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www.rhetorik.ch aktuell: (21. November, 2003)

Der wütende Kanzler



Der Parteitag in Bochum führte die SPD nicht zur erhofften Geschlossenheit. Schröder hatte in einer Rede versucht, die Parteibasis zu einigen. Doch die SPD-Basis folgte nicht. Die Zerstrittenheit der SPD liess sich auch bei den Vorstandswahlen besichtigen.
Nach "Bild" mochte sich der Kanzler noch weit nach Mitternacht nicht beruhigen. In Rage gebracht hatte Schröder, dass die Delegierten des Parteitages SPD-Generalsekretär Olaf Scholz beinahe abgewählt hatten. Ihm sprachen nur etwas mehr als 52 Prozent der Genossen ihr Vertrauen aus. Hätten nur dreizehn der mehr als fünfhundert Delegierten gegen Scholz gestimmt anstatt für ihn, er hätte abtreten müssen mit unkalkulierbaren Folgen für die SPD.
Die in Hannover erscheinende "Neue Presse" berichtet, Schröder habe SPD-Landeschef Wolfgang Jüttner am Rande des Parteitags vor allem wegen des schwachen Abschneidens von Scholz gedroht: "Euch mache ich fertig." In der "Bild"-Zeitung wird der Kanzler mit den Worten zitiert:

"Was Ihr da abgeliefert habt, war eine Sauerei."




Nach "Spiegel" beruft sich das Boulevardblatt "Bild" bei diesem Zitat auf Informationen aus Parteikreisen. Das Temperament des Kanzlers fürte auch schon früher zu Geschichten: (Vgl. Haariges und Drohrhetorik).
Der angegriffene Jüttner reagierte zunächst kurz angebunden: "Das kommentiere ich nicht." Dann aber wies er die Vorwürfe des Kanzlers zurück. Jüttner sagte, Niedersachsen habe keine Intrige organisiert. "Wer das behauptet, hat etwas zu verschleiern und soll sich an die eigene Nase fassen." Jüttner sagte laut "Neuer Presse", er selbst habe trotz berechtigter Kritik an Scholz vor Delegierten für die Wiederwahl des Generalsekretärs geworben. "Hätte ich das nicht getan, wäre Scholz weit unter 50 Prozent gerutscht." Die SPD-Führung habe die Lage vor dem Parteitag falsch eingeschätzt.
Auch am Mogen des 18. Novembers soll der Zorn des Kanzlers noch nicht verraucht gewesen sein. Ein "Akt kollektiver Unvernunft" sei das Wahlergebnis für Scholz, knurrte er.


Landeschefs wie Jüttner, so Schröders Verdacht, hätten nicht genug für den angeschlagenen General getrommelt, ihn ins Messer laufen lassen. Die Basis kümmerte sich scheinbar nicht um die Ansagen von oben und gab per Stimmzettel einen Warnschuss ab.
Der Parteitag schrumpfte auch andere Genossen: Mit Wirtschaftsminister Wolfgang Clement musste sich auch ein zweiter enger Schröder-Vertrauter von den Delegierten "abkanzeln" lassen. Für seine unbequemen Äußerungen beim Kündigungsschutz gab es nur 56 Prozent.
"Bild" werweisst, dass Schröder einen starken Olaf Scholz als Kabinetts-Reserve für die voraussichtlich im Frühjahr 2004 anstehende Regierungsumbildung braucht. Der Generalsekretär käme als Innenminister in Frage, wenn Otto Schily in die Rente gehen wird. Schröder persönlich kam knapp über die 80-Prozent-Hürde: kein Ausdruck von inniger Liebe. Es ist das drittschlechteste Ergebnis für einen SPD-Vorsitzenden nach dem Krieg.
Schröder nahm es sportlich, reichte den Blumenstrauß für ihn gleich seine Gattin weiter und erklärte:

"Vor dem Hintergrund der Debatte, die wir führen, ist das ein ehrliches Ergebnis."


Die besten Ergebnisse verbuchten Bundestagspräsident Wolfgang Thierse mit 90 Prozent und der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck mit 82 Prozent. Beck löste damit den im Dauersinkflug befindlichen Rudolf Scharping ab, der nicht mehr antrat und auch nicht zum Parteitag erschien.

Bei den Wahlen zum SPD-Vorstand scheint es von Vorteil zu sein, auf dem Parteitag kein Wort gesagt zu haben. Das beste Ergebnis erreichte am Dienstagnachmittag der Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck mit 369 Stimmen, der wegen einer Lungenentzündung gar nicht nach Bochum gereist war. Auch Heiko Maas aus dem Saarland konnte wegen schwer entzündeter Stimmbänder nicht ans Rednerpult treten und wurde mit der vierthöchste Stimmenzahl (298) belohnt.
Die "Zeit": "Es scheint, als zerfasere die Partei, als drifteten die unterschiedlichen Flügel zunehmend auseinander. Früher gab es verlässliche Bündnisse und Absprachen zwischen Lagern und Landesverbänden. In Bochum haben diese zumindest bei den Personalentscheidungen nicht mehr funktioniert. Die Streitigkeiten der letzten Monate haben ganz offensichtlich tiefe Gräben hinterlassen."


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