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www.rhetorik.ch aktuell: (20. November, 2004)

Über ein Interview, das gestoppt werden sollte



Literaturkritiker Hellmuth Karasek war am 10. November bereit, sich Sven Boedecker von der "Sonntagszeitung" zu einem Gespräch zur Verfügung zu stellen. Mit den Journalisten können Abmachungen stets getroffen werden. Welche Abmachungen er vorgängig getroffen hatte, ist unklar.

Wichtig wäre zu erfahren, ob Karasek gewisse Aussagen bewusst als "off the record" und "on the record" deklariert hat? D.h. Passagen, die nicht veröffentlicht werden dürfen, müssten sofort als solche bezeichnet werden.

Dies entzieht sich unserer Kenntnis. Wir gehen davon aus, dass sich der Literaturkritiker ohne präzise Vereinbarungen zu dem Gespräch zur Verfügung gestellt hat; im Glauben, es würden nur Aussagen zum neuen Buch veröffentlicht. Karasek sah später, dass auch Randbemerkungen veröffentlicht werden und wollte - kurz vor Redaktionsschluss - das Gespräch zurückziehen. Den Versuch, seinen Abdruck im letzten Augenblick zu stoppen, akzeptierte die Redaktion nicht mehr, zumal Karasek eingestand, dass er den vorgesehenen Text tatsächlich gesagt hat.

Die Begründung, das Interview sei zu wenig auf das neue Buch bezogen, genügte der Redaktion nicht, auf eine Veröffentlichung zu verzichten.

Die "Sonntagszeitung" druckte daher am 14. November das Gespräch wortwörtllich und sinngemäss ab.

Wir veröffentlichen hier einige der Antworten, die Karaseks Redefreudigkeit nicht ins beste Licht rücken. Nach unserem Dafürhalten kann er die Schuld nicht der Sonntagszeitung zuschieben. Er ist, wie jede andere Person, selbst dafür verantwortlich, was sie sagt.

Journalist: "Wann werden wir Sie in der Literatursendung von Frau Heidenreich sehen?" Karasek: "Dafür muss Frau Heidenreich mich erst einladen. Und ich weiss nicht einmal, ob sie mich leiden kann."
Journalist: "Ihr Intimfeind war schon zu Gast bei ihr." Karasek: "Wer ist mein Intimfeind?"
Journalist:1 "Roger Willemsen." Karasek: "Vielleicht kann sie mit dem besser. Ich halte Willemsen für einen ziemlichen Kotzbrocken, und das hängt nicht nur mit diesem Artikel zusammen, den er über mich geschrieben hat."
Journalist: "Der Sonntagszeitung hat Willemsen erzählt, Sie hätten ihn darauf auf der Frankfurter Buchmesse eine "Drecksau" genannt und beinahe tätlich angegriffen." Karasek: "Drecksau" würde mir nicht Leid tun. Eine Tätlichkeit bezweifle ich, vielleicht habe ich das aber auch nur verdrängt. Ich weiss aber noch, dass wir zusammen auf der Messe gelesen haben. Dabei hat er sich darüber beklagt, wie schlecht Madonna ihn behandelt habe und dass sie eine blöde Gans sei. Woraufhin ich gesagt habe, Madonna hab in ihrem kleinen Zeh mehr vom Showbusiness als er in seinen ein Meter neunzig. Und dann ist Roger Willemsen über mich hergefallen. Aber nur verbal."


Analyse: Karasek lässt mit seiner ersten Antwort durchblicken, dass Frau Heidenreich möglicherweise etwas gegen ihn hat: "Ich weiss nicht, ob sie mich leiden mag." Den Konkurrenten in der Öffentlichkeit als "Kotzbrocken" zu bezeichnen, ist nicht nur unbedacht. Kollegenbeschimpfungen sollten generell ein Tabu sein.

Dass sich ein sprachgewandter Mann auf das Niveau von "Drecksau" und beleidigenden Vergleichen herablässt, erstaunt uns. Wir begreifen, dass Karasek das Interview nachträglich (aber zu spät) stoppen wollte. Doch im Umgang mit Medien gilt leider das Prinzip:

"Gesagt ist gesagt".


Auch beim umstrittenen Keckeis Interview im Tagesanzeiger Magazin wollte das VBS das Interview vor der Veröffentlichung stoppen. Das Interview wurde ebenfalls gedruckt und bekam durch die Intervention des Bundesrates noch grössere Publizität. Das VBS drohte rechtliche Schritt an, verzichtete jedoch darauf. Denn: Nach Presserat verlangte das VBS 150 Änderungen, zum Teil auch in der Fragestellung. In einem Grundsatzartikel in der NZZ vom 10. September schrieb hierauf Peter Studer zu den Möglichkeiten, Interviews zu verändern:

Journalisten können Texte nur ändern
  • wenn beispielsweise Zahlen und Fakten nicht stimmen
  • wenn Beschimpfungen in der Hitze des Gefechtes herausgerutscht sind
  • wenn bizarre Helvetismen bei der Transkription stören
  • oder durch Kürzen




Erkenntnis: Es gibt zwar ein Recht auf das eigene Wort und das eigene Bild. Es gibt verbindliche Bestimmungen des Persönlichkeitsschutzes. Wer jedoch bereit ist, sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen, muss klare Vereinbarungen treffen. Wer unbedacht drauflos redet, im Glauben, er könne nachher den Beitrag schon nach korrigieren, kann böse Überraschungen erleben. Überlegtes Reden lohnt sich immer! Anstatt unbedacht reden und nachträglich die Aussage korrigieren zu wollen, lohnt sich folgende Reihenfolge einzuhalten: Gut zuhören, warten, nachdenken, im Geiste formulieren, und erst dann reden!


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