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Ein Sozialhilfefall hat im Zürcher Gemeinderat
und Medien zu einem Wirbel gesorgt.
Es geht um eine Notlösung in einem Hotel
für eine sechsköpfige Familie.
Wir beobachten das Medienverhalten der grünen
Zürcher Stadträtin Monika Stocker. Wir hatten das Medienverhalten von Stocker in einem Aktuellbeitrag vom 12. November, 2001 schon behandelt. |
Zur Situation:
Eine sechsköpfige Schweizer Familie ist laut einem Bericht von
"Tele Züri" (9. November 2004) seit September im "Hotel Zic Zac" in der
Zürcher Altstadt einquartiert. Für Erschütterung sorgten in der
Öffentlichkeit nicht etwa die offenbar schwierigen Lebensumstände
dieser Familie, sondern der 8'000 Franken von der Sozialhilfe finanzierte
Hotelaufenthalt. Auf den ersten Blick erweckt dieser den Eindruck eines
verschwenderischen Umgangs mit Steuergeldern. Die FDP reichte eine
Interpellation ein, die SVP doppelte mit einer zweiten nach und geisselte in einer
Fraktionserklärung die "Geldverschleuderung im Sozialdepartement".
Stadträtin Monika Stocker bestätigte den Fall.
Das zu einem Tagespreis von 230 Franken gemietete Hotelzimmer "sei eine
Zwischenlösung in einer Extremsituation". Wenn eine
sechsköpfige Familie in einem einzigen Zimmer untergebracht sei,
könne man aber kaum von einer Luxuslösung sprechen. Es handle sich
um ein in ganz prekären Umständen lebendes Paar mit damals
drei kleinen Kindern, wobei die Mutter zum Zeitpunkt des Einzugs ins
Hotel hochschwanger gewesen sei. Man habe die Familie, die man nicht
auseinander reissen wollte, dringend unterbringen müssen - in erster
Linie zum Wohl von Mutter und Kind. Den von der SVP vorgebrachten Einwand,
in Zürich seien zurzeit mehrere städtische Vierzimmerwohnungen
zu einem Viertel der Hotelkosten zu haben, kontert Stocker mit Verweis
darauf, dass man alle Möglichkeiten dieser Art schon vergeblich
geprüft habe. So sei die Familie beispielsweise aus einer Notwohnung
ausgewiesen worden und gehöre zu den ganz seltenen Fällen,
in denen man von einer Unfähigkeit zum selbständigen Wohnen
sprechen müsse: Sie sei nicht in der Lage, einen geregelten Haushalt
zu führen. Die Alternative zum Hotelaufenthalt hätte laut
Stocker gelautet, Mutter und Baby in einer Klinik unterzubringen, die
anderen Kinder in einem Heim und den Vater in der Notschlafstelle. Diese
Variante wäre den Steuerzahler mindestens dreimal teurer zu stehen
gekommen als die Hotelkosten, hält die Sozialvorsteherin fest. Ende
September ist das Baby der Familie zur Welt gekommen. Derzeit ist man
laut Stocker daran, eine längerfristige Lösung zu suchen.
Diese Argumentation wurde in der Öffentlickeit nicht akzeptiert.
Am 13. November 2004 erschien in der NZZ unter dem Titel
Stockers Sorge über "Vergiftung des Klimas"
ein von Urs Bühler geführtes Interview mit Stocker:
Stockers Antwort: Am 17. November 2004 erfolgte eine Erklärung der Sozialvorsteherin: Sie zeigte Verständnis für die Bedenken der Öffentlichkeit und versprach, die Fakten später offenzulegen. Stocker stellte umfassende Informationen über den Fall in Aussicht, der seit einer Woche zu reden gibt. Sie verstehe Ärger und Wut in der Öffentlichkeit. Aber die Reaktion mache ihr auch Angst: "Angst für das zukünftige Klima für Menschen am Rande in unserer Stadt", sagte Stocker. Wegen des (eidgenössisch geregelten) Daten- und Persönlichkeitsschutzes habe sie den wiederholten Forderungen der Öffentlichkeit um uneingeschränkte Auskünfte über den Fall bisher nicht nachgegeben. Stocker räumte ein, dass es ihr nicht gelungen sei, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass in diesem Einzelfall die einzige Alternative zur Hotelunterbringung "das Vierfache gekostet hätte". Sie werde sich deshalb bemühen, "nächste Woche alle wichtigen Fakten und Zusammenhänge zum umstrittenen Dossier vollumfänglich auf den Tisch zu legen". Dies im Zusammenhang mit zwei kurzfristig eingereichten Interpellationen von SVP und FDP. Das Parlament will demnächst entscheiden, ob diese Vorstösse dringlich erklärt werden, damit zum umstrittenen Fall möglichst schnell eine Debatte im Rat geführt werden kann. Nachdem die Sozialvorsteherin erkennten musste, dass die Rchtfertigungsversuche und die Worte des Überzeugens nichts gebracht hatten, entschloss sie sich für eine Informationssperre. Wir vertreten die Meinung, dass im bestehenden fortgeschrittenen Stadium der Skandalierung eine Informationsblockade ebenso falsch ist, wie das folgenschwere Schweigen und Abtauchen von Anita Fetz. Die Bevölkerung kann und will die Bezahlung der Hotelrechnung nicht verstehen, zumal sich gezeigt hat, das die Polizei beim Vater mehrmals vorsprechen musste, weil er mit dem Gesetz in Konflikt kam und die Kinder im Spital behandelt werden mussten. Für Stocker kommt der Fall in einem ungünstigen Moment, denn die Diskussion um die Sozialausgaben ist im Hinblick aufs kommende Budget recht aufgeheizt. Die Geschichte ist kein Einzelfall. Nach Stocker gibt es "etwa 10 Fälle pro Jahr" (NZZ 12/11/2004). Diese Zahl scheint die untere Grenze zu sein. Wie Departementssekretär Urs Leibundgut auf Anfrage bestätigt, gibt es in der Stadt Zürich pro Jahr 10 bis 20 Fälle, in denen Familien in Hotels untergebracht werden; noch dazu kommt die Unterbringung von Einzelpersonen - die Gesamtzahl dürfte also höher liegen. Leibundgut will keine genauen Angaben machen und verweist auf die Medieninformation vom kommenden Donnerstag. Bis zu diesem Zeitpunkt erteilt auch Monika Stocker den Medien keine Auskunft mehr. Die Stadträtin schweigt und mit dem Verzicht auf Informationen hilft der "Hotel- Familien" Fall, den von SVP-Politikern immer wieder vorgebrachten Vorwurf zu bestätigen, dass in Zürich Sozialhilfe zu grosszügig geleistet wird.
Wie geht es weiter? Monika Stocker muss überzeugendere Antworten auf die drängenden Fragen finden, wenn sie den Verdacht entkräften will, dass die Zürcher Sozialhilfe Steuergelder verschleudert. Sie könnte aber auch erklären, dass ein Fehler passiert sei ( Mea culpa) und versprechen, dass in Zürich künftig Hotelunterbringungen für Sozialhilfebezüger zurückhaltender angewandt werden. |
Nachtrag vom 25. November, 2004:
Überzeugende Information vom Donnerstag 25. November 2004. Die fürsorgeabhängige Familie, die vorübergehend in einem Zürcher Hotel untergebracht war, ist in die Agglomeration gezogen. Sozialvorsteherin Monika Stocker antwortete am Mittwoch auf Interpellationen der Gemeinderatsfraktionen von FDP und SVP zum umstrittenen Fürsorgefall. Die Familie - Vater, Mutter, drei Kleinkinder und später ein Neugeborenes - wohnte vom 13. September bis zum 15. November in einem Hotel der Stadt Zürich. Insgesamt habe dies die Stadt 11'840 Franken gekostet - durchschnittlich 6'000 pro Monat. Dazu kommen Lebensunterhaltskosten von rund 2500 Franken. Zusätzliche, nicht bewilligte Hotelauslagen werden der Familie von der Unterstützung abgezogen. Von einem Kindermädchen oder dergleichen könne keine Rede sein. Da die Bündner Familie nicht in Zürich angemeldet war, muss nun der Heimatkanton Graubünden der Stadt die Unterstützungskosten zurückzahlen, so Stocker. Der Stadt Zürich erwachsen also keine Kosten. Die Familie war in den letzten Jahren immer wieder nach Zürich gekommen und wieder weggereist. Der Mann wird seit 1997, die Familie seit 2000 unterstützt. Unterbrüche gab es, wenn sie weggezogen war oder versuchte, sich selbst über Wasser zu halten. Mit der offene Information der Sozialministerin machte sie wieder Boden gut. Was überzeugte, war das Eingeständnis, man hätte früher offensiver informieren müssen. Im Interesse des Persönlichkeitsschutzes habe sie gegenüber der Öffentlichkeit bewusst geschwiegen. Auch im jüngsten Interview im Tagesanzeiger ist spürbar, dass Monika Stocker Verständnis gegenüber kritischen Stimmen hat. Früher oder später geht nämlich die Rechnung nicht mehr auf. Die Sozialleistungen werden nicht laufend erhöht werden können, wenn sonst in allen anderen Bereichen Geld fehlt und gespart werden muss.
Kommentar: Monika Stocker argumentiert geschickt, eindeutig und konsequent. Die Argumentationsschritte tönen logisch. Sie geht gar nicht auf Mängel oder Sparvorschläge ein. Grundtenor: Ich habe einen Auftrag und den muss ich erfüllen. Ich kann nicht sparen, weil wir Ja gesagt haben zur Integration. Ich habe etwas gelernt von der Hotelgeschichte. Ich werde die Kompetenzregelung ändern. Der Hotelfall ist eine Ausnahme! Den Vorwurf, man übe zu weinig Druck auf die Sozialhilfempfänger aus, weist Stocker vehement zurück. Sie setzt mehrere Stopsignale. Wenn wir A sagen zum sozialen Netz, so müssen wir auch B sagen und zahlen. |
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