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www.rhetorik.ch aktuell: (29. Mai, 2004)

Streit-Leck



Die Bundesräte Christoph Blocher und Moritz Leuenberger, die sich seit ihrer Studienzeit kennen, sitzen seit fünf Monaten zusammen in der Landesregierung. Obwohl Bundesratsitzungen vertrauchlich sind, kam in den Medien die Meldung, dass Blocher seinen Kollegen Leuenberger zum Rücktritt aufgefordert haben soll. Es ist noch nicht klar, wo das Leck im Bundesrat ist. Nachdem sich die Kommunikationslandschaft nach den Neuwahlen verändert hat, wurde nur noch gewerweisst, was Blocher tatsächlich gesagt hat.
Vor der Kamera wurde der Justizminister gefragt, ob er Leuenberger tatsächlich zum Rücktritt aufgefordert habe. Ein deutliches Nein war zu hören. Angeblich muss er zum Kollegen gesagt haben:

"An Deiner Stelle wäre ich zurückgetreten!"


Ausser Blochers SVP reagierten alle Parteien ungehalten über den Vorfall.
  • Nationalrat Hans-Jürg Fehr, der Präsident der SP, sprach gegenüber "10 vor 10" von einer "massiven Entgleisung".
  • Die Aargauer Nationalrätin Doris Leuthard, Interimspräsidentin der CVP, sagte der Sendung, eine Rücktrittsforderung sei eine "völlige Frechheit".
  • FDP-Präsident und Ständerat Rolf Schweiger findet, es sei eine "absolute Sauerei" dass solche Interna immer wieder in die Öffentlichkeit gelangten. Er glaube langsam, da wolle jemand das System destabilisieren.
Laut "Tagesanzeiger-Magazin" soll bei einer Bundesrat-Sitzung am 12. Mai wurde deutlich, was Insider schon lange verkünden: Von einer funktionierenden Kollegialbehörde "Bundesrat" kann nicht mehr die Rede sein. Erstmals in der Geschichte der Schweizer Bundespolitik soll ein Bundesrat einen Kollegen direkt oder indirekt zum Rücktritt aufgefordert haben. Das Thema am 12. Mai war der Flugzeugabsturz in Überlingen.


"Nie habe jemand Verantwortung für die Fehler übernommen",


soll SVP-Mann Christoph Blocher gemäss Informationen des "Magazins" gewettert haben.

"Mit einem derartigen Chaos in der Luft", würde er an seiner Stelle sofort zurücktreten.


soll Blocher angriffig zu Moritz Leuenberger gesagt haben. Der attackierte Leuenberger sprach darauf von einer Kampagne, die Blocher gegen ihn führe. Blocher wies dies von sich. Der restliche Bundesrat erstarrte "derweil in peinlicher Betretenheit" bis Bundespräsident Joseph Deiss die Sitzung um 10.15 Uhr beendete. Oswald Sigg, Leuenbergers persönlichen Berater im Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunkation (UVEK), bestätigt die offene Rücktrittsforderung Blochers indirekt und richtet vom SP-Bundesrat aus, dass er bereits den "Mantel des Erbarmens" über den Zornesanfall gelegt hat. Gegenüber der Fernsehsendung "10 vor 10" des Schweizer Fernsehens DRS vom Freitagabend sagte Christoph Blocher, solche Rücktrittsforderungen lägen "nicht in seiner Kompetenz". Nicht nur das "Magazin" berichtet von einem gestörten Verhältnis im Bundesrat. Auch die "Weltwoche" schreibt in ihrer aktuellen Ausgabe von "Machtspielen vom Morgen bis zum Abend" und "Szenen eines Psychokrieges".

Für uns ist gewiss die Problematik mit Indiskretionen ein Kommunikationsproblem, das behandelt werden müsste. Dass offen, direkt und unverblümt gestritten werden darf, gehört zu jeder Streitkultur. Bei dialektischen Auseinandersetzung ist Überempfindlichkeit fehl am Platz. Es ist ein Unterschied, ob öffentlich oder intern Klingen gekreuzt werden. Interne Auseinandersetzungen unterliegen anderen Spielregeln. Dies ist bei dem angeblichen "Eklat" mitzuberücksichtigen.


Links zum Thema:




Nachtrag vom Aktuell 30. Mai: Kommentar nach dem Eklat

Die offenkundige Zerstrittenheit der neu zusammengesetzten Regierung ist nichts anderes als das Abbild der politischen Situation. Die zunehmende links-rechts Polarisierung (SP-SVP) spiegelt sich nun auch im Bundesrat. Im Medienspiegel fehlt es nicht an Schuldzuweisungen. Spekulationen schiessen immer dann ins Kraut, wenn Sachverhalte unklar sind. Woher die Indiskretion kam, ist immer noch unklar. War es ein Mitglied der Regierung? Christoph Mörgeli vermutet, dass Oswald Sigg die Quelle der Indiskretion sei. Sigg versuche das Bild des "guten" Leuenbergers versus den "bösen" Blochers zu zeichnen. Er habe mit der Solidarität der Medien gerechnet. Nach "NZZ am Sonntag" könnten die Urheber des Lecks auch im Umfeld von Bundesrat Couchepin oder sogar von Christoph Blocher zu finden sein. Blocher habe ein Interesse daran, den Parteigefolgsleuten zu zeigen, dass er noch der Alte ist. Ob wegen der jüngsten Indiskretion Strafklage eingereicht wird, ist noch völlig offen. Übrigens wurde auch Bundespräsident Deiss kritisiert. Er habe gezögert und kein Machtwort gesprochen. Nach Historiker Urs Altermatt sind persönliche Angriffe von Regierungsmitgliedern auf Kollegen nichts Neues. Er erwähnt die Auseinandersetzung zwischen dem FDP Politiker Edmund Schulthess und dem Katholisch-Konservativen Jean-Marie Musy. Auch zwischen Otto Stich und Adolf Ogi habe es Auseinandersetzungen gegeben - jedoch nur auf politischer Ebene. Immer noch unklar ist, mit welchen Worten Bundesrat Blocher seinen Unmut über die Folgen der Führungschwäche bei Skyguide kund getan hatte.


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