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www.rhetorik.ch aktuell: (20. Oktober, 2005)

Vogelgrippe und die Medien

Links: Vogelgrippe: Gefahr oder Hysterie? Medien als Angstmacher? Krisenkommunikation und Medien


Auschnitt aus einem Gemälde von Joachim Euckelaer, Oel auf Holz, 113 x 163 cm, befindet sich im "Musées Royaux des Beaux-Arts" in Brüssel.


Vertrauen aufbauen



Wir haben noch keine Vogelgrippekrise aber ein Kommunikationskrise.


Nach der offensichtlichen Kommunikationskrise war das Bemühen nach einer Informationsoffensive spürbar. Die "Arena" traktandierte die Thematik ein zweites Mal. Die wichtigsten Chefs der Ämter waren jetzt in der Runde. Die Vogelgrippe war während Tagen in allen Medien das Frontthema. Gemäss wissenschaftlichen Erkenntnissen wächst zwar die Gefahr einer Pandemie. Doch bis heute ist der Ernstfall nicht eingetreten. In der Bevölkerung - auch bei den Medienschaffenden - stellten wir zwei Lager fest:

Die Zurückhaltenden

und die

die Alarmisten

 


Bald wird sich herausschälen, wer sachlich informiert hatte und wer zu hysterischem Verhalten tendiert hatte. Fragen beschäftigten uns: Haben die Medien unnötigerweise dramatisiert? (Siehe Vogelgrippe: Gefahr oder Hysterie?) Wir teilen die Meinung der NZZ vom 21. Oktober:

"Wenn die Medien nicht warnen und der Katastrophenfall eintritt, wird man ihnen ebenfalls Versagen vorwerfen. Niemand kennt die Zukunft. Im Nachhinein wird man immer klüger sein."


Wir haben in verschiedenen Beiträgen darauf hingewiesen, dass in diffusen Bedrohungslagen der Drang zu Alarmismus zunimmt und bei anbahnenden Krisen nicht nur konstant sondern auch eindeutig und offen informiert werden muss. Wir zitieren nochmals die NZZ:

"Falls die Vogelgrippe zum Ernstfall werden sollte, steht eine ungeheuer gefrässige und technisch hochgerüstete Medienmaschine bereit. Sie wird beinahe im Sekundentakt via Radio Fernsehen Internet und SMS ihre Meldungen und "Frontbereichte" losschicken und entsprechend den Schrecken potenzieren. Dann droht eine doppelte Pandemie."


Dieser Hinweis verdeutlicht, dass in Krisenzeiten das Vertrauen nicht mehr aufgebaut werden kann. Dies muss jetzt - in der anbahnenden Krise - geschaffen werden"


Ausschnitt aus einem Gemälde von Hieronymus Bosch, Oel auf Leinwand, 131.5 x 119 cm, befindet sich im "Museu Nacional de Arte Antiga" in Lissabon.




Medienhysterie?

Thomas Zeltner, der Direktor des Bundesamtes für Gesundheit war in einem Radiobeitrag vom 18. Oktober zu hören. Er sieht noch kein Anlass für dramatische Aussagen.

"Wir versuchen zu informieren, nicht zu dramatisieren, aber auch nicht zu beschönigen. Was bei diesem ganz grossen Informationsbedarf der Bevölkerung - der vorhanden ist - manchmal schwierig ist."


Nach Zeltner ist es wichtig, die folgenden drei Probleme zu unterscheiden:
  1. Eine Vogelgrippe rückt näher.
  2. Für saisonale Grippen gibt es Impfungen
  3. Es besteht die Gefahr einer Pandemie
Das sind nach Zeltner drei unterschiedliche Themen, die auch unterschiedlich bedrohlich sind. Es wird nun nach dem ersten Wirbel - den Medien vorgeworfen, sie würden übertreiben. Beispielsweise sei nirgends thematisiert worden, dass jedes Jahr an die 1000 Menschen an der normalen Grippe sterben. Im Radio DRS wurde am 18. Oktober die Frage gestellt, ob es sich bei der Vogelgrippe um eine Medienhysterie handeln könnte. Medienwissenschaftler Roger Blum meinte zur Frage, ob die Medien "übertreiben:

Die Medien sind für die Bevölkerung da. Journalisten sind auch ein Teil der Bevölkerung. Da kommt es zu einem Synergieeffekt. Medien tendieren zum Übertreiben, weil sie sich auf gegenüber der Konkurrenz auf dem Markt bewähren müssen. Deshalb wird vieles zugespitzt oder überhöht. Bei medialer Aufgeregtheit wäre mehr Gelassenheit beim Publikum erwünscht.




Kommentar: Ob uns das lieb ist oder nicht: Es lohnt sich stets zu berücksichtigen, dass die heutigen Medien eine Tendenz zur Kommerzialisierung, Personifizierung, Emotionalisierung, Regionalisierung und Boulvardisierung haben.


Verwirrliche Informationen entwirren!

Schon bei sich anbahnenden Krisen - nicht erst bei Krisen - müssen Informationen koordiniert werden. Widersprüchliche Aussagen verunmöglichen den Aufbau des Vertrauens. Die jüngsten Verlautbarungen des Bundes machen erneut bewusst, wie die Bevölkerung weiterhin verunsichert wird.

Transparent informieren will nicht heissen, dass alle Wissenschafter die nämliche These vertreten müssen. Doch hat die Bevölkerung das Recht zu erfahren, wer, aus welchem Grund, diese oder jene Meinung vertritt. Informationen sind zu koordinieren! Erfreulich ist imerhin, dass der Bund künftig regelmässig informieren will. Unerfreulich sind hingegen gegensätzlichen Aussagen. Diesmal hinsichtlich "Freilandhaltung der Geflügel":

Bundesrat Pasqual Couchpin sprach noch diese Woche von Hysterie. Plötzlich sprach er dann aber von einer Neubeurteilung. Die Bevölkerung erfuhr ebenfalls diese Woche, dass in Österreich und Deutschland die Freilandhaltung des Geflügels generell verboten werde. Dass jedoch in der Schweiz diese Massnahme noch nicht in Frage komme Für den Direktor des Bundesamtes für Vetrenärwesens stand am Mittwoch eindeutig fest, dass die Stallpflicht zu viele Probleme bringe und ein derartiger Eingriff nur mit wissenschaftlicher Grundlage veranlasst werden könnte. Über Nacht änderte der Direktor BAG plötzlich seine Meinung und sprach erstaunlicherweise von einer erhöhten Gefährdung. Er sagte sogar das Gegenteil:

"Die Stallpflicht für die Schweiz ist kein Problem. Sie ist in der Schweiz machbar!"


Wir stellen fest: Widersprüchliche Aussagen dürfen nicht für zusätzliche Verwirrung stiften. Die Bevölkerung hat ein Anrecht auf eindeutige Antworten auf Fragen wie: Genügt die Lagerhaltung von Tamiflu? Ist die Verteilung in so kurzer Zeit gesichert? Soll man sich gegen Grippe impfen? Wer entwirrt die verwirrlichen Informationen?




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Die Balance finden!

In der heutigen Phase der sich anbahnenden Krise artikulierten sich vor allem Vertreter von zwei extremen Positionen: Jene, die dramatisieren und jene, die bagatellisieren. So publizierte der Sonntagsblick vom 23. Oktober auf der Frontseite den schlimmsten Fall - die Pandemie. Dieser Beitrag unterstützt die Stimme der Alarmisten. Anderseits versuchten beispielsweise die Chefs der wichtigsten Bundesämter - in der letzten Arena - die Bevölkerung zu beruhigen. Ein TV-Kritiker schrieb nachträglich bissig:

"Sie beruhigen die Bevölkerung, damit Ruhe ist!"


Diese Informanten dürften zu den Zurückhaltenden gezählt werden. Aus unserer Sicht gibt es bei krisengefährdeten Situationen kein "Entweder-oder" - Denken. Beide Positionen sind richtig und wichtig! Gefragt ist jedoch die "Sowohl- als auch" - Haltung. Beide Positionen müssen laufend unter einen Hut gebracht werden. Krisenkommunikation heisst zwar vor allem: "Entdramatisieren". Anderseits müssen sich alle Instanzen auch mit den "Worst Case" - Szenarien auseinandersetzen. In der Antizipationsphase sind die betroffene Institutionen verpflichtet, alle erdenklichen Möglichkeiten auszumalen und die Fachleute sollten sich ständig überlegen, was getan werden könnte, falls ... Nach unserem Dafürhalten ist in der heutigen Situation der "Koordination der Kommunikation" grösstes Gewicht beizumessen. Gefragt ist eine offene, eindeutige, sachliche Darstellung der jeweiligen Situation - stets unter Berücksichtigung beider Extrempositionen. Da wir derzeit unter einer Informationsschwemme leiden, sind die entsprechenden Instanzen verpflichtet, aus der bestehenden Informationslawine, ihre Botschaften laufend adressatengerecht umzusetzen. Konkret: Die Bevölkerung, die Fachleute, die Aerzte, die Apotheker die Medien haben ein Anrecht auf unterschiedlich zubereitete, offene, unmissverständliche Informationen. Diese Umsetzung ist zwar aufwändig, aber notwendig. Dieser Aufwand ist bestimmt billiger als nachträgliche Berichtigungen und kostspielige "Entwirrungsaktionen".




Nachtrag vom 21. Oktober, 2005

Risiko- Kommunikation heisst Koordination


Die Koordination der Botschaften und Massnahmen ist nun auch in Europa ein Thema. Es wird ein europäischer Gesundheitsminister gefordert. Davon ausgehend, dass bei der Risiko-Kommunikation Botschaften nicht verwirren dürfen, forderten wir verschiedentlich eine bessere Koordination der unterschiedlichen Akteure und haben empföhlen, auf schweizerischer Ebene einen Mister "Vogelgrippe" zu bestimmen. Nun entdeckten wir in "Die Zeit" vom 20. Oktober im Beitrag "Die Seuche Angst" - die gleiche Stossrichtung - aber auf europäischer Ebene:

"Die bisher kursierenden Botschaften verwirren und zwingen den Bürger so geradezu in eine kopflose, ineffiziente Individualprophylaxe. Für den medizinischen Katastrophenfall wäre ein Europäischer Gesundheitsminister dringend notwendig. Eine solche Stelle sollte weitreichende Kompetenzen haben. Denn er müsste im Ernstfall anordnen, Impfstoffe und Medikamente auf dasjenige Land zu konzentrieren, indem die Seuche gerade wütet. Nur wenn diese in ihren Anfängen gebremst wird, besteht eien gute Chance, die Ausbreitung mit akzeptablem Aufwand zu verhindern. Von egoistischem Handeln profitiert nur einer: der Erreger."




Freitag, 25. Oktober 2005, Der folgende Abschnitt ist im Persönlich am 24. Oktober erschienen. Dies ist eine lokale Kopie:

Krisenkommunikation und Vogelgrippe: Informationspolitik des Bundes unter der Lupe.

Nachdem die Diskussion in der Politsendung "Arena" vom 14. Oktober gezeigt hatte, dass bei der Thematik "Vogelgrippe" hinsichtlich Kommunikation und Informationen Widersprüche bestanden, beleuchtete die "Arena" vom 21. Oktober 2005 noch einmal das analoge Thema. Diesmal mit dem Untertitel: "Von Ängsten und Fakten". Kommunikationsberater Marcus Knill hat für "persoenlich.com" die Aussagen der Behördenvertreter unter die Lupe genommen:

Tatsächlich: Die Bevölkerung ängstigt sich. Die Behörden erkannten, dass breite Kreise verunsichert waren. Sie versuchten nun mit einer geballten Informationsoffensive das schwindende Vertrauen zurückzugewinnen. Der Bundesrat beschloss, ab sofort regelmässig zu informieren. Es wurde ab nächsten Dienstag eine befristete Stallpflicht für Geflügel angeordnet. Wir wollten wissen, ob nun die neue hochkarätige Expertenrunde nach einer Woche konkretere Aussagen machen konnte. Die wichtigsten Chefs der betroffenen Bundesämter waren bei der zweiten "Arena" über die Vogelgrippe alle an Deck.

Herr Zeltner (Direktor Bundesamt für Gesundheit) wurde von Urs Leuthard auf die Lücken im Krisenmanagement (Strategische Führungsübung im Januar 05: "Schweinegrippe-Pandemie") angesprochen. Zeltner musste eingestehen, dass es sich damals gezeigt habe, dass die längerfristige Zusammenarbeit zwischen Bundesämtern und Departementen schwierig und die Kommunikation mit Kantonen und Nachbarländern verbesserungswürdig sei.

Beat Glogger, Wissenschaftsjournalist, wies einmal mehr auf das Kommunikationsdilemma hin, auf das bereits in der letzten Sendung hingewiesen worden war. Wer informiert, muss stets bedenken: Entscheidend ist nicht das, was der Sender verbreitet, sondern das, was beim Empfänger ankommt! Glogger fiel auf: In der ersten Arena über das Thema Vogelgrippe hat der Direktor des Bundesamtes für Gesundheit gefehlt.

Die Bevölkerung fragte sich gewiss: Weshalb fehlte der Chef? Nimmt er die Bevölkerung nicht ernst? (Die Stellvertreterin kam nachträglich in den Medien sehr schlecht weg).

Zeltner sah ein, dass sein Fernbleiben bei einer Kommunikationskrise falsch war. Immerhin vermochte er in der Arena einige Unklarheiten beseitigen. Vor allem verstand es Robert Steffen, Professor für Epidemiologie, die Bevölkerung mit Zahlen und Fakten wesentlich zu beruhigen. Nachdem Hans Wyss erklärte: "Bei Wildvögeln gibt es ein Problem, das wir nicht im Griff haben. Das wäre ein schwieriges Kapitel", wollte der Moderator von ihm wissen, was denn das Bundesamt für Veterenärwesen vorgesehen habe, wenn künftig in der Schweiz ein Problem mit Zugvögeln auftrete.

Wyss wich bei dieser Frage aus und versuchte zu differenzieren. Es komme darauf an, ob es Einzelvögel seien oder eine grosse Anzahl von Tieren betroffen wäre. Die Antwort des Chefs des Veterenärwesens war unbefriedigend: "Wir werden uns mit dem Problem beschäftigen". Diese Antwort genügt nicht. Wir fragen uns: Wurde dieses heikle Problem nicht antizipiert? Bei der Vogelgrippethematik wurde deutlich, dass sich eine Schere geöffnet hat zwischen den Experten einerseits, welche heute keine akute Gefahr sehen und sich bemühen, die Bevölkerung mit Fakten zu beruhigen und einer Bevölkerung anderseits, die Angst hat und Medikamente hamstert. Glocker sah die Verwirrung darin, dass der Begriff "Grippe" in Diskussionen und Beiträgen ständig vermischt wird. Die unterschiedlichen Ebenen: Grippe, Vogelgrippe, Pandemie müssten viel klarer getrennt werden.

In der jüngsten Arena kreiste die Diskussion erneut um das Thema Medien. Die Thematik "Vogelgrippe" sei für alle Medien dramatisch und spannend. "Vögel fliegen wie B52 Bomber über Europa und entledigen sich der krankmachenden Last". Emotionen dominieren. Ängste werden wach. Publizistikwissenschaftler Heinz Bonfadelli unterstrich ebenfalls die Erkenntnis, dass gewisse Themen im Volk anders ankommen, als es die Behörden beabsichtigen. Medien sind heute nicht mehr das Sprachrohr von Bundesämtern. Medien haben eine Informations - und Wächterfunktion. Sie inszenieren und emotionalisieren.

Die Bevölkerung besteht jedoch nicht nur aus Experten. Sie orientiert sich an Bildern und diese können bekanntlich viel mehr Aengste wecken als Worte. Die Öffentlichkeit müsse verständlicherweise aufschrecken, wenn die Medien das Thema Vogelgrippe tagelang auf den Frontseiten abhandeln. Für Otto Normalverbraucher sei damit die Situation zwangsläufig dramatisch.

Die "Arena"-Sendung vom vergangenen Freitag machte bewusst:

Die Wahrnehmung der Bevölkerung bei der Bewertung eines schleichenden Risikos entspricht nicht der Sicht von Experten! Die Behörden und Experten müssen vermehrt auf die Sprach- und Gefühlsebene der Bevölkerung eingehen und vielleicht auch Massnahmen ergreifen, die Vertrauen schaffen.


Weshalb nicht demonstrieren, dass die Verteilung der Medikamente im Pandemiefall zeitgerecht durchgeführt werden kann? Dass die Koordination der Informationen immer noch nicht ganz klappt, war auch noch von Thomas Zeltner zu erfahren. Trotz schriftlicher Orientierung informierten die Kantone hinsichtlich der "Pflichtlager" vor Tagen diffus. Zeltner musste eingestehen: Dies führte zu Konfusionen.



Fazit: Heute wird eindeutiger und offener informiert. Die Behörden bemühen sich immerhin, konstant zu informieren. Bei sich anbahnender Krise sind vertrauenswürdige Leute gefragt. Verwirrende Informationen dürfen nicht gerechtfertigt werden mit Aussagen, wie: "Wir müssten eben in Kauf nehmen, dass Kommunikation immer unter Beschuss kommt." Dieser Satz war in der Diskussion zu hören. Er klingt zu sehr nach Selbstschutzbehauptung. Die Koordination der Informationen hat nach wie vor Priorität (Informationsmanagement!). Erfahrungen bei der Krisenkommunikation haben bestätigt: In krisenähnlichen Situationen geht es vor allem um menschliche, psychologische Phänomene. Dies gilt es, verstärkt zu berücksichtigen. Ziel ist immer die Entdramatisierung.


(Text: Marcus Knill)


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