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www.rhetorik.ch aktuell: (16. Mai, 2020)

Kritiker in einen Topf werfen

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
In der Schweiz gibt es heute Demonstrationen gegen die Corona Massnahmen des Bundesrats. NZZ, NZZ (2), Tagi. Noch immer werden Kritiker auch in Schweizer Medien vor allem auch belacht. So wird auf 20 Minuten eine absurde Aussage eines Corona Kritikers ``Wir haben eine Diktatur in der Schweiz" in den Titel gestellt und dies als Repressentant der Demonstration gesehen.
[Nachtrag, 17. Mai: Bei Notmassnahmen muss das Parlament als auch die Bevölkerung nicht mehr gefragt werden. Kritik ist automatisch ausgeschaltet. Parlamentarier wollen das wieder aendern (Blick).]
Auch im ``Blick" werden die Kritiker plaziert, (denn natürlich helfen Alukugeln nicht gegen Corona). Gemeinsam bei beiden Artikeln ist, dass Andersdenkende in einen Topf geworfen werden und absurde Randpositionen bei den Berichten herausgepickt wurden. Die Strategie wirkt wunderbar:

20 Min mit einem nicht telegenen Standbild (die Kritikerin wird mit einem starren Blick gezeigt). Man kann argumentieren, dass die Kritiker zu Wort kommen. In Wahrheit ist es ein Lächerlichmachen der Kritiker. Der Blick zeigt Demonstranten mit Alukugeln und die wagen, "das Gehirn auszuschalten".


(Man muss aber sagen, dass auch Kritiker nicht mehr nur ignoriert werden. Im Tagi gibt es einen Artikel über Christoph Pfluger.) In diesem Persoenlich Artikel warnt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, die Protestierenden in der Corona Krise pauschal auszugrenzen und sie nich als ``Spinner", ``Paranoiker" oder ``Hysteriker" abzutun.
Die Marginalisierungsstrategie hatte auch bei der Trump-Bewegung in den USA geholfen. Man hat sie in die Nazi und Xenophobie Ecke projiziert (zum Teil zu recht, denn es gibt dort such Neonazis und viel Fremdenfeindlichkeit. Man rieb sich dann die Augen, als Trump gewann. Das waren offensichtlich nicht alles nur Spinner.

Der Deutsche Journalist und Schriftsteller Wolfgang Herles hat in einer Kolumne ein paar Gedanken vormuliert, die lesenswert sind. Herles gilt als konservativer Journalist, ist aber kein Rechtsextremer. Man muss das heute immer anfügen weil Andersdenkende in extreme Ecken gedrängt werden. Weil die Kolumne auf einer konservativen Webseite plaziert ist, ist sie auch pauschal abwaschbar. Herles startet mit dem bemerkensweisen Satz:
``Wer Andersdenkende als Leugner diskriminiert, sie am liebsten mit Verschwörungstheoretikern in einen Topf wirft und für extrem hält, ist selbst ein Leugner und Fälscher."

Er meint dann
Mag sein, dass Boris Palmer verharmlost, wenn er im Sterben alter, vorerkrankter Heiminsassen an Covid-19 nur eine leicht veränderte Normalität erkennen mag. Aber verharmlosen nicht vielmehr diejenigen, die das Leiden derjenigen gar nicht zur Kenntnis nehmen, die zwar nicht an Covid-19 erkrankt sind, und trotzdem wegen der Corona-Pandemie sterben? Eine Studie der AOK stellt fest, dass die Zahl derjenigen, die wegen Atemwegserkrankungen ärztliche Hilfe suchen, um 51 Prozent gesunken ist. Gemessen an den Vorjahrszahlen haben 41 Prozent der an Kreislaufstörungen, zwei Drittel der an Rückenschmerzen und siebenundfünfzig Prozent der an Verdauungsproblemen Laborierenden auf einen Arztbesuch verzichtet. Die Zahl der von Herzinfarkt und Schlaganfall betroffenen Patienten hat um dreissig Prozent abgenommen. Dank Corona sind Abertausende zwar nicht gesünder als früher, nur ihre Angst vor Arztbesuchen hat so massiv zugenommen, dass sie lieber krank bleiben. Wollen wir das verharmlosen? Der Marburger Bund der Krankenhausärzte schlägt Alarm. Siebenundfünfzig Prozent der Krankenhausärzte haben derzeit weniger Arbeit als im Vorjahr. Wer verharmlost da was?
Verharmlost werden Ängste, die auf so schöne Namen wie Agoraphobie, Demophobie und Ochlophobie hören. Es sind Spielarten der Angst vor Menschenmassen, und bedürfen therapeutischer Hilfe. Solche sozialen Ängste werden derzeit erfolgreich geschürt. Der Phobiker gilt als vorbildlich. Der Nichtängstliche als Gefährder. Verkehrte Welt. Ist die übertriebene Angst vor dem Virus etwa keine Phobie?
Man weiss, dass die Menschen heute weniger zum Arzt gehen und wichtige Eingriffe verschieben. Man wird es wahrscheinlich nie quantifizieren können, wieviele Menschenleben so durch die Masshahmen geopfert wurden und noch werden. Denn wenn jemand wegen eines Problems nicht mehr zum Arzt geht, dann ist das nicht als Corona Opfer gezählt. Ganz zu schweigen vom psychologischen Schaden durch Corona Traumas, Isolation und Depression. Es gibt in der Kolumne auch Kritik an der Informationspolitik:

Bei einer Umfrage des Uni-Klinikums Eppendorf und der Uni Tübingen unter Virologen, Immunologen und anderen medizinischen Experten haben mehr als 82 Prozent der Befragten sich über die restriktive Informationspolitik beklagt. Ein Drittel sieht die Meinungsfreiheit in der Wissenschaft bedroht. Wollen wir das leugnen und uns mit den Auffassungen der Drostens und Lauterbachs begnügen? Leugnen wir immer nur das, was uns nicht passt? Wir kennen das aus der Klimadebatte. Die grössten Leugner sind die, die ihre eigenen moralischen Vorstellungen als wissenschaftliche Wahrheit ausgeben. Wer Andersdenkende als Leugner diskriminiert, sie am liebsten mit Verschwörungstheoretikern in einen Topf wirft und für extrem hält, ist selbst ein Leugner und Fälscher.
Ein Gedanke, der immer noch bewusst verborgen wird, sind die Kollateralschäden des Lockdowns, auch direkt im speziellen Fall des Gesundheitswesen. CNN schätzte einmal, dass 750000 Amerikaner durch Drogen oder Alkohol oder Selbstmord sterben könnnten, als direkte Folge von Corona. [Der CNN Artikel ist nicht mehr zu sehen. Er ist offensichtlich intern nachträglich zensuriert worden]. Wir hatten schon vor zwei Monaten auf das ethische Trolley Problem hingewiesen. Ist es in Ordnung, ein paar Leute zu töten, um damit einen zu retten? Bei der Corona Krise ist genau dieses Dilemma eingetroffen und man hat sich entschieden, vorsichtig zu sein. Auch Mediensynchronisierung , sich gegenseitig überbietende Politikern und natürlich Angst, haben dazu geführt, dass man ein Mehrfaches an Opfer in Kauf genommen hat. Die Medizin gegen die Krankheit war offensichtlich schlimmer als die Krankheit selbst. Es ist ein ethisches Problem, dass praktisch überall gleich beantwortet wurde. Man hat die Kollateralschäden gar nicht erst betrachtet. Das sieht ähnliches auch beim Trolley Problem. Das Umlegen des Schalters, das einen Menschen auszuschaltet, um damit ein Mehrfaches zu retten, gilt im Allgemeinen als ethisch nicht verantwortbar. Das Dilemma wird vermehrt mit uns sein. Der Historiker Yuval Harari (der für Bücher wie 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert bekannt geworden ist), hatte einmal in einem Interview (lange vor der Corona Krise) darauf hingewiesen, dass das Trolley Problem heute nicht mehr nur eine akademische Denkaufgabe ist: ein selbstfahrendes Auto wird etwas entscheiden müssen ob es seinen Insassen opfert, um damit die Insassen eines Cars zu retten, der auf Kollisionskurs ist. Die Entscheidung muss schon vom Programmierer der Computerroutinen entschieden werden.

Warum waren so viele auf einen Lockdown erpicht? Angst und Vorsicht ist sicher der Hauptgrund. Man wusste am Anfang nicht, wie schlimm die Sache wirklich ist. Dann gab es auch nie eine Diskussion, man hat nur auf die Epidemiker gehört und nicht auch auf Oekonomen, Psychologen oder Aerzte. Eine Rolle spielte auch, dass die Berichterstatter, Politiker, und andere Entscheidungsträger im Allgemeinen weniger unter einem Lockdown zu leiden hatten. Sie gehören zu den weniger Betroffenen. Sie leben nicht in einer kleinen Wohnung ohne Balkon, und konnten, umgeben von elektronischen Kommunkationsmitteln komfortabel weiter arbeiten. Restaurantbetreiber, Sportler, Musiker, Schuhverkäufer, Musiklehrer, Kinobetreiber, Buchhändler, Schreiner, Putzleute, Automechaniker, Taxifahrer, Coiffeure, Ladenbesitzer usw. die ``nicht-wesentliche Sachen" verkaufen, sind hingegen durch die Masshahmen hart getroffen worden. Ein grosser Teil der Bevölkerung hat dabei Schaden genommen auch gesundheitlich. Es wäre sicher falsch, den Lockdown als Folge einer Verschwörung der Elite zu sehen. Beim Lesen von Medienberichten in den letzten Wochen wird man den Verdacht aber nicht los, dass soziale Unterscheide weltweit eine Verstärker-Rolle gespielt haben. Dies nicht nur in Europa, vor allem auch in den USA, Südamerika oder China. Die Krise hatte angenehme Nebeneffekte für das ganze politische Spektrum, sowohl links als auch rechts: mehr Überwachung und Kontrolle, weniger Obdachlose auf den Strassen, saubere Luft was gut ist für den Klimawandel, und dann weniger Migration, weniger Sexgewerbe, weniger öffentlichen Verkehr, weniger direkte Demokratie z.B. durch Gemeindeversammlungen, Diskussionen in Kneipen, Vereinen oder Demonstrationen, dann gibt es dank Corona, auch legitim, mehr Menschen aus der Produktion wegzurationalisieren. Schliesslich muss sich auch nicht mehr um Demonstrationen kümmern, denn die Polizei kann das rechtsmässig unterbinden. Die Meinungsäusserung war kanalisiert in einer schon dünnen Medienvielfalt. Auch eine Tracking app ist ein wahrgewordener Traum der Strafverfolgung. Die Leute lassen sich nun freiwillig Schritt für Schritt überwachen (legitimisiert von Universitäten wie der EPFL, die solche Apps mitentwickeln). Persönlichkeitsrechte und Meinungsvielfalt sind im Corona-Zeitalter unwesentlich geworden. Früher musste man einen Krieg herbeizetteln, um Menschen zu kontrollieren, heute genügt ein Fall wie Corona. Wenn man sich die Zahlen mit kühlem Kopf ansieht, dann ist Corona zwar ein aussergewönlich Fall (schwerwiegend vor allem für Risikogruppen) Die Sache ist aber vergleichbar mit anderen Risiken. Dafür muss man sich an Zahlen halten: man liest etwa im Bericht vom BAG aus dem Jahre 2015, dass im Frühjahr 2015 hat etwa 2500 Todesfälle und die Hitzewelle im Juli etwa 500 Todesfälle zusätzlich zur normalerweise erwarteten Zahl bewirkt. Man vergleiche dies mit den im Moment 1879 Corona Toten in der Schweiz und wundert sich um die Verhältnismässigkeit. Wer aber solche Zahlen nennt, gilt als ``Corona Ignorant", es gibt aber eher auch die ``Daten Ignoranten". Ein Argument, dass gerade durch den Lockdown viele Menschen gerettet worden sind, mag wahr sein, doch wieviele Menschen und wieviele Existenzen hat man aber dazu bewusst zerstört? In Schweden ist man einen Weg gegangen, der weniger einschränkend war. Schweden wird aber in diesen Tagen sehr stark kritisiert.


Ein Beispiel aus den NYT (5/15/2020). Die Aussage, dass Schweden katastrophal fahre, stimmt offensichtlich nicht mit dem Bild überein. Schweden ist vergleichbar mit der Schweiz. Solche Beispiele sind nicht gerade Reklame für eine klar denkende Presse.


Zum Schluss trotzdem auch noch etwas beruhigende Daten:
Daten vom 16. Mai. Quelle.

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