Eine Studentin erzählt im
Spiegel: Wissenschaftssprache:
In meinem zweiten Semester an der Uni hatte ich genug von trockenen
Vorlesungen und freute mich auf Seminare mit lebhaften Diskussionen. Im
Seminarraum wäre ich dann am liebsten unsichtbar gewesen, als ein
Kommilitone erklärte, dass das Individuum erst in örtlicher
Diskrepanz zum Ursprungsland den Hiatus zwischen dem Eigenen und dem
Fremden erfassen könne.
Ich rutschte tiefer in meinen Stuhl und versuchte, wissend in die
Luft zu starren und den Blickkontakt mit der Professorin zu vermeiden. War
ich die Einzige, die keinen Schimmer hatte, was ein Hiatus ist? "Der
kennt sich aus", raunte mir meine Nachbarin mit einer Mischung aus
Abneigung und Neid zu.
Gerade in der Uni erlebte ich es oft, wie Studenten einfache Inhalte
in komplexe Sätze kleiden und dafür Anerkennung ernten. Mein
Kommilitone beeindruckte, weil er wusste, dass Hiatus so viel wie "Kluft"
heisst. Oft denken wir, wer komplizierte Fremdwörter benutzt, muss
was auf dem Kasten haben. Dabei war die Aussage meines Kommilitonen
eigentlich ganz simpel: Kulturelle Unterschiede werden uns erst auf
Reisen bewusst.
Und geht dann Erklärungsversuchen nach:
Der Psychologe Alex Bavelas ist bekannt für seine
Kommunikationsforschung in Kleingruppen. In den fünfziger Jahren
untersuchte er die Wirkung von Erklärungskonzepten an der Stanford
Universität: Zwei Versuchspersonen mussten gesunde von kranken
Gewebezellen voneinander unterscheiden und dafür Kriterien
entwickeln.
Eine der Personen bekam dabei richtige Rückmeldung auf ihre Annahmen.
Die andere bekam falsche Hinweise und entwickelte ein kompliziertes und
verworrenes Konzept. Im Anschluss trafen beide Probanden aufeinander und
diskutierten. Dabei einigten sie sich auf die komplexere, falsche Antwort,
obwohl sie lückenhaft und kaum verständlich war. Der Grund:
Die einfache Erklärung erschien zu simpel. Beide beeindruckte die
Komplexität der falschen Antwort. Je absurder die Erklärung war,
desto überzeugter waren die Versuchspersonen, dass sie korrekt ist.
Warum das so ist? Paul Watzlawick erklärt den Ausgang des
Experiments in seinem Buch "Wie wirklich ist die Wirklichkeit" so:
Wir vermuten eine subtile Wahrheit hinter verworrenen Erklärungen,
weil wir nicht beweisen können, dass sie falsch sind. Ein halbes
Jahrhundert später schreibt Wolf Wagner, früher Professor
für Sozialwissenschaften, in seinem Buch "Uni-Angst und Uni-Bluff
heute":
Unverständliche Sätze faszinieren uns, weil sie
unverständlich sind.
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Der Artikel endet mit einem Zitat von Franz Josef Strauss:
"Man muss einfach reden, aber kompliziert denken, nicht umgekehrt."
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und erwähnt auch eine Aussage von Karl Popper:
"Das grausame Spiel, Einfaches kompliziert und Triviales schwierig
auszudrücken, wird leider traditionell von vielen Soziologen,
Philosophen usw. als ihre legitime Aufgabe angesehen. So haben sie es
gelernt, und so lehren sie es. Da kann man nichts machen."
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Der Spiegel Artikel liefert auch viele Beispiele. Hier zwei:
"Demnach können auch moralisch-ausgerichtete Gespräche im
Konfliktfall dann eingestellt bzw. das Fragen kann sich dann beruhigen,
wenn man trotz aller Bemühungen die 'Nicht-Richtigkeit` einer
Motivation, einer Handlung, einer Normanwendung bzw. einer Wertung
oder die Ungültigkeit eines Werturteils nicht aufzuzeigen
vermag. Gelingt der Nachweis der Unbegründetheit von Gründen
nicht, so können sie weiterhin als gute Gründe betrachtet
werden, für die man Verantwortung übernehmen kann und soll."
Dietmar Langer: Sich-bilden als Personwerdung; in: Pädagogische
Rundschau 2/2011, S. 169-188
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"Geht man von der Fundamentalontologie aus, so ist man im Bereich der
Unverfügbarkeit des Offenstehens. So kommt alles in den Blickbereich
der Möglichkeit der Bestimmung. Damit ist die Offenbarkeit des Seins
entscheidend. Alles andere, ihr Vergessen, führt zur Metaphysik,
also das Anvisieren des Seins des Seienden aus dem Bereich des Seienden."
Jürgen Bellers, Markus Porsche-Ludwig: Achsenzeit. Mythos und
Zukunft der Geschichte. Münster 2010
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Frank Arnold heute im
NZZ Management Blog:
"Es wurden Fehler gemacht", "Man wird sich dieses Problems annehmen" oder
"Nach Sachlage der Dinge musste die Entscheidung so getroffen werden" -
wer kennt Formulierungen dieser Art nicht? Diese Passivkonstruktionen
und Verallgemeinerungen sollen Distanz zwischen den oft unangenehmen
Sachverhalten und der mitteilenden Person schaffen und diese aus der
Verantwortung nehmen. Wie viel glaubwürdiger und wirksamer wären
die Sätze "Ich habe einen Fehler gemacht", "Ich kümmere mich
persönlich binnen einer Woche um das Problem", oder "Nachdem ich
die Vor- und Nachteile abgewogen habe, habe ich so entschieden". In
(fast) keinem seiner Vorträge lässt es sich Tom Peters nehmen,
ausführlich auf die Notwendigkeit und Vorteile einer klaren Sprache
einzugehen.
(...)
Genau wie der einflussreiche amerikanische Schriftsteller Raymond Carver
(1938 - 1988) fragt Peters: "Warum nicht einfach die Wahrheit sagen?".
Sowohl Carver als auch Peters machen klar, dass Lügen neben
dem moralischen Preis einen unangemessenen Zeit- und Kraftaufwand
kosten. Mit klaren Aussagen erzielen Manager positiven Auswirkungen
- sie können es sich schlicht nicht leisten, die Wahrheit zu
übertünchen. Das konsequente Eingestehen von eigenen Fehlern
ist vielleicht nur ein kleiner Anfang, aber beobachten Sie doch mal in
ihrem Umfeld, wer die "magische Kraft" einer Entschuldigung nutzt.