genüpft"
  • Corti begründete seine vorsichtigen Formulierungen jedoch damit: "Ich will mir nie vorwerfen lassen, dass ich lüge."
Die Aussagen wirkten für uns ehrlich und offen Corti bewies, dass er trotz der Krise den Humor nicht verloren hatte. In der zweiten Hälfte der Sendung nutzte Corti die strassengängige Sprache
"Us em Dreck use cho"
und verwendete Analogien als Verständlichkeitshelfer (in diesem Fall war es das Militär):
"Das isch nid dä Korperal Huber, wo e Division mo verschiebe".
Gesamtwirkung des Auftrittes: Bewusst ruhig, sehr vorsichtig in den Formulierungen verbunden mit vielen Signalen des Unwohlseins.
Die eingespielte Videossequenz mit Cortis früherer Behauptung: "Wir werden ohne Staatshilfe über die Runden kommen!" warf Corti nicht aus dem Konzept. Obwohl sich die verschiedenen Aussagen eindeutig widersprechen: Zum Beispiel:
Früher: Wir wollen keine staatliche Hilfe Heute: Der Staat muss uns helfen,
Corti erklärte den Widerspruch mit der Begründung, die er im ersten Votum schon vorweggenommen hatte: "Heute ist eine völlig neue, aussergewöhnliche Situation." Tatsächlich stammte Cortis Video-Aussage "Vom Verzicht auf staatliche Hilfe" noch aus der Zeit vor dem folgenschweren Datum des 11.9. Damit leuchtet Cortis Begründung vorerst ein.
Auch der jüngste Aussage Cortis, dass die Oktoberlöhne vielleicht nicht bezahlt werden könnten, erklärte er mit dem Hinweis, dass er stets der Wahrheit verpflichtet bleibe. Die Lage sei wirklich sehr prekär. Wenn keine Lösung gefunden würden, meinte er; so komme es auch bei der Bezahlung der Löhne zu ernsthaften Problemen.
Die Antwort, was konkret getan werden könnte, um die riesige Schuldenlast zu tilgen, blieb an der Sendung offen.
  • Können die Mitarbeiter etwas tun? (Reduktion der Pilotensalaire)?
  • Kann der Staat kurzfristig helfen? (Versicherungsprämien)?
  • Was kann die Wirtschaft dazu konkret beitragen?
  • Sind die Banken bereit, Geld einzuschiessen?
  • Wieviel Leute werden entlassen?
Damit stand fest, dass mit dem Schlimmsten gerechnet werden muss.
Uebrigens: Bei den Printmedien hatte die Boulevardpresse hinsichtlich Sanierung einen aussergewöhlichen Vorschlag: Alle Versager, die das Mismanagemant der Swissair mitverschuldet hatten, müssten eigentlich heute aus dem eigenen Sack etwas zur Sanierung der maroden Swissair Group beitragen. Folgende Namen wurden genannt, die grössere Beträge zahlen müssten:
  • Eric Honegger
  • Lucas Mühlemann
  • Andres Leuenberger
  • Bénédict Hentsch
  • Thomas Schmidheiny
  • Hannes Goetz
  • Paul A. Hoefliger
  • Gaudenz Staehelin
  • Gerhard W. Fischer
  • Vreni Spoerry
Versagerrat Ausser Gerhard W. Fischer wollten sich niemand zu der Idee einer persönlichen Rückzahlung äussern. Dank der Beiträge käme jedoch eine respektable Summe zusammen. Wirtschaftsprofessor Manfred Timmermann hält eine Wiedergutmachung der "Versager-Räte" als wichtig und möglich.
Früher haben die Versager-Verwaltungsräte grosse Geldbeträge kassiert, unabhängig von ihrer schlechten Leistung. Eine Wiedergutmachung mit angemessenen Rückzahlungen wäre demnach durchaus möglich. Es ist tatsächlich unverständlich, wenn sich die Versager in der heutigen schwierigen Situation, hinter einem "No-comment-verhalten" verstecken oder scheinbar nicht erreichbar sind.

Nachtrag vom 2 Oktober, 2001

Die Würfel sind gefallen: Crossair übernimmt Swissair-Reste.
Vorläufiges Ende einer Leidensgeschichte. Nach 70 Jahren existiert die Swissair nicht mehr.
Die SAir beantragt für den Rest der Firmengruppe die Nachlassstundung. Insgesamt 2560 Arbeitsplätze gehen verloren. Corti wurde von den Ereignissen förmlich überrollt. Was er in der Arena noch gehofft hatte, ist heute bereits Makulatur. Der Bund engagiert sich nicht bei der neuen Lösung Die Grossbanken UBS und Credit Suisse Group übernehmen den Löwenanteil an der neuen Regionalfluggesellschaft. Die Swissair Group muss der Crossair zwei Drittel des Fluggeschäftes abtreten. SAir lines, Lightlease und die restleichen Teile der SAir Group werden zum Verkauf angeboten oder gehen in Konkurs. Der neue Kapitän der "neuen" Crossair heisst André Dosé. Corti ist nur noch Liquidator.
Wir haben einige Interviews mit Corti nach der Liquidation an den Medien ebenfalls mitverfolgt. Wir stellten dabei fest, dass all die geschilderten Signale des Unwohlseins um ein Vielfaches verstärkt wurden. Cortis Sprechfluss war noch schlechter. Kein Satz ohne die störenden "Aehs" oder Stockungen. Zum Blickkontakt: Er wich den Journalisten aus. Wir sehen an diesem Beispiel. Der Körper kann nicht "lügen".

Fazit: Es lohnt sich in Wahrnehmung zu schulen. Nonverbale Signale können gleichsam zum "Frühwarnsystem" werden. Vergleiche auch den Beitrag vom 24. November).


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