- Zu den "Krawallen in Bern" (AKTUELL 8. Oktober 07):
Die Opferrolle der SVP als "friedliche" Demonstranten gegen linke
Chaoten ist perfekt. Nicht diskutiert wird die völlig seltsame
Tatsache, dass Bern, zwei Wochen vor den Wahlen, einer Partei einen
"Marsch durch Bern" erlaubt. Hier ist Samuel Schmid zuzustimmen,
dass der Bundesplatz völlig ausgereicht hätte. Im Ausland
sieht die Berichterstattung zum schwarzen Wochenende völlig anders
aus. Da werden die Ausschreitungen gegen die SVP als Zeichen einer doch
antirassistischen Schweiz gewürdigt. Hier gilt es anzusetzen und
innerschweizerisch zu analysieren, wie weit das Selbst- und das Fremdbild
dieses Landes schon auseinandergedriftet sind.
- Zum Beitrag "Nichts Neues in Bern" (AKTUELL 4. Okt. 07):
Ich kann da nichts mehr sagen - Sie haben ja alles schon perfekt gesagt.
Aus politikwissenschaftlicher Sicht höchstens: Schade, dass das
Parlament die Gelegenheit verpasst hat, seine Institution und Ehre
zu schützen. Es scheint fast so, als wären alle unsere
rechtsstaatlichen Institutionen dem parteipolitischen Hickhack zur
Zerstörung übergeben worden. Das ist für eine Demokratie
äusserst bedenklich.
- Noch ein Zusatzgedanke zur "SVP in Opposition":
Erstaunlich ist, dass der Rausschmiss der SVP aus der Regierung kein
Thema ist. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist dies völlig
unverständlich, da bei Regierungskoalitionen wirklich mehrere
Möglichkeiten vorhanden sind. Zudem:
Konkordanz ist keine Frage der Arithmetik, sondern der Demokratie!
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Doch dies merken nicht einmal mehr die Politologen. Das wussten unsere
Väter aber noch bestens. Deshalb musste die Sozialdemokratie bis
1943 auf einen Sitz im Bundesrat warten! Doch alle Parteien sowie die
Politiker und Politikerinnen haben kein historisches Verständnis dessen
mehr, wofür das
schweizerische Regierungssystem steht. Schauen wir die Ausgangslage
einmal an:
- Die SVP droht bei Abwahl Blochers mit militanten Parteimitgliedern,
Pensionierten und Jungen in die professionelle Opposition zu gehen. Was
bedeutet das für die Schweizer Polit-landschaft?
Nicht viel mehr als bisher. Die SVP spielt mit ihrer Initiativ- und
Referendumsmaschine schon jetzt zu einem grossen Teil Oppositionsrolle.
Für die Schweizer Politik würde das heissen, dass - falls
die SVP wirklich durchhalten würde, was nicht unbedingt einfach
ist, denn Initiativen sowie Referenden benötigen viele Ressourcen
wie Finanzen, Organisation sowie Personen - die Stimmenden über
zusätzliche Sachgeschäfte zur Urne gebeten würden.
Für die Regierungsparteien ohne SVP hiesse dies aber, gute Absprachen
und einen eigentlichen Koalitionsvertrag untereinander durchzuhalten.
Dann würde die SVP nur noch laut, aber politisch nicht effektiv sein.
- Eine solche "Nein-Partei" würde den politischen Apparat lahmlegen,
stimmt das? Wir haben diese Nein-Parteien ja schon grundsätzlich!
In den letzten Legislaturperioden wurden schon sehr viele Referenden
lanciert. Die ruhige Zeit der 1950 und 1960er Jahre ist längst
vorbei. Was noch mehr lahm gelegt würde, was nicht schon eh enorm
langsam geht in der Schweiz ist mir aufgrund der wissenschaftlichen
Analyse unklar. Klar ist nur, dass FDP und CVP sich vor einer solchen
Auseinandersetzung mit der SVP fürchten, da sie klare Positionen
einnehmen müssten und nicht - wie nun häufig - das Zünglein
an der Waage spielen könnten. Klar ist auch, dass die Schweiz
wirklich in einer grossen Veränderung stünde - von einem Tag
auf den anderen. Aber diese Veränderung ist eh schon im Gange.
- Jeder Vierte wählt SVP: die Schlagkraft einer solchen Partei
wäre sehr gross. Was können die anderen Parteien dagegen tun?
In den Kerndossiers zusammenhalten, was viel politischer Scharfsinn und
wirklich den Willen zu Lösungen braucht. So gesehen wäre dies
für die anderen Parteien gar nicht so schlecht. Aber hier weiss ich,
dass ich dies anders als die Mehrheit der Lehre und der Politisierenden
sehe. Doch meine Doktorarbeit über die Zeit zwischen 1914-1945
hat mich punkto Opposition sehr viel gelehrt. Zum Beispiel, dass
oppositionelle Parteien grad in der Schweiz an Schlagkraft verlieren,
wenn sie nicht der Regierung angehören, weil in der Schweiz eine
Regierung immer auch eine Legitimation gibt. So gesehen, hat ja die SVP
von ihrer Janusköpfigkeit enorm profitiert in den letzten Jahren. Und
es zeigt sich, dass die Einbindung von Christoph Blocher nicht zu einer
Zähmung der SVP, sondern eher zu einer Stärkung der SVP,
zumindest punkto Wahlen, geführt hat. Aber nochmals: Da stehe ich
als Wissenschaftlerin mit diesen grösseren Zusammenhängen
so ziemlich allein auf der Flur. Das heisst jedoch nicht, dass meine
Analyse unzutreffend wäre. Sie geht einfach weiter als über
das Tagesgeschäft hinaus.
- Mit dem "Bremspedal" der SVP, steigen die Kosten für Wahlkampf,
weil die Gegenparteien ihrerseits mehr kämpfen müssten. Stimmt
das? Nein. Die Kosten, die die SVP schon jetzt tragen kann, können
die anderen Parteien eh fast nicht berappen. Ausser vielleicht die FDP -
doch auch da hört der Goodwill beispielsweise der Economiesuisse, die
ja zu einem grossen Teil die Europaabstimmungen wegen der internationalen
wirtschaftlichen Verflechtung der Schweiz tragen musste, sicher
früher oder später mal auf. Langfristig könnten die
Regierungsparteien wohl eher sparen, denn aufgrund der Geschichte der
Schweiz ist bekannt, dass die Stimmenden ständige Nein-Sager, die
zudem keine Regierungslegitimation haben, nicht goutieren. Die Schweizer
Stimmenden sind nämlich enorm pragmatisch. Das passt zur politischen
Geschichte und Kultur des Landes.
- Was bedeutet das für den einzelnen Wähler - Konsequenzen im
Polit-Alltag? Eine noch höhere Politisierung sowie Mobilisierung -
und, vielleicht - das wäre doch zu wünschen, auch grösseren
Einblick und Verständnis, wie schwer politische Lösungen
durchzubringen sind.
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