Letzten August hat das Deutsche Bundesverfassungsgericht beschlossen,
dass bei der Geburt neben der Geschlechtsoption ``männlich" und
``weiblich", auch ``divers" angegeben werden kann. Bei Stelleninseraten
gesellt sich nun neuerdings zum m/w auch ein d dazu.
20 Min:
Es sorgt für Verwirrung: Das zusätzliche "d" in
Stelleninseraten. Bis vor kurzem benutzten Firmen lediglich "m/w"
(männlich/weiblich), um sicherzustellen, dass sich beide Geschlechter
angesprochen fühlen. Doch jetzt sind auf Job-Portalen plötzlich
zahlreiche Stellen mit dem Zusatzvermerk "m/w/d" gelistet.
Hintergrund: In Deutschland gibt es seit Anfang Jahr offiziell ein
drittes Geschlecht. Menschen, die sich weder dem männlichen noch
dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, können sich als "divers"
im Personenstandsregister eintragen lassen.
Das hat Auswirkungen auf die Arbeitgeber: Um nicht mit dem
Gleichbehandlungsgesetz in Konflikt zu geraten, müssen sie
ein "d" für divers oder ein "i" für intersexuell bei
Stellenausschreibungen hinzufügen.
Jetzt folgen erste Schweizer Firmen dem Beispiel aus Deutschland. Auf der
Onlineplattform Jobs.ch sind zurzeit 1822 Stellen mit dem Zusatzvermerk
"m/w/d" zu finden. Auf 100000jobs.ch sind es rund 700 Stellen. Viele
davon haben ihren Hauptsitz in Deutschland, wie etwa die Drogeriekette
Müller. Obwohl in der Schweiz keine Pflicht für das "d" in
Inseraten besteht, sucht die Kette am Standort Basel beispielsweise einen
"Kassierer m/w/d".
Trans und intersexuelle Menschen erhofften sich durch das Gesetz erst
mehr Gleichberechtigung. Unterdessen ist die LGBTIQ Szene jedoch der Meinung, man solle das Gesetz stoppen:
Sueddeutsche vom 11. November. Der Grund:
"Der Geschlechtseintrag "divers" kann nur gewählt werden, wenn durch
ein ärztliches Attest nachgewiesen wird, dass das Geschlecht
weder "männlich" noch "weiblich" ist. Das Gesetz wäre
an körperliche Beschaffenheiten gekoppelt. Geschlechtliche
Identität ist allerdings sehr viel mehr und komplexer. Sie auf
Körperlichkeiten zu reduzieren, greift viel zu kurz und ist
diskriminierend."
Die
Seite
gibt Daten. Zwischen 0.2 und 0.5 Prozent der Bevölkerung sind nicht eindeutig Mann oder
Frau. Ursache ist meist eine Abweichung im Hormon oder Chromosomenstatus.
Während früher bei Kindern die intersexualität schell nach
der Geburt operiert wurde, sehen die Ärzte heute das Phänomen differenzierter.
Die Sache ist meist irrelevant, doch gibt es Bereiche, wo man sensibel ist. So etwa
beim Sport wo eine Geschlechtertrennung bei Rennen gemacht wird. In den USA gab
das Thema vor allem im Zusammenhang mit Duschen, WC's oder Garderoben viel
Diskussionen geführt wurden.
Sueddeutsche:
Männlich, weiblich, divers - so lautet die neue Geschlechterordnung
in Deutschland. Von Januar an gibt es ein drittes Geschlecht im
Geburtenregister. Was ist divers? Was ist intersexuell? Genau wissen das
die wenigsten, darum sind die Berührungsängste auch gross. Und
so hat der Bundestag mit dieser Änderung des Personenstandsrechts
zwar einen wichtigen Schritt getan, traut der Sache jedoch selbst nicht
ganz. Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen
oder die Empfindung haben, im falschen Körper zu leben, müssen
nämlich weiterhin mit Attest oder eidesstattlicher Versicherung beim
Standesamt vorsprechen, um ihren Eintrag ändern zu lassen. Das ist
Fremdbestimmung, das ist übergriffig.
Dass die Spezies Mensch aus mehr als Mann und Frau besteht, hat das
Bundesverfassungsgericht klar zum Ausdruck gebracht. Bislang gab es
jedoch nur die Möglichkeit, dass Standesbeamte die Geburt ohne
Geschlechtsangabe eintrugen. Diese Lücke in der Rubrik, in der
sonst "männlich" oder weiblich" steht, werteten die Richter als
Verstoss gegen das Persönlichkeitsrecht. Denn eine geschlechtliche
Identität hat jeder Mensch, auch wenn sie manchmal nicht eindeutig
ist. Intersexualität Drittes Geschlecht im Geburtenregister
möglich Bundestag Drittes Geschlecht im Geburtenregister möglich
Nach der Geburt ist künftig auch die Angabe "divers"
möglich. Bei späteren Änderungen ist jedoch ein
ärztliches Attest nötig. Das stösst auf scharfe Kritik.
Der Umgang der Gesellschaft mit Intersexuellen war immer diffizil: Da
gab es sagenhafte Zwitterfiguren, halb Mann, halb Frau, geheimnisvolle
Hermaphroditen in der Mythologie - und es gab und gibt grosse
Verunsicherung, wie genau es um Menschen steht, die nicht in das
vorgegebene Raster passen. Bei Intersexuellen können Chromosomen,
Hormone, die inneren oder die äusseren Geschlechtsorgane nicht
eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet
werden. Mal scheint es eine Mischung aus beidem zu sein, mal ist kein
Penis entwickelt, mal eine Vagina. Es gibt etwa 100 000 Intersexuelle
in Deutschland.
Die gesetzliche Einführung des Wortes "divers" ist
überfällig, um zu zeigen, dass Vielfalt normal ist. Denn
noch immer lassen verunsicherte Eltern Kinder operieren, wenn deren
Geschlechtsmerkmale verwirren. Oft geschieht dies ohne medizinische
Notwendigkeit. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf sah vor, dass sich
unter "divers" nur registrieren lassen darf, wer ein ärztliches
Attest vorlegt. Nun wurde das Gesetz auf Protest der Grünen hin
zwar abgemildert; es werden Intersexuelle ausgenommen, die nachweislich
traumatisiert sind durch Ausgrenzung, Operationen und unzählige
Begutachtungen. Bei ihnen reicht eine Versicherung an Eides statt.
Aber dies ist eine kleinliche Hürde, um in Bahnen zu lenken,
die nicht mehr existieren. Geschlechtliche Identität ist mehr als
Penis und Vagina. Sie ist komplexer, sie hängt von der Psyche und
vom Selbstempfinden ab. Sie ist ein Abwägen und ein Insichgehen,
oft nach schmerzvollen Prozessen. Der Mensch kennt sich und seinen
Körper selbst am besten. Dafür braucht es keine Diagnose.
Jeder Mensch sollte sein Geschlecht so eintragen lassen dürfen,
wie er es will und wie er es fühlt. In Argentinien, Dänemark,
Malta, Norwegen, Belgien oder Chile ist das längst Usus. Ein Attest
will auf dem Amt niemand sehen. Das befürchtete "Gender-Chaos"
in all diesen Ländern ist übrigens ausgeblieben. Denn aus Jux
und Tollerei ändert niemand mal so eben sein Geschlecht.