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Rhetorik spielt bekanntlich eine wichtige Rolle im Wahlkampf.
Wir haben den Wahlkampf in diesem Herbst
mitverfolgt. Die Geschichte geht aber auch nach den Wahlen
weiter. Politiker stehen vor der Frage, ob es sich lohnt,
Wahlversprechen zu machen, die später nicht
eingehalten werden müssen oder können. Sie stehen
vor einem Dilemma. Entweder schenken sie vor der Wahl klaren Wein
ein und riskieren, im Wahlkampf zu unterliegen, oder
aber sie versprechen zu viel, um dann nachher bei Gesinnungsänderungen
und Abweichungen von Wahlversprechen an Gaubwürdigkeit
zu verlieren. Das letzteres das kleinere Übel ist, gilt als
Binsenwahrheit. Umfragen zeigen tatsächlich, dass das
Vertrauen der Wähler in Politiker in den letzten Jahrzehnten
abgenommen hat. Es ist für Politologen schwierig, zu sehen, welche Strategie mehr
Erfolg hat. Umfrageergebnisse sind da nur schwache Indikatoren.
Die politischen Entscheidungen der Bundesregierung nach der
vergangenen Wahlen in Deutschland liefern im Moment Beobachtungsmaterial.
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Nachdem in Deutschland die Würfel gefallen sind und Rot-Grün weiter
am Ruder sitzt, wird nicht nur die Opposition auf Diskrepanzen zwischen
Wahlkampf und Politik achten, auch die Wähler
während der kommenden Monate die Regierung an ihrer Wahlrhetorik
messen. Im Zeitalter von Online Datenbanken können heute
einzelne Aussagen der Wahlrhetoriker auch vom Publikum nachgeschlagen und
mit der aktuellen Politik verglichen werden. Die Online Version von Spiegel hatte
zum Beispiel während diesem Wahlkampf die Wahlversprechen der
Wahl von 1998 unter dem Titel "Die Wahlversprechungen Schröders" immer
online abrufbar.
Dank solchem Protokollieren kriegen heute Diskrepanzen von Wort und aktueller Politik
mehr Gewicht. Schröders Wahlversprechen von 1998, die Arbeitslosigkeit in den
Griff zu bekommen, war ein schweres Handikap im herbstlichen Wahlkampf.
Es ist symptomatisch, dass vor der Bundeskanzlerwahl zum Beispiel von keiner
Seite klarer Wein eingeschenkt wurde, wie das Milliardenloch im Haushalts-Etat
gestopft werden solle. Dies bestätigt eine alte These von Anthony Downs:
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"Ungenauigkeit in der Aussage von Politikern einer Partei erhöht
die Anzahl der Wähler, die für diese Partei wählt.
Diese Tatsache ermutigt Parteien in einem Zweiparteiensystem, so
ähnlich wie möglich über kontroverse Positionen
zu sprechen. Und weil es für beide Parteien von Vorteil ist, ungenau
zu sein, ist auch niemand von der Gegenseite gezwungen, eindeutig
Stellung zu beziehen."
- Anthony Downs: "Ökonomische Theorie der Demokratie". 1957
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In Deutschland, wo sowohl Regierung als auch Opposition von zwei Parteien
gebildet wird, ist die Sache noch etwas komplizierter, denn bei Wahlversprechen oder
Wahlprogrammen müssen zusätzlich auch noch innerhalb der Partei
ein Konsens gefunden werden.
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Wir werden hier zwei Punkte betrachten, wo die Wahlrhetorik in der Politik Deutschlands
heute mit der Realität verglichen werden wird: Da ist einerseits die
Steuerpolitik und andererseits die Haltung der Regierung in der Irakfrage.
Während bei der Steuerpolitik die Ankündigungen im Wahlkampf eher vage
waren, hatte Schröder durch eine klare Haltung im Wahlkampf überrascht.
Stoibers differenziertere Sichtweise überzeugte nicht und führte
dazu, dass Stoiber in einer Talkshow zu ähnlichen Aussagen
getrieben wurde.
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1) Die Steuerpolitik:
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Die CDU/CSU prognostizierte sofort nach der Wahl, dass
die Rechnung für den Wähler mit der neuen Regierung
teuer werden würde und Steuererhöhungen zu erwarten seien.
Dass die Opposition Steuererhöhung als Wahlbetrug bezeichnen würde,
war absehbar. Die starke Position der Grünen führte tatsächlich
wenige Tage nach der Wahlschlacht zu Meinungsverschiedenheiten in Finanzfragen.
Kurt Beck und Heide Simonis liessen kurz nach dem Wahlresultat vorschnell
den Steuerhammer schwingen.
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Die Worte Schröders vor der Wahl lauteten:
"Wir haben nicht die Absicht, die Steuern zu erhöhen, unabhängig von
dem, was einer lieber hätte oder nicht lieber hätte."
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Diese Aussage ist vage formuliert, eine Meinungsänderung ist kein
Wortbruch. Sie könnte aber zu einer Zerreissprobe zwischen den
erstarkten Grünen und ihren roten Partnern führen. Schon am 29. September
stand das Thema "Nach der Wahl die Qual" bei Christiansen im Zentrum. Wie
sollen die Finanzen ins Lot gebracht werden? Dies obschon die Koalitionsverhandlungen
erst bevorstanden. Die SPD möchte nach Eichel und Müntefering vor allem
sparen. Die Grünen sehen eine Chance für gezielte neue Belastungen.
Verschiedenste Aussagen der selbstbewussten Joschka Fischer Anhänger signalisierten
trotz nachtäglicher Abschwächung einen bevorstehenden Steuer-Schock:
Dass es an Geld mangelt, ist bei allen unumstritten. Im Haushalt fehlen
10 Millliarden Euro. Dass etwas getan werden muss, anerkennen alle Politiker,
wenn Deutschland den blauen Brief aus Brüssel vermeiden will (3% Hürde).
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Vor der Wahl hatten alle Parteien noch unterschiedlichste Rezepte angeboten:
Sparen - Wirtschaft ankurbeln - Umverteilen - Schulden machen usw.
Der Streit um neue Steuern und Belastungen brach erst nach der Wahl aus.
Sozialleistungen, Bildung, Gesundheitswesen, Arbeitslosigkeit, aber auch der
Umweltschutz erheischen zusätzliche finanzielle Mittel.
Die Steuerschraube könnte gewiss weiter angezogen werden.
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In den Medien kursieren sofort die verschiedensten Mutmassungen:
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- Die Vermögnssteuer, die 1996/97 abgeschafft wurde, soll wieder eingeführt
werden eventuell sls Reichtumssteuer getarnt.
- Die Erbschaftssteuer sei ebenfalls in der Pipeline. Der Kanzler wolle bei diesen
Steuern nur mitmachen, wenn der Bundesrat zustimmt.
- Bei der Oeko-Steuer möchten die Grünen das Flugbenzin sofort erhöhen.
Preiserhöhungen bei Sprit und Strom wollte die SPD vor der Wahl auf keinen
Fall über 2003 hinaus. Da die Grünen erhöhen möchten, die SPD
eher nicht, ist Streit vorprogrammiert. Auch der Zeitpunkt gibt zu Diskussionen anlass.
Ein Kompromiss liegt in der Luft. Unternehmen, die
viel Energie verbrauchen,, sollen ebenfalls zur Kasse gebeten werden. Die waren
bisher von der Oekosteuer befreit.
- Gesundheitsabgaben
Geplant sind bereits 5 Cent auf jede Zigarette. Der Vorstoss der
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ist jedoch nicht mit dem Kanzler
abgestimmt. Auch Finanzminister Eichel (SPD) ist dagegen.
- Die Unternehmenssteuer für Grosskonzerne soll wieder eingeführt werden.
Denkbar ist, dass Selbständige, wie Aerzte und Anwälte, vermehrt zahlen
müssen. Jedenfalls soll der Verlustvortrag eingeschränkt werden. Bisher konnten
Unternehmen Verluste der Vergangenheit mit aktuellen Gewinnen verrechnen.
- Bei der Mehrwertssteuer ist sich Grün-Rot einig, dass eine generelle Anhebung
nicht in Frage kommt. Bei der Mehrwertssteuer sollen Karussellgeschäfte beim denen
der Staat jährlich 10 Milliarden Euro verliert, unterbunden werden.
Diskutiert wird auch, die Landwirtschaft von der Mehrwertsteuer zu streichen.
Laut "Spiegel" soll die Mehrwertsteuer für Katze und Hundefutter von 7% auf
16% angehoben werden.
- Den Wasserpfennig will die SPD lediglich um 1 Cent pro m3
erhöhen. Die Grünen verlangen jedoch 3 Cent. Mit diesem Geld sollen
die Umweltschäden gemindert werden.
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Nach der Medienkampagne zu den Steuererhöhungen sprach der Kanzler
erst nach den Koalitionsgesprächen deutliche Worte:
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Die SPD wolle keine Steuererhöhungen
denn die Vermögens- und Erbschaftstuer sei im
Bundesrat nicht durchsetzbar. Man könnte hingegen Steuervorteile und
Steuersubventionen kürzen. Von Grüner Seite schliesst Fritz Kuhn hingegen
eine Änderung der Erbschaftssteuer nicht aus.
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Die Grünen zeigen sich nach einigen Tagen etwas solidarischer mit dem
Kanzler. Kuhn findet nur:
"Wir werden beim Sparen auf die soziale Gerechtigkeit achten."
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Dass die Grünen den Bogen nicht überspannen dürfen, macht der SPD
Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen, Harald Schartau, mit folgender
Aussage deutlich: Er sagte:
"Jede Steuererhöhung wäre Gift für die Konjunktur."
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Schröders Ärger richtete sich gegen die veritablen Ministerpräsidenten
Beck, Clement und Gabriel, die verlangt hatten, die Erbschaftssteuer zu
erhöhen und die Vermögenssteuer einzuführen.
Die von Ulla Schmidt (SPD) ins Spiel gebrachte Rauchersteuer fegte Schröder
von Tisch. Er betonte: "Das machen mir nicht mit."
Uns erstaunte, dass Franz Müntefering am 1. Oktober hinsichtlich
Steuererhöhung doch noch eine Türe öffnete. Wir sollen keine
Steuererhöhung, sagte er, aber wenn die Länder eine Steuererhöhung
einführen, dann werden wir natürlich nichts dagegen haben.
Damit lasst die SPD den Ländern freie Hand. Man könnte damit später
der SPD nicht Wortbruch vorwerfen.
Trotz dem eindeutigen Machtworte des Kanzlers wollen Sigmar Gabriel
(Rheinland-Pfalz), Heide Simonis (Schleswig Holstein) bei der Steuererhöhung
nicht klein beigeben. Clemens will sogar im Bundesrat eine Erbschaft- und
Vermögenssteuer vorbringen. Amtskollege Beck will auch, dass die Vermögenden
einen grösseren Beitrag leisten müssen. Kanzler Schröder kanzelt die
widerspenstigen Landesfürsten rhetorisch ab:
"Sie reden schneller als sie denken!"
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Obwohl Schröder nach aussen Konsequenz signalisiert, soll er intern nichts
gegen eine Erhöhung haben, falls es doch noch im Bundesrat zu einer Mehrheit
kommt. Die Grünen wollen den Kanzler beim Wort nehmen.
2) Die Irak Frage
Obwohl die meisten Parteien und Regierungen nach der Wahl ihre
Versprechungen nicht mehr so ernst nehmen - der jeweilige Gesinnungswandel
wird nachträglich meist mit einer neuen Situation gerechtfertigt -, nehmen
die Grünen, als Koalitionspartner, Schröders Beschwörung hinsichtlich des
Einsatzes der deutschen Soldaten im Irakkonflikt beim Wort.
Spannend würde es, wenn die rigorosen Aussagen des Kanzlers hinsichtlich
Einsätze der deutschen Truppen bei der Irak-Frage doch noch geändert
würden.
Schröder garantierte als "Friedenskanzler" vor der Wahl, dass in keinem
Fall- auch bei einem Beschluss der UNO oder des Sicherheitsrates - unter
seiner Führung deutsche Soldaten zum Einsatz kommen werden.
Vielleicht erhielt Schröder - dank dieser Aussage - viele Stimmen.
In Fernsehdiskussionen (z.B. "Berlin Mitte') wurde diese Formulierung
nach der Wahl nicht mehr in der früheren absoluten Form wiederholt.
Es wäre deshalb nicht verwunderlich, wenn sie bei einer "neuen Situation"
nicht mehr wortwörtlich genommen und plötzlich um - interpretiert würde.
Angenommen, der Sicherheitsrat erwartet auch von Deutschland Unterstützung,
müsste die Regierung wieder über die Bücher gehen und für die Hilfsaktionen
neue Worte suchen. Mit rhetorischen Tricks könnte der Einsatz von deutschen
Piloten oder Sanitätern gewiss leicht zurechtgerückt werden.
Jedenfalls kann sich Deutschland bei einer internationalen Vereinbarung
kaum eine Isolation leisten.
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Der Grüne
Hans-Christian Ströbele kündigte in einer Diskussionsrunde
am 29. September im N-TV bereits an:
"Wenn auf Deutschland bei der IRAK- Haltung von aussen Druck
ausgeübt würde, müssten wir Schröder an seine
Schwüre und Versprechen ermahnen. Das Volk nahm
nämlich die eindeutige Aussage ernst."
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Damit steht bei der IRAK-Frage fest: Die Grünen würden
einen allfälligen Gesinnungswandel nicht akzeptieren.
Die Erkenntnis, dass Politiker nach der Wahl ihre wohlfeilen Versprechungen
nicht einhalten müssen, ist und bleibt vielleicht trotz der einzelnen
Wächter eine Binsenweisheit. Politiker haben das Glück,
dass Wähler allzu schnell alte Formulierungen vergessen.
Die neue Regierung in Deutschland mag trotz aller Bemühung
um Einigkeit früher oder später einer Zerreissprobe unterworfen
werden.
Die geschilderten internen Differenzen zwischen den erstarkten Grünen und
der SPD sind offensichtlich. Es wird nicht einfach, geeint zu politisieren.
Die SPD kann es sich nicht leisten, in der heutigen Situation eine
Mehrfrontenauseinandersetzung zu führen. Es gibt auch heisse Eisen im Feuer,
bei denen sich die Partei die Finger verbrennen kann, z.B beim Ehegatten-Splitting, das
bei der SPD und Grün als Goldgrube gilt. Es wird auch zu einem harten Ringen um
Einfluss und Jobs gehen. An Spannungsfeldern wird es dadurch nicht mangeln.
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