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www.rhetorik.ch aktuell: (25. Februar, 2005)

Der sprachlose Papst

25. Februar, 2005 28. März, 2005 24. April, 2005


Der ungewisse Gesundheitszustand des Papstes mit Operation bringt den Vatikan in eine heikle Lage. Der Papst selbst meint, es gebe keinen pensionierten Papst und tritt nicht zurück. Wir hatten schon früher über die Bedenken berichtet, als der leidende Papst den Medien vorgeführt wurde.
Die Krankenhausauftenthalte hatten nun erneut Diskussionen um seine Amtsfähigkeit ausgelöst. Im Zeitalter neuer medizinischen Mittel gibt es Szenarien, die neu sind. Uns interessiert: Wie informiert der Vatikan in dieser Situation?


Medienfahrzeuge auf dem Parkplatz des Gemeli Spitals in Rom, wo der Papst operiert wurde.

Foto: Peter Macdiarmid, Titelseite NewYork Times, 26. Februar, 2005.




Johannes Paul war am Donnerstag zum zweiten Mal in diesem Monat mit Grippe-Symptomen in die Klinik gebracht worden. Um die Atem probleme zu lösen, wurden auch ein Luftröhrenschnitt vorgenommen. Die Diskussionen um Amtsfähigkeit des kranken Papstes rissen nicht ab, nachdem der Spitalaufenthalt immer wieder verlängert wurde und die Vatikan-Bischöfe ständig versuchten, die Situation zu beruhigen:
  • Um Beruhigung war vor ein paar Tagen vor allem der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Camillo Ruini, bemüht:

    "Ich habe den Papst in wirklich guter Fassung gesehen ... Ich habe den Papst gesehen und ihn begrüsst, ihm geht es wirklich gut."


  • Der Kurienkardinal Giovanni Battista Re empörte sich über die anhaltenden Spekulationen um einen möglichen Papstrücktritt. Eine solche Debatte zum jetzigen Zeitpunkt sei "geschmacklos". Re gehört zu den wenigen Kurienmitarbeitern, die vom Papst wöchentlich an einem fixen Termin in Audienz empfangen werden.
  • Auch der Präfekt der Kleruskongregation, Kardinal Dario Castrillon Hoyos beschwichtigt:

    Es gebe keinerlei Notwendigkeit, über einen Rücktritt zu sprechen. Der Papst sei "in seinen erfahrenen Händen" und sei im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. "Deshalb stelle ich mir die Frage nach einem Papstrücktritt überhaupt nicht."


  • Ähnlich äusserte sich auch der emeritierte Kurienkardinal Mario Francesco Pompedda:

    Auch ein Papst ganz ohne Stimme könne die Kirche leiten. Er könne seine Meinung und seine Anweisungen schriftlich mitteilen. Niemand könnte eine Entscheidung des Papstes in Zweifel ziehen, die schriftlich, durch Gesten oder durch andere Ausdrucksformen seines Willens mitgeteilt werde.


  • Nicht ganz auf der Linie der im Vatikan agierenden Bischöfe lag der argentinische Kardinal Jorge Meija, der einen Rücktritt des Papstes als eine "mögliche Sache" bezeichnete. Eine Demission sei im Kirchenrecht durchaus vorgesehen, und alles hänge davon ab, ob Johannes Paul II. denke, dass seine persönliche Situation und die der Kirche und der Welt seinen Rücktritt rechtfertigten.

    "Wir hoffen, dass der Papst so lange weiter macht, wie er kann. Aber wenn er nicht mehr können sollte, muss er das nach seinem Gewissen entscheiden", fügte der Kardinal hinzu und wiederholte damit Aussagen von Kardinal-Staatssekretär Angelo Sodano. Auf die Frage, ob der Papst die Hypothese eines Rücktritts erwäge, hatte der Kardinal am Montag gemeint: "Das überlassen wir dem Gewissen des Papstes."


  • Nach dem letzten Spitalaufenthalt sagte Hans Küng im ARD, dass nach dem Kirchenrecht ein Rücktritt möglich sei.

    "Ein Papst könnte zurücktreten wegen des Nutzens und der Notwendigkeit der Kirche. Ich meine, dass dieser Fall jetzt eingetreten ist. So können wir nicht weitermachen."


    Küng sieht bei einem Rücktritt allerdings auch Risiken. Solange Johannes Paul II. am Leben sei, könne dessen Autorität von bestimmten Leuten in Anspruch genommen werden. Ein Konklave unter den jetzigen Umständen wäre nicht gut. Eine Gefahr der Kirchenspaltung sieht Küng derzeit nicht.

    "Es ist höchstens das Problem, dass wir einen Nachfolger finden, der uns aus dieser elenden Krise herausführt, in die uns dieser Papst hinter einer glänzenden Staffage hineingeführt hat." Die Kirche sei mittlerweile "so altersschwach wie dieser Papst".


  • Ein Kirchenmann interviewt und gefragt, was geschehe, wenn der Papst nicht mehr reden könne oder plötzlich nicht mehr bei Sinnen sei (zum Beispiel ins Komma verfällt). Antwort:

    Es gibt keine Vertretung. Der Papst bleibt bis zum Lebensende im Amt. Nur der Papst kann einen Stellvertreter bestimmen. Gewiss habe er eine Verfügung im Schreibtisch hinterlegt.


    Bei diesem Thema wurde immer wieder deutlich: Der Vatikan und Kirchenfürsten weichen bei der Frage nach der Stellvertretung sofort aus. Darüber zu reden, wäre jetzt taktlos.
  • Weil die Ärzte dem Pontifex ein Sprechverbot auferlegt haben regiert er die Kirche momentan mit Block und Bleistift. Das spielt für den Vatikan keine Rolle. Der 84-Jährige kann das Amt auch so weiterführen, erklärte der italienische Kardinal Mario Francesca Pompedda:

    "Es reicht aus, dass der Wille ausgedrückt werden kann, und zwar eindeutig."


    Dies könne schriftlich geschehen oder durch deutliche und aussagekräftige Gesten. Johannes Paul II. hatte schon seit einiger Zeit Probleme mit Sprechen, weil er an Parkinson leidet. Diese Krankheit lähmt auch die Sprechmuskulatur. In den letzten Jahren mussten deswegen immer wieder Mitarbeiter längere Predigten übernehmen.
  • Wenn der Papst nie mehr sprechen könnte, dann hätte dies natürlich eine Reihe von Konsequenzen. Für seine Arbeit sei dies nicht von grundlegender Bedeutung, meinte der portugiesische Kardinal José Saraiva Martins schon 2003.

    "Der Heilige Stuhl wird eher mit dem Kopf als mit Worten geleitet."




Was aber passieren würde, wenn der Papst ins Koma fiele, ist nicht ganz klar. Dazu verweigert der Vatikan jegliche Angaben. Es gilt als verpönt, über mögliche katastrophale Konsequenzen für das Funktionieren des Vatikans zu spekulieren.

Die Nervosität ist verständlich: nach BBC Korrespondent David Willey wäre im Falle eines Todes vom Papst jeder wichtige Funktionär im Vatikan ohne Job, bis er vom neuen Papst wieder eingesetzt wird. Die Führung wäre in einem "Limbo" Zustand.






Nachtrag 27. Febr: Rhetorisch brillante Gummiwand

Der Mann des Schweigens, der Papstsprecher Navarro-Valls wurde nach "Sonntagsblick" vom 27.2. von seinen ehemaligen Kollegen im Club der römischen Auslandpresse

"eine rhetorisch brillante Gummiwand in der besten Tradition des katholischen Kirchenstaates"


genannt. Andere bezeichneten ihn als Informationsverhinderer oder gar Informationsverdreher. Angesichts solcher Vorwürfe tut Navarro-Valls das, was er immer tut - er lächelt und schweigt. Was der gelernte Chirurg und Journalist Joaquin Navarro-Valls bei Befragungen in den letzten Tagen zum Gesundheitszustand des Papstes immer getan hat, war: Lächeln, die blütenweissen Manschetten zurechtzupfen, mit der Hand über das ergraute Haar streichen und dann Schweigen. Der 69 jährige Vatikansprecher - Mitglied des spanischen Laienordens Opus Dei - übernahm die Tradition von Jahrtausenden: Die Tradition des Verschweigens, Bagatellisierens oder des Beschönigen von Sachverhalten.




Nachtrag vom 1. März, 2005:
Fünf Tage nach seinem Luftröhrenschnitt hat Papst Johannes Paul II angeblich wieder gesprochen. Kurienkardinal Joseph Ratzinger nach einem Besuch:

"Er hat zu mir deutsch und italienisch gesprochen. "Der Papst war sehr aufmerksam und interessiert, er wird die Unterlagen studieren, die ich ihm mitgebracht habe."


Der Papst, der nach dem Eingriff eine Kanüle im Hals trägt, sei in der Lage, wichtige Dinge mitzuteilen. Ärzte hatten dem Kirchenführer nach der Notoperation am vergangenen Donnerstag geraten, einige Tage nicht zu sprechen. Der Vatikan hatte bisher erklärt, der Papst mache lediglich Stimmübungen. Italienische Medien äusserten die Befürchtung, der Papst könne auch später nicht mehr normal sprechen. Allerdings ist die Aussprache des 84-Jährigen wegen seiner Parkinson-Krankheit schon seit vielen Jahren sehr undeutlich. Oft können die Gläubigen ihn kaum verstehen.

Vatikansprecher Joaquin Navarro-Valls äusserte sich wiederum optimistisch über die Genesung des Papstes:

"Alles normal".


Johannes Paul habe sich am Morgen auf eine Andacht in seinem Krankenzimmer vorbereitet. Navarrow-Valls:

"Er ist ein guter Patient"


Quelle: web.de

Kommentar: Bereits vor der Operation konnte der Pontifikat nicht mehr richtig sprechen. Es ist kaum denkbar, dass das Sprechvermögen nach der Operation wieder so (schlecht) sein wird, wie vor der Operation. Auch die Parkinson Krankheit beeinflusst das Sprechvermögen. Die Schönfärbereit des Vatikansprechers wecken Erinnerungen an den Informationschef von Saddam Hussein, dessen krassen Beschönigungen am Schluss nur noch lächerlich wirkten. Nur eine offene und ungeschminkte Information würde längerfristig Vertrauen schaffen. Angeblich darf in Rom das, was ist, einfach nicht wahr sein.


Nachtrag vom 2. März, 2005:
Der Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner hat den Papst im Krankenhaus in Rom besucht und meinte: er habe eine sehr viel kräftigere Stimme als ich erwartet hätte. Der Kardinal hoffe, dass Johannes Paul II. im August zum Weltjugendtag nach Köln kommen kann. Der Turiner Medizinprofessor Oskar Schindler sagte der römischen Zeitung "La Republicca", der Papst könne derzeit wohl nur darum sprechen, weil eine Nottechnik anwende. Dabei müsse er mit einem Finger die Kanüle am Hals zudrücken.

Wir bezweifeln nicht, dass der Papst einen enormen Willen und ein bewundernswertes Durchstehvermögen hat. Doch glauben wir nicht, dass die internen Verlautbarungen des Vatikans und der Kardinäle den effektiven Tatsachen entsprechen. Wenn ein Mensch einzelne Worte von sich gibt, ist dies noch kein "verständliches Sprechen mit kräftiger Stimme".


Nachtrag vom 3. März, 2005:
Es ist alles normal, erklärte der Vatikansprecher laut der italienischen Agentur Ansa. Der Papst "bereitet sich darauf vor, die Messe zu feiern". Er sei ein "guter Patient" und setze die Übungen für seine Stimme fort.

Nachtrag vom 12. März, 2005:
Dass der Papst noch immer nicht gut sprechen kann zeigt ein Video, das Mitte März im Fernsehen DRS zu sehen war:




Nachtrag vom 23. März 2005: Papst zeigt sich kurz.

Am 23. März zeigte sich Papst Johannes Paul II nur eine Minute lang am Fenster des Apostolischen Palastes. Einmal mehr hatte er nicht gesprochen. Es kursierten hartnäckige Gerüchte, das der Pontifex einen Rückfall erlitten hatte. Es hiess, die Poliklinik sei für eine erneute notfallmässige Einlieferung gewarnt worden. Einmal mehr dementierte und beschwichtigte der Vatikan. Das schmerzverzerrte Gesicht macht jedoch bewusst, dass nicht alles reibungslos verläuft.




Nachtrag vom 25. März, 2005

Das erste Mal in seinen 26 Amtsjahren konnte der Papst nicht an den Osterfeierlichkeiten teilnehmen und verzichtet auf die Zeremonien in der Karwoche. Am Gründonnerstag wurde die erste Messe im Petersdom von Kurienkardinal Giovanni Battista Re gehalten. Beim Kreuzweg am Kolosseum soll das 84-jährige Kirchenoberhaupt am Samstagabend lediglich per Leinwand aus dem Vatikan zugeschaltet werden. Den traditionellen Karfreitag-Kreuzweg führt stellvertretend der 74-jährige italienische Kardinal Camillo Ruini an.

Der Vatikan bleibt in gewohnter Manier optimistisch: Den Segen "Urbi et Orbi" wird Johannes Paul II. am Ostersonntag vom Fenster seines Arbeitszimmers aus erteilen.

Ob er tatsächlich in der Lage sein wird, die kurze Segensformel selbst zu sprechen, kann bezweifelt werden. "Urbi et Orbi" kann nur vom Papst erteilt werden - sei es mit gesprochener Segensformel oder stumm. Die Formel entstammt einer Zeit, als Rom noch Zentrum eines Weltreiches war. Im Fernsehzeitalter ist die Zeremonie zum "Urbi et orbi"-Segen zum Quotenrenner geworden. Vor allem unter dem mediengewandten Johannes Paul II. haben sich immer mehr Radio- und Fernsehstationen in die Übertragungen eingeklinkt. Für mehrere hundert Millionen Zuschauer ist der Papst dann sicht- und hörbar. Diesmal werden 104 TV-Stationen aus 74 Ländern zugeschaltet.


(Fortsetzung)

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