rhetorik.ch aktuell:
Rhetorik.ch


Knill+Knill Kommunikationsberatung

Knill.com

www.rhetorik.ch aktuell: (5. Januar, 2002)


Wie aus Minus ein Plus werden kann


Ruth Dreifuss, Photoquelle www.sp-ps.ch Seit 1996 ist das Krankenversicherungsgesetz (KVG) in Kraft. Bundesrätin Ruth Dreifuss sicherte damals den Versicherten zu, dass mit dem neuen Gesetz die Kosten gesenkt und die Krankenkassenbeiträge verbilligt würden.
Es kam aber anders: Die Prämien stiegen. Oft so massiv, dass es zu Stürmen der Empörung kam. Angehörige der Halbprivat- und Privatversicherten bekamen Probleme, vor allem ältere Versicherten die von einer fixen Rente leben. Dem finanziellen Druck konnten einige nur noch mit einem Ausstieg aus der Privatversicherung entziehen. Vielfach waren es Leute aus dem gehobenen Mittelstand, die für lange Zeit erhebliche Beiträge einbezahlt hatten und damit gerechnet hatten, im Alter von einer guten Pflege profitieren zu können. Mit dem neuen System dürfen die Versicherungen die Prämien laufend anpassen. Die bürgerlichen Parteien sprachen davon, dass die "Versicherung" zu einer "Steuer" geworden sei.
Das regelmässige Wehklagen über die Prämienerhöhungen beeindruckte den Bundesrat kaum. Auch erboste Leserbriefe und zahlreichen Streitgespräche in den Medien über die unbefriedigende Situation bewirkten nichts. Es gelang nicht, die Kosten in den Griff zu bekommen.
Dass etwas mit dem System nicht stimmen kann, ist mittlerweile offenkundig. Das Gesundheitswesen ist selbst krank geworden. Der Misserfolg des neuen Gesetzes wurde aber von der Magistratin nie offen eingestanden. Als Gründe wurde hohe Ärzkosten, teurere Medikamente, und Geräte oder die erhöhten Ansprüchen der Patienten angegeben, Es sei nicht klar, wie sehr die Kosten ohne Krankenversicherungsgesetz gestiegen wären. Die rasanten Fortschritte von technischen, medikamentösen und neuerdings auch die genetischen Möglichkeiten brächten unweigerlich Kostenvergrösserungen, ohne Krankengesetz gar noch viel mehr.
Die Bundesrätin verstand es über Jahre hinweg gut, trotz der Kostenfehlprognose das Bild einer erfolgreichen Politikerin zu bewahren. Das Minus erschien in den Medien immer wieder als ein Plus.
Bei diesem Phänomen interessierte es uns, ob es die Rhetorik oder die Persönlichkeit der Bundesrätin war, die ein positives Bild der Geschichte verantwortlich ist. Oder akzeptierten die Leute die durch den medizinischen Fortschritt vergrösserten Kosten?
Wir gingen bei 150 Personen dieser Frage nach, und fragten sie, wie für sie die Bundesrätin Dreifuss bei den Medienauftritten wirkte. Es interessierte uns vor allem, ob das beschriebene Phänomen etwas mit dem kommunikativen Verhalten der Bundesrätin zu tun haben könnte. Die Umfragen zeigten tatsächlich, dass Bundesrätin Dreifuss stets stark über ihr Äusseres und über ihre Stimme wirkt und so die Aussage der Beeinflussungspyramide unten bestätigt.
Viele Befragte sehen in Frau Dreifuss eine bescheidene, konservative Frau, die stets freundlich, ruhig und vertrauenserweckend auftritt. Auch von bürgerlicher Seite wurde der Magistratin Glaubwürdigkeit attestiert.

Inhalt
Stimme
Persönlichkeit
Das Beispiel illustriert, dass das wie bei Kommunikationsprozessen oft viel mehr bewirken kann, als der Inhalt von Aussagen. Die Geschichte zeigt, dass auch eine unangenehme Situation positiv verkauft werden kann. Lesen Sie über dieses Thema auch den Beitrag über Beeinflussen.


Nachtrag vom 6. Februar Trotz Anfeindungen von bürgerlicher Politer gibt Ruth Dreifuss nicht auf. In verschiedenen Interviews versteht es die Bundesrätin, ihre Botschaften zu platzieren.
  • Die Verantwortung für die Sorgen der Bevölkerung liegt hinsichtlich Krankenkassenprämien beim Gesamtbundesrat. Damit wird die Last verteilt.
  • Auf die Frage, ob das Ganze eine inszenierte Strafaktion gegen sie sei, antwortete sie: "Das ist ein Strafaktion gegen die Familien mit mittleren Einkommen."
  • Ruth Dreifuss findet die Niederlagen Ansporn zum Weiterkämpfen und zeigt bei allen Befragungen eine erstaunliche Standfestigkeit. Sei vergleicht ihren Kampf mit einem Marathonlauf.
Der Machtkampf ist noch nicht ausgestanden. Es wird sich zeigen, ob sich diese konsequente Haltung langfristig auszahlt.

Nachtrag vom 8. Februar. In der Medienlandschaft wurden während der letzten Tage Ein "Fall Dreifuss" konstruiert. Die Vorschläge der Bundesrätin zur Reduktion der Gesundheitskosten wurden abgelehnt. Einige Medien verlangten hierauf die "Entmachtung" der sozialdemokratischen Politkerin, verbunden mit Rücktrittsforderungen. Das Thema "Unzumutbare Kostensteigerung" wird in den Medien sicherlich ein Dauerbrenner bleiben. Niemand weiss nämlich, wo konkret der Hebel angesetzt werden soll. Alle Staaten sind mit dieser Thematik konfrontiert. Jeder Bürger wünscht im Krankheitsfall die modernsten Einrichtungen, die besten Spezialisten und die teuersten Medikamente. Tatsache ist, dass die Prämien laufend steigen.
Wenn gespart werden muss, gilt es jedoch, irgendwo den Rotstift anzusetzen - aber wie und wo? Diese Woche wird im Schweizer Fernsehen über die Gesundheitspolitik an der Arena einmal mehr debattiert. Zentraler Streitpunkt wird die Kostenverteilung sein. Ruth Dreifuss setzt sich vehement für eine Umverteilung ein. Sie will lohnabhängige Prämien durchsetzen. Doch die Bürgerlichen Parteien werden diesen erneuten Versuch einer Umverteilung mit grosser Wahrscheinlichkeit bodigen. Die Auseinandersetzung ist somit nicht abgeschlossen. Uns interessiert vor allem die Frage: Wie wird sich die Bundesrätin in den Medien schlagen?


Rhetorik.ch 1998-2012 © K-K Kommunikationsberatung Knill.com