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Feministische Sprache? (Leitfaden für die Praxis)

von Marcus Knill


Zum Gebrauch von weiblichen Personenbezeichnungen. (Siehe auch Sexistische Feministische Rhetorik)

Grund der Umformulierungen

Seit den Gleichstellungsdiskussionen forderten feministische Linguistinnen, dass zahlreiche Begriffe, die ausschliesslich männlich geprägt waren, geändert werden müssen. Sie fanden Formulierungen wie
  • Lehrer
  • Schüler
  • Dozenten
eine Provokation. Die ersten zum Teil recht militant geführten Diskussionen waren gewiss notwendig. Ohne die penetranten Vorstösse wäre wahrscheinlich alles beim Alten geblieben. Doch führte die konsequente Forderung nach weiblichen Bezeichnungen in der Praxis leider auch zu recht grotesken Formulierungen.


Verdoppelungen

Eigenartigerweise wurden in Deutschland und Oesterreich die Durchsetzung der weiblichen Personenbeschreibungen viel weniger verbissen angegangen als in der Schweiz. Jedenfalls kam es im deutschen Fernsehen kaum zu den überladenen Verdoppelungen wie
  • Zuschauer und Zuschauerinnen
  • Oesterreicher und Oesterreicherinnen
  • Snowborderinnen und Snowborder
  • Lehrlinge und Lehrfrauen
  • Motorfahrerinnen und Motorfahrer



Emanzipation kostete überall mehr Zeit und Papier; bei den elektronischen Medien ist dies bekanntlich kostbare Sendezeit (z.B. bei Wetterprognosen, Reportagen usw).
In der Schweiz kam es bei Moderatoren und Moderatorinnen über Jahre hinweg zu einer Verdoppelungsmanie. Bei Fernsehauftritten konnte es sogar zur sonderbaren Situation führen, dass Politikerinnen oft nur noch die männliche Form verdoppelten. Die Verdoppelung wurde gleichsam zum Ritual:
  • "Alle Bewohner und Bewohner"
  • "Liebe Zuschauer und Zuschauer"
Die Verdoppelungen waren vielleicht für viele eine willkommene Möglichkeit, wertvolle Sprechdenkzeit zu gewinnen. Denn während der gedankenlosen Floskel konnte die Antwort besser überdacht werden.


Sprachschöpfungen

Es kam zudem zu völlig unsinnigen Sprachschöpfungen, wie:
  • Gästin
  • Jedefrau sagt (statt jedermann sagt)
  • Göttin sei Dank
  • Frauschaft (statt Mannschaft)
  • Schwesternschaft (statt Bruderschaft)
  • Ich habe einen Bärinnenhunger
  • Wir werden uns vertöchtern (statt versöhnen)
  • Wünscherinnen und Wünscher
  • Menschin
  • jeder(M)ann-frau
  • Mitgliederin, (obwohl Mitglied eindeutig eine geschlechtsneutrale Personenbezeichnung ist).
  • Frau sagt (statt man sagt, obwohl mit "man" = franz. "on" irgend ein Mensch gemeint ist).
Die Beispiele zeigen, dass guter Schreibstil sich nie durch Kompliziertheit auszeichnet.
Eigenartigerweise brachte es der Machismus fertig, dass sich in den Rubriken "Vermischtes und Verbrechen" die Gleichberechtigung im Sprachgebrauch nicht durchsetzen konnte. Denn niemand liest in den Medien von
  • Einbrecherinnen und Einbrechern
  • Brandstifterinnen und Brandstiftern
  • Attentäterinnen und Attentätern
  • Mörderinnen und Mördern
Wer sich mit der konsequenten Umsetzung der "Frauensprache" auseinandersetzt, stellt fest, dass auch folgende Formulierungen nie beanstandet wurden. Denn sie störten niemanden:
  • "Frauen sind die besseren Autofahrer"
  • "Frauen müssen den Führerausweis nicht abgeben"
  • "Viele Frauen sind Inhaber von ........."
Wie die Sprache vor die Hündinnen geht
Zur "geschlechtsneutralen" Sprache
(Leserbrief von Peter Thomi, NZZ am Sonntag vom 16. Juni, 2002)
Bei den Giraffen gibt es keine Männchen, die Giraffe ist weiblich. Ein Weib ist keine Frau, das Weib ist sächlich. Eine Frau ist kein Mensch, der Mensch ist männlich. (Also Menschin?) Logisch. Würde man einsehen und akzeptieren, dass die von der Sprache verwendeten Genera sich nicht mit dem Geschlecht des Gemeinten decken müssen, dann wäre der Sprachspuk endlich vorbei, und es gäbe wieder Studenten statt "Studierende", Konsumenten statt "Konsumierende", Hörer statt "Hörende", Leser statt "Lesende" und "Fussgänger" statt "Gehende". Dann würde auch in den Medien und an den Universitäten wieder das Selbstverständliche gelten: Das grammatikalische, im Wörterbuch verzeichnete Geschlecht, Maskulinum hin oder her, ist nicht das biologische. Dann fühlen sich alle, Feminismus hin oder her, wieder gleichermassen angesprochen, sofern die Wendung es nicht ganz klar anders bestimmt. Und das "mitgemeint" oder "nicht ausdrücklich genannt" kann getrost entsorgt werden: im sprachhistorischen Kuriositätenkabinett.


Übertreibungen

Beim feministischen Sprachgebrauch müssen wir Übertreibungen vermeiden.
Wer den Satz
"Krankenschwestern und Laborantinnen sind die engsten Mitarbeiter der Ärzte." übersetzt in: "Krankenpfleger, Krankenschwestern und Laboranten, Laborantinnen sind die engsten Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen der Ärztinnen und Ärzte";
der erkennt rasch die Auswirkung sturer Gleichmacherei. Die Sprache würde bei konstanter Verdoppelung verkrüppelt.


Verständlichkeit

Fachleute, Journalistinnen und Dozentinnen merkten - vielleicht dank der jüngsten Versachlichung der Thematik-, dass im Interesse der Verständlichkeit die Sprache nicht weiter verstümmelt werden darf. Es mussten brauchbare Möglichkeiten des Sprachgebrauches gesucht werden, die den Anliegen der Frauen Rechnung tragen - ohne grammatikalische Monster, zeitraubende Verdoppelungen und ohne eine Entstellung der Sprache. Es gab allerorts beim Redigieren von Texten, Inseraten und Anreden heftige Diskussionen. Verleger merkten nach und nach, dass bei einem Buch - falls jeder Begriff konsequent verdoppelt wird -, viel mehr Seiten gedruckt werden müssten und der Text vor allem unverständlicher, und viel ermüdender würde.
Doppelnennungen beruhen ferner auf einem fundamentalen sprachwissenschaftlichem Irrtum. Die Gleichsetzung von biologischem Geschlecht und grammatikalischem Genus ist eindeutig falsch, denn es gibt drei Genera, das Maskulinum, das Femininum und das Neutrum. Es gibt aber nur zwei Geschlechter. Begriffe wie Mensch, Gast, Flüchtling, Person etc. können alle männlich und weiblich sein. Viele übersehen die Tatsache, dass allem Ungeschlechtlichen (der Ofen, die Wolke, das Fass) ein Genus zugeordnet ist.
Genau so sind sämtliche Funktionen, die von Verben abgeleitet werden können und auf -er enden, trotz des maskulinen Genus nicht biologisch männlich zu verstehen.
Ein Mensch, der liest, ist ein Leser. Einer der arbeitet, ist ein Arbeiter. Ein Mensch, der fischt, ist ein Fischer usw. Der Genus wird nicht nur geschlechtlich oder ungeschlechtlich, sondern auch übergeschlechtlich verwendet:
  • Der Mensch
  • Der Gast
  • Der Flüchtling
  • Die Person
  • Die Persönlichkeit
  • Die Waise
  • Das Kind
  • Das Individuum


Übergeschlechtliche Bedeutung

Der extrem feministische Eingriff in die deutsche Sprache beruht auf einem zusätzlichen Irrtum. Durch die konsequente Doppelnennung von Funktionsträgern geht die übergeschlechtliche Bedeutung des maskulinen Genus verloren. Dies führt zum Verlust des Oberbegriffs der deutschen Sprache, nämlich des allgemeinen, nicht unter geschlechtlichem Aspekt ins Auge gefassten Menschen. Der Sexismus wurde mit der Vergeschlechtlichung der Sprache nicht entfernt, sondern erst recht eingeführt. Jeder Begriff müsste nämlich durch die Feminisierung dauernd wiederholt werden. Dies führt jedoch zu unüberwindbaren Schwierigkeiten. z.B.
"Der interessierte Leser beziehungsweise die interessierte Leserin kümmert sich immer auch um die Person des unbekannten Autors, beziehungsweise der unbekannten Autorin."
Selbstverständlich ist es angebracht, bei Einladungen und Anreden zuerst beide Geschlechter anzusprechen, da man ja konkrete Menschen als Männer und Frauen vor sich sieht. Heute sehen viele ein, dass wir den ideologischen Modeerscheinungen nicht weiter erliegen dürfen. Wer mit Sprache zu tun hat, ist verpflichtet, sich in erster Linie für die sprachliche Ästhetik d.h. "Klarheit und Lesbarkeit" zu entscheiden. Vor allem darf die Verständlichkeit beim Reden und Schreiben nie leiden.
Prof. Steiger von der ETH Zürich pflegte zu Beginn einer Vorlesungsreihe jeweils folgende Folie aufzulegen:

Mit dieser Folie machte der Dozent deutlich, dass er während der Vorlesung nicht alles verdoppeln kann. Während der Vorlesung wechselte er jedoch bewusst die Geschlechter. Keine Studentin wünschte ein konsequentes Verdoppeln. Einmal sprach der Dozent von einer Chefin. Ein andermal wieder von einem Chef.


Kürze als Verständlichkeitshelfer

Ohne ausgebildeter Wahrnehmungspsychologe zu sein, erkennt jeder Laie: Kürze ist und bleibt ein wichtiger Verständlichkeitshelfer.
Ein Gedanke, der zu lang ist, wird bei mündlichen Kommunikationsprozessen nicht als Ganzes aufgenommen. (Nur ein Gedankenbogen von 13-15 Worten oder ein Gedanke - der 3 Sekunden dauert - wird als Einheit erfasst). Die kurzen Antworten spielen vor allem bei der Medienrhetorik eine wichtige Rolle. Jede verlorene Sekunde ist somit verlorenes Geld. Wer alles verdoppelt, verringert zudem seine Chance, die Kernbotschaft zeitgerecht zu vermitteln.
Weil alle Fachleute eingesehen haben, dass konsequente Verdoppelungen stören, entwickelten sich im Laufe der Jahre verschiedenste Varianten, welche das Anliegen der Verständlichkeit - wie auch das Anliegen der Frauen - möglichst unter einen Hut zu bringen versuchte. Universitäten, Redaktionen und Verlage verfügen heute - nach einer Ära der Versachlichung der Thematik - über folgende hilfreiche Erkenntnisse:


Unzitierbarkeit

Sprachlich falsch ist eindeutig, etwas so zu schreiben, wie es nicht laut zitiert werden kann: z.B.

StudentIn Wie soll das grosse I betont werden?
Student(in) die Klammer kann nicht laut ausgesprochen werden.
Student/innen Wie wird der Schrägstrich ausgesprochen?

Deshalb verzichtet heute die Universität Zürich bewusst auf Kurzformen jeglicher Ausprägung.
Gibt es noch weitere taugliche Regeln für Formulierungen, die niemanden diskriminieren?

Februar 2012: ein Leser schreibt uns, dass das Argument der Unzitierbarkeit nicht überzeugt, weil an anderen Orten in der Sprache unzitierbare Zeichen vorkommen:

"Wie werden dann Gedankstriche, Anführungsstriche für Reden betont oder Doppelpunkte für Aufzählungen. All diese Zeichen sind selbstverständlicher Teil der geschriebenen Sprache und nicht zitierbar.

und schlägt vor

"Der Vorschlag oder Unterstrich (Freund_innen) lässt sich durch eine Wortpause zitieren."



Taugliche Varianten

Vor und Nachteile der nachfolgenden Vorschläge sind immer im Einzelfall abzuwägen.
  • Geschlechtsneutrale Begriffe verwenden:
    • Das Mitglied
    • Der Lehrkörper
  • Am Anfang werden Paarformen gebraucht, nachher wird jedoch nur eine Form gebraucht (ob konsequent weiblich oder konsequent männlich).
  • Schreiben Sie als Autor im Vorwort, dass bei Personenbeschreibungen stets beide Geschlechter gemeint sind.
  • Benutzen Sie einmal die weibliche Form "Chefin" ein andermal dafür die männliche Bezeichnung "Chef".
  • Zulässig sind nach wie vor:
    • die Schweizer
    • die Einwohner
    • die Bürger
    • die Leser
    • die Patienten
    • der Zuschauer (ist auch geschlechtsneutral)
    • die Philosophen
    • die Gärtner
    • die Christen

  • Sprachlich korrekt:
    • Jeder sagt:
    • Man entschied sich für
    • Niemand darf aufgrund des Geschlechtes
    • Keiner wollte

  • Zurückhaltung empfiehlt sich bei Entpersonifizierungen:
    • Lehrerschaft
    • Ärzteschaft

  • Ab und zu helfen neutrale Formulierungen wie:
    • die Lehrenden
    • die Dozierenden
    • die Abstimmenden

  • Historisch gewachsene Sprichwörter oder Zitate sollten so belassen werden, wie sie überliefert worden sind. (Mit den alten Wertvorstellungen).
    • Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
    • Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.
    • Alle Mann an Deck.
    • Ein Mann ein Wort.

  • Obwohl die folgenden Begriffe nicht geschlechtsspezifisch gemeint sind, wirken diese Formulierungen für Frauen eigenartig:
    • "Der Fussballklub hat eine neue Frauenmannschaft."
    • "Die Regierungsrätin musste ihren Mann stellen."



Gesunder Menschenverstand

Verschiedene Versuche, alles in der weiblichen Form umzuschreiben, sind unternommen worden. Keiner erlebte einen Durchbruch. Selbst in der Schrift "Personalpolitik", bei der das männliche Geschlecht bewusst eliminiert worden war, ist auf einer Seite zu lesen: "Jede Mitarbeiterin hat das Anrecht auf regelmässige Mitarbeitergespräche." Immerhin fehlt am Schluss wenigstens der Satz: "Die Mitarbeiterinnen männlichen Geschlechtes haben im Büro Frauenkleider zu tragen." Heute ist die "Entmannung der Sprache" kein Thema mehr.
Nach und nach triumphierte der gesunde Menschenverstand über jene Kreise, die unsere Sprache zum lächerlichen "Bandwurmgeschnatter" verkommen lassen wollten. Heute werden die Stimmen der Sprachästheten wieder ernst genommen. Viele Redaktionen besitzen brauchbare Richtlinien, die jedem Redaktor bewusst machen, dass eine Rede kein Text ist. Beides, Rede und Geschriebenes, müssen sich stets den Gesetzen der Verständlichkeit und der Ästhetik unterordnen. Denn: Niemand möchte einen unleserlichen Sprachsalat. Viele Redaktorinnen und Redaktoren lassen deshalb heute die männliche Form wieder bewusst durchgehen - im Interesse der Einfachheit. (Selbst die Wochenzeitung, die sich dem feministischen Sprachgebrauch verpflichtet fühlt, gestattet dies jetzt ausnahmsweise).



Cartoon aus: Hogli, "Liebe FrauInnen!" Fackelträger, Hannover 1995 Quelle.


Zum Englischen Sprachgebrauch

Markus Mehring (m.m@gmx.net), ein freiberuflicher Übersetzer mit den Fachgebietsschwerpunkten Luft- und Raumfahrt sowie Science Fiction, sandte uns per email folgenden Gedankenexkurs zur Situation im Englischen:

"Im Englischen gibt es bekanntermassen -anders als im Deutschen- zwar kein Genus (d.h. alle Substantive sind Neutren und es existieren nur die Artikel "a" und "the"), doch gibt es ein weit offensichtlicheres sprachliches "Problem", das in jüngerer Vergangenheit ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist: Das englische "man" bedeutet nicht nur "Mann", sondern gleichzeitig auch allgemein "Mensch" (ausserdem: Frau = woman, Menschheit = mankind, menschliches Wesen = human being, Menschlichkeit = humanity). Was den Nebeneffekt hat, dass jegliche historische oder sonstwelche Errungenschaften "des Menschen" sprachlich äquivalent immer erstmal Errungenschaften "des Mannes" sind und Leistungen von Frauen dabei quasi ausgeklammert werden. Die politisch-korrekte Vermeidung dieser Problematik in der Öffentlichkeit hat zwischenzeitlich zu einigen interessanten bis schrägen Wendungen geführt. Zum Beispiel:

Flog die "Enterprise" in der ursprünglichen Fernsehserie der 60er Jahre noch laut Intro-Text "where no man has gone before" (wo kein Mensch zuvor gewesen ist), gilt für die neue "Enterprise" der 80er Jahre "where no one has gone before" (wo niemand zuvor gewesen ist). Was zwar "politisch korrekter" ist, im Kontext der Serie aber eigentlich falsch, denn die Enterprise fliegt prinzipiell eher wo "kein menschliches Wesen" zuvor gewesen sei, dafür dort aber auf etliche nichtmenschliche Ausserirdische trifft, also keineswegs auf "niemanden" sondern sehr wohl auf "jemanden".
In entfernter Verwandtschaft zum deutschen Adjektiv "bemannt" (befraut...?) spricht man im Englischen von "manned" wenn man von Luft-, Raum- oder sonstigen Fahrzeugen mit Besatzung spricht. In den letzten Jahren ist man jedoch vor allem im Bereich der Raumfahrt teilweise dazu übergegangen, stattdessen die viel kritisierte und allgemein als ziemlich merkwürdig empfundene Wortneuschöpfung "crewed" zu verwenden (von "Crew" = Besatzung), nicht zuletzt da es immer mehr gemischte Besatzungen gibt und Astronautinnen eine wichtige Rolle spielen. Ein "manned spacecraft" ist auf Deutsch ein "bemanntes Raumschiff" - hyperkorrekt dürfte man es auch "bemenscht" nennen, völlig falsch wäre das zumindest nicht. Ein "crewed spacecraft" wäre dann in letzter Konsequenz ein "besatzungtes Raumschiff". Oder ein "besessenes"? Gut, dann halt ein "besetztes", aber hoffentlich kein "besatztes"... "


Fazit

Bewusstes Formulieren ist wichtiger als Verbissenheit oder Militanz. Die Zeiten liegen endlich hinter uns, da Sprachpolizistinnen in jeder Diskussion zuerst aufgezählt hatten, wieviel Mal die weibliche Form von einem Redner unterschlagen worden war. Die Auseinandersetzung rund um die "feministische Sprache" hat in jüngster Zeit zu brauchbaren Lösungen geführt. Die Bedeutung der Reduktionsmerkmale wurde als Thema erkannt. Der extreme Sprachfeminismus widersprach eindeutig der Sprachökonomie. Dank des Denkprozesses ist uns anderseits bewusst geworden, dass die Sprache stets unser Denken widerspiegelt und Formulierungen die Einstellung prägen können; so wie sich auch die Einstellung auf die Formulierung auswirkt.
Die Thematik über "Frauensprache" hat sogar etwas mit Dialogik zu tun. Würde nämlich die Sprache als Instrument des Matriarchats gegen das Patriarchat aufgefasst oder umgekehrt, so hätte dies etwas mit Kampf oder Herrschaft zu tun. Was wir bei allen dialogischen Kommunikationsprozessen anstreben wollen, ist keine Kampfrhetorik. Es geht weder um die Durchsetzung des totalen Feminismus noch um die Rückkehr zum mittelalterlichen Patriarchat. Es geht bei dieser Thematik um Dialogik, im Sinne einer echten Balance oder Gleichberechtigung. Wichtig ist und bleibt die Gesinnung, welche hinter einer Aussage steckt.
Reden wir deshalb künftighin bewusster! Verbeissen wir uns nicht. Die Sprache ist und bleibt ein geistiger Organismus, in den nicht ohne nachteilige Folgen beliebig eingegriffen werden kann.




Vergleiche zu diesem Thema auch den Aktuell-Beitrag "Sprachpolizei säubert Schulbücher".


März 2001


Nachtrag vom August 2005: Wir finden Latours Bemerkung zur feministischen Sprache in einem Vorwort erwähnenswert (siehe Bild). Die Gedanken des Linguistikprofessors überzeugten uns.


Nachtrag vom 9. Oktober, 2008: Zum grossen I wie bei TeilnehmerInnen Für Sprachspezialisten ist längst klar, dass man die geschriebenen Texte auch so aussprechen können muss, wie sie notiert ist. Dennoch ist das grosse I immer wieder anzutreffen. Bekanntlich darf es beim Lesen nicht besonders betont werden. Obschon diese Schreibweise unsinnig ist, treffen wir sie leider immer wieder an.
Grotesk waren übrigens auch die Voten vielen Politiker im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück beispielsweise sagte immer wieder in Voten am Fernsehen: "Die Sparer und Sparer...." Ein typisch unbedachte Formulierung. Er wollte nämlich auch die Frauen ansprechen und die Formulierung der Kanzlerin imitieren, die von "Sparerinnen und Sparern" sprach. Ich kann mir nicht vorstellen, dass niemand dem Profi-Politiker auf dieses gedankenlose Wiederholen der männlichen Form aufmerksam macht. Beim Schreiben und Reden lohnt es, Sprechmarotten wie auch die unsinnige Schreibweise mir dem grossen I zu eliminieren.


Nachtrag vom 27. März, 2009: zum Partizip Präsens

Eine Weltwoche Kolumne von Thomas Meyer bemerkt, dass sich im Deutschen das Partizip Präsens zusehends falsch eingesetzt wird: Statt "Studenten" heisst es "Studierende", "Mitarbeiter" werden zu "Mitarbeitenden" und "Lehrlinge" werden zu "Lernende". Meyer meint, dass das Partizip Präsens eine momentane, abschliessende Tätigkeit ausdrückt wie im Beispiel: "Der Kommissar stellte den Flüchtenden" Eine Gebärende ist keine Gebärerin. Sie würde sonst pausenlos gebären. Ein Studierender ist einer, der einen Prospekt vor sich hat und diesen - einfach so vor sich hin - studiert. Dazu muss man aber nicht an einer Universität eingeschrieben sein. Genau so ist es bei einem Mitarbeitenden. Er wirkt jetzt gerade an einer Arbeit mit, ohne dass er Angestellter sein muss. Die Problematik ist auch in Wikipedia zu finden:


Studenten oder Studierende?

Es gab bereits in den 90er Jahren Versuche an Universitäten, den Begriff "Studenten" durch angeblich geschlechtsneutralere Formulierungen zu ersetzen, obwohl der Begriff aufgrund des generischen Maskulinums auch weibliche Studenten umfasst, weil Genus und Sexus nicht übereinstimmen müssen. Durch die feministische Linguistik wurde jedoch eine "gerechtere" Sprache gefordert, weshalb eine auch im Genus nicht ausschliesslich männliche Form gefunden werden sollte. Da "Studentinnen und Studenten" zu umständlich war, und die Schreibweise "StudentInnen" mit Binnen-I im Widerspruch zur Orthographie steht, setzte sich schliesslich bei Versuch der Verwendung einer neutraleren Form die Partizipialform "Studierende" durch. "Studierende" ist seit dem Inkrafttreten des Universitäts-Organisationsgesetzes 1993 (UOG 1993) der gesetzliche Terminus in Österreich.

Kritiker bringen vor, dass die Partizipialform bürokratisch und wenig anschaulich sei und dass das lateinische Partizip Präsens Aktiv studens im Maskulinum, Femininum und Neutrum gleich lautet und sich deshalb als geschlechtsneutrale Form geeignet hätte. Von Max Goldt stammt folgendes Zitat: "Wie lächerlich der Begriff Studierende ist, wird deutlich, wenn man ihn mit einem Partizip Präsens verbindet. Man kann nicht sagen: In der Kneipe sitzen biertrinkende Studierende. Oder nach einem Massaker an einer Universität: Die Bevölkerung beweint die sterbenden Studierenden. Niemand kann gleichzeitig sterben und studieren." (aus: "Wenn man einen weissen Anzug anhat", Kapitel "Was man nicht sagt").

Andererseits haben auch andere Partizipialformen ihren Eingang in den täglichen Sprachgebrauch gefunden, ohne jedoch oben genannte Befremdung hervorzurufen. So finden sich im Alltag Formulierungen wie "wartende Reisende" oder "arbeitende Vorstandsvorsitzende". Es liesse sich dem Vorwurf von Max Goldt also entgegnen, dass die von ihm kritisierte mangelnde "Anschaulichkeit" bzw. Bürokratie lediglich eine Gewöhnungsfrage sei.

In Deutschland ist die Bezeichnung "Studierende" vor allem im offiziellem Sprachgebrauch gebräuchlich, scheint sich aber umgangssprachlich bisher nicht durchzusetzen. Kritiker bezeichnen diesen Sprachgebrauch als durch "Politische Korrektheit" motiviert.


Es gibt keinen Grund für die Sprachveränderung, denn mit Studenten sind auch die Frauen mit eingeschlossen. Student bezeichnet eine Funktion, kein Geschlecht.

Im Italienischen, wenn acht ragazze und ein ragazzo zusammen sind, spricht man auch problemlos von neun ragazzi. Dort wird diese Ordnung und Einfachheit nicht beanstandet. Es gibt schon zu denken, wenn man einer klaren sprachlichen Regelung unbedachterweise Sexismus unterstellt. Der Tagesanzeiger übernahm leider auch die sprachlich falschen Formen mit der fragwürdigen Begründung:

"Bis zu einer definitiven Regelung benützen wir diese Form, auch wenn sie nicht korrekt ist!"


Nachtrag vom 26. 1. 2011: Die Kantonsrätin Ursula Leu hat im Rat in Schaffhausen gesagt: Herr Präsident, verehrte Anwesende und Anwesende. (Quelle SN Januar 11) Immer mehr ist diese unbedachte Verdoppelung zu hören. Auch im Kassensturz hat die Anrede Tradition: "Liebe Zuschauer und Zuschauer". Diese Unsitte des Wiederholens, ohne etwas dabei etwas zu denken, macht bewusst, dass die Anreden nicht zu Hohlformeln verkommen dürfen. Wenn das geschlechtsneutrale Wort "Anwesende" verdoppelt wird, so ist dies so unnötig, wie ein "Liebe Gäste und Gästinnen".
Nachtrag vom 5. April 2011:
Nachtrag vom 22. März, 2014 Ein Beispiel von Notation, das illustriert wie kompliziert ein Text wird:

"Ich glaube nicht daran, dass ein_e glaeubig_r Muslim_in auch Kapitalist_in sein kann".


Aus Februar 2014 WOZ Beilage: Papierlose Zeitung Nr. 6.
Nachtrag vom 3. August, 2014

Sonntagszeitung vom 3. August, 2014
Nachtrag vom 8. September, 2014

Ein Artikel in der Solothurner Zeitung, 2014. Spricht zum Beispiel die neuen Sprachformen "Mitarbeitx" oder "Professx" an. Dieser Vorschlag ist auch im Tagesspiegel besprochen.
Nachtrag vom 23. Januar, 2015: Aus 20 Min macht ein Interview mit Pirmin Meier. Es geht um die geschlechter neutrale Schreibweise Besuche** or Profess**. Pirmin Meier ist Schweizer Autor, Germanist und ehemaliger Gymnasiallehrer. Für sein literarisches Schaffen erhielt er den Bodensee-Literaturpreis, den Jahrespreis der Stiftung für Abendländische Besinnung, den Aargauer Literaturpreis und den Innerschweizer Kulturpreis. Pirmin Meier ist Schweizer Autor, Germanist und ehemaliger Gymnasiallehrer. Für sein literarisches Schaffen erhielt er den Bodensee-Literaturpreis, den Jahrespreis der Stiftung für Abendländische Besinnung, den Aargauer Literaturpreis und den Innerschweizer Kulturpreis.


Herr Meier, was halten Sie davon, wenn Germanistikstudenten im Sinne einer "antidiskriminierenden Sprache" weibliche und männliche Wortendungen durch Sternchen ersetzen?
Diese Regelung entspringt einem permanenten Diskriminierungsverdacht. Sie spricht Leute an, die auf Vorrat beleidigt sind. Darauf ist keine Rücksicht zu nehmen.
Sie haben kürzlich einen offenen Brief unterschrieben, der verlangt, dass auf die konsequente Verwendung des Binnen-I (z.B. "LehrerInnen") verzichtet wird. Weshalb?
Das Binnen-I ist extrem hässlich, rein ideologisch, Ausdruck von Pervertierung der Sprache und wird von keiner meiner Schriftstellerinnen-Freundinnen verwendet. Auch in den Spitzenverlagen, wo ich tätig war, hielt man glücklicherweise nichts von solchem sprachlichem Sektierertum.
Halten Sie es für realistisch, dass sich Sprachregelungen wie die Stern-Endung bei künftigen Rechtschreibreformen durchsetzen werden?
Germanistikstudenten haben kaum Einfluss auf künftige Rechtschreibreformen, weil etwa im Netz und per SMS sowieso jeder macht, was er will. Problematisch finde ich es, wenn sogenannte Gleichstellungsbeauftragte beispielsweise das Wort "Fussgängerstreifen" verbieten wollen - und diese Reglemente auch noch mit öffentlichen Geldern finanziert werden.
Wie soll diese Entwicklung aus Ihrer Sicht aufgehalten werden?
Es muss nichts aufgehalten werden. Jedoch sollten sektiererisch wirkende Aktivitäten wenn immer möglich nicht durch Steuergelder unterstützt werden. Selber spreche ich als Rhetoriker die Frauen stets an, und ich finde es auch richtig, bei amtlichen Texten entweder beide Geschlechter direkt zu nennen oder einen freiwilligen Hinweis zu machen, dass die männliche oder weibliche Form beide Geschlechter meint.


Nachtrag vom Februar 2016:
Nachtrag vom April 2016:
Nachtrag vom September 2016:
Aktuell Beitrag vom 1. September 2016
Nachtrag vom 4. Januar, 2017: Schriftsteller Franz Wolf (der auch unter dem Pseudonym Francesco Lupo schreibt), hat uns auf einen interessanten Sprachaspekt aufmerksam gemacht, das zur Thematik gehört: aus dem neutralen das Mädchen oder das Männchen wird oft automatisch ein Feminum oder Maskulin. Beispiele: Zuweilen verschwimmen die Aussagen wie in diesem Satz: Herr Wolf findet das ein "Konglomerat aus Inkompetenz und Gedankenlosigkeit." und stellt auch fest, dass sich niemand dafür interessiert: Selbst Nachrichtensprecher formulieren voller Überzeugung Sätze wie:
Nachtrag vom 12. Januar, 2017: Dr. phil. Veit Gruner hat uns folgende ergänzende Gedanken zugesandt:
  1. Das Suffix -er (in Lehr-er, Schül-er usw.) geht auf das lateinische -ari- zurück, mit dem eine Zugehörigkeit oder Eigenschaft ausgedrückt wird, z.B. in milit/ari/s oder in advers/ari/us und advers/ari/a, der (die) Gegenüberstehende, wobei mit diesem Gegenüberstehen eine gegnerische Haltung gemeint ist. Da im Deutschen eine Genusendung wie das Lateinische -us / -a fehlt, ist dieses Suffix generisch unspezifisch. Und da das Deutsche im Plural keine unterschiedlichen Genera kennt, können mit Lehr/ern, Schül/ern, Besuch/ern, Mitarbeit/ern nur Personen beiderlei Geschlechts gemeint sein. Bei Wendungen wie Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer handelt es sich also um Tautologien bzw. Pleonasmen.
  2. Kürzlich erklärte mir eine Spanierin, die Wendung estamos contentos y contentas (bzw. contentas y contentos) sei absolut unüblich; auch wenn Personen beiderlei Geschlechts gemeint sind, genüge estamos contentos (= wir sind zufrieden) und werde keineswegs als Zurücksetzung von Personen weiblichen Geschlechts empfunden. Nicht anders verhält es sich im italienischen und im französischen Sprachgebrauch (siamo contenti bzw. nous sommes contents) - eines von zahllosen Beispielen dafür, dass das grammatisches und biologisches Geschlecht in den wenigsten Fällen deckungsgleich sind und darum auch nicht künstlich deckungsgleich gemacht werden müssen.
Nachtrag vom 31. Mai, 2017:: Wirbel um Rede von Grünen-Chefin Göring-Eckhardt: Der Westen:
Immer wieder sorgen Gender-Vorschläge der Grünen für Aufregung. So forderte die Partei 2015 ein Gendersternchen hinter Wörtern, die nur Männern zuzuordnen sind - obwohl damit auch Frauen gemeint sein können. Jetzt rückt Grünen-Chefin Katrin Göring-Eckardt mit einer durchgegenderten Begrüssung in den Mittelpunkt. So soll die Politikerin auf dem Kirchentag in Berlin eine Rede mit #Liebe Kinderinnen und Kinder" angefangen haben. Hat Göring-Eckardt so ihre Rede angefangen? Es dauerte nicht lange, bis die von Göring-Eckardt verwendete Begrüssung ihren Weg in die sozialen Netzwerk fand und dort vor allem von AfD-Politikern mit Kusshand aufgenommen wurde. Dementsprechend rau ging es in den Kommentaren zu. #Liebe GutmenschInnen, BahnhofsklatscherInnen und OpferInnen der offenen Grenzen", schrieb so zum Beispiel ein Nutzer. Doch hat das Göring-Eckardt tatsächlich gesagt? Ja, wie sie gegenüber der ARD bestätigt. Allerdings sei das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen worden. Es habe sich um #Selbstironie" gehandelt - wohl weil sie selbst weiss, dass sie mit dem ein oder anderen Gender-Vorschlag übers Ziel bereits hinausgeschossen ist. #Kinderinnen und Kinder" stammt von DDR-Liedermachern Konkret bezog sich die Grünen-Politikerin aber auf eine Formulierung der DDR-Kinderliedermacher Circus Lila, deren Lieder auch Thema auf dem Kirchentag gewesen seien. So hiess es auf einer Platte von Circus Lila: "Liebe Kinderinnen und Kinder! Liebe Watte in den Ohren, liebe Tomaten auf den Augen, liebes Feuer unter den Sohlen! Die Platte aus der Hülle, die Nadel in die Rille, Circus Lila singt seine Lieder!" Zur Aufregung um den Anfang ihrer Rede sagt Göring-Eckardt zur ARD: #Dass die AfD dieses Zitat aus dem Kontext löst und dafür nutzt, gegen mich zu hetzen, sagt viel über diese Partei aus. Wer inhaltlich blank ist, fängt an mit Dreck zu werfen."
Das Kommunikationsprinzip "Wenn der Empfänger etwas falsch versteht ist der Sender schuld" gilt auch bei der Anrede "Liebe Kinderinnen und Kinder". Wenn Grünen-Chefin Katrin Göring-Eckardt nachträglich sagt, sei sei missverstanden worden, müsste sie einsehen, dass bei ihrer Anrede die Ironie weder verbal noch nonverbal zu erkennen war. Die zahlreichen unsinnigen Gender Vorschläge waren bislang nie ironisch gemeint. Es ist somit nicht verwunderlich, dass die Oeffentlichkeit die Anrede von Göring-Eckhardt mit Hohn und Spott quittiert hatte.
Nachtrag vom 18. Juli, 2019::
Ein guter Artikel im Tagi von Martin Ebel:




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