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Mit Massenmedien umgehen können will auch heissen, die Gesetzmässigkeiten der Massenkommunikation und die wichtigsten Phänomene der Massenpsychologie kennen. |
Photo von Olivier Vogelsang (Tribune de Genève) Aus: Swiss Press Photo, Band 97 Bestell Nr: ISBN 3-7165-1077-7 |
Psychologie der Massen |
Alle kennen die Phänomene bei
Massenveranstaltungen wie
Sportanlässen, Rockkonzerten.
Es sind nicht nur Teenies, die
vor ihrem Idol in der Masse
kreischen, weinen und sogar in
Ohnmacht fallen können. Auch
Erwachsenen wird in
Massenveranstaltungen der
Verstand vernebelt. Der französische Mediziner, Philosoph und Politiker Gustave Le Bon (1841-1931) hat die wichtigsten Gesetze der Massenkommunikation erforscht. In seinem Buch "Psychologie der Massen" schildert er, wie die Massen geführt, aber auch verführt werden können. Die Prinzipien sind seit jeher ähnlich. Im Zeitalter der Massenmedien erkennen wir tagtäglich Politiker, die zu den altbewährten Mitteln der Massenmanipulation greifen (siehe auch Beeinflussen). Der geistige Zustand der Massenseele wird über das Gefühl, über Emotionen gesteuert. Der Mensch ist in der Masse gleichsam ein Triebwesen. Das gebildete, rational denkende Individuum kann in der Masse heftig aufbrausen, wild werden und überreagieren. Die Masse ist nicht nur triebhaft und wandelbar. Die Masse lüsst es auch nicht zu, dass ihr jemand ein Hindernis aufbaut auf dem eingeschlagenen Weg zum Selbstverwirklichunsprozess der Gemeinschaftsseele. In der Masse entwickelt sich das Bewusstsein einer enormen Kraft. Starke Ausdrücke verstärken diesen Prozess. |
Zum Stil grosser Demagogen gehören grosse Worte |
Die geforderten Tatbeweise
werden mit Ruhm, Ehre,
Vaterland, höheren Werten
gekoppelt. Die grossen Wortbilder schweissen die Massen zusammen. Begriffe wie Gleichheit, Friede, Gerechtigkeit sind schwer erklärbar. Doch das Unbestimmte, vermischt mit konkreten Bildern, verstärkt diese geheimnisvolle Macht. Die Macht eines Schlüsselwortes kann so gross werden, dass für die Masse selbst unangenehme Dinge annehmbar werden. Die Masse lässt sich am besten mit suggestiven Elementen steuern. Dazu gehören immer Bilder oder einfachste bildhafte Erscheinungen. |
Wer verführerische Bilder evozieren kann, hat bei Massen ein leichtes Spiel |
Jeder Massenverführer merkt, welche Bilder beim jeweiligen Publikum hervorgerufen werden müssen. Nur wer die einfache, bildhafte Sprache beherrscht, kann den Massen die entsprechenden Ideen übermitteln. |
Verbindungen, Analogien werden jedoch nicht logisch verknüpft. |
Blosse Ähnlichkeit und
einleuchtende Verknüpfungen
genügen, so wie bei einem
Eskimokind, das aus der
Erfahrung weiss, dass ein
glasklarer Eiswürfel im Mund
schmilzt und nun daraus
schliessen müsste, dass auch
ein klarer Glaskörper im Mund
schmilzt. Dieser Vergleich
(Glaskörper schmilzt im Mund)
leuchtet vorerst ein, ist aber nicht
richtig. Ein weiteres Merkmal der Massenlogik ist die Verknüpfung ähnlicher Dinge. |
Vorschnelle Schlüsse, Verallgemeinerungen dominieren |
Logische Ketten, die
wissenschaftlich untermauert
sind, überfordern die Massen. Demagogen appellieren deshalb nie an den Geist oder die Vernunft. Alles, was die Phantasie der Massen erregt, erscheint vielmehr in der Form eines packenden, klaren Bildes. Nicht die Fülle von Hunderten von Fakten wirkt auf die Phantasie von Massen. |
Ein einziges Bild kann mehr erschüttern als unzählige kleine Tatsachen. |
Wir erinnern uns an die
Aufnahme eines fliehenden
Kindes mit verbrannter Haut im
Vietnamkrieg oder das Bild eines
schreienden Robbenbabys, das
mit einem Knüppel getötet wurde. Nicht viele kleine Tatsachen sondern eine grosse Sache, die immer wieder gezeigt wird, erregt die Phantasie der Massen. Ein packendes Bild erfüllt den Geist, verdichtet eine komplexe Aussage und ergreift die Massen. Auch die Werbung nutzt dieses Phänomen. |
Die Weltanschauung ist alles |
Thesen und Meinungen finden bei der
Masse nur dann fruchtbaren Boden, wenn
sie eine weltanschauliche Form
angenommen haben und wenn sich
diese Weltanschauung jeder
Auseinandersetzung entzieht. Tatsachen, welche der Masse missfallen, werden negiert. Die Masse zieht es vor, selbst Irrtümer zu vergöttern; sie müssen lediglich den eigenen Gefühlen entsprechen. Deshalb gilt bei der Beeinflussung der Masse: |
Gefühle statt Logik |
Die Gesetze der Logik haben auf
die Masse kaum Wirkung. Ein Massenverführer wird deshalb immer zuerst den Eindruck erwecken, dass er die Gefühle der Masse teilt, um nachher diese Gefühle zu verändern; indem beispielsweise mit angedeuteten Ideenverbindungen neue Bilder hervorgerufen oder erzwungen werden. |
Folgende Überzeugungsmittel sind bei der Beeinflussung von Massen wichtig: |
Führerpersönlichkeiten mit grosser suggestiver Macht |
z.B. Savonarola, Luther, Hitler,
Lenin... Die meisten Menschen
sind nicht imstande, sich selbst
zu leiten. Sie schätzen Anführer,
die ihnen Entscheide abnehmen
und die für sie zu Wegweisern
werden. Eine erfolgreiche Persönlichkeit hat es viel einfacher, Einfluss zu nehmen. Menschen mit Erfolg und Nimbus (Sportler, Stars, Menschen mit Titeln oder grossem Bekanntheitsgrad) haben die beste Voraussetzung, Menschen zu beeinflussen. Doch genügt der Nimbus allein nicht. Der Manipulator muss auch grossspurige Versprechen machen und die Gegner moralisch diskreditieren. |
Sofort mitreissen |
Es gilt, rasch Einfluss zu
nehmen. Dies ist ein bewährtes
Rezept. Also keinenfalls zögern. Dauerhaftes Beeinflussen von Massen ist gepaart mit:
Durch das einstimmige Wiederholen bildet sich ein Meinungsklima. Die Massen übertragen hierauf die Ideen und Gefühle auf andere Menschen. Dieser Übertragungsprozess kann mit der Ansteckungskraft von Mikroben verglichen werden. |
Die Nachahmung bestärkt die Wirkung bei der Übertragung |
Alle kennen bei der Mode die Kraft der Nachahmung. Wenige können einer Mehrheit das Verhalten aufzwingen. Doch dürfen neue Verhaltensweisen nicht allzuweit von den überkommenen Ideen entfernt sein. Die Nachahmung ist dann zu schwierig, wenn die Nachahmung eine zu grosse Veränderung verlangt. Vordenker, die ihrer Zeit überlegen sind, werden kaum nachahmt. Denn: Der Abstand zur Massenmeinung ist zu gross. |
Massenmedien und Massenkommunikation |
Wer sich mit Massenmedien
beschäftigt, weiss, dass auch
hier Phänomene der
Massenpsychologie im Spiel
sind. Wir beleuchten an dieser
Stelle nicht alle Erkenntnisse der
Manipulationsmöglichkeiten
(siehe Beitrag
Macht der Medien, sondern wir
bedenken an dieser Stelle nur
jene Aspekte, die im Umgang mit
Massenmedien bei Auftritten -- in
der Praxis vermehrt beachtet
werden sollten. Es ist und bleibt eine Tatsache, dass die Adressaten bei Massenmedien die Massen sind. Diese Medien streben begreiflicherweise hohe Einschaltquoten an und streichen in der Regel zuerst jene Sendegefässe, die bei den Massen keine Akzeptanz finden. Wer vor Mikrofon und Kamera reden muss, müsste sich deshalb immer bewusst bleiben: Die Masse ist der Adressat. Und damit gilt es gewisse Prinzipien zu beachten: |
Strassengängig reden |
Wer die Sprache nicht dem
jeweiligen Durchschnittspublikum anpassen
kann, muss dies lernen.
"Strassengängig reden" heisst:
die Sprachebene der normalen,
alltäglichen Umgangssprache
wählen, einfach, konkret und
verständlich (wie an einer Party). In der Praxis zeigt sich tagtäglich: Das Einfache ist deshalb für viele nicht einfach, weil zu kompliziert und mitunter mit zu vielen Substantiven gesprochen wird. Obschon bekannt ist: Verben, Verben, Verben benutzen. Ein weiterer Grund für eine zu hohe Sprachebene ist die falsche Vorbereitung: Anstatt mit Stichworten werden die Aussagen oft schriftlich vorformuliert und nachher auch von den schriftlichen Notizen unmittelbar in die Mundart übertragen. Eine Rede ist bekanntlich keine Schreibe. |
Vergleiche, Beispiele, passende Bilder |
Selbst komplexe
Zusammenhänge, abstrakte
Sachverhalte können mit einer
Metapher, einem Beispiel oder
einer passenden Geschichte
greifbar (begreifbar) gemacht
werden. Ein Jet-Pilot der "Patrouillesuisse" antwortete auf die Frage: "Es braucht gewiss grosses Training, so nahe nebeneinander zu fliegen, nicht wahr?" mit folgender verständlichen Analogie:
Jeder Zuhörer aus dem Publikum, der kein Pilotenbrevet besitzt, jedoch tag-täglich Auto fährt, konnte sich dank dieses Vergleiches ein Bild machen. Die Analogie "Pilot-Autofahrer" wurde somit zum Verständlichkeitshelfer. Die bildhafte, kurze Antwort war vorstellbar, begreifbar. Beim Coaching von Führungskräften im Fernseh- und Rundfunksimulator zeigt sich immer wieder: Die Bildsprache muss neu erlernt werden. Bei der Massenkommunikation stellt sich die berechtigte Frage: "Warum haben wir das Spiel mit Beispielen verlernt?" Gefragt sind einfache Vergleiche, Bilder und Geschichten, ohne dass damit der komplexe Sachverhalt verfälscht wird. |
Emotional argumentieren |
Bei Alltags-Kommunikationsprozessen geht
es in den Massenmedien nicht
ums Manipulieren, wohl aber
ums Überzeugen. Wer die Emotionen amputiert, wer echte Begeisterung nicht ausdrücken kann, der wird auch bei Massenmedien kaum überzeugen können. Wie heisst es so schön: "Wenn in dir kein Feuer brennt, wirst du auch das Feuer im Herzen der Mitmenschen nicht entflammen können". Emotionale Argumentation wirkt nachhaltiger. Doch müssen die Emotionen echt sein. Sie dürfen nicht gespielt werden. (Wird meist entlarvt.) Emotionen und Aussage müssen übereinstimmen (Psyche und Logik sind synchron, d.h. wir kommunizieren psychologisch). (Vergleichen Sie auch die Erkenntnisse aus den den Ogi-Medienauftritten). |
Kurz und konkret |
Das Hauptproblem ist und bleibt das Dilemma, gleichzeitig kurz und konkret zu sein. Beschreiben wir einen Sachverhalt ausführlich, sind wir in der Regel viel zu lang; antworten wir hingegen sehr kurz, so fehlen meist wichtige Zusatzinformationen. Bei Massen-Medien müssen nun Sprechende beide Erfordernisse unter einen Hut bringen können: Kürze und Ausführlichkeit. In den kurzen Antworten oder Voten von 20-30 Sekunden muss ebenfalls ein stimulierendes Bild oder eine Geschichte oder ein Beispiel untergebracht werden können. Siehe Beiträge: Balance, Hohle Phrasen und Wichtiges erkennen. Diesen Hochseilakt müssen wir beherrschen. Er ist erlernbar. |
Fazit |
Angewandte Medienrhetorik ist
keine Manipulationsschulung.
Wer überzeugen will, muss jedoch
die wichtigsten Prinzipien der
Massenkommunikation und
Massenpsychologie kennen, um
nicht Opfer der
Manipulationstechniken zu
werden. Wer manipuliert, wer
überzeugt, übt aber immer
Einfluss auf Mitmenschen aus.
Nur weil Beeinflussungstechniken
missbraucht werden können,
dürfen wir das Einflussnehmen
nicht generell ablehnen. Worte und Bilder sind wie Medikamente. Sie können helfen, aber auch missbräuchlich verwendet werden. So wie ein Arzt den Umgang mit starken Mitteln nicht missbrauchen darf, so sind wir stets gehalten, die wirkungsvollen Beeinflussungsmöglichkeiten verantwortungsvoll zu nutzen. |
Dieser Beitrag ist in der Zeitschrift "Achtung Sendung", Nr. 8/2000 erschienen. |
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