Der "Blick" vom 22. Mai wusste zu berichten, dass
die Brundsräte Leuthard und Calmy-Rey einen "Zicken-Krieg" führen.
Immer wieder stellt sich die Frage: Weshalb werden Auseinandersetzungen
bei Frauen besonders genüsslich ausgewalzt? Es kommt zwar auch vor
- aber seltener- dass Missstimmungen zwischen Männern publiziert
werden. Doch sehen wir dies seltener. Es ist erstaunlich,
dass "Blick", der bis anhin Micheline Calmy-Rey sehr wohlwollend behandelt
hatte, nun die angebliche Rivalität zu einer Kollegin so gross aufgemacht
hat. Hat das Sommerloch begonnen? Bei anderen Medien findet man die Geschichte nicht.
Wer den Text genauer liest, erfährt dann im Beitrag
"Spieglein, Spieglein an der Wand..." lediglich, dass die beiden
Frauen Mühe miteinander haben.
Das wird dann als "leidenschaftlicher Zickenkrieg" ähnlich dem
Hahnenkampf Couchepin- Blocher aufgemacht. Wer
Konkreteres wissen möchte, erfährt nur, dass die
Genfer Sozialdemokratin Leuthard wenige Wochen nach Amtsantritt den
"Fedehandschuh" hingeworfen habe. Damals wollte Calmy Rey angeblich den
Sitz als Gouverneurin bei der Weltbank. Ein Prestigeposten, der in der
Schweiz traditionell der Wirtschaftsminister zusteht. Den Posten erhielt
dann auch Leuthard. Später sei es immer wieder zu heftigen,
halböffentlichen Auseinandersetzungen gekommen:
Der "Blick" wärmt alte Geschichten auf:
- Gegen Calmy-Reys Wille wurden im Oktober 06 die Imageorganisationen
"Präsenz Schweiz" und "Schweiz Tourismus" in Leuthards EVD
zusammengelegt.
- Im Januar 07 habe Calmy-Rey den Bundesrat dazu bringen wollen, auf
diese Zusammenlegung zurückzukommen.
- Im Mai 07 habe der Bundesrat die beiden Frauen gezwungen, gemeinsam
die Neuordnung von Entwicklungshilfe und Aussenwirtschaft vorzubereiten.
Doch die beiden Frauen hätten sich nicht einigen können.
- Im Juli 07 habe dann Leuthard im Alleingang ein Konzept für den
Totalumbau der Entwicklungszusammenarbeit vorgelegt. Calmy-Rey sollte
sich nur noch um die armen Länder kümmern. Calmy Rey-habe
sich darauf erfolgreich gewehrt.
- Dann folgt eine neuere Geschichte (Februar 08): Leuthard habe
vorgeschlagen, dass PC- 9 Flugzeuge der Pilatuswerke nicht mehr
an Länder - die Entwicklungshilfe beziehen - geliefert werden
dürften. Calmy-Rey habe darauf erfolgreich protestiert. Leuthard
sei in diesem Fall aufgelaufen.
Die beiden Bundesrätin sollen kaum mehr miteinander reden. Beide
Politikerinnen seien machtbewusst und hätten Erfolg. Beiden gehe
es vor allem um die Gunst in der Bevölkerung. Das bringe vor
allem Probleme.
Kommentar: Diese Frontgeschichte der Boulevard Press hat nichts
mit echten politischen Sachverhalten zu tun. Sie ist ein Musterbeispiel,
welche Bedingungen des Boulevardjournalismus erfüllt sein
müssen, dass die Story gross aufgemacht werden kann: Es geht um
- Personalisierung (zwei bekannte Persönlichkeiten sind die Akteure)
- Emotionen (Eifersucht, Streit)
- etwas Aussergewöhnliches
- latente Vorurteile: Frauen haben Probleme im Team zu arbeiten (Zickenkrieg)
- Unerwartetes (in diesem Fall weniger um Neues)
- Klatsch
- Simplifizierung
- Polarisierung
- Schadenfreude
Wenn sich eine derartige Geschichte gut verkaufen lässt, ist man
bereit, auch eine favorisierte Person zu opfern.
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