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www.rhetorik.ch aktuell: (27. Okt. 2002)


Mörder als TV Stars


Opfer
Suspects In den USA paart sich nach dem Heckenschützendrama Erleichterung aber auch Fassungslosigkeit. Wie konnte ein Armeeveteran und sein jugendhafter Stiefsohn, die auf dem Familienfoto so freundlich in die Kamera strahlen, zu derart kaltblütigen Mördern mutieren? Seit dem 5. Oktober waren mindestens 10 Opfer zu beklagen. Die Opfer scheinen wahllos und zufällig ausgesucht worden zu sein und aus dem Hinterhalt abgeschossen.
Die Frage nach dem Motiv ist zwar noch offen. Doch eines steht heute schon fest: Die US-Medien stilisierten die Attentäter und Serienkiller zu "Helden" einer Livekrimigeschichte. Wenn es die Serienmörder darauf abgesehen hätten, Fernsehstars zu werden und das öffentliche Leben tagelang zu beeinflussen, so wäre ihnen dies eindeutig gelungen.
Der Live-Krimi mit dem Katz und Mausspiel zwischen Tätern und Verfolgern als öffentliches Drama vor einem Millionenpublikum ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein Duo dem Fernsehen zu einem Einschaltknüller verhalf. Diese fragwürdigen Fernsehstars hätten mehr Verachtung und weniger Medienpräsenz verdient. Einmal mehr stehen wir vor der Gretchenfrage:

Wo sind die Grenzen zwischen Voyeurismus und Informationspflicht?
Laut CNN vom 23. Oktober profitieren TV Netzwerke in diesem Fall stark von den Verbrechen: Dank der Scharfschützenmörder wurde die Sendung "CSI: Crime Scene Investigation" (Tatortuntersuchungen) von CBS zur populärsten TV Show: 31 Millionen Zuschauer in der Woche 13-20 Oktober 2002. Die Show wurde von 5 Millionen mehr Zuschauern gesehen als die Seifenopern "Friends" oder "ER" erreichen können. (In den USA wird die Anzahl TV-Haushalte auf 106.7 Millionen geschätzt.) Nach "Nielsen Media Research", rangieren während der Sniperattacken sieben Krimi-basierte Themen unter den 20 bestrangierten Sendungen. Einige der Nachrichtensendungen über die Verbrechen wurden zu den "erfolgreichsten" Tagen des ganzen Jahres, Es schauten mehr Zuschauer rein als zum Beispiel zum Jahrestags des 11. September-Attentats.


Opfer


Auch die Hintergründe zur Verbrecherjagt wurde zu einem Spektakel. Am 9. Oktober wurde zum Beispiel eine Computersoftware vorgestellt, die durch geographische Profilberechung das nächste Zuschlagen des Heckenschützen berechnete. Durch die Publikation der Wahrscheinlichkeitsverteilung wurden die Daten natürlich unbrauchbar. Am 10. Oktober wurde Kritik an den Medienberichterstattungen geübt: der Polizei-Chef von Montgomery County sagte in einem Interview, dass die Informationslöcher zu den Medien die Ermittlungen erschweren wüden.

Einige Punkte zu diesem Fall, die in Diskussionen auch erwähnt worden sind:
  • Selbst bei keinen Neuigkeiten sind Pressekonferenzen arrangiert worden. Die Netzwerke wollten "Breaking News", auch wenn nichts neues passiert ist.
  • In einer der Medienkonferenzen ging der Chefkommissar vor die Kamera, nur um zu sagen: "Ich habe nichts zu den laufenden Untersuchungen zu sagen".
  • Es wurde auch spekuliert, dass die Informationspolitik eine Symbiose zwischen Polizei und Medien war: die Polizei versuchte den Täter zu provozieren, ihn wichtig machen, ihn herauszulocken. Die Medien hingegen brauchten auch die geringsten Tonstücke, um das Interesse und die Einschaltquoten zu behalten.
  • Dass das Spiel mit den Medien Taktik gewesen sein könnte, zeigt der Erfolg: der Täter deponierte Notizen wie "Ich bin Gott", und telefonierte auch, wenn er nicht genug gewürdigt worden war. Das Telefonat war am Schluss auch das Verhängnis. John Muhammad und John Malvo wären nicht die ersten Serienmörder, die sich durch Eitelkeit verraten haben: auch dem "Unabomber" Ted Kaczynski wurde die Eitelkeit zum Verhängnis: sein veröffentlichtes Manifest wurde von seinem eigenen Bruder erkannt.
  • Andererseits wurde auch spekuliert, dass die intensive Medienpräsenz den oder die Killer erst recht angespornt haben.
  • Von früheren Debakeln ist gelernt worden. Im Falle des Olympia Bombenattentats in Atlanta wurde ein Unschuldiger, Richard Jewel, als "Verdächtiger" den Medien vorgeführt.
  • Als Aussenstehende war die Überreaktion der Bevölkerung schwer zu verstehen. Obwohl das effektive Risiko, vom Sniper getroffen zu werden, weit geringer als andere Gefahren, wie zum Beispiel Verkehrsunfälle oder übliche Verbrechen, wurden Schulkinder in der Pause nicht auf den Pausenplatz gelassen oder Tankstellen mit Tüchern abgeschirmt. Fussball oder Baseballspiele sind ausgefallen.
  • Sensibilisiert durch den Anschlag vom 11. September wurden die Anschläge auch für eine Weile Terroristen in die Schuhe geschoben.
  • Auch zum Thema wurden die psychlogischen Probleme von Kriegsveteranen. Nach dem Golfkrieg, wie auch nach dem Afghanistankrieg sind einige Männer zu Hause nicht mehr zurechtgekommen. Ein Beispiel ist Timothy McVeighs, der 1995 eine Autobombe in Oklahoma City explodierte, die 168 Menschen tötete. Andere Beispiele sind Männer, die kaum vom Krieg zurückgekehrt, ihre Frauen getötet haben.


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