Abend für Abend wettert Blocher irgendwo im Land gegen den Uno-Beitritt. FACTS analysiert seine Auftritte.


Von Thomas Widmer


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Zu den Erfolgsprodukten des Zürcher Polit-Industriellen Christoph Blocher gehört ein zuverlässig funktionierendes Wir-Gefühl. Die 500 Leute im Mehrzweckgebäude von Waldstatt AR hat der Alleinreferent schon nach 20 Minuten sicher auf seiner Seite. "So viele Bundesräte wie jetzt während der Uno-Kampagne sieht man bei euch in der Ostschweiz sonst nie", spöttelt Blocher. Lauter Applaus. Schliesslich fühlt sich die Region notorisch vernachlässigt. Doch leider werde, warnt Blocher, die Wertschätzung Bundesberns nicht anhalten: "Nach der Abstimmung fliegt der Bundesrat dann lieber wieder nach Manhattan, um programmatische Reden zu schwingen."

Noch mehr Applaus.

Hie wir, das Volk. Und da sie, die Funktionäre, Diplomaten, Politiker, eine dem Volk entfremdete, diesem nicht mehr zu-dienende Kaste: Permanent repetiert Blocher das Simpel-Schema, auf dass es sich in den Köpfen festhake. "Natürlich ist es einfacher, in New York weltverbesserische Ansprachen zu halten, als in der kleinen Schweiz dafür zu schauen, dass die Krankenkassenprämien nicht steigen", höhnt er.

Tosender Applaus.

Ein Mann, eine Mission. Landauf, landab weibelt der Präsident der Kantonalzürcher SVP in diesen Wochen gegen den Uno-Beitritt der Schweiz. Ob in Bern oder Luzern, Bellach oder Waldstatt, eine halbe Stunde vor Beginn sind die letzten Stühle besetzt. Folgt man Blocher auf seiner Anti- Uno-Tournee durchs Land, so formieren sich die Eindrücke zur Lektion in Massenkommunikation.

Blocher macht aus seinen Schwächen Stärken. Dass ihn als Milliardär die Krankenkassenprämien weniger drücken als den Bauern in Reihe acht mit dem Stroh am abgewetzten Faserpelz - kein Problem für den gewieften Rhetoriker. "Ich zahle mehr Steuern als der ganze Bundesrat zusammen", wettert er in Waldstatt - ihn nervt, dass für die offizielle Pro-Uno-Infokampagne Bundesgelder in Millionenhöhe flossen. Da schliessen sich die Reihen: Ich und du und der Blocher dazu, wir gebeutelten Steuerzahler müssen zusammenhalten.

Dass Blocher steinreich ist, gereicht ihm nicht zum Nachteil. Im Gegenteil: Er fasziniert die Leute gerade, weil er es auch auf einem anderen Gebiet geschafft hat. Das verleiht ihm zusätzliche Credibility.

Blocher holt die Leute mit Bildern ab. "Die politische Uno", sagt er in Luzern, "ist ein Vertrag. Nichts anderes, ein Vertrag. Aber ein Kleinstaat wie der unsrige muss aufpassen, was für Verträge er unterschreibt." So eindringlich raunt er es in den "Union"-Saal, dass der Zuhörer schaudernd einen windigen Vertreter halluziniert, welcher der wehrlosen Grossmutter an der Wohnungstür ein teures, doch nutzloses Haushaltsgerät aufschwatzt.

Blocher wiederholt seine Mantras so hartnäckig, dass sie in jedermanns Hirn nachhallen. "Mischt euch nicht in fremde Händel!" etwa. Das Motto des Niklaus von Flüe aus dem 15. Jahrhundert deklamiert er an jedem seiner Auftritte mehrfach, und auch die "fremden Richter", die wir nicht wollen, serviert er alle 20 Minuten.

Die Freude an der Provokation treibt den Mann an. Blochers stärkstes öffentliches Gesicht ist die freche Fratze. In "10 vor 10" sah man ihn kürzlich mit Bundesrat Joseph Deiss zusammentreffen, Blocher gab die Hand, grinste aber höhnisch. "In solchen Momenten erinnert er an Ursula Koch. Sie konnte mit genau demselben Gefühl moralischer Überlegenheit verächtlich grinsen", sagt ein SP-Politiker. FDP-Nationalrätin Christine Egerszegi kennt aus dem Parlament den "Spitzbub" Blocher: "Er wartet, bis alle abgestimmt haben. Und dann geht er hin und stimmt anders als der Rest der Bürgerlichen und lacht übers ganze Gesicht und freut sich, dass er die andern auf dem falschen Fuss erwischt hat." Dreist klaut Blocher dem politischen Gegner das Vokabular. Freiheit sei stets "die Freiheit der Andersdenkenden", sagte die Radikalsozialistin Rosa Luxemburg einst. Doch dann jammert der Rechte Blocher in Bellach vor den Jura-Südfuss-Büezern, dass die SVP seinerzeit beim neuen Krankenversicherungsgesetz vorausgesagt habe, es werde nicht greifen, die Prämien würden weiter steigen. "Genau so ist es gekommen. Aber damals nannte man uns Lügner. Wir Andersdenkenden werden systematisch verunglimpft."

Blocher, ein Spitzenredner? Trotz aller Kniffe - nüchtern besehen ist ers nicht. Er wird öfter unangenehm laut. Fingert dauernd nervös in der rechten Sakkotasche, fährt dann mit den Fingern hinter die Brille, um die müden Augen zu reiben. Packt sein Rednerpültchen, als wolle er es hochwuchten und zu Boden schmettern. Auch verhaspelt er sich regelmässig. Alles kein Problem: "Kein perfekter Redner zu sein, ist in der Schweiz eher ein Vorteil. Willy Ritschard machte Fallfehler und kam gerade darum an", sagt SP-Nationalrat Andreas Gross. Mehr Mühe hat das republikanisch getrimmte Volk mit abgehobenen Politikern: "Bundesrat Kurt Furgler etwa redete zu geschliffen, um wirklich beliebt zu sein", sagt der Schaffhauser Medienpädagoge Marcus Knill. Ein kleiner Trumpf für Blocher: dass er zwar aus dem Kanton Zürich kommt, der ungeliebten Wirtschaftsmacht. Dass sein angeschaffhauserter Dialekt aber nicht typisch Züri-arrogant tönt.

Gegnerische Pointen toppt das Animal politique, ganz Reflexwesen, mit seinen eigenen. Sagt SP-Nationalrat Boris Banga in Bellach, dass der Vollbeitritt zur Uno bloss mit jährlich 70 zusätzlichen Millionen Franken zu Buche schlage, gleich viel wie ein Kilometer neue Autobahn, so denkt der Zuschauer: Oha, die Uno ist gar nicht so teuer. Doch hoppla, kommt der Konter: "Herr Banga, das mag ja sein. Aber die Autobahn ist dann gebaut. Während wir bei der Uno jedes Jahr neu zahlen müssen."

Blocher ist so gut wie seine Gegner schlecht. Mangelhaft vorbereitet, begeht SP-Mann Banga mehrere Sachfehler, die Blocher lustvoll korrigiert. Als das Publikum einmal lacht, zischt Banga in den Saal: "Wenn ihr aufgehört habt mit Kopfschütteln, könnt ihr wieder anfangen zu denken." FDP-Nationalrat Johann N. Schneider sagt in Bern, die Schweiz sei bereits jetzt tendenziell isoliert. Worauf Blocher ins Publikum fragt: "Isoliert? Fühlet Si sich isoliert?" Die Leute lachen, Schneider wird nervös, presst die Hand an die Schläfe, als plage ihn eine Migräne. Der Schwyzer CVP-Ständerat Bruno Frick hat sich in Luzern Tage zuvor in allzu vielen Dass- und Damit-Nebensätzen verheddert. Nicht gerade ein volkstümlicher Formulierer.

Erntet sein Gegner mal Applaus, steckt Blocher das locker weg. Platziert halt, ganz Entertainer, ein Witzchen. "Der Bundesrat sagte schon 1986, die Zeit sei reif für die Uno. Jetzt sagt er wieder, die Zeit sei reif. Mir scheint, die Zeit wird immer reifer und reifer. Jetzt ist sie dann schon bald faul." Ziemlich fad, der Scherz. Besser ist Blocher als Jongleur der Tonlagen. "Der Arafat hat einst den Friedensnobelpreis bekommen. Und heute? Sie, heute lese ich in der Zeitung, er sei ein Terrorist", sagt Blocher und lässt die Stimme überschnappen. Die Leute lachen, weil der Redner das Irrenhaus der internationalen Politik vorführt. Mit Talent parodiert Blocher auch die salbungsvoll-gouvernementalen Appelle des Bundesrats ans Stimmvolk und wedelt mit den Händen durch die Luft, um die weltfremden Bundeshaus-Akademiker zu karikieren. Dann wieder mimt er den Chasperli, der mit Flüsterstimme vor dem Räuber Hotzenplotz warnt: "Die politische Uno, das ist der Sicherheitsrat. Dort hocken die Mächtigen. Vor dem Sicherheitsrat müssen wir Kleinen uns in Acht nehmen."

"Blocher hat . Und doch kann er so reden wie das Volk", sagt der freisinnige Ausserrhoder Ständerat Hans-Rudolf Merz. Und zitiert Luther. Der schrieb 1530 im "Sendbrief vom Dolmetschen": "Man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, so verstehen sie es denn."

Klar tritt Blochers protestantisches Erbe in der Uno-Schlacht zu Tage. Christoph Blocher, dessen Bruder Gerhard, vormals Pfarrherr zu Hallau, sein engster Vertrauter ist - dieser Blocher ist der Cervelat-Apokalyptiker. Seine Albisgüetli-Rede vor einem Monat, den Getreuen der Partei zugeeignet, zeichnet das Bild einer gebeutelten Nation: "Einstmals blühende" Firmen sind "heruntergewirtschaftet". "Manager bedienen sich schamlos aus den Kassen von Unternehmen, die ihnen gar nicht ge-hören." Und "die ehemals glaubwürdigen Wirtschaftsverbände fordern vom Bundesrat Geld für serbelnde Unternehmen". Die Missstände gehen ihm nahe, dem Vorbeter der vom braven Serbelgrüppchen zur aggressiven Kraft im Staate angeschwollenen Gemeinde der Rechtschaffenen, sprich: SVP. Mit der Uno-Entscheidung gilt es nun ernst: Frevler wollen gar Hand an den unantastbaren Glaubenskern Neutralität legen. "Öisi immerwährendi Neutralität gebütet öis doch aber ...", sagt Blocher in Bern, ganz Moses, der sich auf die in Stein gehauenen Zehn Gebote beruft.

Alle Kenner attestieren Blocher das Feu sacré. "In vielen Dingen ist er sehr umgänglich. In der Frage der Neutralität aber wird er zum Eiferer", sagt Ständerat Merz. Die Uno-Abstimmung ist für Blocher Armageddon, erhobenen Hauptes wie weiland Zwingli zieht er in die Entscheidungsschlacht. Die diabolischen Versuchungen Uno und EU - sie dürfen nicht triumphieren über die reine Schweiz, das auserwählte, mit Prosperität und Souveränität bedachte Land im Gnadenstand.

"Ich will dann sehen, ob wir als reiches Land dem Sicherheitsrat wirklich widerstehen, wenn der uns in irgendeinem Konflikt um Beistand, um Geld und Truppen, bittet", skizziert der Mahner von Herrliberg für den Fall eines Uno-Beitritts den Wankelmut des Bundesrats. Diesen attackiert Blocher, der gedemütigte Demütiger, im Uno-Kampf mit besonders hoher Frequenz. "Seine Verachtung für Leute, die Kompromisse machen, geht tief und ist nicht gespielt", sagt die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr.

Christoph Blocher - eine umstrittene Marke, doch eine Marke mit Profil. Tritt er in irgendeinem Saal irgendwo in der Schweiz ans Mikrofon, so harrt jedermann gespannt der Begrüssung. So auch in Bellach. "Liebi Solothurnerinne und Solothurner", sagt er, und es bleibt still. "Liebi Fraue und Manne", schiebt er nach, und die Leute lachen und klatschen. Wie in der Mainzer Bütt.

Der MedienCoach analysiert

Marcus Knill Er ist das Werkzeug seiner Botschaft. Christoph Blocher glaubt, was er sagt. Darum wirkt er für viele so glaubwürdig, schreibt Marcus Knill.

Blochers Erscheinung
Seine Kleidung wirkt, als habe sie ihm die Frau zurechtgelegt: bieder, sauber, bürgerlich, auf keinen Fall luxuriös. Wenn er zur Bühne geht, fehlt ihm die Lockerheit, die ihn beim Sprechen auszeichnet. Er geht schwerfällig, nach vorn gebeugt - der aufrechte Gang ist das nicht. Aber ein Mann des Volkes geht so. Beim Sitzen groundet er oft auf dem Tisch. Er ist dann ganz in seinem Denkraum, krümmt sich ein, zeichnet jedoch mit ausholender Gestik seine Aussagen nach. Der Blick hat etwas von einem "Nebelblick" - als schaue er durch die Leute hindurch. Blocher ist ganz bei seiner Aussage; es ist ihm egal, wie er sitzt oder gestikuliert. Was die wenigsten können, beherrscht er: sich voll und ganz ins Thema versenken. 150 Prozent bei der Sache sein, das ist seine Stärke. Die Konzentration richtet sich hingegen wenig aufs Publikum, das er als anonyme Masse behandelt.

Blochers Rhetorik
Bei allen Rhetorikdozenten ist Blocher immer ein Thema. Der Pfarrerssohn verwendet gekonnt die bildhafte Sprache und Gleichnisse. Wenn sein Gegner in der Podiumsdiskussion zum Beispiel behauptet, die Zahlungen der Schweiz an die Uno in den nächsten Jahren würden in etwa gleich bleiben, so kontert Blocher sofort mit den Krankenkassenprämien. Jedem Zuhörer leuchtet die - fragwürdige - Analogie ein: Als das KVG kam, wurde betont, man werde die Kosten im Griff haben. Und nun steigen die Prämien Jahr für Jahr. "Ist eigentlich wahr", sagen sich alle.

Blocher beherrscht die Kunst, seine Kernaussagen zu wiederholen. Wiederholung spielt auch bei der Manipulation und Propaganda eine grosse Rolle; was nach einem Blocher-Abend bleibt, sind die starken, unablässig repetierten Bilder. Ein Beispiel: Die Uno in New York ist laut Blocher der Glaspalast, wo "bloss geschwatzt" wird. Und unsere Politiker, Funktionäre, Diplomaten wollen, so Blocher, halt mitschwatzen, weil das weniger mühsam sei, als die Bundesfinanzen ins Lot zu bringen.

Gekonnt greift Blocher immer wieder die Aktualität auf: Er erwähnt etwa an geeigneter Stelle das Riesenhonorar, das Swissair-Sanierer Corti im Voraus kassierte. Dies hat zwar nichts mit der Uno zu tun. Aber Blocher suggeriert, dass der ehrliche kleine Mann von "denen da oben" betrogen wird.

Blochers Sendungsbewusstsein
"Sie zeigen eine - manchmal fast unheimliche - Verpflichtung gegenüber der Sache", sagt Blocher über erfolgreiche Führungspersönlichkeiten. Blocher will das Werkzeug seiner Botschaft sein. Ton und Stil treten gegenüber der Message in den Hintergrund, da darf auch mal die Stimme überschnappen oder höhnisch über den Kontrahenten gelacht werden. Die Uno und die EU sind seine Erzfeinde, er muss alle vor der sündigen Uno warnen. Der Glaube an eine reine Schweiz scheint ihn zu treiben. Die Neutralität wird zum Kern eines pseudoreligiösen Dogmas, das aus seiner Sicht unverhandelbar ist. Ich bin überzeugt: Blocher ist echt, spielt keine Rolle, ist sich selbst. Weil er glaubt, was er sagt, ist er für viele glaubwürdig. Nur wer in sich das Feuer hat, kann das Feuer beim Publikum entfachen. Blocher kommt deshalb bei vielen an, trotz Versprechern oder der über weite Strecken viel zu lauten Stimme. Selbstzweifel sind diesem Mann fremd.