Spiegel:
Die pompöse Trauerzeremonie für Nordkoreas toten
Diktator Kim Jong Il hat beeindruckende Bilder geliefert, aber auch einige
Fragezeichen hinterlassen: Warum beweint ein geknechtetes Volk seinen
toten Diktator? Was ist in der Gesichtern am Strassenrand zu sehen -
echte oder gespielte Trauer? Was ist Emotion, was Inszenierung?
Man weiss es nicht genau. Doch so viel ist sicher: Die perfekten
Bilder vom Trauerzug durch das verschneite Pjöngjang waren etwas
zu perfekt.
Zwei Fotojournalisten der "New York Times" ist das zumindest an
einem Beispiel aufgefallen. Es geht um ein Bild vom Trauerzug auf dem
Kumsusan-Gedächtnisplatz in Pjöngjang. Die Prozession mit
mehreren Wagen schiebt sich über die verschneite Strasse. Vorne
fährt die Limousine mit grossem Kim-Porträt auf dem Dach. Am
Strassenrand in Reih und Glied: das Volk.
Es ist ein ästhetisches Bild, das Nordkoreas staatliche
Nachrichtenagentur KCNA in die ganze Welt geliefert hat und verschiedene
westliche Agenturen weiterverbreitet haben.
Ein weiteres Foto der japanischen Agentur Kyodo News wurde von derselben
Stelle aufgenommen. Die Wagenkarawane ist nur wenige Meter vorangefahren -
und am linken Bildrand steht ein Kamerateam, von dem auf dem offiziellen
nordkoreanischen Foto jede Spur fehlt. Fünf Menschen und eine Kamera.
Bildreadakteure der "New York Times" schauten sich die zwei Fotos zusammen
mit dem Bildmanipulationsexperten Hany Farid vom Dartmouth College genauer
an. Ihr Ergebnis: Die staatliche Agentur hat die fünf Menschen und
die Kamera mit Photoshop wegretuschiert.
(...)
Warum dann die Retusche? Auch das ist unklar. Vielleicht störte
sich ein eifriger, regimetreuer Redakteur in Nordkorea einfach an dem
Grüppchen, das als einziges nicht in Reih und Glied stand. Oder
es sollte unbedingt der Eindruck vermieden werden, bei der Zeremonie
handle es sich vor allem um eine auch für die Medien arrangierte
Inszenierung.
Allzu gründlich war die Bildmanipulation allerdings nicht: Ein
weiteres Foto der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur,
über die Agentur AFP verbreitet, wurde von der selben Stelle
aufgenommen. Es zeigt den Konvoi etwas später. Jetzt fährt die
Limousine mit Kims Sarg vorbei, und am linken Rand steht plötzlich
wieder: das Kamerateam.
Auch bei den Bildern der trauernden Menschen in Nordkorea fragt sich der
westliche Zuschauer, wieviel da authentisch ist, oder vieviel gespielt wird.
Es gilt auch zu berücksichtigen, dass die
Menschen seit Jahrzehnten indoktriniert wurden. Man fügt sich in
das Verhalten der Massen ein.
Aus dem "Blick":
Am Strassenrand wehklagen die Menschen in Nordkorea, als der Sarg von Kim
Jong II an ihnen vorbeigeführt wird. Schreie sind zu hören,
offen zeigen die Nordkoreaner ihre Trauer um ihren verstorbenen
Führer.
Die Fernsehsprecherin des staatlichen Senders selbst stimmt in das
orchestrierte Wehklagen ein, kommentiert schluchzend die Bilder der
Prozession.
Eine derart zur Schau gestellte Trauer mutet seltsam an - zumal
Gefühlsausbrüche im "Land ohne Lächeln" für westliche
Augen selten zu beobachten sind. Sind die Tränen der Nordkoreaner
wirklich echt oder reine Propaganda?
Eine grosse Rolle dürften die Fernsehkameras spielen, die über
die Menschenmenge gleiten. Zur "Los Angeles Times" sagt ein Professor,
der sich an die Beerdigung von Kim Jong IIs Vater erinnert. "Wenn eine
Kamera auf dich gerichtet ist, hast du das Gefühl getestet zu werden
und deine grösste Trauer zeigen zu müssen."
Ein Journalist, der mittlerweile in Südkorea lebt, sagt der Zeitung:
"Wenn alle anderen weinen, fängst du auch an. Das ist die Psychologie
der Masse." Bei der Beerdigung von Kim Il Sung habe er seinen Kopf
gesenkt, damit niemand sehen konnte, dass er gar keine Tränen
vergoss. Und eine Lehrerin berichtet, dass ihre Kinder Speichel ins
Gesicht schmierten, um Tränen vorzutäuschen.
Auch Ostasien-Experte Rüdiger Frank vermutet, dass die Kameras eine
grosse Rolle spielen. Zu "NZZ Online" sagt er: "Es ist natürlich
immer auch Schauspiel dabei, wenn Fernsehkameras dabei sind. Man weiss
ja nie, wer das nachher im Fernsehen sieht und sich Notizen macht."