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www.rhetorik.ch aktuell: (1. Mai, 2001)


Schlagend argumentieren (Zu den Nachdemonstrationen am 1. Mai in Zürich)



Im Zusammenhang mit den Diskussionen bei den Auseinandersetzungen mit den WEF Gegnern. (Siehe Beitrag vom 3. Februar) war die Polizeivorsteherin der Stadt Zürich nicht allein mit der Meinung, es sei durchaus möglich, friedliche Demonstranten und gewalttätige Aktionen dank geschicktem Einsatz mit Polizeikräften auseinanderzuhalten. Beim Wirtschaftforum wurde der Bündner Polizei vorgeworfen, sie hätten durch das Demonstrationsverbot die verheerenden Zerstörungen in der Stadt Zürich zu verantworten. Gespannt warteten nun Politiker und die Öffentlichkeit auf den Tatbeweis am 1. Mai.
Fachleute zweifelten, dass sich Zürich am 1. Mai die Nachdemonstrationen mit dem "Schwarzen Block" trennen laesst. Seit Jahren erlebte Zürich regelmässig Zerstörungen und Gewalt trotz grosser Polizeipräsenz. Die Ausschreitungen im Stile "Züri brennt" waren am 1. Mai bereits zum Ritual mit Tradition geworden.
Psychologen, die sich mit Jugendgewalt auseinandersetzen haben festgestellt, dass ähnlich wie bei Sportveranstaltungen, Gewaltwillige gar nicht diskutieren wollen. Die Aktionen sind ein lustvoller Kick, der gesucht wird. Die Schlägereien haben meist keinen poitischen Hintergrund, Es geht für viele schlicht und einfach um eine Lust an der Gewalt. Dass es nicht um friedliches Demonstrieren geht, haben in Davos die entsprechenden Internetseiten vor den Gewaltakten veranschaulicht. Die Bündner Polizei musste die Ankündigungen ernst nehmen. Für die Krawalle am 1. Mai signalisieren die Webseiten, dass es nicht um friedliche Aktionen geht:
"Vernichte alles, was den Bullen als Beweismittel dienen könnte" empfiehlt "der revolutionaere Aufbau der Schweiz" Es wurde zudem geschrieben: "Schutzbrillen gegen Gummischrot nicht vergessen". Auch hitzefeste Handschuhe werden empfohlen, um Tränengaspetarden zurückzuwerfen. Auch schwarzes Vermummungsmaterial sollte nicht vergessen werden.
Dass am 1. Mai schlagend argumentiert wird, war vorauszusehen. Denn seit Wochen wurde zu einer "Kämpferischen Nachdemo" aufgerufen. Letztes Jahr lautete das Motto: "Randalieren statt demonstrieren". Zahlreiche Polizisten und Demonstranten wurden damals verletzt. Immer wird nach den gezielten Provokationen nachher der Spiess umgekehrt und die Polizei als Sündenbock hingestellt. Die Gewaltaktionen werden zu legalen Verteidigungshandlungen deklariert. Heute lassen sich in kurzer Zeit aus der ganzen Schweiz und dem Ausland gewaltwillige Gruppen zusammentrommeln (Davos, Prag, Neapel usw). Fachleute behaupten, dass zahlreiche Jugendliche lediglich eine Plattform suchen, um ihre Identität zu finden. Überall kann beobachtet werden, dass die Hemmschwelle zuzuschlagen sinkt. In Zürich war deshalb eine weiter wachsende Gewaltspirale vorprogrammiert. Die Gewalttätigen waren für ihren Einsatz bestens vorbereitet: "Jede Aussage verweigern, so fällt es den Bullen viel schwerer, dir etwas auszuhängen". Die Eigendynamit der Gewaltakte, dieses Jahr wieder bewusst Autos, Scheiben zu zerstören und sich blind auszutoben, lag eindeutig in der Luft.
Es zeigte sich jedoch, dass die Polizei aus den Gewalttätigkeiten in Zürich im Zusammenhang mit dem Weltwirtschaftsforum in Davos Einiges gelernt hatte. Die Ordnungshüter wählten am 1. Mai 2001 die harte Sprache und argumentierten nicht verbal. Das Konzept der Polizei war einfach: Sofort hart zugreifen und den schwarzen Block einkesseln. Der Polizei gelang die Taktik weitgehend. In kurzer Zeit wurden insgesamt 200 Jugendliche festgenommen. Trotz des Teilerfolges kam es dennoch zu Verwüstungen und beträchtlichen Sachbeschädigungen. Bis zum Abend des 1. Mai gab es 5 Verletzte. Ein Kleinkind wurde von einem Stein getroffen. Die Polizei stand am 1. Mai unter Erfolgszwang. Früher wurde meist zu lange zugewartet. Auf Dialoge wurde nun bewusst verzichtet.
Die "schlagende Argumentation" auf die schlagenden "Secondos" zahlte sich dieses Jahr aus. Die Medien und viele Mitläufer verfolgten die Katz und Mausspiele in den Strassen Zürichs. Es zeigte sich auch ein Trend, dass zahlreiche Mitläufern mit Photoapparaten und Videokameras bewaffnet Actionszenen sammelten. Als Erinnerungsbilder fürs Photoalbum. Dass unbewilligte Nachdemonstrationen wenig mit Dialogik zu haben - im Sinne von einer Vermittlung politischer Anliegen - hat die Zusammensetzung der unterschiedlichsten Beteiligten verdeutlicht. Die "Schlagenden" waren ein Konglomerat von Links- und Rechtsextremen, Abenteuerlustigen, angereisten Chaostouristen aus dem Ausland usw. die an einer kommunikativen Auseinandersetzung wenig interessiert waren.



Nachtrag, 20. September 2001
Nach den Terroranschlägen in New York und Washington müsste sich das 1. Mai Kommitee von Zürich nachträglich Gedanken machen. Denn sie hatten dieses Jahr als Gastreferentin die umstrittene Terroristin Laila Khaled eingeladen. Laila war an Flugzeugentführungen aktiv beteiligt. Vor dem 1. Mai auch Mitglieder der SP gegen diesen fragwürdigen Auftritt. Heute muss es zu denken geben, dass eine erfahrene Terroristin in Zürich von so vielen Leuten beklatscht wurde. Es ist erstaunlich, dass es in Zürich am 1. Mai Leute gegeben hatte, die den Terrorismus nicht mit allen Mitteln bekämpfen wollen und terroristisches Vorgehen nicht prinzipiell ablehnen. Heute wäre der Auftritt einer Terroristin kein Thema mehr. Ein Leserbriefschreiber machte für das 1. Mai Kommitee den ironischen Vorschlag, nächstes Jahr in Zürich bin Laden als Gastredner einzuladen.


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