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www.rhetorik.ch aktuell: (1. Mai, 2004)

Die Wirkung von schockierenden Bildern





Ob authentisch oder Propaganda, selten haben Bilder eine solche Entrüstung ausgelöst wie die Fotos, die den Missbrauch von Häftlingen im Irak durch Amerikanische und Englische Gefängniswärter zeigen. Ob Fälschung oder wahr (vor allem die Authentizität der Bilder der englischen Presse sind angezweifelt), diese Bilder haben viel bewirkt und werden Auswirkungen haben.

Am Freitag, dem 30. April zeigten Arabische Netzwerke Bilder von Abu Ghurayb Gefängnis ausserhalb Baghdads. Sechs US Soldaten seien schon angeklagt worden. Am Sonntag brachte die Englische Zeitung London Daily Mirror Bilder, die Britische Truppen in ähnlicher Position zeigen.

Sowohl Bush als auch Blair haben die Vorkommnisse scharf verurteilt. Untersuchungen seien eingeleitet worden. Auch die Authentizität der Bilder wird noch untersucht.



Nachtrag vom 5. Mai, 2004. Um die antiamerikanische Stimmung besorgt, gab Bush Interviews mit den Arabischen Nachrichtensendern al-Arabija und al-Hurra. Er versprach, die Schuldigen zu finden und zu bestrafen, die Vorfälle seien abscheulich. Die US-Sicherheitsberaterin Condolenza Rice entschuldigte sich bei einem Interview. Ob dieses "Mea Culpa" die gewünschte Wirkung haben wird, wird sich zeigen. In den USA forderten verschiedene Senatoren eine öffentliche Anhörung im Kongress.


Philip Zimbardo Auch Psychologen haben sich zum Phenomen "Folter im Krieg" geäussert. Im Spiegel wird Philip Zimbardo, Präsident der American Psychological Association zitiert, der Anonymität, Verlust der Individualität, Entmenschlichung, Geheimhaltung, Diffusion von Verantwortung, starke Machtgefälle, Frustration, Rachegefühle, Autoritätshörigkeit und mangelnde Überwachung als Ursachen für solche Taten angibt. Zimbardo hatte das "Stanford Prison Experiment" geleitet, indem 24 Freiwillge entweder zu Gefängniswärtern oder Gefangenen erklärt worden und das illustriert, zu was auch normale Menschen in bestimmten Situation fähig sind.
Zum "Stanford Prison Experiment" aus dem Spiegel: "Die Gefangenen wurden von Anfang an gedemütigt, mussten Krankenhausnachthemden und Ketten an den Füßen tragen, wurden nur noch mit Nummern statt mit ihren Namen angesprochen. Stanford-Gefängnis-Experiment: Das Böse im Menschen geweckt Da es für die Wärter keine expliziten Regeln gab, entwickelten sie verschiedene Unterdrückungsmethoden, mit denen die Gefangenen gefügig gemacht wurden. So wurden zur Bestrafung Liegestützen angeordnet, den Eingesperrten wurden Decken und Matratzen weggenommen, es gab eine lichtlose Einzelhaft-Zelle. Im Laufe des Experiments wurden die Unterdrückungsmassnahmen immer extremer: Als sich die Wärter nachts unbeobachtet fühlten, zwangen sie die Gefangenen sogar, sich auszuziehen und miteinander sexuelle Akte zu simulieren - so wie die US-Soldaten im Irak. Das Experiment, das eigentlich zwei Wochen dauern sollte, wurde schliesslich nach sechs Tagen abgebrochen, weil die Situation vollständig ausser Kontrolle geraten war."


Nachtrag vom 6. Mai, 2004 Rumsfeld war am 28. April im Capitol Hill, um Senatoren und Abgeordnete über den Irak zu unterrichten. Das Pentagon hatte gewusst, dass am selben Abend CBS in der Sendung "60 Minutes II" die berüchtigen Fotos gezeigen werden würden. Doch Rumsfeld informierte die Politiker nicht. Die Realisierung, dass die Abu Ghraib Bilder irreparablen Schaden anrichteten und vor allem die Tatsache, dass der Kongress nicht voll informiert wordern war, wirft einen Schatten auf Rumsfeld. Er wurde aufgefordert, auszusagen, was er wusste und wann er es wusste. Bush sagte er sei "nicht zufrieden" mit seinem Verteidigungsminister. Bush entschuldigte sich aber noch nicht. Nach CNN soll Bush "nicht glücklich" sein und es auch Rumsfeld wissen lassen. Er soll sich auch darüber beklagt haben, dass er nicht auf dem Laufenden gehalten worden war. Eine Gruppe von Senatoren drängte am Mittwoch das Pentagon, das Abu Grhaib Gefängnis niederzureissen. Es sei ein Symbol für Saddams Folterkammern und eine peinliche Episode für das US Militär.
Nachtrag vom 7. Mai: Bush entschuldigt sich. George W. Bush hat sich für die Misshandlung irakischer Gefangener durch amerikanische Soldaten doch noch entschuldigt. Zugleich stellte er sich hinter Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: Der solle im Amt bleiben - schliesslich sei er ein wichtiges und wertvolles Mitglied seiner Regierung. (Wir denken, dass es aber noch nicht ausgeschlossen ist, dass Bush seinen Verteidigungsminister doch noch fallen lassen wird, wenn der Druck zu gross wird).

"Es tut mir Leid, dass die Gefangenen diese Demütigungen erleiden mussten", sagte der US-Präsident Bush nach einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II. Es tue ihm gleichermaßen leid, dass die Menschen, die diese Bilder gesehen haben, nicht die wahre Natur und das Herz Amerikas verstünden.


Nachtrag vom 9. Mai, 2004: Parallelen zu Pasonlini Film

Der "Sonntagsblick" assoziiert die Irakfotos mit Szenen aus dem Pasolini Film 'Salo o le centoventi Giornate della Citta di Sodoma' ("Die 120 Tage von Sodom") aus dem Jahre 1975, indem junge Männer und Frauen als Lust- und Folterobjekt misbraucht und erniedrigt werden. Vorlage zum Film ist ein von Marquis de Sade in den Jahren 1783 bis 1785 geschriebenes Buch.
Pasolini Irakbilder




"Spiegel" Kommentar vom 12. Mai 2004: Ursprünglich hatten sich die USA weitgehend erfolgreich bemüht, die Medienberichte vom Kampfgeschehen in Irak zu kontrollieren. Dazu wurden Journalisten erstmals in ein Kontrollsystem der Streitkräfte "eingebettet", wie es hiess. Diese Kontrolle ging aber schlagartig verloren, als US-Soldaten mit ihren eigenen Digitalkameras ihr Tun dokumentierten und als diese Bilder in großem Umfang an die Öffentlichkeit gelangten. Das Überraschende war, dass es sich dabei weder um feindliche Propagandabilder noch um Bilder von Enthüllungsjournalisten handelte. Im Gegenteil, die US-Soldaten brannten ihre Fotos und Videos offenbar arglos auf DVDs und reichten sie herum.




Zwischenbilanz 9. Mai, 2004: Die Folterbilder haben bis anhin enorm viel bewirkt:
  • sie haben den USA langfristigen Schaden zugefügt
  • im Vergleich zu den Sargbildern haben sie das Selbstbewusstsein des Landes beschädigt. Die Sargbilder schadeten viel weniger, da ihnen etwas Patriotisches, Heldenhaftes anhaftet.
  • sie brachten im Volk einen Stimmungsumschwung. Wenn 2/3 den Einsatz im Irak befürwortet hatten sind es jetzt nur noch die Hälfte
  • sie brachten die Regierung in eine Krisensituation Kann sich der Verteidigungsminister noch halten? Politische Auswirkungen? Einfluss auf die Wahlen?
Ob die Aufnahmen wie die Szene mit dem nackten Gefangenen an der Leine ebenfalls zu einer historischen Aufnahme wird, wie das "fliehende nackte Kind im Vietnamkrieg", das kann noch nicht gesagt werden. Die Bilder im Vietnamkrieg führten zu einem Umdenken im Land.


Fortsetzung


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