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Fragen statt sagen


  "Wer fragt führt - wer gefragt wird, wird geführt"


von Marcus Knill

Die Frage ist das wichtigste Instrument der Dialektik. Dank Fragen kommt die Wissenschaft zu neuen Erkenntnissen. Dank der Frage erhalte ich zusätzliche und eventuall wichtige Informationen des Gesprächspartners und erweitere mein Wissen über. Dank Fragen können wir Sachverhalte klären. Oft werden Gegenfragen und Kontrollfragen auch als Zeitgewinnungstechnik eingesetzt.

Die Technik des Fragens haben Kinder im Blut und verstehen es, damit die Eltern zu nerven. Deshalb wird ihren sehr schnell das Fragen abgewöhnt,
  • Vati, warum ist der Mond rund?
  • Weil er eine Kugel ist.
  • Warum ist er manchmal nur ein Sichel?
  • Weil er dann nicht ganz beleuchtet wird?
  • Warum wird er nicht ganz beleuchtet?
  • Frag nicht so blöd!
Die angebliche Fragerei wird abgewöhnt.
Oft heisst es: "Pass besser auf, anstatt zu fragen!" oder: "Frag nicht so dumm! Überlegen ist wichtiger als Fragen stellen." Kinder verstehen es gut mit Fragen zum Ziel zu kommen:
  • Mutti krieg ich ein Eis?"
  • Nein!
  • Warum nicht?
  • Weil es gleich das Mittagessen gibt.
  • Wenn ich das Mittagessen ausessen werde, kriege ich jetzt ein Eis?
  • Hör endlich auf! Ich habe Nein gesagt!
  • Weshalb kann man mit Dir nicht reden?
Den Kinder wird das Gefühl vermittelt, Fragenstellen sei ein Zeichen von Dummheit ein Zeichen des Nichtwissens.
Ein uraltes Chinesisches Sprichwort lautet aber:

"Wer fragt ist fünf Minuten lang dumm, wer nicht fragt, bleibt ein Leben lang dumm."

Im Krimis können wir beobachten, wie Kommissare unwirsch reagieren, wenn der Kriminelle eine Gegenfrage stellt: "Wer fragt? Sie oder ich? Beantworten Sie bitte meine Frage!" Der Kommissar will nicht, dass der mutmassliche Täter ihn gleichsam mit Fragen führt.

Bei Medienrhetorikseminaren mit Staatsanwälten stellte ich vor Jahren fest, dass diese Berufsbefrager selbst in einem Interview kaum Klärungsfragen oder Gegenfragen stellen. Sie halten sich gegenüber einem Journalisten an die bei Verhören angewöhnte Regeln: Wer gefragt wird gibt eine Antwort und stellt keine Gegenfragen. Im Mediensimulator müssen wir dann den Anwälten bewusst machen, dass ein Interview kein Verhör ist und beide - Interviewter und Interviewer - das Recht haben, Fragen zu stellen.

Auch Lehrpersonen müssen in Weiterbildungsveranstaltungen im Umgang mit Kindern die Fragekultur wieder neu bewusst gemacht machen. Fragen statt sagen. Eine Lehrerin, die in der Pausenaufsicht einen Schüler bittet, die Orangenschale aufgehoben, wird im Alltag unverzüglich mit der Fragetechnik des Schülers konfrontiert:
  • Warum muss ich die Schale auflesen?
  • Jetzt lies aber sofort die Orangenschale auf!
  • Habe ich die Schale liegen gelassen?
  • Werde nicht frech!
  • Für was haben wir den Hauswart? Er ist doch dafür bezahlt, oder nicht?
Die Situation eskaliert. Der Knatsch und eine grosse Auseinandersetzung ist vorprogrammiert. Die Lehrerin erkannte nicht: Sie antwortete anstatt zu fragen. Hätte die Lehrerin die bewährte Regel "Fragen statt sagen" angewendet, wäre die Situation nicht eskaliert. Schüler sind nämlich irritiert, wenn der Lehrer die Technik des Fragens anwendet. Er ist sich nicht gewohnt, dass sich eine Lehrkraft der Fragetechnik bedient. Die nämliche Szene nach dem Prinzip "Fragen satt sagen" würde vielleicht so ablaufen: Nachdem die Lehrerin den Schüler auf dem Pausenplatz bittet, die Orangenschale aufzulesen, antwortet der Schüler wiederum mit einer Frage:
  • Weshalb muss ich dies Schale auflesen?
  • Hast Du verstanden, was ich gesagt habe?
  • Ja, ich soll die Schale auflesen. Muss ich die Schale auflesen, auch wenn sie nicht von mir ist?
  • Du willst sie also nicht auflesen?
  • Der soll sie auflesen, der sie hingeworfen hat.
  • Muss ich es nochmals bitten, die Schale aufzulesen?
  • Warum immer ich?
  • Sollen wir miteinander zu Deinem Klassenlehrer gehen?
  • Nein (liest jetzt die Schale auf)




Die Frage ist ein Universalwerkzeug. Ich kann durch gezielte Fragen andere zum Reden bringen, Zeit gewinnen, Sachverhalte klären, angreifen, mich verteidigen usw. Wer dieses Werkzeug zu nutzen versteht, hat im Alltag mehr Erfolg.








Im Buch Zuhören, Fragen, Argumentieren von Rudolf Steiger (Verlag Huber Frauenfeld/Stuttgart/Wien, ISBN 978-3-7193-1470-5 bestellen, finden wir zusätzliche wertvolle Gedanken zum Themenbereich Fragen:


Zielgerichtete Fragen
Eine der wirksamsten Methode, auf die Richtung und das Ergebnis eines Gesprächs steuernd Einfluss zu nehmen, sind die verschiedenen Fragearten.Doch bevor wir uns diesen zuwenden, nehmen wir zur Kenntnis, dass Fragen bei den Gesprächspartnern sehr unterschiedliche Gefühle und Reaktionen auslösen können.
Positiv werden Fragen in der Regel aufgenommen, wenn sie
  • zur Klärung eines Sachverhaltes dienen;
  • Aufforderungen um Auskunft beinhalten oder
  • Anteilnahme und Interesse ausdrücken.
Negative Reaktionen können Fragen auslösen, wenn sie die Gesprächspartner
  • im Sinne von Lernkontrollen bloss stellen;
  • in ihren Autonomiegefühlen einschränken oder gar
  • provozieren und verletzen.

Besonders heikel ist, dass Fragen oft anders wahrgenommen werden, als sie gemeint und beabsichtigt waren. So nimmt eine junge Mutter die Frage ihres Vaters, was sie am #kinderfreien" Tag unternommen habe, unter Umständen nicht als interessierte Anteilnahme, sondern als Verletzung ihrer Autonomie wahr. Und manch ein Vorgesetzter muss zur Kenntnis nehmen, dass eine fürsorglich gemeinte Frage an einen Mitarbeiter als neugierig und ein teilnahmsvolles sich Erkundigen nach dem Gesundheitszustand seiner Lebenspartnerin als zu persönlich eingestuft werden. Allerdings vermögen Fragen auch Spannungen zu lösen und Klarheit zu schaffen. So schreibt Klara Obermüller über Gespräche mit schwer kranken Patienten: Die richtige Frage zum richtigen Zeitpunkt kann mehr Erlösung bringen als manch gross angelegtes Unterstützungsprogramm. Aber derjenige, der die Frage stellt, muss unausgesprochen zu verstehen geben, dass er auch eine unbequeme, eine irritierende Antwort nicht scheut.

Allgemeine Anforderungen an Fragen Sehr oft wird in privaten oder beruflichen Gesprächen eine gestellte Frage nur teilweise oder gar nicht beantwortet, weil sie -beispielsweise
  • gar nicht als Frage erkannt, sondern als Gesprächsbeitrag verstanden wird;
  • zu kompliziert und deshalb unverständlich ist;
  • zu einfach ist, und niemand nur eine Ja- oder Nein--Antwort geben möchte;
  • an niemanden konkret gerichtet wird, und sich folglich auch niemand angesprochen fühlt;
Um Probleme und Missverständnisse dieser Art zu vermeiden, sollten Fragen folgenden Anforderungen genügen:

Klare und kurze Fragen Fragen dürfen nicht nur Ausdruck eines allgemeinen, schwer definierbaren Unbehagens sein, sondern müssen das vorberei-tete Ergebnis eines Denkvorganges darstellen. Nur kurze und prägnante Fragen können in der Regel auch so beantwortet werden. Langatmige und komplizierte Fragen -weisen einen hohen "Abschreckungswert" auf.

Themenorientierte und rechtzeitige Fragen Fragen sollten sich in der Regel aus dem bisherigen Gesprächsverlauf ergeben und diesen einengend oder ausdehnend weiterführen. Fragen sind dann zu stellen, wenn über den entsprechenden -Themenbereich gesprochen wird. Später auftauchende Fragen im Sinne von Rückkommensanträgen wirken häufig ermüdend.

Wiederholung der Frage Oft ist es notwendig, eine Frage zu wiederholen, vielleicht mit anderen Worten sinngemäss neu zu formulieren. Manchmal empfiehlt es sich auch, eine komplexe und umfassende Frage mit leichter beantwortbaren Teilfragen schrittweise zu wieder-holen.

Das weite Feld offener Fragen Mit einer offenen Frage führe ich meine private oder berufliche Gesprächspartnerin in ein weit abgestecktes Denk- und Antwortfeld. Folglich gibt es auf eine offene oder weite Frage nicht eine bestimmte, vielleicht sogar richtige oder falsche Antwort, sondern mehrere mögliche Antworten im Sinne von Informationen, Erfahrungen und Meinungen. Für den Fragesteller ist die Antwort - wie es der Name sagt - meist völlig offen.

Informationsfrage Mit der Informationsfrage versuche ich, für mich neue oder ergänzende lnformationen und Hinweise zu erhalten. Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene, die sich oft kaum oder nur rudimentär an Gesprächen beteiligen, beginnen nach wirklich offenen Fragen das weite Antwortfeld auch auszunützen.
So wird ein Gymnasiallehrer auf folgende Informationsfragen an zwei seiner Schüler vermutlich interessante, und für ihn allenfalls neue Aspekte hören:
  • Was fasziniert dich persönlich am Extrem-Bergsteigen, und wie überwindest du deine Angst?"
  • Welches waren für dich die positiven und welches die eher negativen Eindrücke deines Austauschjahres in den USA?"

Erfahrungsfrage Die Erfahrungsfrage kann unter Umständen mehreren Gesprächsteilnehmern nacheinander gestellt werden, um so die individuelle Verschiedenartigkeit möglicher Erfahrungen aufzuzeigen. In einem Kaderseminar über Kommunikation und Beziehungen im Berufsalltag fragt der Seminarleiter beispielsweise:
  • Welche Verhaltensweisen von Chefs führen gemäss Ihren ganz persönlichen Erfahrungen häufig zu Beziehungsstörungen mit den Mitarbeitenden?
  • Welche Erfahrungen haben Sie persönlich in der Überwindung von Beziehungsstörungen am Arbeitsplatz gemacht?"
Meinungsfrage Auch Meinungsfragen sind offene Fragen, weil jede Person in einem Gespräch ihre persönliche, subjektive Meinung äussern soll, die von niemandem als richtig oder falsch beurteilt wird. So könnte eine Schulpräsidentin die versammelten Lehrkräfte und Eltern fragen: "Was ist denn ihre Meinung zur zunehmenden Gewaltbereitschaft immer jüngerer Schülerinnen und Schüler?" "Was halten Sie von der Idee, dass wir in der Oberstufe vermehrt über Wertewandel, Werteverlust und Werteverrat diskutieren sollten?"
,br> Begründungsfrage Offene Begründungsfragen stellt man gelegentlich dann, wenn im Gespräch gehörte Informationen, Erfahrungen oder Meinungen zum Beispiel nicht ganz befriedigen, oder wenn man noch gern wissen möchte, warum diese oder jene Antwort so gegeben worden ist. Nach den Antworten auf die oben gestellten Meinungsfragen möchte die Schulpräsidentin allenfalls noch zwei Gesprächsteilnehmer fragen:
  • Warum und seit wann sind Sie zu Ihrer pointierten Ansicht über die zunehmende Gewaltbereitschaft unserer Jugendlichen ge-kommen?"
  • Wie erklären Sie sich, dass von Gewalt betroffene Schülerinnen auch zu Hause oft nicht erzählen, was ihnen angetan worden ist?"
Gesprächssteuerung durch kanalisierende Fragen Im Unterschied zu den offenen Fragen, die - wie -erwähnt - eine Vielzahl keineswegs festgelegter Antworten -ermöglichen, geht es bei den kanalisierenden Fragen darum, von der Gesprächspartnerin ganz bestimmte, kon-krete Antworten zu erhalten.

Für die Beantwortung kanalisie-render Fragen wird, bildlich gesprochen, der Fragewinkel klein, und das Denk- und Antwortfeld des Gesprächspartners dadurch immer enger und begrenzter, bis man auf eine geschlossene Frage nur noch ja oder nein antworten kann.
Wir haben festgestellt, dass zu Beginn und in der Anfangsphase eines strukturierten Gesprächs, wie zum Beispiel in einem Zielvereinvereinbarungs- oder Teamgespräch, in der Regel offene Fragen gestellt werden. Gegen das Gesprächsende hin werden dann immer häufiger kanalisierende oder gar geschlossene Fragen gestellt, um vom Gesprächspartner klare und eindeutige Stellungnahmen, vielleicht sogar Entscheide zu erhalten.






Der Beitrag basiert auf dem Rhetorik - Lehrbuch "Knill: natürlich, zuhörerorientiert, aussagenzentriert reden."
7. Mai 2008




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