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www.rhetorik.ch aktuell: (11. Mar. 2004)

Eichels Rhetorik



Der deutsche Finanzminister Hans Eichel wurde in Brüssel am 9. März vom Schweizer Fernsehen zu unangekündigten Grenzkontrollen an der Deutsch-Schweizer Grenze befragt. Die Antworten konnten in der Tagessschau am Schweizer Fernsehen DRS mitverfolgt werden. Die Journalisten erkundigten sich nach den Gründen für die stundenlangen Staus in Basel und anderen Grenzübergängen. Eichels Interview ist ein Beispiel, wie durch unvorsichtiges Antworten Öl ins Feuer gegossen werden kann.




Wir protokollierten die Antworten Eichels zur Frage, ob die Massnahmen im Zusammenhang mit dem Schengener Abkommen getroffen worden sind. Eichels Antworten sind beachtenswert.

DRS Journalist: Hans Eichel Kommentar
  "Über solche Fragen -äh - ausser dass wir sie allgemein nehmen - das wissen Sie auch - ist - allgemein Stellung genommen habe - im Einzelnen reden wir öffentlich nicht!" Das erste Statement "Wir werden öffentlich nichts sagen, bevor die Regierung nicht offiziell Stellung genommen hat" - wäre nachvollziehbar und überzeugt bei vielen Politikern.
"Aber kann man daraus schliessen, dass Sie einen Zusammenhang zumindest nicht dementieren?" "Sie können - Sie können daraus gar nichts schliessen. Wenn ich nichts sage, können Sie daraus auch nicht schliessen." Die Antwort kommt unwillig. Die Art und Weise der Antwort macht bewusst, dass der Interviewte gereizt ist. Etwas stimmt nicht. Man spürt einen giftigen Ton, Satzbrüche und Hektik.
"Warum dementieren Sie es nicht?" "Wenn ich nichts sage, können Sie nichts schliessen! - kann ich ganz schlicht sagen." Schweigen, selbst ein Ausweichen ist eine "Antwort" aus der Schlüsse gezogen werden können.


Der unwillige, rüde und gar giftige Ton Eichels ist sicher mit ein Grund, dass in den Medien anderntags die Mutmassungen, Gerüchte und Annahmen nur so blühten. Die schlimmsten Schlussfolgerungen wurden aus dem "Nichts schliessen lassen" gezogen:
  • Deutschland führt einen Kleinkrieg
  • Der Schweiz werden die Daumenschrauben angelegt, weil sie das Steuerabkommen nicht unterschrieben hat.
  • Medien fragten sich: Weshalb diese Nacht und Nebelaktion - ohne Ankündigung?
  • Weshalb wird die Schweiz nur von Deutschland in die Mange genommen (Österreich, Italien, Frankreich machen nicht mit).
Professor Glotz in der Arena meint: "Die Geschichte wurde durch einen falschen Zungenschlag des deutschen Finanzministers verschärft." Was uns vor allem erstaunte: Obwohl Eichel felsenfest versichert hatte, über die Thematik öffentlich nichts zu verraten, bis..., vergass er im Laufe der Befragungen diese Vorsätze. In der Medienkonferenz liess sich der Bundesfinanzminister später nicht nehmen, doch noch -indirekt - einen Zusammenhang herzustellen. Zum Thema Steuerhinterziehung meinte Eichel:

"Damit wir uns richtig verstehen. Ich unterstelle, dass kein Land in Europa--- nur teilweise davon leben will, dass es sich zur Fluchtburg von Steuerhinterziehung anderer Länder macht.
Das unterstelle ich auch der Schweiz. --- Und erwarte deswegen natürlich auch ein entsprechendes Abkommen - mit der Schweiz - das dieses sicherstellt. Ich glaube, das kann man -- unter zivilisierten Ländern untereinander wechselseitig unterstellen .
Deswegen verzichte ich auf jede Art von Drohungen. Die Erwartung ist doch eindeutig."


Mit andern Worten: in den Augen des deutschen Finanzministers haben verschärfte Grenzkontrollen, Steuerhinterziehung und damit die bilateralen Abkommen durchaus einen Zusammenhang. Auch indirekte Antworten sind in der Rhetorik Antworten. Eichels zweite Aussage bestätigt, dass der Journalist mit seiner Nachfrage im ersten Teil eine Wunde Stelle getroffen hat. Mit der Bemerkung "Das kann man unter zivilisierten Ländern kann man das unterstellen" unterstellt der deutsche Finanzminister ebenfalls indirekt: "Die Schweiz ist kein zivilisiertes Land, solange sie nicht unterschreibt." Wenn Eichel explizit sagt: "Ich verzichte auf jede Art von Drohungen." , kommen bei den Zuhörern Zweifel auf. Wer versichert, "Ich wollte Dich nicht beleidigen", hat meist bereits eine Beleidigung ausgesprochen. Wir dürfen uns fragen, weshalb Eichel zusichern muss, es handle sich um keine Drohung? Für uns verstärkt diese Negation die Vermutung, Deutschland wolle tatsächlich drohen. Uebrigens: Das Wort Drohung wird von Eichel in den Mund genommen.

Wer antwortet, muss stets wissen, was er sagt und was er nicht sagen darf. Indirekte Aussagen sind gefährlich und können letztlich kontraproduktiv sein. Eichel hat mit seinen Antworten nur noch Öl ins Feuer gegossen.






SN Artikel vom 11. März, 2004




Nachtrag vom 15. März, 2004 Die deutsche Regierung hat im Zusammenhang mit den Grenzschikanen in den Medien widersprüchlich argumentiert. Fischer versicherte Bundesrätin Calmy-Rey, die Kontrollen hätten nichts mit den Bilateralen Verhandlungen zu tun. Innenminister Otto Schily hingegen machte deutlich, die Schweiz müsse wissen, dass es natürlich nicht angehe, dass die Schweiz nur Rosinen picke.

In der Schweiz streiten sich Europabefürworter und Europagegner nach den Grenzschikanen wie schon lange nicht mehr. Die SP sieht jetzt bestätigt, dass es sich gelohnt hätte, der EU beizutreten. Die SVP hingegen macht deutlich, dass der Vorfall offenlege, mit welch undemokratischen Mitteln Europa politisiere. Der Schweiz vorzuwerfen, sie picke Rosinen, sei arrogant. Die Schweiz leide am Durchgangsschwerverkehr, habe zusätzlichen Lärm wegen neuen Anfluglinien und viele Asylanträge, weil Deutschland überdurchschnittlich viele Asylanten übenehme.


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