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www.rhetorik.ch aktuell: (12. Juli, 2003)

Videoüberwachung auf Schritt und Tritt



"Fern-sehen" als flächendeckendes Phänomen

Am 100. Geburtstag von George Orwell werden wir tagtäglich, auffällig - oder auch unauffällig - überwacht. An das "Aus der Ferne gesehen werden" mit Video-Aufnahmegeräten haben wir uns gewöhnt. Unbemerkt bewegen wir uns gleichsam in einem riesigen "Big- brother" Container. Eine neue Mini-Kamerageneration liefert heute gestochen scharfe, farbige Bilder für all jene, die an einer Überwachung interessiert sind. Gesichter und Autonummern sind bei den neuen Geräten auf den Monitoren deutlich erkennbar.

Die Kritiker verstummen

Kritiker der Videoüberwachung können sich nicht durchsetzen. Trotz Verletzung des Persönlichkeitsschutzes werden wir heute auf Schritt und Tritt beobachtet. Orwell lässt grüssen. Wir hören darob kaum noch einen Aufschrei der Empörung. Die Menschheit hat sich offensichtlich mit dieser eigenartigen "Supervision" abgefunden.



Es geht bei den erwähnten Videoaufnahmen um die Speicherung von Geschehnissen, damit allfällige Gesetzesbrecher überführt werden können, oder auch um die Überwachung von Verkehrsabläufen.

Überall haben wir Kameras im Genick

Städte werden Tag und Nacht überwacht (die deutsche Stadt Singen setzte Videokameras als Massnahme gegen die zunehmenden Gewaltakte bewusst ein). Videoinstallationen gibt es


  • Bei Tankstellen, um "Schwarztanker" zu identifizieren.
  • Im Innern von Waschanlagen
  • In unbewachten Zügen (als Massnahme gegen Vandalismus und Gewalttaten)
  • In Bahnhöfen (die Aufnahmen werden nach 24 Stunden gelöscht)
  • In der Post
  • In Tunnels
  • In Warenhäusern, aber auch zahlreichen kleinen Ladenlokalen
  • In Banken (Bänder werden 30 Tage aufbewahrt)
  • An Bankomaten
  • In Schwimmbädern
  • In Parkhäusern
  • Bei gewissen Verkehrsbetrieben
  • Im Eingangsbereich privater Wohnungen
  • In Museen
  • In Spielcasinos, Spitälern, Restaurants, Gefängnissen oder Sportanlagen, aber auch in Schulen.
Dazu kommen
  • Webcameras in Kurorten oder Städten
  • Webcameras zur Verkehrsinformation
  • Satellitenüberwachung für Umweltschutz, Agrar, Geologische oder militärische Zwecke.
  • Flugphotos zu kartographischen oder wissenschaftlichen Zwecken (siehe dazu ein Beispiel).
  • Film und Fotoaufnahmen von Privatpersonen. Viele Handys haben heute eingebaute Kameras und erlauben das drahtlose übermitteln von Bildern per Telefon. Einige Sportclubs erwähnen schon die Verbannung von solchen Handys aus ihren Rämen.

Dissuativ, observierend oder invasiv

Fachleute unterscheiden zwischen
  • "dissuativer" Überwachung zur Prävention, zum Beispiel auf Flughafen oder bei Sportanlässen
  • von "observierender" Überwachung, zum Beispiel vom Strassenverkehr,
  • oder von "invasiver" Überwachung wie bei der Beschattung tatverdächtiger Personen.
Es gibt sicherlich viele gute Gründe, die für die Installation von Überwachungskameras sprechen.
Die technischen Einrichtungen wurden von Jahr zu Jahr perfekter. Die Minikameras sind für alle erschwinglich geworden und können mit Datenbanken vernetzt werden. Durch die kleinen Kameras werden die unzähligen Installationen immer unkontrollierbarer. (Minikameras können so montiert werden, dass sie nicht gesehen werden).

Vernetzte Überwachung

Zur Überwachung braucht es künftig keine Personen mehr. Kameras werden mit Rechnern verbunden. Das Verhalten der Personen wird längere Zeit verfolgt. Nach einer gewissen Zeit ist das System fähig, bei abweichendem Verhalten einer Person, selbständig Alarm auszulösen.


Meist fehlen rechtliche Grundlagen

Nach Expertenmeinung mangelt es heute an den entsprechenden Rechtsgrundlagen zur permanenten Überwachung. Die Strafprozessordnung der Stadtpolizei setzt bei einer geregelten Überwachung eine richterliche Verfügung voraus. Auf privatem Grund herrschen zudem besondere rechtliche Bestimmungen. Obschon die Videoüberwachung überall Fuss fasst, bleibt sie doch ein Eingriff in die Privatsphäre, weshalb in Schulanlagen und Städten vielerorts Videokameras nachträglich entfernt werden mussten, obschon sie im Kampf gegen Vandalismus und Jugendgewalt beigetragen haben. Selbst Webcams an exponierten Stellen in Städten wurden aus rechtlichen Gründen wieder abmontiert. Gesichter dürfen nicht erkannt werden.

Notwendiges Übel?

Allgemein wird heute trotz aller Bedenken die Überwachung akzeptiert. Vielleicht deshalb, weil man sich durch die aufgestellten Kameras sicherer fühlt (Parkhäuser, unbegleitete Regionalzüge usw). Die Menschen haben sich allmählich mit den installierten Argusaugen abgefunden. Für die Öffentlichkeit sind sie ein notwendiges Übel geworden. Tatsächlich konnte nachgewiesen werden, dass die Installation von Kameras im Kampf gegen Vandalismus und Gewalt erfolgreich war. Die Meinung ist verbreitet: Wer ein gutes Gewissen hat, muss ja nichts befürchten. Vielleicht ist dieses Argument mit ein Grund zur grossen Akzeptanz der Überwachungsanlagen.
Anderseits bleibt der Satz von Orwell - "Big brother is watching you" - aktueller denn je. Der Zürcher Datenschutzbeauftragte warnt jedenfalls vor einer fast unmerklichen "rasanten Ausbreitung" der Videoüberwachung. Datenschutzbeauftragte können nicht überall präsent sein. Wir vermuten deshalb, dass alle Vorbehalte gegen "den totalen Ueberwachungsstaat" - trotz aller Vorteile der Videoüberwachung - nach wie vor berechtigt bleiben.


Bei der Angelegenheit geht es stets um die Balance zweier konträre Bedürfnisse: dem Wunsch nach Sicherheit, und den Wunsch nach Freiheit. Herausforderungen für den Persönlichkeitsschutz kamen vor allem nach mehr Überwachung aus Sicherheitsgründen (Beispiel 11. September) oder zur Eindämmung von Epidemien (Beispiel SARS Ausbruch), wo Passagiere in Flughäfen ungefragt per Video auf Fieber geprüft werden.
Fragen wie "Wer überwacht denn die Überwacher" oder "Wer kontrolliert die Kontrolleure?" sind mehr denn je aktuell.


Nachtrag vom 13. Juli, 2003. Überwachung durch "Home Guards":
Jay Walker Die "Sonntagszeitung" vom 13. Juli, 2003 berichtet von einer Idee Jay Walkers, der in der USA die Terrorabwehr durch "Heimarbeit" revolutionieren will. Eine Armee von bis zu einer Million billig arbeitenden Heimarbeitern soll danach rund 47'0000 Ziele in den USA mittels billigen Webcameras beaufsichtigen.
Neben Stirnrunzeln im Zusammanhang mit Persönlichkeitsschutz gibt es auch andere Bedenken. Viele misstrauen der Sicherheit des Internets oder zweifeln, dass ein System "HomeGuard" gegen Selbstmordanschläge in belebten Gebieten tauge.


Nachtrag vom 8. September, 2003. Software Wanzen der Schweizer Polizei":
Die "NZZ am Sonntag" vom 7. September berichtet, dass Polizeifahnder in der Scheiz eine umstrittene Ermittlungstechnik angewendet werde, bei der die Heimcomputer von Verdächtigen mit Software Wanzen ausgestattet werden. Die Schweiz folgte damit dem Vorbild des amerikanischen FBI, die schon seit einiger Zeit Überwachungssoftware einschleusen. Vor zwei Jahren seien erste Versuche gestartet worden. Es sei unklar, auf welche gesetzliche Grundlage sich die Ermittler berufen. Einige Rechtsexperten finden die elektronische Überwachung problematisch, denn bei einer verdeckten Dateibeschaffung sei im Unterschied zu einer normalen Beschlagnahmung der Verdächtige nicht informiert.

"Computer-Hacking kommt einer heimlichen Hausdurchsuchung gleich und ist eine Art der verdeckten Beweisaufnahme, die gesetzlich nicht".

-- Untersuchungsrichter Hansjakob.


Der Betroffen könne nicht die Versiegelung des Beweismaterials verlangen oder versuchen, die Beschlagnahmung per Antrag für ungültig erklären zu lassen. Eine Diskussion um entsprechende Gesetzesänderungen finde in der Schweiz nicht statt. Ein Grund könne die Befürchtung der Strafverfolger sein, das Schweizer Parlament könne diese verdeckte Beschaffung elektronischer Beweise verbieten. Christian Schwarzenegger, Strafrechtsprofessor der Uni Zürich, meinte gegenüber der NZZ, die Strafverfolger würden das Recht für ihre Zwecke zurechtbiegen. In Deutschland würde so etwas Proteste hervorrufen.


Das im NZ Buchverlag erschienene Buch mit dem Titel: "Das Recht auf sich selbst. Bedrohte Privatsphäre im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit", das von Konrad Hummler und Gerhard Schwarz herausgegeben wurde, beleuchtet die Geschichte der Privatheit beleuchtet. Auch das Verhältnis gegenüber dem Staat, gegenüber Dritten und die finanzielle Privatheit werden untersucht. Gerhard Schwarz schreibt in der Einleitung über "Privatheit - Sauerstoff der Freiheit."


Nachtrag vom 15. Dezember, 2003. Wanzen überwachen Teilnehmer an Kongressen:
Die Washington Post berichtet am 14. Dezember, dass Besucher des Internet und Technologie Kongresses in Genf mit Namenschildern versehen worden sind, die mit Radio Frequenz ID's (RFID's) ausgestattet sind. Das erlaubte den Organisatoren, zu jeder Zeit zu sehen, wo wer ist. Es gibt Pläne, solche Chips in Verkaufsprodukten standardmässig einzubauen. Es wäre dann zum Beispiel möglich, dass ein Käfer in einem Wahrenhaus gar nicht mehr bezahlen muss, wenn er die Tür mit den Waren verlässt, liesst der Computer ab, was mitgenommen worden ist, und zieht den Betrag automatisch von der Kreditkarte des Kunden ab.


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