Nachtrag vom 28. Januar 2009:
Der künstliche Tiefschlaf von Daniel Albrecht wird in den Medien
weiter thematisiert.
Im Notfall hindern Ärzte das Gehirn am Arbeiten 28.01.2009
Ein künstliches Koma, wie beim Skirennfahrer Daniel Albrecht,
soll den Teufelskreis unterbrechen, der zu schweren Hirnschäden
führen kann.
Nach seinem Horrorsturz wurde Albrecht ins künstliche Koma versetzt -
um mögliche Hirnschäden zu verhindern.
Nach seinem Horrorsturz wurde Albrecht ins künstliche Koma versetzt -
um mögliche Hirnschäden zu verhindern. (Bild: Keystone)
"Die meisten beatmeten und im Tiefschlaf gehaltenen Patienten haben
nach spätestens einer Woche eine Lungenentzündung", sagt der
Intensivmediziner Hans Pargger vom Basler Universitätsspital.
Durch das Liegen werden nicht alle Lungenabschnitte gut belüftet,
die Schlafmedikamente verhindern das Husten und Sekret sammelt sich
an - ein guter Nährboden für Keime. Blutungen in die Lunge,
wie Daniel Albrecht sie erlitten hat, erhöhen das Risiko für
Lungenentzündungen noch. Die Frage sei immer, welche Keime auf
der jeweiligen Intensivstation vorherrschen, und wie resistent sie
gegenüber den Antibiotika seien, führt Pargger aus.
Im Fall des Skirennfahrers sei der Keim identifiziert. Er würde
gut auf die Behandlung ansprechen, gab Swiss-Ski gestern bekannt. Heute
will der Skiverband neue Informationen zum Gesundheitszustand des
25-Jährigen liefern.
Bei Albrecht ist jetzt die Lunge das Hauptproblem. Deshalb setzen die
Ärzte in Innsbruck die Beatmung und das künstliche Koma fort,
das sie unter anderem begonnen hatten, um sein Hirn zu schützen.
Zu viel Nachfrage, zu wenig Angebot
"Nach einem Schädel-Hirn-Trauma herrscht im Hirn ein
Missverhältnis zwischen Sauerstoffnachfrage und -angebot",
erläutert Bruno Regli, stellvertretender Chefarzt
für Intensivmedizin am Berner Inselspital. Das Ziel der
Intensivmediziner ist deshalb, "den Sauerstoffverbrauch des Hirns
tief zu halten". Gefährlich seien nicht nur Hirnprellungen und
-blutungen, die direkt vom Unfall herrührten. Gefürchtet
bei den Intensivärzten sind auch die so genannten sekundären
Schäden.
"Bei über der Hälfte der Patienten sieht man 24 Stunden nach
dem Unfall im Computertomogramm mehr Schäden am Hirn als zu Beginn",
sagt Reto Stocker, Abteilungsleiter der Chirurgischen Intensivmedizin
am Zürcher Universitätsspital.
Bei einer Hirnverletzung kommt ein Teufelskreis in Gang: Zuerst gehen
Zellen kaputt und zerfallen. Dabei werden verschiedene Substanzen
freigesetzt. Diese erhöhte Konzentration an Stoffen im
geschädigten Areal zieht rasch Wasser aus der Umgebung an. Zudem
werden die feinen Kapillargefässe undicht. Der Bereich schwillt an.
Da das Hirn unter den Schädelknochen "gefangen" ist, kann es
nicht ausweichen, der Hirndruck steigt und Blutgefässe werden
abgedrückt. Deshalb sinkt die Durchblutung und mit ihr die
lebenswichtige Sauerstoffversorgung der Zellen. Das wiederum führt
zu weiteren Zelluntergängen.
Weil ein arbeitendes Gehirn mehr Sauerstoff braucht, sollen Medikamente
und Kühlmatten die Hirnfunktionen drosseln. "Notfalls machen wir
das bis zur totalen Stilllegung der Hirnkurven im EEG. Dafür braucht
man aber hohe Medikamentendosen", legt Hans Pargger dar.
Zum Einsatz kommen dabei Mittel, wie sie auch bei
Allgemeinanästhesien für Operationen verwendet werden: dem
Valium verwandte Beruhigungsmedikamente und andere starke Schlafmittel,
darunter auch Morphin-ähnliche Wirkstoffe sowie Thiopental. "Damit
lässt sich der Sauerstoffverbrauch im Hirn um die Hälfte
reduzieren", sagt Reto Stocker.
Auf 32 Grad kühlen
Genügt dies nicht, wird der Patient auf eine Temperatur von
32 bis 34 Grad Celsius gekühlt. Pro Grad Kühlung sinkt die
Stoffwechselrate um etwa sieben Prozent. Auch nach einem Herzstillstand
mit Wiederbelebung verbessert sich die Prognose, wenn die Betroffenen
ein bis zwei Tage gekühlt werden.
Muskelerschlaffende Medikamente unterbinden dabei das Muskelzittern, das
sonst bei solch tiefen Temperaturen auftreten würde. Der Nachteil
dieses Verfahrens: Die Kühlung erhöht das Risiko für
eine Lungenentzündung.
Die Patienten bekämen nicht mit, was mit ihnen passiere, sagt
Pargger, "aber wir wissen nicht sicher, was sich im Unterbewusstsein
abspielt." Im Prinzip könnten ansonsten gesunde Menschen wochenlang
im Tiefschlaf gehalten werden. Überwacht werden ihre Hirnfunktionen
nicht nur mit der Ableitung der Hirnströme. Je nach Fall werden bis
zu vier dünne Sonden ins Hirn eingelegt. Sie messen den Hirndruck
oder die Hirntemperatur (um zu wissen, wie stark gekühlt werden
muss). Stoffwechsel-Sonden verfolgen unter anderem die Konzentration
des Energiespenders Glucose sowie der Milchsäure, die bei
Sauerstoffmangel ansteigt.
Solange der Patient derart anästhesiert ist, sorgen Pflegende,
Ärzte und Maschinen dafür, dass er beatmet wird, dass er
Flüssigkeit und Nahrung erhält und dass er nicht wund liegt. Ein
Risiko beim künstlichen Koma sind gefährliche Embolien durch
Blutgerinnsel. Überdies bauen die Patienten rasch Muskeln ab. Nach
langer Anästhesie muss der Kranke darum erst wieder die Atemmuskeln
trainieren, bevor er vom Beatmungsgerät getrennt wird.
Da insbesondere Thiopental im Fettgewebe gespeichert und von dort wieder
abgegeben wird, "kann es nach dem Absetzen noch Tage dauern, bis der
Patient wieder wach wird", sagt Bruno Regli.
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Es liegt nun an den behandelnden Aerzten, die Vor- und Nachteile ihrer
Massnahmen verständlich zu erklären. Journalisten werden
in den nächsten Tagen neue Fragen stellen, wie: Mit welchen
Sekundärschäden muss bei Daniel Albrecht gerechnet werden?
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