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RTL-Chef Gerhard Zeiler Interview im Spiegel

RTL-Chef Gerhard Zeiler wird von den Spiegel Redakteuren Marcel Rosenbach und Thomas Tuma über die öffentlichen Debatten zum TV-Experiment "Ich bin ein Star -- Holt mich hier raus!", und die Grenzen der Unterhaltung befragt. Dieses Interview erschien im Spiegel 6/2004 Februar 1, 2004.




RTL-Chef Gerhard Zeiler, 48, über die öffentlichen Debatten
zu seinem umstrittenen TV-Experiment "Ich bin ein Star -- Holt mich
hier raus!", den neuen Hang zum Trash-Fernsehen und die Grenzen der
Unterhaltung

Interview: Spiegel Redakteure Marcel Rosenbach und Thomas Tuma.

SPIEGEL: Herr Zeiler, mit zwölf Tagen Dschungel-TV und
den Nachklapp-Talksendungen aus dem komfortablen RTL-"Extra"-Studio
in der vorigen Woche haben Sie den ganzen Januar über Quoten,
Schlagzeilen und die öffentliche Debatte bestimmt. Nur einer hat
bislang zum Thema geschwiegen: Sie. Aus Scham?

Zeiler: Wofür sollte ich mich schämen? RTL hat dank "Ich bin
ein Star - Holt mich hier raus!" gerade einen sensationell erfolgreichen
Januar verbucht.

SPIEGEL: Wie man's nimmt. Die Medienwächter haben die Show für
grenzwertig befunden, und laut einer aktuellen Studie haben Kakerlaken,
Spinnen und Hackebeil dem Image von RTL als Familiensender schweren
Schaden zugefügt.

Zeiler: Nun ja, über derlei Studien kann man sicher ebenso
diskutieren wie über "Ich bin ein Star ...". Wir jedenfalls sind
der festen Überzeugung, dass die Sendung RTL genützt hat. Und
Sie glauben doch nicht wirklich, dass solche Formate bei RTL einfach so
passieren. Wir diskutieren das mit allen potenziellen Vor- und Nachteilen
vorher durch. Und natürlich gab es auch Stimmen dagegen.

SPIEGEL: Das heißt, Sie haben es gegen interne Widerstände
durchgesetzt?

Zeiler: Es gab keine Widerstände. Unsere Strategie war, gleich
Anfang des Jahres mal zu demonstrieren, wo RTL wirklich steht. Es gab in
den letzten Monaten vor allem in der veröffentlichten Meinung eine
Tendenz, die sagte, wir würden uns auf unserer Marktführerschaft
ausruhen und schwächeln. Mit "Ich bin ein Star - Holt mich hier
raus!" wollten wir allen zeigen, dass RTL der Sender in Deutschland ist,
der Events schafft, über die man spricht. Und das ist gelungen.

SPIEGEL: Der öffentliche Aufschrei über Ekel-TV, Menschenhatz
und Folter-TV war also von vornherein kalkuliert?

Zeiler: Bei solchen Begriffen hört für mich der Spaß
auf. Wir foltern niemanden. Und wer behauptet, wir hätten einen
römischen Unterhaltungsbegriff, dem kann ich nur sagen: Lernen Sie
Geschichte! In den Arenen ging es um Leben oder Tod. Das kann man doch
wirklich nicht vergleichen, und das sollte man auch nicht tun.

SPIEGEL: Es scheint aber so, als würden Sie RTL programmlich gerade
ein Niveau tiefer legen: Man denke an den Zickenterror von "Bachelor", dem
bei Ihren ehemaligen ORF-Kollegen in Österreich schon die Absetzung
drohte, und aktuell die feuchten "Schulmädchen"-Träume.

Zeiler: Beides ist pure Unterhaltung. Beides hat Erfolg. Beides
ist hochglanzverpackt und durchaus selbstironisch. Und RTL hat
ja nicht nur das. Wir entwickeln viele Fiction-Programme. Mit der
Produktionsfirma "teamworx" bringen wir noch im Frühjahr die weekly
Dramaserie "Verschollen" ins Programm. Gemeinsam arbeiten wir an einem
Event-Zweiteiler über die Sturmflut von 1962. Wir entwickeln zurzeit
mehr als 20 Sitcoms. RTL ist der Sender von "Bachelor" wie von "Abschnitt
40", von Peter Kloeppel und "Gute Zeiten, schlechte Zeiten".  Unser
Programm heißt Vielschichtigkeit. Und was Kritik anbelangt - um es
plakativ zu sagen: RTL ist das Bayern München des Fernsehens. Als
Nummer eins sind wir der Reibebaum der Kritik. Ich zerfließe
da nicht in Selbstmitleid. Im Gegenteil: Darauf können wir sogar
stolz sein.  Sorgen müssten wir uns eher machen, wenn über uns
nicht mehr geredet werden würde. Erfolgreich zu sein und dafür
auch noch von allen geliebt werden - das geht nun mal nicht.

SPIEGEL: In den USA haben Sie kürzlich "Fear Factor" gekauft, das
den Kandidaten noch weit widerlichere Mutproben abverlangt und von den
Medien dort unisono zerrissen wurde. Wird der Kampf härter?

DER SPIEGEL Marktführer RTL Zeiler: Die deutsche Version, die wir
selbst produzieren, wird eher sportlichen Charakter haben. Aber wir
wissen noch nicht einmal, wann und wie wir es genau machen werden.

SPIEGEL: Erst mal pressen Sie nun weidlich die Dschungel-"Stars" aus.
Verdient RTL noch mit, wenn jetzt Dschungel-CDs, -Tagebücher und
-Tourneen geplant werden?

Zeiler: So abgefeimt sind wir nicht. Wir bringen gerade eine CD mit allen
zehn Kandidaten auf den Markt. Darüber hinaus gönne ich allen
jeden Euro, den sie mit dem Experiment noch verdienen können.

SPIEGEL: Sind Sie nicht selbst erstaunt, welche Anziehungskraft zehn
Semiprominente im Busch-Ambiente entwickelt haben?

Zeiler: Das Format war in England bereits sehr erfolgreich und gewann
dort sogar einige Fernsehpreise. Auch wir haben an den Erfolg geglaubt.
Aber dass es in Deutschland derart für Furore sorgen würde,
hätte nicht einmal ich gedacht.

SPIEGEL: Können Sie sich den Erfolg wenigstens im Nachhinein
erklären?

Zeiler: Erster Faktor: die gruppendynamische Versuchsanordnung in einem
anderen kulturellen Umfeld - das hatte ja etwas von einem soziologischen
Experiment. Zweitens: die Schlüsselloch-Perspektive. Drittens:
eine gewisse Schadenfreude. Viertens: der Seifenopern-Charakter.
Fünftens: die Comedy-Elemente, die bei uns sehr viel stärker
waren als im englischen Original.

SPIEGEL: Sie meinen die Tatsache, dass RTL die Verhöhnung der
Kandidaten gleich selbst übernahm?

Zeiler: Moment, wir haben niemanden zum Abschuss freigegeben. Auch
ironische Moderationen sind nichts Neues. Und wer sich bei uns am
lautesten aufregte, klopfte sich früher bei Harald Schmidt am
wildesten auf die Schenkel. Fast alle unsere Kandidaten kamen mit
positiven Sympathiewerten aus dem Dschungel zurück. Alle sind
stärker geworden.  Ich akzeptiere völlig, wenn jemand sagt:
Das ist nicht mein Geschmack.  Aber das Format ist nicht radikal,
sondern mehrheitsfähig. Sonst hätten wir in der Spitze wohl
kaum über zehn Millionen Zuschauer erreicht.  Mit extrem hartem
Programm könnten Sie das gar nicht schaffen. Das Dschungel-Camp
war ganz und gar familientauglich.

SPIEGEL: Hätten Sie Ihre siebenjährige Tochter zuschauen lassen?

Zeiler: Warum nicht, wenn es zu einer anderen Sendezeit käme?
Schauen Sie sich an, was die Kids bei "Jackass" auf MTV sehen. Dagegen
sind wir Waisenkinder. Aber ich möchte gar nicht über andere
sprechen.  Wir sind ein Familiensender, aber zur Familientauglichkeit
von RTL gehört eben auch, dass wir ab und an Aufreger
produzieren. Das ist zwar nur ein Pfeiler unserer Marke, aber ein
wichtiger. Selbstverständlich gibt es bei uns Grenzen, die wir
nicht überschreiten dürfen und wollen.

SPIEGEL: Welche?

Zeiler: Wir würden nie Shows machen, die lebensgefährlich
sind. Wir achten die Menschenwürde. Sicher gab's auch bei uns
schon Dinge, die nicht so liefen, wie wir uns das vorstellten. Aber zu
"Ich bin ein Star ..." stehen wir uneingeschränkt.

RTL RTL-Serie "Schulmädchen": "Andere Länder sind kreativer"
SPIEGEL: Werner Böhm kroch wie geteert und gefedert aus einem
"Tunnel des Grauens", in dem er mit Spinnen, Kakerlaken und Aalschleim
überschüttet wurde. Darf man sich als Sender immer auf das
Argument zurückziehen, niemand werde zu solchen Aktionen gezwungen?

Zeiler: Die Konfrontation mit irgendwelchem Getier gab's im Fernsehen
schon bei "Wünsch Dir was" im öffentlich-rechtlichen Fernsehen
vor 30 Jahren. Das ist gar nicht neu. Und ich hätte zumindest einen
Hauch von Verständnis, wenn wir diese Aufgaben "normalen Menschen"
zugemutet hätten. Aber unsere Kandidaten sind Medienprofis. Die
wussten genau, was sie tun ...

SPIEGEL: ... nur nicht, wie es vermittelt wird. Moderator Dirk Bach
quietschte danach, Böhm sehe aus "wie Bibo in der Mauser"...

Zeiler: ... und er meinte das durchaus liebevoll. Viele der Kandidaten
wurden dafür von den Zuschauern ins Herz geschlossen, dass sie sich
in Australien ein bisschen zum Kaschperl gemacht haben.

SPIEGEL: Gehört die Zukunft Leuten wie dem 18-jährigen Daniel
Küblböck, die schon in der Gewissheit aufwachsen, nur dann
ein Star zu werden, wenn sie sich regelmäßig zum Affen
machen lassen?

Zeiler: Ach wo! Sie glauben doch nicht im Ernst, dass das Publikum
für Lisa Fitz oder Werner Böhm jetzt Eintritt zahlt, weil
die irgendwelche Mutproben im Fernsehen hinter sich haben. Wenn die
sonst nichts könnten, würden sie nicht schon so lange auf der
Bühne stehen.

SPIEGEL: Küblböck ist ein Prominenten-Produkt aus Ihrem
Retorten-Labor "Deutschland sucht den Superstar". Er konnte schon dort
nicht singen, macht aber seither fast alles mit, um im Gespräch
zu bleiben.

Zeiler: Mag sein, dass es brillantere Sänger gibt. Andererseits hat
er gezeigt, dass er ein außergewöhnlicher Entertainer ist.
Vielleicht hat er da eine noch größere Karriere vor sich.

SPIEGEL: Wäre der Publikumserfolg der Dschungel-Show auch dann
so groß gewesen, wenn "Bild" sie nicht zwei Wochen lang mit
Schlagzeilen dekoriert hätte?

Zeiler: Mir geht's da wie manchen Politikern: Manchmal freu ich mich
über die Schlagzeilen, manchmal würde ich das Blatt gern
auf den Mond schießen. Wäre die Show schlecht, würde
"Bild" jedenfalls nicht einsteigen. Dann brächte auch alle Werbung
nichts. Es gibt da keinerlei Vereinbarungen.

SPIEGEL: Vor der zweiten Staffel von "Deutschland sucht den
Superstar" soll es zum Streit gekommen sein: "Bild" wollte angeblich am
Hotline-Geschäft mitverdienen. Sie sollen abgelehnt haben. Was ist
an den Gerüchten dran?

Zeiler: Nichts.

SPIEGEL: Es war zumindest erstaunlich, dass das Blatt die zweite Staffel
der Show dann entweder madig machte oder ignorierte, was fast noch
schlimmer ist.

Zeiler: Die Debatte wird jetzt wirklich lustig, weil ich hier den
"Bild"-Chefredakteur spielen soll. Für den zählt letztlich nur
eins: Die Schlagzeilen zu machen, die ihm am meisten Leser bringen. Im
Übrigen ist RTL selbst kampagnenfähig. Wie "Bild" für
die Presse sind wir fürs Fernsehen Marktführer auf dem
Boulevard. Wenn wir was machen, machen wir's richtig. Dann ziehen wir
so ein Format durch unser komplettes Programm, von "Explosiv" bis "Extra".

SPIEGEL: Was bringt das Hotline-Geschäft eigentlich?

Zeiler: Davon können Sie so etwas wie "Ich bin ein Star ..." noch
nicht bezahlen. Die Telefon-Abstimmungen steuern einen eher kleinen
Beitrag zu den Produktionskosten bei ...

SPIEGEL: ... die angeblich bei über 600 000 Euro pro Folge lagen.
Eine Menge Geld.

Zeiler: Es war deutlich weniger, aber es war keine billige Show ...

SPIEGEL: ... was umso riskanter war, weil die Werbewirtschaft nur sehr
zögerlich ansprang.

Zeiler: Hätten wir nur auf die Ökonomie des Formats
geschaut, wären wir ja nie im Januar damit rausgekommen,
der erfahrungsgemäß einer der werbeschwächsten
Monate überhaupt ist. Und was ist passiert?  "Ich bin ein Star
..." zog das komplette Programmumfeld nach oben. Das "Nachtjournal" zum
Beispiel hatte doppelt so viel Zuschauer wie sonst.  Eine gigantische
Werbeleistung. Selbst wenn der eine oder andere Kunde auch bei der
zweiten Staffel zögern sollte, wird er in die Programme davor oder
danach gehen wollen. Wirtschaftlich war die Show das Beste, was uns
passieren konnte.

SPIEGEL: Die großen Show-Ideen - egal ob "Superstar", "Big Brother"
oder "Wer wird Millionär?" - kommen fast immer aus dem Ausland.
Fällt RTL zu wenig ein?

Zeiler: Bei uns ist fast alles hausgemacht - Serien, Comedy,
Information. Aber bei den Shows gebe ich Ihnen Recht. Das hat damit zu
tun, dass andere Länder einfach kreativer sind als Deutschland. Das
war immer so und wird auch noch lange so bleiben. Ein Grund dafür
ist der entsetzliche Kulturpessimismus hier zu Lande. Dauernd wird schon
im Vorfeld gefragt: Darf man das? Ist unsere Wertegesellschaft bedroht?
Geht womöglich das Abendland unter? Holländer, Briten und
Amerikaner sind da viel offener. Dort traut man sich auch mehr.

SPIEGEL: Je verbiesterter eine Gesellschaft, umso langweiliger ihr
Programm?

Zeiler: Andersrum: Je nonkonformistischer eine Gesellschaft, umso
kreativer ihr Fernsehen.

SPIEGEL: Bei Ihrem Mutterkonzern Bertelsmann ist immer viel von Ethik
und sozialer Verantwortung die Rede. Hat Sie seit dem Geschrei um "Ich
bin ein Star..." schon Kritik aus Gütersloh erreicht?

Zeiler: Die Eigentümerfamilie Mohn transferiert einen
Großteil ihrer Gewinne, zu denen wir einiges beisteuern, in
die Bertelsmann-Stiftung, um dort gesellschaftspolitische Projekte
anzustoßen. Da ist es wohl legitim, von sozialer Verantwortung
und Ethik zu reden. Dass man sich in Gütersloh nicht über jede
Zeitungskritik zum RTL-Programm freut, ist verständlich. Aber meine
Standortbestimmung für RTL kennt man dort. Und dazu gehört
auch gelegentliche Provokation.

SPIEGEL: Wegen ihres Einsatzes im Dschungel-Camp flog Lisa Fitz beim
Saarländischen Rundfunk raus und soll nun bei Ihnen aufgenommen
werden.  Was will RTL mit einer Kabarettistin?

Zeiler: Wir sind kein Sozialwerk. Aber wir lassen auch keinen einfach so
fallen. Und Lisa Fitz hat vielfältige Talente. Stellen Sie sich nur
mal "Eine schrecklich nette Familie" auf Deutsch vor: Werner Böhm
als Al Bundy, Lisa Fitz als Mutter Peg, Dustin Semmelrogge als Sohn. Wir
bräuchten nur noch eine Tochter.

SPIEGEL: Das RTL-Gewächs Jeanette Biedermann als "Dumpfbacke"?

Zeiler: Sie müssen zugeben: So eine Comedy-Serie könnte ein
Kracher werden.

SPIEGEL: Herr Zeiler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.






Quelle: Spiegel Online, Jan 31, 2004

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