rhetorik.ch aktuell:
Rhetorik.ch


Knill+Knill Kommunikationsberatung

Knill.com

www.rhetorik.ch aktuell: (12. November, 2001)


Schuld vor Medien eingestehen oder abstreiten?


Stadtraetin Monika Stocker
Wenn einer Behörde oder einer Institution in den Medien ein Fehlverhalten nachgewiesen werden kann, stellt sich die Frage: Ist es besser, die Schuld sofort einzugestehen oder lohnt es sich, den Fehler konsequent von sich zu weisen?
Im Fall der Drogenabhängigen Mutter Melanie R., die ihr Baby am 4. November nach der Geburt aus dem Fenster geworfen hatte, zeigte sich, dass eine Mitarbeiterin der Drogenhilfe von den Problemen zwar gewusst, aber nicht eingegriffen hatte.
Ein Strafrechtler fordert deshalb eine Untersuchung im Sozialdepartement von Zürich. In den Medien beeilte sich die Departementchefin Monika Stocker, bei diesem Vorfall jegliche Schuld von sich zu weisen. Sie begründet das "Nichthandeln" mit dem Vertrauensverhältnis, das die Mitarbeiterinnen bei der ambulanten Drogenhilfe nie zerstören dürfen.
Uns erstaunte der Fernsehauftritt der Leiterin der Drogenhilfe, die vor der Kamera behauptete, niemand habe von der Schwangerschaft Kenntnis gehabt. Es sei gut möglich, eine Schwangerschaft so lange geheim zu halten. Den Mitarbeitern könne deshalb überhaupt nichts vorgeworfen werden. Die Drogenhilfe trage keinerlei Schuld am Tod des Kindes.
Der Sachverhalt war: die angeblich geheilte Frau Melanie wurde vor Jahren in Zürich wieder rückfällig. Sie wurde auch wieder straffällig, landete 1998 im Frauengefängnis. Nach der Haftentlassung rutschte Melanie erneut in die Drogenszene ab und wurde dann 2001 schwanger. Bei der Drogenhilfe in Zürich gab sie bekannt, dass sie vermutlich im 7. Monat schwanger sei. Sie vertraute dies einer Mitarbeiterin an.
Die Sozialarbeiterin zog es vor, die Schwangerschaft nicht zu melden.

Sie vereinbarte einen Termin bei einer Frauenärztin; begleitete die Drogensüchtige aber nicht zur Praxis. Die Drogensüchtige hielt sich nicht an den Termin und setzte sich bewusst über die Anordnung hinweg. Eine Fachfrau, die mit Drogensüchtigen arbeitet, müsste wissen, dass Drogensüchtige oft unzuverlässig sind und müsste deshalb Anordnungen kontrollieren.
Melanie hätte zur Ärztin begleitet werden müssen.

Die Mitarbeiterin vereinbarte nochmals einen zweiten Arzttermin. Doch es war zu spät. Noch vor diesem Termin warf die Drogensüchtige ihr Kind nach der Geburt im WC aus dem Fenster.
Gravierend ist gewiss der Umstand, dass Melanie bereits vor der Geburt über starke Bauchkrämpfe geklagt hatte und die professionellen Helfer, die letzlich für diesen Job bezahlt werden, nichts unternahmen, als sich Melanie weigerte, in die Notfallstation zu gehen.
Die Betreuerinnen forderten keine Ambulanz an!

Daniel Meili, Chefarzt der Abeitsgemeinschaft für risikoarmen Umgang mit Drogen meint dazu unmissverständlich:
"In einer solchen Situation muss immer die Gesundheit des ungeborenen Kindes im Vordergrund stehen. In den Arbeitsteams ist das weitere Vorgehen unbedingt abzusprechen." Dadurch wird das Vertrauensverhältnis nicht gestört. Nach Aussagen von anderen Fachleuten lässt die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen eindeutig zu wünschen übrig. Monika Stocker wollte sich am 10. November nicht mehr öffentlich zu den neuen Vorwürfen äussern. Die Politikerin liess verlauten, sie hätte schliesslich bekannt gegeben, dass all ihre Mitarbeiterinnen korrekt gehandelt hätten.
Medienrhetorisch stellt sich die Frage, ob das Sozialdepartement die festgestellten Fehlverhalten nachträglich besser zugeben soll oder ob die gemachten Fehler weiterhin abgestritten werden sollen?
Im Zusammenhang mit dem Fall Aliesch (siehe Aktuell Beitrag vom 7. August 2001) und UBS (siehe Aktuell Beitrag vom 2. Oktober) sind wir schon auf das Thema "Fehler abstreiten oder zugeben?" getroffen. Wir machten darauf aufmerksam, dass sich Eingeständnisse oft lohnen. Zu diesem Thema siehe auch Hess oder Scharping.
Wir vertraten die Ansicht, dass es besser sei, offensichtliche Fehler vor den Medien möglichst rasch einzugestehen. Eingständnisse könnten skandalträchtige Situationen erstaunlich rasch entlasten.
Uns interessiert im Fall "Melanie + Sozialdepartement", ob das Bestreiten der offensichtlichen Mängel von der Vorsteherin des Zürcher Sozialdepartementes taktisch klug war, oder ob es zu einer Eskalation der Untersuchung mit Medienwirbel kommen wird. Strafrechtsprofessor Stefan Trechsel meinte:
"Ich empfehle in diesem Fall ein Ermittlungsverfahren und dabei sollte die Rolle von Monika Stocker vom Sozialdepartement mit einbezogen werden." Ob die Geschichte eine Fortsetzung hat?


Rhetorik.ch 1998-2012 © K-K Kommunikationsberatung Knill.com