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www.rhetorik.ch aktuell: (20. Mai, 2004)

Engelkes Einstand





Anstatt Harald Schmidt sahen wir erstmals Anke Engelke im "Late-Night-Talk". Sie nutzt ihre Stärke und setzte auf ihre Kernkompetenz: die Parodie. "Erwartungen weit übertroffen" heisst es im Medienspiegel: Bei ihrer Premiere auf dem alten Harald-Schmidt-Sendeplatz hatte die 38-Jährige Weltstar Sting, Comedian Bastian Pastewka, Sänger Max zu Gast. Im Mittelpunkt der Show stand aber vor allem die Presentation von Anke Engelke. Bei ihrem ihrem Einstand auf Sat 1 spielte sie Angela Merkel, Lisa Fitz und Nena. Diese Einspielfilme kamen gut an. Im Talk-Teil liess sie den Gästen viel Freiraum. Sting erzählte etwas über sein gesundes Sex-Leben. Pastewka redete über seinen neuen Film und übernahm auch gleich die Gesprächsregie, während Max Mutzke neben seinem Mentor Stefan Raab kaum zu Wort kam. Nicht alle Witze im Tagesrückblick ernteten grosse Lacher: z.B. ("Die Pkw-Maut, das ist wie Strassenstrich ohne Sex").

Es fehlte nicht an Anspielungen auf den grossen Vorgänger. Jungen seien dümmer als Mädchen, weil ihnen die Vorbilder fehlten, zitierte Engelke neueste Erkenntnisse. "Liebe Jungs, die Vorbilder sind gar nicht weg, die machen nur eine Kreativpause", fügte Engelke in Anspielung auf die Schmidt'sche Sprachregelung hinzu.

Am ehesten verzichtbar schien für Engelke der Schreibtisch zu sein, der bei Harald Schmidt noch dominierte. Sie wolle möglichst direkt auf die Leute wirken, sagt sie von sich selbst. Alles, was dazwischen ist, stört sie nur. Also setzte sie sich zu ihren Gästen auf die Couch. Das Publikum im Studio bestand aus meist jungen Leuten und war begeistert.


Wir teilen die Meinung der Engelke Fans. Die Nachfolgerin hatte alle Erwartungen übertroffen. Anke Engelke gab sich lässig, aber nicht gespielt lässig. Sie war ein echte "Kumpel Frau" und spielte nicht die "Ulknudel". Es war offensichtlich: Sie will keine Nachahmerin von Harald Schmidts sein. Was sie von der alten Sendung beibehielt: Lustiges von Gagschreibern, Musik, Gäste und den Schreibtisch. Engelke hat keinen Manuel, den Mann am Katzentisch. Sie macht ihr eigenes Ding. Sie nutzt Frauenpersiflagen aus "Ladykracher". Verkleidungen und Spiele mit Frauenklischees kamen gut an. Gelungen war die charmante Unterstützung des Vorzeigeschlaumeiers Roger Willemsen. Der spielte mit und liess sich mit grauseliger Perücke und auf Rollschuhen herumschieben.

Nach unserem Dafürhalten kann Anke Engelke Harald Schmidt durchaus das Wasser reichen. Die Show hatte 2.46 Millionen TV-Zuschauer. Ihr Vorbild, Lehrmeister und Vorgänger Harald Schmidt hatte bei seiner eigenen Premiere 1.96 Mio. Zuschauer.




Nachtrag vom 23. Mai, 2004:

Im Gegensatz zu unserer Analyse, äussert sich Pia Horlacher in der NZZ am Sonntag pessimistischer über Anke Engelke: Die nette Blonde gehe in diesem Sendegefäss unter. Vielleicht ziehe sie sogar Roger Schawinski mit, dem die Sendung den Schlamassel zu verdanken haben. Die 320'000 Fr Gage im Monat sei immerhin genug, um sich ein schönes Grab zu schaufeln. Ein Luxusgrab für eine Blamage, oder für eine leere Hülle einer Frau, die schlau genug sei, um zu wissen, dass die Branche eine bald vierzig Jahre alte Showmasterin nicht allzulange halten werde.




Nachtrag vom 27. Mai, 2004: Schelte für Anke.

Anke Engelke kriegt auch heftige Kritik für ihre "Late Night" show: Rudi Carrell forderte sie erneut zum Aufhören auf. Einige Wochen vor dem Start hatte Rudi Carrell bereits in der ARD-Sendung "Beckmann", deren Studio eigens auf Wunsch von Comedy-Diva Carrell mit Publikum gefüllt wurde, 10'000 Euro darauf gewettet, dass Anke Engelke mit ihrer neuen Show scheitert. Die Äusserung sorgte damals für Wirbel und auch jetzt noch finden viele Carrells Vorverurteilung total daneben. "Superstar"-Juror und Radiomoderator Thomas Bug äusserte in einem DWDL-Interview auch Unverständnis für Carrell:

"Bei so einer Aussage verliert ein Rudi Carrell für mich mehr als Anke überhaupt verlieren kann."


Jetzt ist "Anke Late Night" gestartet und die Quotenentwicklung scheint der Wette von Rudi Carrell entgegenzukommen. Laut Bild-Zeitung hat sich Carrell jetzt erstmals nach dem Start von "Anke Late Night" zu Wort gemeldet. Dass dies so lange gedauert hat, liegt wohl u.a. daran, dass er die erste Ausgabe gleich erst einmal verpasst hat. Sagt er jedenfalls. Und zeigte damit schon letzte Woche Anke Engelke die kalte Schulter.
Sein erster Eindruck von Anke Engelkes neuem Job:

"Sie steht da wie ein Streichholz in der Olympia-Halle, Riesendekoration, kleine Frau."


Laut Bild-Zeitung analysiert Carrell weiter:

"Sobald ein Sketch kommt, ist sie wieder Weltklasse und sobald sie einen Witz erzählt oder Talk macht, ist sie keine Weltklasse."


Ob er nun einfach seiner Linie treu bleiben will, die richtigen Schlüsse zieht oder nur an seine Wette denkt - jedenfalls antwortet er auf die Frage was sich man an "Anke Late Night" ändern könnte: "Sie soll aufhören. Es war von Anfang an falsch, es zu machen."

Die "taz" verfolgte ebenfalls "Anke Late Night" und lässt taz-Mitarbeiter die entscheidenden Fragen stellen. Frauen moderieren unser Land. Anke Engelke ist eine Frau. Was liegt näher, als sie zur Chefin der deutschen Late Night zu machen? Das Ergebnis ist dementsprechend optimal: Es herrscht nicht die unangenehm-aggressive Stimmung früherer Late Night-Formate, in denen Mitarbeiter von einem männlichen Chef gnadenlos ausgebeutet, verhöhnt und weggeworfen wurden. Bei Engelke: flache Hierarchien, Mitverantwortung, kollegial-kuscheliger Umgang mit Gästen und Personal; speziell auch mit ihrem subalternen Lebensgefährten. Ein weiterer zivilisatorischer Fortschritt: Keine Lechz- und Hechel-Atmosphäre, nein, auch Frauen in weißen Fickstiefeln werden nicht darauf reduziert. Eigentlich stört nur der Mann, am Mittwoch ist das der Publizist Roger Willemsen, der mit bürgerlichem Wertegrinsen von Esel-Erektionen schwärmt und von einer Kuh berichtet, die von hinten penetriert worden sei. Chefin Engelke schimpft ihn freilich nicht aus, sondern moderiert ihn mit einem milden Lächeln nett ab. Das alles sollte man bedenken, bevor man kleinlich daran rummäkelt, dass die Sendung selbstverständlich (Qualität, Quote) zu nichts führt. Ebenfalls in der "taz" gefunden: Harald Schmidt war der Typ für die Typen. Im Büro warteten sie morgens gleich mit einem Harald-Schmidt-Witz vom Vorabend auf und die Frauen gähnten leise - nein, stimmt nicht. Die Frauen fanden ihn auch toll, oh, echt. Und damit ist das Thema Frauen auch schon zu Ende. Frauen können über Männer UND Frauen lachen. Und Männer, das ist die News: können das auch! Wenns was zu lachen gibt. Jetzt haben leider gerade alle Phantomschmerzen. Deshalb können die Gagschreiber keinen Gag schreiben, sondern nur was über Krötenwanderung. Und Anke Engelke wird noch eine Weile brauchen, bis man nicht mehr besorgt sein muss, ob sie nicht doch vor Nervosität mal beim Studio-Jogging durch die Pappkulisse ausbricht und nie, nie wieder gesehen wird. Ansonsten bietet Anke endlich mal was für Kinder, die nicht schlafen können: einen Clown und echte Löwen, ist parodistisch unschlagbar wie immer und könnte so schöne Witze über die EM machen, wenn nicht die Gagschreiber, siehe oben. Wenn wir das hinter uns haben, kommt vielleicht auch raus, dass das umfragemäßige Überrumpeln von schwerhörigen oder schlecht deutsch verstehenden Passanten nur aus Kummer mit Humor verwechselt wurde. Und dann, juhu, wird "Anke Late Night" ungefähr so mittellustig werden, wie Harald Schmidt auch meistens war.




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