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www.rhetorik.ch aktuell: (9. Dezember, 2006)

Regula Stämpfli: Politainment or Politresentment?

Der nachfolgende lesenswerte Fachbeitrag von Regula Stämpfli berührt eine Thematik, die uns schon oft beschäftigte. Mit dem Format "Arena" setzten wir uns oft auseinander. Zahlreiche Analysen über Gespräche, Dialoge, Talks in den elektronischen Medien sind auf diesen Webseiten erschienen, wie zum Beispiel am 15. Oktober 06 oder21. Oktober 06. Stämpflis Votum ist ein wertvoller Gedankenanstoss, der von den zuständigen Fernsehschaffenden zu Herzen genommen werden sollte. Die "Arena" als Plattform für politische Fragen hätte nämlich eine wichtige Funktion. Wir danken Regula Stämpfli für dieses wertvolle und fundierte Votum.

Politainment or Politresentment?

von Regula Stämpfli, Dr. phil, Politikwissenschaftlerin, Dozentin, Autorin www.regulastaempfli.ch


Die Nebengeräusche sind nicht mehr zu überhören. Am 7. Dezember 2006 unterschreiben 102 Nationalräte ein Postulat von Rolf Hegetschweiler (FDP/ZH), das sich gegen die SRG-Konzessionserhöhung ausspricht. Einen Tag darauf beschliesst der Bundestrat statt 75 Millionen der SRG nur 25 Millionen zuzugestehen, worauf auf SF 1 online klagend von einem "Konzessionsfranken" spricht. Der Medienminister und Bundespräsident Leuenberger sagt klar, dass die beschlossene Politik nicht mit dem Programm zusammenhängen, doch der Kontext ist vorhanden. In seiner brilliant formulierten Rede "vom homo sapiens hin zum homo zappiens" anlässlich der 75jährigen SRG-Gala äussert der Bundespräsident ähnlich kritische Töne, die die Programmleitung von SF schon seit einiger Zeit zu hören bekommt, wenn sie denn hinhört.
In diesem Zusammenhang wurde eine der wenigen, noch vorhandenen Politformate, die "Arena" kritisiert. Der FDP-Parteipräsident Fulvio Pelli war besonders fulminant und drohte mit Sendestreik, nur um eine Woche später seine Politik in der Arena zu vertreten. Ueli Maurer ist seit November auf Boykott-Tour, da er sich während der Sendung zur Kohäsionsmilliarde ständig unterbrochen und in seinen Aussagen missinterpretiert fühlte. Der FDP-Parteipräsident war nicht zimperlich und redete von einer Schande, dass sich das Schweizer Fernsehen von den politischen Skandalisierungsstrategien immer wieder verführen lasse. Dabei haute aber Fulvio Pelli den Sack, meinte aber eigentlich den Esel. Denn die Arena als Sendeformat hat einige Probleme, gewiss und dazu weiter unten mehr. Doch die Probleme reichen tiefer als die Sendegestaltung. Denn an der Verseichtung der Politik allgemein ist nicht in erster Linie die Arena, sondern alles Drumherum der SF Programmgestaltung mitentscheidend.
Wenn ich "Neger" sage, dann bleibt die Kamera auf mir, meinte einmal der SVP-Parteipräsident Ueli Maurer treffend. Damit beschrieb er den allgemeinen Wandel, den eine Gesellschaft erfasst hat, in welcher alle Werte zur Disposition stehen und jedes Mittel recht sein muss, überhaupt noch gehört zu werden. Das hätte Fulvio Pelli auch thematisieren sollen! Und wenn er sich wirklich mit dem Schweizer Fernsehen anlegen wollte, dann gäbe es fundiertere Kritik als ein Pauschalschlag gegen die Arena. Die SRG soll kommerziell keuscher werden (NZZ, 12.10.2006) oder Service Wischiwaschi (NZZ, 9.12.2005) und tatsächlich, da liegt der Hund eigentlich begraben.
Denn was punkto Information und Politik seit der neuen Direktorin Ingrid Deltenre alles nicht passiert ist, ist der eigentliche Skandal. Ihre konsequente, nicht sehr einfallsreiche und langfristig für die SRG zum Problem mutierende Kommerzialisierungsstrategie erfüllt langfristig nicht nur nicht den öffentlich-rechtlichen Auftrag, sondern ist voll auf Anti-Aufklärung ausgerichtet. Polit- und Informationsformate haben in einer solchen Strategie kaum Chancen auf Weiterentwicklung und sind die totalen Stiefkinder von SF 1 und SF 2. Es werden Millionen für ein Dumpfbackenprogramm der untersten Schublade wie Black n Blond verlocht Geld, das auch in Form eines Bruchteils dieser Summe dann plötzlich für so herausragende und langjährige Korrespondenten wie Werner van Gent fehlt.
Aber wahrscheinlich ist in einer Fernsehwelt, die von Sven Epineys und Roman Kilchspergers bevölkert ist, all das, was in der Türkei, Griechenland oder im Nahen Osten passiert, sowieso irrelevant. In dieselbe Problematik passt, dass unter einem neuen Sendeformat Classe politique die bisherige Parlamentsdebatte in Café des Alpes ablösen soll. Dieses Heading, das direkt aus der SVP-Politparolisierung stammt, lässt für die politische Bildung und Zielrichtung der direkten Demokratie Schweiz nicht Gutes ahnen.
Dass Politik spannend, unterhaltsam, wichtig, fürs Leben bereichernd und den Horizont erweitern wirkt, scheint den Schweizer Programmstrateginnen nicht bekannt. Dabei wäre es ein Leichtes, mal über den Teich zu schauen. Jon Stewart produziert mit der Daily Show eine Politsendung, die ihrensgleichen punkto inhaltlichen Gewicht und Weiterbildung sucht. Die BBC schafft es, mit "Have I got News for you", jede Woche Politik und Zeitungen auf die Schippe zu nehmen, so dass Politik höchst informativ und unterhaltend rüberkommt. TF 1 und 2 produzieren immer noch Nachrichtensendungen, die über 30 Minuten konzipiert, mit anschliessenden Talkshows eine politische Diskussionskultur schaffen.
Infotainment wäre eine grossartige Aufgabe, wenn sie ernst genommen würde. Selbstverständlich braucht es aber für solche Konzeptionen Grips und nicht nur weisse Zähne. Doch in der Schweiz wird von den USA nur der Schrott kopiert, statt das Beste zu übernehmen. So wurden die SF-Studios derart seicht mit einer Kopie der uninspirierenden US-Visualisierung neu aufgerüstet, dass nun auch die gescheiten Moderatorinnen mit ihren Dresscodes wie schlechte Nummergirls rüberkommen. Entpolitisierter, anti-pluralistischer und langweiliger hätte der Brandings-Einheitsbrei nicht ausfallen können! Kurz, Fulvio Pelli hätte viel zu kritiseren gehabt. Er hat es jedoch vorgezogen, den Boten statt den Absender zu prügeln.
Denn gerade die Arena unter dem sehr kompetenten Moderator Urs Leuthard braucht es nach wie vor. Das soll uns jedoch nicht davon abhalten, auch hier einige kritische Zwischenrufe zu plazieren. Denn dass die Arena so im Fokus der Politik ist, liegt unter anderem daran, dass sie als eines der wenigen verbliebenen Politformate unter grösserer Beobachtung liegt als alle anderen Sendungen. Zudem hat sie im Frühjahr 2007 ihr Format völlig geändert, was sowohl unter den Teilnehmenden als auch den Zuschauenden viel Unruhe schuf. Denn was ist passiert?
Die noch von Patrick Rohr eingeführte offene Gesprächsrunde von sechs Diskutanden, die sowohl aus Politik, Wirtschaft und Kultur stammen konnten, wurde auf eine Polarisierungsshow reduziert. Nicht wie in den Arena-Anfangszeiten unter Filippo Leutenegger auf zwei Kontrahenten, sondern auf vier. Mit dem Resultat, dass die Gästeliste viel parlamentarischer wurde und die Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft in die zweite Runde verdrängt wurden. Mit kontrahenten Politikern ergibt sich aber keine Diskussion, sondern nur ein Freund-Feind-Schema, ein Gladiatorenkampf. Ein Kampf, der nur interessant ist, wenn zwei gleichstarke Gegner mit einem spannenden Thema aufeinandertreten. Doch in der Politik funktioniert das Daumen rauf und Daumen runter eben nicht wirklich. Und deshalb empfinden viele Zuschauer die Arena im aktuellen Kleid als abschreckend.
Vielleicht stimmt die Quote noch, doch der Informationsgehalt ist sicher viel bescheidener als noch in der Sechserrunde. Die Kameraführung wurde sehr schnell, modern und im amerikanischen Zappstil beweglich, nur die Inhalte erstarrten mehr und mehr. Denn die Nähe der Kontrahenten, die zudem mit dem Rücken zum Publikum stehen, bringt eine Ambience, die nicht dem Gespräch, sondern der Attacke förderlich ist. Der Moderator hat eine klassische Gladiatorenaufgabe und Urs Leuthard legt einen Gedächtnismarathon ohnesgleichen hin, wenigstens einmal die hochrangige zweite Reihe abzufragen. Doch dadurch folgen sich Statement auf Statement, Quote auf Quote und eine echte Diskussion findet nicht statt. Selbst ein Streit entsteht nicht wirklich, da die vier immer wieder vom Moderator unterbrochen werden müssen, wollen die Leute am Fernseher noch mitkommen, was denn eigentlich diskutiert wird.
Kurz, die Arena in neuem Format überzeugt viele Zuschauenden nicht und verärgert die Politiker. Eine sehr schlechte Voraussetzung für ein wichtiges Politformat mit einem eigentlich hervorragenden Politmoderator. Aber eben. Vielleicht wäre die Arena in neuem Kleid auch wirklich der Gewinn, den sich Urs Leuthard und sein Team vorgestellt haben, wenn sie nicht die einzige Sendung bliebe und die Innovation lediglich in der Studioumgestaltung bestünde. Denn die Schweiz braucht mehrere Politformate. Der Club, Rundschau, 10vor10, Tagesschau, Schweiz aktuell und eben auch die Arena sind grundsätzlich gut, spannend, intelligent. Doch sie existieren schon seit Jahren und sollen ruhig noch weiterexistieren. Aber es braucht unbedingt neue Formate, die zudem nicht um Mitternacht positioniert werden. Denn wie sagte doch kürzlich einer meiner Studenten? "Meine politische Bildung habe ich aus dem Fernsehen. Seit es Viktors Spätprogramm nicht mehr gibt, weiss ich eigentlich nichts mehr über die aktuelle Politik."
Dieses Votum ist ernstzunehmen. Gerade in der direkten Demokratie Schweiz, die vom nahen Miteinander lebt, ist es wichtig, die politische Information und Bildung attraktiv zu gestalten. Politik auch so zu präsentieren, dass die Botschaft stimmt. Eine Botschaft, die auf Information und Aufklärung und nicht nur auf Slogans reduziert wird. Eine Botschaft, die zeigt, dass Politik nicht im Gegeneinander, sondern vor allem im Kompromiss und Miteinander funktioniert. Eine Politik, über die aber auch gelacht werden kann, soll und muss. Denn Lachen war eigentlich schon immer einer der besten Sehhilfen, wenn es darum geht, Macht und Demokratie zu analysieren. Es gäbe also Viel und Spannendes zu tun.


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