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Kunstschaffende haben oft das Dilemma, den künstlerischen
Ansprüchen von Kunstkritikern als auch dem Publikum
gefallen zu müssen. Dass die Balance durch eingehen von Kompromissen nicht immer gewahrt werden kann, zeigt die Entlassung Christoph Marthalers als Intendant des Zürcher Schauspielhauses. Obwohl eine internationale Jury das Haus zum zweiten mal zum "Theater des Jahres" gekürt hatte, fehlten die nötigen Zuschauer für ein finanzielles Überleben. Ein gelungener Spagat zwischen Kunst und Kosten hätte vielleicht durch bessere Kommunikation zustande gebracht werden können. Insofern ist die Geschichte eine Parabel für allgemeinere Kommunikationsprozesse. |
Das Schauspielhaus Zürich zählt zu den besten Schauspielhäusern der Welt. Zum zweiten Mal wurde es zum "Theater des Jahres" gewählt. Trotz dieser Ehrung konnte ein Grundproblem nicht gelöst werden: Die Akzeptanz beim Publikum blieb aus. Christoph Marthaler wurde ungeachtet aller Anerkennungnen als Direktor entlassen. Es bleibt noch eine kleine Hoffnung, wenn bis Ende September 3.5 Millonen Franken aufgetrieben werden. Der Verwaltungsrat macht Marthaler und seine Crew für den Zuschauerrückgang von 170'000 in der 2000/2001 Saison auf 120'000 Personen in der vergangenen Saison, sowie die schwindenden Abonnentenzahlen verantwortlich. Das Schauspielhaus erhielt von der öffentlichen Hand 33.7 Millionen Franken, etwa gleich viel wie eine Bühne in München.
Ist das Schauspielhaus "Opfer des eigenen Erfolges" geworden? Kommunikationsprobleme hatten wahrscheinlich mehr Gewicht: Der Fall Marthaler hat eine psychologische Seite: Marthaler ist eigenwillig und polarisiert. Er bleibt in seinem Theater-Ego behaftet. Das zahlende Publikum kümmerte ihn weniger. Die Kommunikation mit dem Verwaltungsrat war katastrophal. Er machte diesem z.B. Vorwürfe, der denke vor allem wirtschaftlich, (als ob er dies nicht die Pflicht einer Verwaltung wäre) oder der Tatsache: (Zitat Weltwoche:) das die Verwaltungsräte der Schauspielhaus AG in der Saisonvorschau 2002/2003 ganz zuhinterst, gleich nach der Reinigungsequipe aufgeführt wurden. Auf der finanziellen Seite sah es tatsächlich nicht so rosig aus: Sponsoren wie die "Bank Leu" lösten ihre Verträge. Auch dies war durch mangelnde Kommunikation bedingt: Die Sponsoren nahmen Anstoss daran, dass Marthaler die Kundenkontakte verweigerte.
Marthalers Bemerkung - "Freiwillig werde ich nicht gehen" - veranschaulicht seine. Ich - Bezogenheit. Marthaler ist überzeugt, dass er nur deshalb gehen müsse, weil sein Theater störe. Marthalers Theater wurde immer mehr selbst zur Tragödie. Dass das Publikum zu Hause blieb, ist für Marthaler kein Thema, vielleicht sogar ein Kompliment. Das Schauspielhaus ist für ihn ein geschützter Raum. Nach Marthaler muss Theater provozieren dürfen. Das ist in der Natur des Sache. Der Störfall ist Normalfall. Wir fragen uns: Darf Provokation zum Selbstzweck werden? Die Provokation war auch ein Thema an einem Expo theater. Es ist symptomatisch, dass der künstlerische "Expo" - Direktor Martin Heller an der Front der Demonstranten für Marthaler mitprotestierte. Heller formulierte sogar den soundbitefähigen Satz: "Die Verwaltungsräte sind wie verwöhnte Kinder, erst wollen sie ein Spielzeug, dann wollen sie es nicht mehr. Theater hat zwar mit Spielen zu tun, aber ist kein Spielzeug - für niemanden!" Die Kampfstimmung in Zürich wurde von verschiedensten Seiten angeheizt:
oder
zeugen von rhetorischem Geschick. Die folgende Kreativkonstruktion zielt gegen Elmar Ledergerber:
Dieser Ausspruch macht auch bewusst, welche politische Macht das Feld "Kunst und Kultur" allein für sich beanspruchen möchte. Es ist verständlich, dass die Thematik mit den sogenannten soundbitefähigen Botschaften auch mediengerecht ausgeschlachtet werden konnten. Eine Bewegung formierte sich rasch. Für den Soziologen Kurt Imhof ist dies nicht verwunderlich. Denn Kultur eignet sich vorzüglich für Protestbewegungen ähnlich wie Antikriegsbewegungen. Leute und Medien lassen sich für solche Themen rasch mobilisieren (Verbund Medien - Kulturschaffende). Letztlich wünschen alle Kultur, so wie auch niemand Krieg will. Die mobilisierten Marthaler Fans übergingen geschickt die Kostenfrage. Der Titel "Knappe Kasse - viele Fans" umschreibt das Kernproblem rund um die Marthalergeschichte. Aussenstehende haben den Eindruck, dass sich derzeit Geld und Geist mit Bemerkungen, Argumenten und spitzen Bemerkungen gegenseitig bekämpfen. Besser wäre aber:
Auch bei der Expo 2002 ging es um die Balance zwischen Ambitionen zahlreicher kreativer Macher einerseits und den Bedürfnissen der Wirtschaft und den Publikumswünschen anderseits.
"Gegensätze unter einen Hut bringen zu können", ist nicht nur bei Erziehungs-, Wirtschafts- und Kulturbereichen wichtig. Auch bei den meisten Kommunikationsprozessen werden Ziele nur durch Verständigung und Kompromissbereitschaft erreicht. (Siehe dazu unseren Beitrag zum Verhandeln.) Das Beispiele "Kunsthauskrise" verdeutlicht, dass hier die Adressaten ausgeklammert wurden. Künstler, die nur egozentrisch denken und das "Du" ausklammern, werden früher oder später erleben
Ökonomische Fakten und die Adressaten dürfen nicht leichtfertig ausgeklammert bleiben. Kunst,Konsumenten und Kosten sind und bleiben eine Einheit. Der egozentrische Anspruch, nie Kompromisse eingehen zu müssen, bleibt bei öffentlichen Kunstaufträgen oft ein frommer Wunsch. Der Künstler könnte zwar sagen: "Ich habe das Anrecht, das zu tun und zu lassen was ich will." Er muss dann aber nicht damit rechnen, dass seine Arbeit auch bezahlt wird. Aus der Sicht der Kommunikationsberater ist solch einseitiges Denken riskant, wenn nicht fragwürdig. Dialogisches Denken schliesst nie eine Seite aus. Künstler und Publikum haben beide Anspruch darauf, ernst genommen zu werden. Ohne die Bereitschaft zu Kompromissen, ohne die Einsicht, dass gemeinsam Lösungen angestrebt werden müssen, kommt man nicht weit.
Nachtrag vom 15. September 2002. Ein Komitee "Damit Marthaler bleibt" hat begonnen, Ideen zu sammeln, um die 3.5 Millionen Franken Sponsorengelder zu beschaffen, die nötig wären, damit Marthaler weitermachen könnte. Das Initiativkommitte will aber vor allem Gespräche zwischen den Beteiligten (Stadtverwaltung, Theaterleitung und Verwaltungsrat) ermöglichen. Nachtrag vom 15. Oktober, 2002 Der Verwaltungsrat des Schauspielhauses hat die Kündigung Marthalers überraschend zurückgenommen. Dank Einsparungen von 1.8 Mio Franken und zusätzlichen 2,5 Millionen "Ausfallgarantie" des Kanton Zürichs scheint die Finanzierung bis 2004 gesichert. Die Veranstaltungen sollen aber reduziert werden. Marthaler dankte dem Kanton für die zusätzliche Hilfe. Ob der Zuschauerschwund gestoppt werden kann? Wenn Marthaler keine Konzessionen machen will, sind berechtigte Zweifel angebracht. Stadtpräsident Elmar Ledergerber, der die Stadt im Verwaltungsrat vertritt, sagte im Verwaltungsrat sei nur "kleine Hoffnung" zurückgekerht. Marthaler müsse eine deutliche Verbesserung der Zuschauerzahlen, mindestens 140'000 erreichen. Die Entwicklung der Zuschauerzahlen wird dann auch entscheidend sein, ob Marthaler eine fünfte Saison bleiben kann und damit seinen Fünfjahresvertrag beenden würde. Trotz grösserer Kooperationsbereitschaft blieb Marthaler vor den Medien ganz der alte: Er mache "Theater mit Leidenschaft" und sei nicht zu Konzessionen für den kommerziellen Erfolg bereit.
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