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Seit Bundesrätin Micheline Calmy-Rey im Amt ist, scheiden sich die Geister
bei der neuen "offenen" Aussenpolitik. Wir kommentierten die
Medienechos zu dieser Thematik schon in den Beiträgen
Im Blätterwald wurde die "Öffentliche Diplomatie", "Public Diplomacy" oder
"Open Diplomacy" Calmy-Rey's beschrieben, gelobt aber auch kritisiert.
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Lob und Tadel für "Open Diplomacy"
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Durch die offene Art, "Themen via Medien zur Diskussion zu stellen",
schaffte sich die Aussenministerin sowohl Feinde als auch Gegner. Was sie mit ihrer
ungewohnten "Transparenz" in der Öffentlichkeitsarbeit erreichen
wird, kann heute noch nicht beurteilt werden.
Das Tagesanzeiger-Magazin vom 20. Juni 2003 machte jüngst Calmy-Reys
"öffentliche Diplomatie" zur Titelgeschichte
"Reizfigur Calmy-Rey" mit Untertitel "Was bringt die offene Diplomatie?".
Der fundierte Beitrag von Christoph Keller zitiert eine der ersten Aussagen
der neuen Bundesrätin zur "öffentlichen Diplomatie".
Calmy-Rey sagte damals zur Politik der Transparenz bei diplomatischen
Verhandlungen, sie wolle
"die übliche Verschwiegenheit bei Amtshandlungen von internationalen
Verhandlungen durch die offene Kommunikation unserer Position ersetzen".
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Implizit liess sie damit durchblicken, dass die bisherige Diplomatie zu
verschwiegen und zu undurchsichtig gewesen ist.
Nachdem die neue Magistratin bei verschiedenen Anlässen und Vorkommnissen
wie dem WEF, dem Irak-Krieg, der Humanitäre Konferenz oder der Waffenausfuhr
ihr Vorhaben offensichtlich auch umzusetzen wusste, schieden sich die Geister.
Verständlicherweise wurde die neue "offene" Politik von der Boulevardpresse
gelobt, zumal Frau Calmy-Rey auch Home-Storys zugelassen hatte. Andere
Medien waren von der noch nie so praktizierten Offenheit gegenüber der
Öffentlichkeit eher irritiert. Wir haben auf die vielen negative
Schlagzeilen bereits hingewiesen.
Spannungen verschärften sich
Zwischen den Politischen Abteilungen I und IIa, welche beide für die
landesbezogenen bilaterale Aufgaben zuständig sind und der politischen
Abteilung III (multilaterale Organisationen) mit der Abteilung IV (Friedens-
und Menschenrechtspolitik) bestehen heute laut Tagesanzeiger-Magazin
Spannungen. Der Grund sei, dass die Aussenministerin den Schwerpunkt
eindeutig auf Friedenspolitik und Konfliktprävention gesetzt habe.
Die Diplomaten äusserten ihre Bedenken nicht offen gegen ihre Chefin. Nur die
"Aussenpolitische Kommission" wagte sich offen gegen den angeblichen
Aktionismus der Bundesrätin. Sie kritisierte die "verwirrliche"
Strategie Calmy-Reys und forderte grössere Zurückhaltung vom Bundesrat.
Die Frage nach der Kompetenzaufteilung in der Friedenspolitik brachte
Nationalrat Reimann aufs Tapet.
Maximilian Reimann, der "angeblich nichts gegen die Bundesrätin hat", geht
es nach seinen Worten allein "um die Glaubwürdigkeit der Aussenpolitik" .
Kritik auch von anderen Seiten
Vor allem von der Economiesuisse wird die "öffentliche Diplomatie" als
bedrohlich empfunden. Verständlich, konnte doch die Privatwirtschaft über
Jahre die Weichen via bilaterale Verhandlungen stellen - abseits jeder
öffentlichen Einmischung. Beispielsweise bei
beim GATT-Beitritt, der Zusammenarbeit mit der OECD
oder den Entscheiden bei der EFTA oder beim EWR.
Rudolf Walser, Mitglied der Geschäftsleitung der
economiesuisse dem Verband der Schweizer
Unternehmen, hält nicht viel von der "öffentlichen Diplomatie":
"Schliesslich gab es schon genügend Öffentlichkeit beim EDA.
Was der Aussenministerin vorschwebt, ist völlig unrealistisch. Gewisse
Verhandlungen - etwa bei der WTO - dürfen keinesfalls transparent gestaltet
werden, weil sonst jeder zu jeder Zeit dreinfunkt und unserer Position schadet.
Bei jeder diplomatischen Verhandlung gibt es immer wieder Phasen, die
geheim bleiben müssen!"
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Selbst der Basler Sozialdemokrat Remo Gysin, ein
Mitglied der Aussenpolitischen Kommission, hat gewisses Verständnis für
die Aufruhr in Wirtschaftskreisen. Er formuliert es wie folgt:
"Die Politik der Öffnung und Transparenz, die Micheline Calmy-Rey betreibt,
ist eine direkte Bedrohung für die Klüngelei zwischen Wirtschaft und
Politik." Dann fragt er sich:
"Wer weiss, was passiert, wenn sich die Einsicht durchsetzt, dass die
Bürgerinnen und Bürger über die elementarsten Entscheidungen im GATT
informiert werden müssen?" Und ergänzt: "Gerade weil es bei diesen Fragen
um existentielle Fragen unserer Demokratie geht."
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Die Kritik perlt ab
Bundesrätin Calmy-Rey ist sich völlig bewusst, dass sie sich mit der
"öffentlichen Diplomatie" voll ins Schussfeld der Kritik begibt. Sie nahm
alle Vorwürfe gelassen entgegen. Sie kontert:
"Die Wirtschaftsverbände müssen begreifen, dass eine offene
Informationspolitik auch in ihrem Interesse ist."
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In allen Interviews, die wir verfolgen konnten, antwortete die
Aussenministerin in der Regel rhetorisch geschickt und flexibel.
Auch im Blickinterview vom 14. Juni lässt sie die Kritik an sich abperlen.
Sie präzisierte sogar in einer Antwort die Bemerkung des Journalisten, der
sagte:
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"Es war für Sie ein brutaler Einstieg als Bundesrätin!"
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Calmy-Rey:
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"Brutal ist nicht das richtige Wort. Der Start war sehr dynamisch und
zugegebenermassen hart."
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Mit dieser Antwort bewies die Bundesrätin, dass sie gut zuhören kann und
das Gehörte - so wie wir es empfehlen - sofort klärt.
Die Bundesrätin will auch keine Konsequenzen ziehen.
Mit ihrer Bemerkung - "Ich bin entschlossen, volle Transparenz zu schaffen"
- zeigt die Bundesrätin einmal mehr ihre Zähne. Die Worte sagen im Grunde
genommen: "Ich lasse mich nicht vom bisherigen Kurs abbringen."
Für Calmy-Rey stammen die Kritiker vor allem aus einem Lager:
"Es sind Männer, die sich vor starken Frauen fürchten. Viele Kritiker haben
nur ein Ziel: Das Bild einer starken Frau zu zerstören. Es sind antiquierte
Vorstellungen über Frauen, die nichts überlegen und viel schwatzen."
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Diese Argumentation überzeugte uns weniger. Das Spannungsfeld der
öffentlichen Diplomatie darf nicht auf das einfache "Mann- Frau Klischee"
reduziert werden, obschon in diesem Fall dieser Grund durchaus auch
mitspielen wird. Das Abschieben der Problematik auf die Ebene
"Männer fürchten starke Frauen" scheint uns bei dieser
komplexen Sachfrage zu einfach.
Im "Blick" vom 16. Juni 2003 wurde dieser Aspekt erneut im Fronttitel
verstärkt:
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"Männer haben Angst vor mir!"
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Verbunden mit dem neuen Titel:
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"Frauen stehen wie ein Mann hinter Calmy-Rey."
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Blick betont in dieser Ausgabe, dass die Bundesrätin für ihren mutigen Satz
bei den Parlamentarierinnen grosses Lob geerntet habe. Christine Beerli differenzierte
zwar dieses Lob und wird ebenfalls im Blick zitiert:
"Gut, dass Frau Calmy-Rey das thematisiert hat. Aber Hand aufs Herz:
Manchmal bringt weibliche List etwas mehr, als mit dem Kopf durch die Wand
zu rennen."
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Auf das Verhältnis mit dem Kollegen Couchepin, antwortete Calmy-Rey im alten
Blick-Interview in gewohnt cleverer Manier:
"Unsere Beziehung ist völlig normal. Wir sind schliesslich Walliser und
lieben beide die Debatte."
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Diese Antwort ist rhetorisch geschickt: Die Differenzen
werden nicht bestritten, aber die Auseinandersetzung wird unmerklich
verschoben, so subtil, dass sie die gut nachvollziehbar wird.
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Fazit:
Bei der Thematik "Öffentliche Diplomatie" geht es
nicht um ein "Entweder-oder"
Informationsmanagement
beim Umgang mit Medien, oder beim öffentlichen
Verhandeln, Es geht vor allem auch um ein "Sowohl-als auch".
Bei jeglichen öffentlichen Verhandlungen ist die hohe Kunst gefragt,
Gegensätze unter einen Hut zu bringen: Die geheimen Verhandlungen
mit bilateralen Gesprächen sowie die öffentlichen Gespräche mit Verlautbarungen
über die Medien. Wie immer im Umgang mit Paradoxien, liegt die Schwierigkeit
darin, die Balance zu finden.
Vielleicht könnte die Bundesrätin auch noch etwas lernen. Nämlich:
Kritiken ernster zu nehmen, mit gewissen Verlautbarungen künftig länger
abzuwarten, bis Sachverhalte intern geklärt sind
oder mehr Verständnis für bilaterale "geheime" Vorgespräche zu zeigen.
Aus unserer Sicht ist Standfestigkeit und das konsequente Einstehen für
eine Meinung eine lobenswerte Tugend. Es gilt jedoch stets auch, sich der
Gefahr bewusst zu sein, dass Härte und Biss plötzlich zu
Sturheit mutieren könnte. "Mit dem Kopf durch die Wand gehen" war noch nie
eine taugliche Methode bei heiklen Kommunikationsanliegen.
Wir haben beim skizzierten Feld "Information und Öffentlichkeit" gewisse
Bedenken: Falls es Micheline Calmy-Rey nicht schafft, die erwähnten Gegensätze
unter einen Hut zu bringen, könnte es längerfristig zu weiteren Reibereien kommen.
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Der Historiker Paul Widmer veranschaulicht in seinem Buch
"Schweizer Aussenpolitik und Diplomatie", dass Gute Dienste nur dann
erfolgreich sind, wenn man sie als "leises Geschäft" betreibt. Mit
zahlreichen Beispielen belegt er, dass die Guten Dienste immer dann weniger
erfolgreich waren, wenn Bern versuchte, die Eigenprofilierung dem Interesse
der Drittstaaten zu überlagern. (z.B. im November 1985 als sich Reagan und
Gorbatschew in Genf mit Bundespräsident Furgler arrangierten. In der
Öffentlichkeit kam das Treffen zwar gut an. Aber im Grunde genommen wurde
es von den Gästen als lästig empfunden.)
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Bei allen Kommunikationsprozessen hat das Ich stets auf das Du
Rücksicht zu nehmen. Möge es der neue Bundesrätin gelingen,
künftighin in bei "Open Diplomacy " etwas mehr Flexibilität zu zeigen.
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