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www.rhetorik.ch aktuell: (7. Februar, 2005)

Selbst TV Chefs müssten streiten lernen



Von Differenzen zwischen SAT 1 Chef Roger Schawinski und der SF DRS Direktorin Ingrid Deltenre wusste das Publikum bisher weniger als von den früheren Meinungsverschiedenheiten zwischen Schawinski und dem ehemaligen Fernsehdirektor Schellenberg. Im "Blick" vom 5. Februar 2004 lernte das Publikum, dass Schawkinski und Deltenre das Heu nicht immer auf der selben Bühne haben.

(Es geht uns in diesem Beitrag nicht um eine Beurteilung der Sachverhalte, es geht uns lediglich darum, die gegenseitigen Äusserungen genauer zu betrachten.) Ingrid Deltenre sagte auf den Hinweise, dass es Roger Schawinski unverständlich finde, dass auf SF 2 "Traumjob" gezeigt werde und diese Sendung zynisch sei und im Grunde genommen Mobbing sei:




Deltenre: "So ein Blödsinn. Ich kann ihn einfach nicht ernst nehmen. Er [Schawinski] ist so süchtig nach Rampenlicht und nach Erfolg. Er plaudert zum Teil Zeug daher, von dem er keine Ahnung hat. 'Traumjob' wird keine Mobbingsendung."
Blick: Er sagt, auch er habe das Format selbst auf dem Tisch gehabt und nicht gewollt. Deltenre: "Das hätte er vielleicht gerne gehabt, aber er hat es nicht gehabt. Jetzt schiesst er deshalb dagegen. Das ist einfach Neid. Noch mehr muss ich über Schawinski lachen, wenn er sagt, bei uns würden nur Kopien laufen. Aber was ist mit "Mein dicker peinlicher Verlobter" und was ist "Starsearch" auf Sat 1? Das sind alles eingekaufte und kopierte Formate,. Der ganze Sender ist letztendlich eine Kopie."


Analyse: Die Fakten, das heisst die Belege der eingekauften Sendungen überzeugen. Doch beinhalten die Antworten Zündstoff, der die Auseinandersetzung zusätzlich anheizt. Wenn sie Fernsehdirektorin sagt, Schawinski habe die Sendung "Taumjob" nicht auf dem Tisch gehabt, so könnte dies stimmen. Doch müste es belegt werden können. Wenn Deltenres Aussage stimmt, so hätte Roger Schawinski schlicht und einfach gelogen. Falls Der Sat 1 Chef belegen könnte, dass er recht hat, hätte die Fernsehdirektorin das Zwei am Rücken. Absolute Zuschreibungen und fixe Urteile wie:
  • Das ist Neid d.h. Schawinski ist neidisch!
  • Roger ist süchtig nach Rampenlicht!
  • Das ist Blödsinn
sind immer gefährlich. Sie führen zwangsläufig zu Eskalationen. Wir müssen auf derartige allgemeingültige Zuschreibungen stets verzichten. Wären die Vermutungen als eigene Sicht (Ich finde, dass..) formuliert worden, so wäre dies Deltenres persönliche Wahrnehmung geblieben, die niemand abstreiten könnte. Denn mit der "Ich"-Aussage hätte die Direktorin Ihre Wahrheit zu sich genommen. Eigene Wahrnehmungen sind immer Wahr-nehmungen, und damit aus der Sicht der Sprecherin nie Falsch- nehmungen. Interpretationen und absolute Urteile bergen immer Zündstoff zu weiteren Eskalationen in sich. Nach unserem Dafürhalten ist diese Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit kontraproduktiv. Damit wurde unnötigerweise Geschirr zerschlagen. So schlug Schawinski zurück:

Schawinski: "Ich bin überrascht, wie hypernervös Frau Deltenre ist. Sie hat nicht nur wenig Erfahrung mit Fernsehmachen, sondern offenbar auch mit öffentlicher Kritik."
Blick: SF DRS gegen Schawi. Haben wir das nicht schon mal gehabt? Schawinski: "Ich fühle mich tatsächlich an die Aera des früheren TV- Direktors Peter Schellenberg zurückerinnert. Die bisher so charmante Ingrid Deltenre lästert plötzlich im gleichen Stil wie ihr Vorgänger. Kritiker werden plötzlich im Lästerstil niedergemacht."
Blick: Welcher Vorwurf hat Sie inhaltlich besonders getroffen? Schawinski: "Wenn sie sagt, sie wisse über meine Gespräche mit Produzenten Bescheid, finde ich dies bizarr. Sie sagt, ich sei neidisch auf ihre neue Sendung "Traumjob". Sie hätte mir quasi dieses amerikanische Format weggeschnappt. Die Wahrheit sieht ganz anders aus: Tatsächlich hat mir die Chefin der TV-Firma "Ufa Grundy", Ute Biernat, das Original-Format "The Apprentice" das bei SF DRS "Traumjob heissen wird, bereits letzten April auf einem Boot in Cannes anlässlich der Fernsehmesse MIP angeboten. Nach eingehender Prüfung habe ich es abgelehnt."
(Schawinski begründet es noch: Es wäre zu zynisch und er habe nicht an die Umsetzung geglaubt.)
Zum Vorwurf Deltenres, er sei einfach neidisch, antwortete Schawinski:
"Solche öffentlichen Auseinandersetzungen auf der Ebene von persönlichen Beleidigungen bringen gar nichts. Sie wirkt hilflos ..."


Analyse: Dank den Unterstellungen hat nun Schawinski ein leichtes Spiel, die Fernsehdirektorin zu attackieren. Er kann sich auf die Beschreibung der Sachverhalte stützen. - Das hypernervöse Getue schreibt er dem Umstand zu, dass die Fernsehdirektorin angeblich Probleme hat im Umgang mit Kritik. Dank seiner langjährigen Erfahrung kann er sie zudem in die Ecke einer unerfahrenen Fernsehfrau stellen. Mit den Worten "bisher so charmante Ingrid D." wird implizit gesagt: Dies muss ein einmaliger Ausrutscher sein. Früher war sie charmant. Das unglückliche Verhalten wird verbal zum "Lästern" , das mit dem "Lästermaul" wiederholt und damit im Langzeitgedächtnis gefestigt wird. Die Behauptung Deltenres, Schawinski habe die Sendung nicht auf dem Tisch gehabt, kann er nun mit detaillierten Fakten (Wo, wer, wann, wie) widerlegen. Diese Argumentation leuchtet dem Publikum ein. Die veranschaulicht uns einmal mehr, wie gefährlich es sein kann, Vermutungen als Tatsachen zu "verkaufen". In diesem Fall wurde dies für die Direktorin zum Bumerang. Auch bei dem persönlichen Urteil, Schwawi sei nur neidisch, fällt es leicht, zu kontern. Die Beleidigung wird lediglich beschrieben und beim Namen genannt. Dies genügt.

Kommentar: Wir haben die Fernsehdirektorin verschiedentlich beobachtet und sie fiel uns stets durch wohlbedachtes, kluges Antworten auf. Etwas muss die Profifrau in diesem Fall aus dem Konzept gebracht haben. Weshalb konnten die Emotionen nicht mehr gesteuert werden? Dies ist für uns ein Rätsel. Das protokollierte Verhalten passt gar nicht zu ihr.

Was wir aus dieser Geschichte lernen können:

  1. Sich nie provozieren lassen (Ruhe bewahren).
  2. Auf Vermutungen und Interpretationen verzichten.
  3. Sachverhalte beschreiben (Fakten).
  4. "Ich" Botschaften statt allgemeingültige Zuschreibungen.
  5. Persönliche Auseinandersetzungen werden nicht öffentlich geführt.
Auch für TV Chefs gilt in derartigen Situationen das Prinzip des "Vieraugengesprächs".

Link: "Rhetorik des konstruktiven Streitens".




Nachtrag vom 9. Februar, 2005

In der Praxis gibt es bewährte Checklisten, die uns bewusst machen, wie wir konstruktiv, fair streiten lernen können.

Die 10 Gebote des fairen Streitens

  1. Das Gegenüber nie überrumpeln und zwischen Tür und Angel streiten.
  2. Jeder hat das Recht, sich kurzfristig zurückzuziehen. Es gibt das Recht auf Auszeiten.
  3. Beide Parteien müssen gewinnen. Ziel ist eine Win-Win Situation.
  4. Klären, was los ist. Dazu gehören Selbstklärung, Fremdklärung, und Nachfragen, aber nicht Ausfragen.
  5. Ich rede von mir. Ich sage wie ich es sehe. Die Gegenseite redet von sich und gibt ihre Sichtweise.
  6. Verzicht auf persönliche Angriffe.
  7. Aktiv zuhören.
  8. Nie hetzen. Keine vorschnellen Urteile oder Vorurteile fällen. Fehlende Eile soll aber nicht heissen, das Zeitmanagement zu vernachlässigen.
  9. Der Anderen hat das Recht auf sein Denken, sein Fühlen und sein Handeln.
  10. Sachverhalte beschreiben, anstatt sie zu interpretieren.

Streitkeulen

Zu den klassischen Streitkeulen zählen:
  • Interpretieren
  • Urteilen
  • Unterstellen
  • Vorschnelle Diagnosen
  • Moralisieren
  • Spotten
  • Drohen
  • Rat-Schlagen


Im Streit zwischen Schawinski und Deltenre wurden folgende Gebote missachtet:
  • Gesetz 4: Aussagen wurden nicht geklärt.
  • Gesetz 5: Es fehlten die persönlichen Ich -Aussagen
  • Gesetz 6: Das Gegenüber wurde persönlich angegriffen
  • Gesetz 10: Sachverhalte wurden interpretiert und verurteilt anstatt Sachverhalte nach der Klärung genau zu beschreiben.




Nachtrag vom 27.4.05: Nichts gelernt?

Schon wieder liegen sich die zwei TV Direktoren in den Haaren und streiten öffentlich. Beim jüngsten TV- Knatsch geht es um Roman Kilchsperger. Schwawinski will ihn für Eine Sendung haben. Ingrid Deltenre sperrt sich dagegen. Kilchsperger ist enttäuscht. Wir fragen uns wiederum: Warum ist es nicht möglich unter vier Augen interne Konflikte auszutragen?


Mehr über Deltenre:
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