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www.rhetorik.ch aktuell: (4. Oktober, 2004)

Schulmeisterrhetorik





Es ist erstaunlich, wie es Bundesrat Pascal Couchepin versteht, gegenüber Kollegen als Schulmeister aufzutreten. Er hält zwar selbst viel vom Kollegialitätsprinzip und merkt nicht, dass öffentlichen Schelte alles andere als kollegiales Verhalten ist. Er hat schon früher Micheline Calmy-Rey kritisiert und gezeigt, wie sie die Öffentlichkeitsarbeit verbessern muss. Später liess er durchblicken, dass er auch noch Christoph Blocher ins Team einbinden werde. Couchepin zeigte sich damals voller Hoffnung für die intellektuelle Entwicklung Blochers. Diese Aussage war für uns zu selbstherrlich.
Nach der Abstimmungsniederlage mit dem doppelten Nein ging nun Bundesrat Couchepin noch weiter mit seinem schulmeisterlichen Ton. Vorweg: Wir haben nie die Meinung vertreten, der Bundesrat müsse immer einer Meinung sein. Doch unterscheiden wir zwischen internen Auseinandersetzungen und Verlautbarungen in den Medien. Interne Kritik ist immer notwendig. Bei perönlichen Differenzen sind offene interne Aussprachen und "Gespräche unter vier Augen" nötig. Öffentliche Kollegenschelte lehnen wir ab. Gemäss 'NZZ am Sonntag' vom 3. Oktober soll nun Couchepin Blocher öffentlich gewarnt haben, er gefährde die Demokratie. Im Interview mit der NZZ am Sonntag sagte Couchepin;
  • Blocher mystifiziert das Volk, wenn er nach dem Volksentscheid schweigt.
  • Das Volk darf nicht zum Diktator werden, deshalb hätte Blocher nicht schweigen dürfen, nachdem das Volk an der Urne geurteilt hatte.
  • Die Macht des Volkes ist nicht absolut, denn die "reine Herrschaft der Mehrheit ist gefährlich, insbesondere in einem Land mit Minderheiten, die es zu schützen gilt." - Blochers ständiges Gerede vom Volk als "Souverän" ist falsch.
Couchepin massregelte zudem die SVP: Teile der SVP verstünde sich nicht mehr als demokratische Partei. Sie setze sich nicht mit anderen Meinungen auseinander, sondern verstehe sich als Bewegung, die nur ihre Ziele erreichen wolle - "indem sie die Massen emotionalisiert." Die SVP spiele immer mit den Emotionen des Volkes. Sie betrachte das Volk als Masse, die man verführen kann. Die SVP betreibe Manipulation. Couchepin hofft, dass in der SVP jene Leute an Boden gewännen, die denken wie er. Zum Schluss fragte Couchepin:

"Wollen wir ein Land mit einem liberalen Gleichgewicht oder wollen wir ein System in dem das Volk uneingeschränkt herrscht?"


Couchepin hofft, dass die Bevölkerung Blocher fragt: "Was willst Du in diesem Staat?"

Wir finden, dass dies fragwürdige Äusserungen eines Bundesrates in der Presse sind. Nach unserem Dafürhalten ist Kritik immer notwendig und zulässig. Doch geht es stets auch um das "wie", wenn kritisiert wird. Muss ein Kollege und eine Regierungspartei in der Öffentlichkeit auf diese Art uns Weise geschulmeistert werden? Dieses selbstherrliche Verhalten erinnert an das provokative Plakat das Couchepin als Napoleon gezeigt hatte. Die Diskussion über Kernfragen, wie: "Wo sind die Grenzen der Demokratie? Hat die Mehrheit immer recht?" dürfen und müssen diskutiert werden. Es geht um die Balance. Das Publikum darf einerseits nicht als dumm verkauft werden. Die direkte Demokratie basiert auf der Annahme, dass das Volk mündig ist und das die Mehrheit immer das letzte Wort hat. Anderseits müssen auch Minderheiten respektiert werden. Niemand kann die Wahrheit für sich pachten- auch ein Bundesrat nicht.


Den folgenden Gedanken der Politologin Regula Stämpfli sollten alle Parteien aber auch alle Bundesräte ernst nehmen:

"Demokratie heisst dem Volk dienen. Anstand, staatsmännisches Handeln und Fairness sind dabei unerlässliche Tugenden, die in diesem Lande gerade in der gegenwärtigen Regierungszusammensetzung fehlen."






Nachtrag vom 7. Oktober, 2004: Selbstgefällige Reaktion Couchepins.

Der Lärm hat sich nach dem unbedachten Interview in der NZZ am Sonntag gelegt. Blocher kam aus der Geschichte ungeschoren davon. Couchepin wurde von verschiedensten Seiten für sein Vorgehen kritisiert. Auch von der FDP. Nun scheint für Parteipräsident Schweiger die Sache ebenfalls erledigt. Die CVP rüffelte Bundesrat wegen des medialen Austragens interner Probleme erstaunlich deutlich. Die SVP erinnerte Pascal Couchepin lediglich daran, er werde sehen: Das Volk habe das letzte Wort. Uns erstaunte erneut die selbstgefällige Reaktion Couchepins auf die lautstarke Kritik Er steht zu seiner öffentlichen Kollegenschelte und sagte stolz von sich:

"Das war ein gutes Interview in der NZZ am Sonntag!"






Nachtrag vom 7. Oktober: Blochers Konterrhetorik:

Blocher nutzte eine Bumerangtechnik und konfrontierte Couchepin mit dem eigenen Vorwurf: Für Blocher waren Couchepins Warnungen vor einer "Volksdiktatur" nur ein Versuch "die Demokratie auch hierzulande abzubauen". Dies geschehe im Hinblick auf einen EU-Beitritt der Schweiz, sagte Christoph Blocher in einem Interview mit der "Weltwoche" und der welschen Zeitschrift "L'Hebdo".

"Dies ist das langfristige Ziel der Relativierung der Volksentscheide",


kommentierte er die Äusserungen seines Kollegen weiter. Bereits der Schengen-Vertrag entziehe der direkten Demokratie gewisse Bereiche, "der EU-Beitritt täte dies noch mehr". Zudem ging er auch noch auf Couchepins Vorwurf ein, Blocher stelle durch die Mythisierung und Verführung des Volks eine Gefahr für die Demokratie dar. Nach Blochers Ansicht wäre es

"abzuklären, welches die Gefahren wirklichen Gefahren sind: die Volksdiktatur oder der allmächtige Staat".


Denn auf die Frage, wer die Schweiz regiert, hatte der Justizminister sofort eine Antwort:

"In erster Linie die Verwaltung, ohne Zweifel. Dann die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen, die noch immer viel Gewicht haben."


Der Bundesrat gehört für Blocher "meistens auch zur Verwaltung - das hängt vom einzelnen Departementsvorsteher ab". Blocher verzichtete jedoch auf den Begriff "Verwaltungsdiktatur":

"Ich würde eher von einer Dominanz sprechen."


Im übrigen sei er nach wie vor dafür, die Landesregierung durch das Volk wählen zu lassen. Seine Weigerung die Abstimmungsresultate der Einbürgerungsvorlagen zu kommentieren, nutzte er zu einer gezielte Provokation:

"Ich habe damit die Haltung des Bundesrats kritisiert, der jeweils vor die Kameras tritt und über das Volk urteilt."


Im Beitrag "Blocher kritisiert Couchepins Demokratieverständnis" aus der NZZ vom 8. Oktober fanden wir noch weitere Konterformulierungen des Justizministers:
  • "elitäres" Demokratieverständnis
  • Das Volk ist nicht dümmer als dessen Repräsentanten
Im NZZ Beitrag ist auch noch zu erfahren, dass Couchepin sein Interview, das er nach wie vor richtig und gut hält, im vollen Wortlaut samt französischer Übersetzung auf der Homepage des Departementes des Innern (EDI) in PDF Form aufschalten liess. Hier ist eine Textversion von Couchepins interview.




Nachtrag vom 10. Oktober, 2004: Arena Sendung und Sonntagspresse:

Imhofs Analyse in der Arena

In der "Arena Sendung" vom 8. Oktober vom SF DRS mit dem Titel: "Wer hat das Sagen, das Volk oder die Regierung." ging es wieder um Couchepins Interview, in dem er auf die Gefahr der Volksdiktatur hingewiesen hatte und der SVP unterstellte, sie manipuliere das Volk. Uns überzeugten während der Sendung die Klärungen des Mediensoziologen Kurt Imhof von der Universität Zürich. Er bezeichnete das schweizerische Modell als "Kunstwerk". Es coexistiere in der Schweiz eine extrem direkte Demokratie zusammen mit einem grosser Minderheitenschutz. Eigenartigerweise hätten trotz der Uneinigkeit von Blocher und Couchepin beide Seiten recht:
  • Couchepin, weil in Bezug auf den Föderalismus die Volkssouveränität begrenzt ist
  • Blocher, indem er sagt, dass die Volkssouveränität das Recht schafft.
Es zeige sich, dass die SVP von der Konkordanzdemokratie zu einer Wettbewerbsdemokratie tendiere.

Pellis Ausweichtechniken

Urs Leuthard fragte FDP Fraktionschef Fulvio Pelli immer wieder, was er zu den Aussagen des FDP Bundesrates Couchepin im Interview meine. Er behauptete, Blocher sage immer, das Volk sei der Souverän und dies sei falsch. Es bestehe die Gefahr einer Manipulation des Volkes. Auf diese konkrete Frage wich der FDP Politiker immer wieder aus. Anstatt zu antworten, versuchte Pelli über den Begriff Souveränität zu philosophieren. Nachdem jedoch der Moderator auf eine Antwort beharrte, wollte Pelli erneut ausweichen, indem er sagte, Couchpin habe es anders gemeint. Urs Leuthard gab nicht locker und zitierte nochmals die eindeutigen Worte aus dem Interview. Hier ist eine Rekonstruktion des Dialogs zwischen dem Moderator Leuthard und Nationalrat Pelli, nach den ersten Ausweichmanövern:

Leuthard: "Herr Couchpin hat aber deftige Sachen gesagt. 1. Blocher - seine Haltung- sei ein Gefahr für die Demokratie. 2. Couchepin hat vor allem gesagt: Es drohe eine Volksdiktatur Er hat eigentlich gesagt, das Volk sei eine manipulierbare Masse. Wenn man ihm genügend eintrichtere, könne man daraus ein Diktatur machen. Dann kommt es ganz schlimm." Hierauf ergriff an Stelle von Pelli die Politologin Regula Stämpfli das Wort und verteidigt Pascal Couchepin. Er habe damit nur sagen wollen, dass die Identität mit dem Volk gefährlich sein könne. Couchepin habe eben als Romand einen philosophischen Ansatz. Mit dem Argument, Couchepin habe es nicht so gemeint, unterstützte Stämpfli Pellis Pseudoantwort, Couchepin habe es nicht so gemeint, wie er es gesagt hatte.
Leuthard: "Ich kann mich damit noch nicht zufrieden geben. Es bei mir als Deutschschweizer so angekommen, dass man das Gefühl hat, das Volk sei manipulierbar. Man kann das Volk verformen, man kann es verführen. Couchepin hat eindeutig gesagt: Das Volk kann verführt werden. Und das mache die SVP. Die SVP verführt das Volk,so dass es in Richtung Volksdiktatur gehen kann. Fulvio Pelli!" Pelli: "Meine Muttersprache ist nicht deutsch. Aber ich glaube es gibt doch ein grosses Unterschied zwischen verführt und manipuliert."
Leuthard: "Aber Couchepin hat aber beide Begriffe gebraucht in seinem Interview!" Pelli: "Ich glaube alle diese Wörter sind grosse Wörter. Die eine Interpretation brauchen. Das Problem ist meines Erachtens ein anderes: Ist das Verhalten des Bundesrat Blochers nicht widersprüchlich..." Pelli führt hierauf aus, das Blocher als Bundesrat im Job nicht so arbeite wie wenn er öffentlich auftritt. Kommunikativ spiele er nicht den Bundesrat, sondern den Parteichef.
Leuthard: "Jetzt haben Sie aber elegant meine Frage umkurvt!" Pelli: "Das ist meine Aufgabe..."
Leuthard unterbricht: "Meine Aufgabe ist sie zu fragen! Ist das Volk manipulierbar, verführbar? Vor allem: Ist es die SVP, die das macht mit dem Volk". Pelli: "Alle Personen sind manipulierbar - das wissen wir. Je nachdem. (Wiederholt) Je nachdem. Je mehr das Volk informiert ist, je weniger kann es manipuliert werden. Je mehr das Volk versteht, um was es ich handelt, je weniger gibt es das Risiko, dass er in seiner Entscheidung von Emotionen übertroffen wird- und dann falsch entscheidet. Das ist eine Frage des Masses."


Ein paar Bemerkungen zu diesem Dialog: Nationalrat Pelli musste selbstverständlich darauf bedacht sein, dass er den Parteikollegen Couchepin nicht blosstellt. Der Dialog verdeutlicht die zahlreichen Ausweichmanöver Pellis. (Waren grosse Wörter..., war ein anderes Problem...) Er versucht es auch noch mit einer Diffenzierungstaktik (Man muss unterscheiden...) Nachdem der Moderator - was im Grunde genommen sein Job ist - nachgreift, entscheidet sich Pelli zuletzt für die allgemeingültige Antwort:

"Alle Personen sind manipulierbar!"


So gelingt es Pelli, die Antwort auf die Frage mit der "SVP als Manipulator" wiederum zu umschiffen.

Nach unserem Dafürhalten, dürfen veröffentlichte eindeutige Formulierungen nachträglich nicht zurechtgebogen, beschönigt oder umzuinterpretiert werden. Wenn es Couchepin so gemeint hat, wie es Nationalrat Pelli oder Regula Stämpfli behauptete, weshalb hatte es Couchepin nicht so gesagt? Bei Interviews gilt: Gesagt ist gesagt.


Die NZZ über die Couchepinattacke



In der "NZZ am Sonntag" vom 10. Oktober geht es erneut um Couchepins Attacke gegen Blocher. Der Titel lautet: "Couchepins Attacke gegen Blocher setzt FDP unter Zugzwang." Die SP wittert Morgenluft und möchte vermehrt mit der FDP zusammenarbeiten und die SVP versucht es nach Christoph Mörgeli (der übrigens auch in der ARENA Sendung mitdiskutiert hatte) nochmals mit einer Mitte-Rechts- Regierung zu politisieren. Sonst werde die SVP zur Oppositionspartei.


Kommentar von Bührer

Der ehemaliger FDP Parteipräsident und jetzige FDP Nationalrat Gerold Bührer spricht in einem Interview vom 8. Oktober in der "Schaffhauser Nachrichten Klartext: "Ich kann keine Demokratiegefährdung erkennen!" Bührer weist zurückblickend auf den grossen Knatsch zwischen Ogi und Stich wegen der Neat und die grossen Differenzen zwischen Bundesrat Dreifuss und dem Rest des Bundesrats hin, die auch offen ausgetragen worden sind. Ferner errinnerte er an die Abstimmungsverweigerung Leuenbergers bei der "Atom- Initiative" und beim "Avanti"- Vorschlag. Bührer kritisiert seinen Parteikollegen Couchepin und teilt ebenfalls unsere Beurteilung:

"Es ist schädlich, wenn zwei Mitglieder der Exekutive ihre Fede in der öffentlichen Arena austragen. Couchepin hat einen Fehler gemacht, indem der das Verhalten seinen Ratskollegen dazu benutzte, sich in einer Art und Weise zu äussern, wie es sich für einen Bundesrat nicht gehört."


Bührer sieht keine Staatskrise, sondern eine Vertrauenskrise.




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