ZDF: Kann man im "Krieg der Bilder" überhaupt noch zwischen
Propaganda und Information unterscheiden?
Mathias Kepplinger: Nach aller Erfahrung: Nein. Beide Konfliktparteien
haben ein hohes und legitimes Interesse daran, die Situation so
darzustellen, wie es ihren eigenen Zwecken nutzt und deshalb muss man
davon ausgehen, das beide Seiten immer die Journalisten
instrumentalisieren.
ZDF: Neutralisiert sich die Propaganda nicht, wenn beide
Kriegsparteien sich der Macht der Bilder bedienen?
Kepplinger: Natürlich erhöht sich die Chance und hier ist
zweifellos Al Dschasira ein immens großer Gewinn. Nur muss man sehen,
dass das bisher nicht voll durchschlägt, weil zwar Al Dschasira in
weiten Teilen von Europa gezeigt wird - oder auch von den
öffentlich-rechtlichen Sendern auszugsweise übernommen wird.
Das ist aber in Amerika nicht der Fall. Das amerikanische Publikum sieht nach
wie vor fast ausschließlich amerikanische Sender, die amerikanische
Seite, mit der Konsequenz, dass bestimmte Aspekte in Amerika nicht auf
dem Bildschirm erscheinen.
ZDF: Die Stimmung in Amerika ist nicht mehr ganz so
zuversichtlich, seit Bilder von Gefangenen US-Soldaten oder getöteten
Soldaten über die Bildschirme flimmern. Kann die Macht solcher Bilder
den Krieg entscheiden?
Kepplinger: Die amerikanische Regierung und die republikanische Partei
kann sehr stark verlieren, denn wenn der Krieg lang dauert, dann muss
man damit rechnen, dass ein ähnlicher Effekt eintritt wie nach dem
Vorgehen in Somalia. Dort wurden amerikanische Soldaten durch
Mogadischu geschleift, solche Bilder würden heute ein ähnliches
Entsetzen hervorrufen und mit großer Wahrscheinlichkeit negativ auf
Bush und seine Regierung durchschlagen. Den Krieg verliert sie dadurch
nicht, dafür ist das Investment zu groß, aber der
Ansehensverlust im eigenen Land wird dramatisch sein.
ZDF: In der Weltöffentlichkeit auch.
Kepplinger: In der Welt sowieso. Die Amerikaner haben in der
Weltöffentlichkeit nur noch eine Chance: Sie müssen
Massenvernichtungswaffen finden und zeigen, wenn sie die nicht finden,
egal, wie der Krieg weitergeht, wird das Ansehen Amerikas gravierend
darunter leiden.
ZDF: Die moralische Argumentation gegen das Zeigen von
Kriegsbildern könnte man doch auch umdrehen im Sinne einer
"Friedens-Propaganda", dass man möglichst viele grausame Kriegsbilder
zeigen muss.
Kepplinger: Hier muss man die Moral von der Wirkung trennen. Und die
Wirkung ist nicht so einfach, wie es aussieht. Opferbilder wirken
immer mächtiger als Täterbilder. In den meisten Konflikten gibt es
eine machtvollere Seite, die in der Regel während des Krieges kein
Interesse daran hat, eigene Opfer darzustellen, weil das Zweifel im
eigenen und im gegnerischen Lager an der Überlegenheit weckt. Die
unterlegene Seite hat dagegen ein großes Interesse daran, eigene Opfer
darzustellen, weil das den Hass und damit die Kampfbereitschaft stärkt
und das Mitleid der Unbeteiligten hervorruft.
ZDF. Aber die Öffentlichkeit ident ifiziert sich doch jenseits
aller Propaganda mit den Opfern - gleich welcher N ation...
Kepplinger: In der Regel, ja. Nur wird die Weltöffentlichkeit den
Krieg nicht entscheiden. Entscheidend ist die Öffentlichkeit in
Amerika und im Irak. Wir können uns zwar moralisch entrüsten,
aber wir werden nichts am Verlauf der Dinge ändern.
ZDF: Auch das Abbilden brutaler Kriegsbilder empört die
Öffentlichkeit. Waren Abbildungen und Fotos aus früheren Kriegen
im Gegensatz zu den Bildern aus jüngerer Vergangenheit nicht viel
grausamer?
Kepplinger: In früheren Jahrhunderten,
im dreißigjährigen Krieg und vor allem im 17.
Jahrhundert, war die Presse - mehr gab es ja damals
nicht - wesentlich gewalthaltiger als heute: Pfählungen,
Enthauptungen, Verstümmelungen - auf den Holzschnitten spritzte nur so
das Blut raus. Das war für die damalige Zeit
Realitätsdarstellung, die vermutlich ähnlich nachhaltig
gewirkt hat wie heute ein Foto. Wir sehen aber heute auch in
normalen Kino-Filmen wieder viel exzessive Gewalt, das ist langsam
dann in den Journalismus hinübergewandert.
ZDF: Und doch scheint es so, als sei die öffentliche
Empfindsamkeit gegenüber den Bildern gestiegen.
Wie erklären Sie das?
Kepplinger: Nach meiner Überzeugung sind viele dieser empfindlichen
Reaktionen scheinheilig. Die meisten Menschen reagieren auf Gewalt mit
Erregung und nehmen diese Erregung mit einem lustvollen Widerwillen
wahr. Das ist auch der Grund, warum bei großen Unfällen an den
Autobahnen die Leute unbedingt die Leichen oder die Verletzten sehen
wollen. Wenn sie den Kriegsgefangenen oder den Toten gesehen haben,
dann ereifern sie sich, aber sie wollen es trotzdem sehen. Und in
dieser Reaktion ist vor allem dann, wenn sie sich rein moralisch
gebärdet, ein ganzes Stück Verlogenheit.
ZDF: Vor dieser Neugier soll der Artikel 13 der Genfer
Konvention schützen, der das Zeigen solcher Bilder deswegen
verbietet...
Kepplinger: Ja, genau, wie man einen Verbrecher nicht in der
Öffentlichkeit vorführen soll, um ihn für sein Leben zu
stigmatisieren, so soll man auch einen Kriegsgefangenen in der
Öffentlichkeit nicht der Häme, dem Spott oder auch dem Mitleid
einfach preisgeben. Der so Fotografierte ist in einer doppelten Weise Opfer:
Opfer seiner Verletzung oder seiner Gefangenschaft und er ist Opfer
der öffentlichen Neugier. Wir leben hoffentlich nicht in der Zeit des
Prangers.
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