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Im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung vom 15. Mai, 2004 rät Joachim Güntner angesichts der Greuelbilder und und Videos aus dem Irak zur "Vorsicht mit Sinnbildern".
Aufklärung - ein schaler Trost der Greuelbilder
Vom fragwürdigen Nutzen des fotografischen Schocks

Joachim Güntner
Erst die Fotos aus Abu Ghraib haben die Untaten dort zu dem Skandal werden lassen, der sie sind. Muss man jetzt um der moralischen Wahrheit willen auch das Video von Nicholas Bergs Ermordung ansehen? Der Preis visueller Aufklärung ist hoch und eine Kultivierung von Hemmungen durch Bilder nicht zu erhoffen.
Man kann den Teufel nicht mit Beelzebub austreiben. Gewalt zeugt Gewalt, und auf die Bilder der Gewalt antworten nur mehr weitere Bilder. Sie wecken Erschrecken und suggerieren Erklärungen, die keine sind. Nachdem die Mörder von Nicholas Berg ihr Video von der Enthauptung des amerikanischen Zivilisten verbreitet hatten, reagierte der Pressesprecher des Weissen Hauses mit den Worten: "Dies zeigt die wahre Natur der Feinde der Freiheit." Das Snuff-Video als ideologisch aufschlussreiche Selbstentblössung, ja als in seiner Brutalität politisch-anthropologisches Lehrstück, ein nachgerade metaphysisches Dokument. Wenn's denn so wäre.
Morden, um zu filmen Propaganda und Gegenpropaganda folgen der Logik der Eskalation. Bergs Schlächter deklarierten ihr Tun als Vergeltung für die Tötung, Misshandlung und die im Bild festgehaltene "satanische Erniedrigung" der gefangenen Muslime in Abu Ghraib. Ihre Botschaft heisst Triumph ob der Fähigkeit zur Rache; ihre Unterlegenheit gegenüber der Militär- und Medienmacht des Gegners kompensieren sie durch den Exzess. Ist die Kräfteverteilung gekennzeichnet durch Asymmetrie, bleibt im Kampf um Aufmerksamkeit die Steigerung der Greuel. Überbietung als Methode: Fotos wie das von dem nackten irakischen Gefangenen, an der Leine und auf allen vieren wie ein Hund, werden gekontert durch ein Video, das verbreitet, wie ein Amerikaner buchstäblich geschlachtet wird. Als Strafaktion ist diese Hinrichtung sinnlos. Die Gegenwart der Kamera verurteilte Nicholas Berg zum Tode. Er musste sterben, damit sein Tod gezeigt werden konnte. Und es musste seine kopflose Leiche zu finden sein, damit das Gezeigte als authentisch beglaubigt war.
Am Anfang dieser Woche, als es vorerst einzig um die Fotos aus Abu Ghraib ging, die nach ihrer Erstausstrahlung durch den amerikanischen Sender CBS immer mehr wurden, konnte der "Spiegel" zur epidemischen Verbreitung abstossender Bilder und deprimierender Untersuchungsberichte im Internet noch anmerken: "Vielleicht ist das der einzige Trost des Augenblicks: Das World Wide Web dient eben auch der Aufklärung einer weltweiten Öffentlichkeit." Der Satz gab einer weitverbreiteten Ansicht Ausdruck. Vielen erschien der Zugewinn an Aufklärung als das grosse, letztlich ausschlaggebende Plus in einer verheerenden moralischen Bilanz, in welcher amerikanische Militärpolizisten als Folterer dastanden, gedeckt von einer politischen Führung, die - dem bösen Anschein nach: heuchlerisch - Menschenrechte predigt.
Nach der Hinschlachtung von Nicholas Berg tönen die Fanfaren der Aufklärung gedämpfter. Der Literatur- und Medienmythologe Klaus Theweleit vertritt eine Minderheitsposition, wenn er sich vorbehaltlos dafür ausspricht, die Schreckensbilder aus dem Irak zu zeigen. "Folter braucht Zeugen. Wenn man sie nicht nach aussen bringen kann, dann wird sie im Innern verbreitet", lautet sein politisches Argument, und ein kulturphilosophisches bringt er auch an: Wir dürften nicht der Scheinheiligkeit frönen, sagt er, sondern müssten den geniesserischen Sadismus der Folterer und Mörder und die Verwüstungen, die der Krieg anrichtet, als einen "Strang unserer Zivilisation" erkennen. Nur so liessen sie sich diskutieren und bekämpfen.
Aufklärung (über akute Missstände) und Selbstaufklärung (über unsere tief gegründeten zivilisatorischen Defekte) hätten Hand in Hand zu gehen und ihre Praxis sei möglichst schrankenlos - mit diesem Votum bezieht Theweleit die Position des konsequenten Modernisten. Dem stehen die Plädoyers für den Verzicht aufs Hinschauen, für die Hemmung, gegenüber. Ob man Bilder von Qual, Folter und Mord sehen muss, um aufgeklärt zu sein, lässt sich wohl kaum pauschal bestimmen. Die zurzeit herrschende Meinung tendiert zu folgender Unterscheidung: Die Fotos der Gequälten von Abu Ghraib gehören in die Öffentlichkeit, das Video von Nicholas Bergs Massakrierung hingegen nicht. Zu problematisieren freilich wäre in jedem Fall, ob Bilder Besseres leisten als das, was auch die Sprache mit Beschreibung, Begriff und Urteil leisten könnte.
Fotos wecken Aufmerksamkeit effektiver, als Sprache dies tut, sie brennen sich der Erinnerung stärker ein, scheuchen Affekte rascher auf, und sie bringen den moralischen Menschen in uns leichter auf Trab. Das kann ein Vorzug dort sein, wo ohne sie die Ignoranz regieren würde. Jede humanitäre Organisation weiss das. Die Praxis ihrer Kampagnen belegt, wie nötig Bilder sind, um Menschen in ihrer Lethargie zu stören. Es gehört zum Eigentümlichen der Fotografie, dass ihre Werke den Betrachter stärker zu schockieren vermögen als jede andere bildliche Darstellung. Der appellative Charakter des fotografischen Bildes, seine zudringliche Evidenz, besagt indes nichts über seine Wahrheit. Für sich genommen, ist an Fotos nicht einmal die Aussage klar. Erst der sprachliche Kontext legt den Bildsinn fest.
Manchmal führt die Sprache auch in die Irre. Woran denken wir bei der Nachricht, dass Nicholas Berg "enthauptet" wurde? Vermutlich an Säbelhieb und glatten Schnitt. Das Video dokumentiert den Mord an einem Menschen, der gepackt wurde wie ein Schaf, das man schlachten will, ein fürchterlich langes, qualvolles Sägen an Nacken und Kehle, begleitet von den Schreien des Opfers. Man begreift bei diesem Anblick, warum Zeitgenossen die Guillotine bei ihrer Einführung als Humanisierung der Hinrichtung begrüssten. Sollen wir derart durch Anschauung belehrtes Begreifen als Aufklärung rühmen, in Anlehnung an Klaus Theweleit, der "aus den KZ, aus Splatter- und Pornofilmen" harten Stoff kennt und Illusionslosigkeit verlangt? Nicht abweisen lässt sich der Verdacht, es bedeute eher Verwahrlosung des Gemüts, sich solchen Szenen auszusetzen.
Es gibt Ablichtungen der Realität, die wie Menetekel funktionieren, sie mahnen, rütteln auf. Aber Tabus, Hemmungen, Handlungsschranken lassen sich mit ihnen nicht erzeugen. Alles Reden vom sogenannten "heilsamen Schock" ist hier mit Vorsicht zu geniessen. Dass sich zum Komplizen macht, wer Bergs Ermordung auf seinen Bildschirm holt, wenden die Kritiker ein. Nach Zensur ruft gleichwohl niemand - und mit Recht: Die öden Diskussionen, wo der Appell, auf die Publikation von Schreckensbildern zu verzichten, reflexartig als Zensur attackiert wird, sind hier fehl am Platz. Abu Ghraib und Nicholas Berg sind nicht der Anlass, um über das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, den "free flow of information" zu debattieren.
Bilderverbot als Sinnbildverbot "Du sollst dir kein Bildnis machen" - das ist kein Ruf nach Zensur. Vom Theologischen ins Profane gewendet, hiesse das: Vorsicht mit Sinnbildern. Gerade weil der Kontext die Aussage bestimmt, drohen Gefahr und Chance gleichermassen. Wie bleiben Abbildungen, als Sinnbilder genommen, im kollektiven Bewusstsein hängen? Haben nicht die Fotos aus Abu Ghraib in der arabischen Welt das Stereotyp vom Westler als Inkarnation der Dekadenz, des imperatorischen Hochmuts und der Schamlosigkeit zementiert? Und bestätigt nicht umgekehrt das Video von der Hinschlachtung Bergs die Imago vom blutrünstigen Orientalen? Der Pressesprecher des Weissen Hauses hat mit seinem Wort von der "wahren Natur" der Mörder das Video zum Sinnbild erhoben. Und er hat die Mörderbande nicht einfach als solche angeprangert, sondern als "Feinde der Freiheit" bezeichnet und damit politisch codiert. Das Video als Emblem eines politischen Kampfes - so wollen es ja die Mörder selber. Der Krieg der Bilder spielt ihr Spiel.


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