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Weshalb wir uns so oft missverstehen

von Hildegard Knill


Sätze wie
"Das habe ich nicht so verstanden!", "Das habe ich nicht so gehört", "Das haben Sie mir nicht so gesagt" hören wir immer wieder. Wir möchten einmal der Frage nachgehen, weshalb es immer wieder zu Missverständnissen kommt.
Damit wird uns besser bewusst, was wir tun müssen, um verständlicher zu reden und eindeutiger verstanden zu werden.

Wir reden in Sprachrätseln

"Der Lehrling soll sofort gehen!", befiehlt die Vorgesetzte. Sie meint jedoch nicht "gehen", sondern "fahren".
Bestimmt gibt es wenige Angestellte, die eine derartige Anweisung wortwörtlich nehmen und den Auftrag zu Fuss erledigen nur weil die Chefin explizit gesagt hat: Gehen!
Dieses konstruierte Beispiel veranschaulicht:
Wir sprechen oft zu unvollständig, zu ungenau oder nehmen an, der Zuhörer ergänze die Aussagen immer so, wie wir es uns vorgestellt haben. Wir sagen etwas, das nicht mit dem Gedachten genau übereinstimmt. Wir gehen davon aus, dass Andere unsere Rätsel problemlos entziffern können.
Zuhörer wissen oft nicht, wie wir die Begriffe deuten. Deshalb gilt es oft ausführlicher zu sein als uns lieb ist. Obwohl bekanntlich Kürze die Verständlichkeit erleichtert, sind Präzierungen trotzdem "der Rede wert".


Wir betonen nicht, was uns wichtig ist

Wir nehmen an, dem Gesprächspartner sei klar, was uns wichtig ist. "Das muss doch einleuchten!" "Das weiss doch jeder!" Wir stellen immer wieder fest, dass das, was uns wichtig ist, oft nicht erkannt wurde. Deshalb gilt: Was wichtig ist, soll nicht nur gesagt, es muss auch hervorgehoben werden. Wichtiges wird nicht nur angekündigt, es lohnt sich, das Wichtige am Schluss zu wiederholen, verbunden mit dem Hinweis, dass es uns als besonders wichtig erscheint. Wichtiges kann man auch mit Tonfall, Gestik, Betonung hervorheben.


Wichtiges sollte wiederholt werden.

Früher galt in Schulaufsätzen die Wiederholung als ein besonders schlimmer Fehler. Jahrelang wurden Schüler darauf getrimmt, auf Wiederholungen zu verzichten. Vergessen wir diese Regel! Lernpsychologisch gilt das Gesetz: Wer etwas vermitteln will, das nachhaltig haften bleiben soll, muss die Kernbotschaft wiederholen. Die Werbung nutzt seit Jahren diese Erkenntnis. Was nicht wiederholt wird, unterliegt nämlich dem sogenannten "Goeschen-Airolo-Effekt" d.h. die Botschaft geht, wie beim Gotthardtunnel, zum einen Ohr hinein - und zum anderen sofort wieder hinaus.
Die Wirtschaft setzt ebenfalls auf bewusstes Wiederholen: Paragraph 120 im VOLVO - Verkaufshandbuch lautet:
Regel 1: Lass den Kunden Auto fahren! Regel 2. Lass den Kunden Auto fahren! Regel 3. Lass den Kunden Auto fahren!

Auch Literaten nutzen die Wiederholung. z.B. Schiller: "Menschen! Menschen! Falsche heuchlerische Krokodilsbrut!" Die Fachbegriffe für rhetorische Figuren, die die Wiederholung benutzen, sind in hier aufgelistet .
Die Italiener lobpreisen mit der Verdoppelung "caffè-caffè", das was ihnen gut schmeckt.
Die "Wiederholung als Baustein der Rhetorik" wird im Lehrbuch "Reden" eingehender behandelt.


Wir reden indirekt und sagen nicht, wie etwas gemeint ist.

Ironische Bemerkungen werden oft deshalb missverstanden, weil unklar ist, wie sie gemeint waren. Der Ehemann sagt zu seiner Frau am Steuer: "Du musst die Kupplung immer so schön sausen lassen. Das ist sehr gut für das Getriebe!" Sie können sich ausmalen, wie die Geschichte weitergeht.
Deshalb gilt es, Sachverhalte offen, klar und eindeutig zu schildern.
Wir müssen immer sagen, was wir genau meinen. (Nicht durch die Blume sprechen! Keine Andeutungen!) Umgekehrt wäre auch die angesprochene Person mit einer Rückfrage verpflichtet, zu klären: "Was hast Du gemeint, mit....?" "Wie hast Du das gemeint?"


Wir vermitteln heimliche Botschaften

Die Ehefrau sagt zu ihrem Mann beim Nachtessen:

"Herr Müller hat gestern seiner Frau einen schönen Blumenstrauss geschenkt."

Diese Aussage muss keine versteckte Botschaft enthalten, doch wäre es möglich, die Gattin wollte sagen:

"Ich möchte auch einen Blumenstrauss."

Oder:

"Warum hast Du mir schon so lange keinen Strauss mehr geschenkt?"

Wir werden oft missverstanden, weil wir die versteckte Botschaften zu wenig beachten. Wer spricht, muss ständig überlegen, ob das Gesagte keine versteckten Botschaften enthält. Umgekehrt sollte jemand, der versteckte Botschaften vermutet, diese konkret ansprechen.


Wir hören nur das, was wir hören wollten: Das vier Seiten Modell

Ein Element des selektiven Hörens kennen wir vom bekannten "vier Seiten Modell" von Schulz von Thun, das in vielen Kommunikationsbüchern ausführlich beschrieben wird. Jede Nachricht hat demnach vier Seiten oder Ebenen: Die Sach-, die Appell-, die Beziehungs- und die Selbstoffenbarungsebene.
Beispiel: Die Chefin fragt:


"Wann sind Sie fertig mit dem Protokoll?"

Diese Frage kann auf auf verschiedenen Ebenen gehört werden:
Hören mit dem Sachohr: Die Chefin will wissen, wann ich fertig bin und ich werde ihr dies sagen. Das Sachohr hört nur die sachliche Information. Bei der Sachebene steht die wertfreie sachliche Information im Zentrum.
Hören mit dem Appellohr: Ich verstehe die Frage als Aufforderung, mich zu beeilen und habe das Gefühl, die Chefin setzt mich unter Druck. Das Appellohr hört versteckte oder nicht bewusst gesandte Aufforderungen. Die Aufforderung steht im Zentrum. Die Appellebene macht uns das bewusst, was die Chefin möchte, was nach dem Wunsch der Chefin getan werden soll.
Hören mit dem Beziehungsohr: Ich habe das Gefühl, die Chefin traut mir nicht zu, dass ich den Termin einhalte. Oder ich glaube, die Chefin nimmt an, ich schaffe es nicht. Das Beziehungsohr hört meist negative Äusserungen zur eigenen Person und wir fühlen uns persönlich betroffen. Die Beziehung zwischen der Chefin und mir steht im Mittelpunkt. Die Beziehungsebene zeigt, was die Beteiligten voneinander halten.
Hören mit dem Selbstoffenbarungsohr: Die Chefin signalisiert, dass sie unter Druck steht und mich aus diesem Grund drängen muss. Das Selbstoffenbarungsohr diagnostiziert die Befindlichkeit des Senders, die eigene Betroffenheit wird dabei ausgeklammert. Die Selbstoffenbarung der sprechenden Person steht im Mittelpunkt. Die Selbstoffenbarungsebene macht deutlich, was die Chefin über die eigenen Befindlichkeit mitteilen möchte.

Wer sich bewusst wird, auf welcher der vier Ebenen gesprochen wird, kann sich situationsgerecht verhalten. Um Missverständnissen vorzubeugen, lohnt es sich, jeweils zu klären, mit welchem Ohr Aussagen wahrgenommen werden.


Nonverbale Signale beeinflussen unsere Aussagen ebenfalls sehr stark

Watzlawicks bekanntestes Axiom lautet: "Es ist unmöglich, nicht zu kommunizieren." Auch wenn wir nichts sagen, wenn wir uns zurückziehen, so enthält dies - bewusst oder unbewusst - eine Botschaft z.B.: "Ich will meine Ruhe haben!" Die Körpersignale beeinflussen die verbalen Aussagen enorm. Die paraverbalen Signale und Begleitlaute können das Verstehen erleichtern. Sie können aber auch eindeutige verbale Aussagen zu missverständlichen Botschaften werden lassen.
Stellen Sie sich eine Chefin vor, die ihrem Buchhalter sagt: "Die Zahlen stimmen alle. Kein Beleg fehlt." Die Chefin kneift jedoch während dieser Aussage ein Auge zusammen.


Klassische Verständlichkeitshelfer

Klassische Verständlichkeitshelfer sind
  • Einfachheit durch verständliche adressatengerechte Sprache.
  • Kürze durch Vermeiden von Langatmigkeit
  • Struktur mittels sichtbaren rote Faden
  • Stimulanz durch bildhaftes, konkretes Reden. Dazu gehört auch das erzählende Element, Analogien und Beispiele.
Wer kompliziert, zu lange, unstrukturiert, abstrakt und trocken spricht, wird schlecht verstanden. Wer kompliziert spricht, wird schlecht verstanden.


Missverstehen durch Mehrdeutigkeit

Wenn wir eindeutige Positionen meiden, sodass jede Seite die jeweilige Postion beliebig auswählen kann; schaffen wir gleichsam ein sprachliches Minenfeld. Denn jede Seite kann die mehrdeutige Code nach den eigenen Bedürfnissen auslegen. Jede Seite wird versuchen, die vagen Begriffe nach den persönlichen Wünschen auszulegen.
Eine Lehrerin, die beispielsweise beim Elterngespräch das aggressive Verhalten des Kindes mit dem schmeichelhaften Begriff "Verhaltensoriginell" beschönigt oder die ungenügende Leistung mit: "Es ist schön, dass er beim Unterricht da ist" beschreibt, so wird dieser elaborierte Jargon die eigentlichen Konfliktpunkte nicht aufweichen können.
Das Gegenteil wird der Fall sein: Die unterschiedlichen Auffassungen über das Verhalten des Kindes werden verschleiert anstatt herausgeschält. Mehrdeutigkeiten fördern immer Missverständnisse. Unterschiedlichen Vorstellungen müssen eindeutig formuliert und offen auf den Tisch gelegt werden. Nur so können wir gedanklichen Verwirrungen vorbeugen.


Weshalb entstehen Missverständnisse?

  • Wir assozieren das Gehörte
  • Wir verstehen mehr, als gesagt wurde. Wir ergänzen die Aussage.
  • Wir stellen Vermutungen an, was der Andere gemeint haben kann.
  • Wir hören selektiv und wählen das aus, was uns passt.
  • Wir überhören das, was wir nicht hören wollen.
  • Wir reden vage oder mehrdeutig.
Bei allen zwischenmenschlichen Kommunikationsprozessen gilt generell: Es ist nicht wichtig, was gesagt wurde, sondern nur was beim Empfänger ankommt.


Zum Schluss noch zwei Zitate

Nicht da ist man daheim, wo man einen Wohnsitz hat, sondern da, wo man verstanden wird. (Christian Morgenstern).


Um einen Stein zu zertrümmern, braucht man einen Hammer, aber um eine kostbare Vase zu zerbrechen, genügt eine flüchtige Bewegung und um das Herz eines Menschen zu treffen, genügt oft ein einziges Wort. - (Eugen Drewermann)







Versionen dieses Beitrags sind in SO-JOB vom 24. Nov und 1. Dez. 2001 und in der KV Zeitschrift "aktuell" 6/2001 erschienen. Siehe auch Klettgauer Zeitung 2009





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