Vom politiklosen Passivitätsverführer ...
Nach der Einführung des Fernsehens dominierten in der Schweiz die kritischen
Stimmen gegenüber dem neuen Ton-Bild-Medium. So wurde damals behauptet,
die Television verführe zur Passivität. Die Skepsis gegenüber dem
Konkurrenten des Radios war vorerst erstaunlich gross, obschon nur wenige
Stunden am Abend gesendet wurde.
In der Anfangsphase dominierten Direktübertragungen wie zum Beispiel
Bundesratswahlen oder Sportberichte. Es gab praktisch keine politischen,
geschweige denn politik-kritischen Berichterstattungen.
Samuel Isler ein Journalist der Basler Zeitung beanstandetet als einer der
ersten die lahmen und spannungslosen Berichte des Schweizer Fernsehens.
... zum politischen Sendegefäss.
Das Freitagsmagazin mit Roman Brodmann war das erste nonkonformistische
politische Sendegefäss. Erstmals wurden Pfeile gegen das Establishment
geschossen. Die "Antenne"- Mitarbeiter schrieben sich ebenfalls politische
Relevanz auf die Fahne. Der sogenannte "anwaltschaftliche Journalismus"
weckte bald Gegenkräfte, weil sich viele Journalisten unverblümt
als Anwälte von Minderheiten, Randgruppen oder oppositionellen
Kräften sahen. Als Gegengewicht zu den "Mächtigen" wurde
diese Einseitigkeit jahrelang toleriert.
Von der Institution zum Medienunternehmen
Nach und nach sahen jedoch die Fernsehschaffenden ein, dass sie nicht
als Medienpriester eine Mehrheit zu belehren hatten, dass Journalisten
nicht den Auftrag haben zu sagen, was das Volk denken soll.
Die Zeit des missionarischen Eifers, des Belehrens machte beim Schweizer
Fernsehen der Erkenntnis Platz, dass in erster Linie die Konsumenten als
Konzessionäre und Kunden zufriedengestellt werden müssten.
Die "Institution Fernsehen" wurde zum "Medienunternehmen".
Bundesrat Tschudi verlangte anlässlich der Einweihung des neuen Studios vor
allem "gute Inhalte. Aber was versteht man unter "gut"?
Ein Unterhaltungsbrei, Kulturelle Sendungen, Politisch neutrale
Informationen oder ein Fernsehen als Plattform der Regierung?
Ein verbindlicher Verfassungsauftrag fehlte.
Ausgewogenheit oder Plattform der Aussenseiter?
Jahrelang hielten sich die Politiker hinsichtlich Medienauftritten bewusst
zurück. Man wünschte möglichst wenig Medienpräsenz.
Möglicherweise deshalb, weil das Fernsehen in vielen Sendungen zu
offensichtlich Anwalt der oppositionellen Meinung war.
Bei kontroversen Themen schimmerte zu oft die persönliche Meinung der
Macher - auch bei Informationsgefässen - durch. Zum Beispiel bei
Berichterstattungen von Demonstrationen oder Wehrvorführungen des Militärs.
Unter den Medienschaffenden bildeten sich hierauf zwei Fraktionen:
Jene, welche die Sachverhalte möglichst neutral abbilden wollten,
und jene, die das Fernsehen auch als Plattform der Aussenseiter sahen.
Themenauswahl als Verantwortung
Viele Sendungen wurden jahrelang gezielt beanstandet. Es bildete sich unter
anderem der medienkritische "Hofer-Club", der eine
verschärfte Kontrolle der SRG gefordert hatte.
Vor allem bei Armeefragen schieden
sich die Geister. Werner Hofer wünschte eine positivere Darstellung der
Landesverteidigung. Allmählich wurde erkannt, dass durch die Themen-, Redner- und
Bildauswahl oder Kameraführung die Meinung der Zuschauer beeinflusst werden kann.
Selbst jene Gruppen, die sich für die Pressefreiheit stark machten,
setzten sich für eine pluralistischere Zusammensetzung bei
Medienschaffenden ein. Es wurde eingesehen, dass
die Themenauswahl eine Verantwortung ist. Die jahrelange Kritik an
einseitig gefärbten Sendungen hatte Konsequenzen: Das Fernsehen verpflichtete
sich der Ausgewogenheit.
Kamerapräsenz als Chance
Die Journalisten wurden in dieser Phase vorerst eher Regierungssprecher. Das
Fernsehen übernahm den Jargon der Politik. Damit näherten sich die
Politiker ans neue Medium an und waren zu TV- Auftritten bereit.
Es dauerte nicht lange, und alle Meinungsträger erkannten die Wichtigkeit,
am Bildschirm wahrgenommen zu werden, dass
Kamerapräsenz eine Chance ist, seine Meinung zu verbreiten.
Über das Fernsehen konnten politische Bewegungen ausgelöst werden.
Nach verschiedenen Konzessionsverletzungen kam es dann im Jahre 1976 zum
ersten Verfassungsartikel, der eine ausgewogene und objektive
Berichterstattung verlangte. Es war Willi Ritschard, der als
erster Bundesrat das Fernsehen als elektronische "Landsgemeinde" zu nutzen
verstand.
Gegner und Befürworter
von Sachfragen, wie auch Politiker sahen bald ein, dass es sich lohnt, sich
"medienrhetorisch" ausbilden zu lassen. Sie lernten, kurze Statements
von 40 Sekunden abzugeben, welche für das Publikum verständlich waren.
Schon damals waren in den USA Aussagen von lediglich 20 Sekunden die Norm.
Heute sind Antworten von 30 Sekunden eine Selbstverständlichkeit.
Heute dominiert der aggressivere Boulevardstil im Format der "Arena".
Jeder muss sich in kurzer, knapper Form darstellen können. Wer
die damit verbundenen Spielregeln nicht kennt, hat das Nachsehen.
Im Zeitalter von Lokalradio und Lokalfernsehstationen muss heute das
"Ein mal Eins der Medienrhetorik" in Theorie und Praxis beherrscht
werden.
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