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www.rhetorik.ch aktuell: (23. Juni, 2004)

Spuckgeschichte ohne Ende? (Fortsetzung von Aktuell vom 20.Juni, ein Beispiel von Krisenkommunikation).



Alex Frei beim Spucken
Bildquelle: Spiegel.de
Das Fernsehen wäre immer verpflichtet, Sachverhalte so darzustellen, wie sie sind. Wären die Medienleute Anwälte der Fussballspieler - würden sie Sachverhalte bewusst verschwiegen oder beschönigen. Dies käme einem fragwürdigen anwaltschaftlichen Journalismus gleich. Wohlwissend, dass es keine absolute Objektivität gibt, müssten sich Medienkonsumenten stets darauf verlassen können, dass nationale Medien niemanden bewusst bevorzugen oder schonen. Wer Medien unter Druck setzt, der "presst" nach unserem Dafürhalten. Der Begriff "Erpressung" hat mit "Pressen" zu tun - nicht aber mit "Presse". So wie die Medien für die Offenlegung von Missständen nicht unter Druck gebracht werden dürfen (FC Fans attackierten nach Medienberichten TV- Hüppi mit WC Papier!), so wäre es anderseits ebenfalls unkorrekt, wenn Medien wichtige Persönlichkeiten (oder Institutionen) für spannende Geschichten entgegenkommen würden.
Zwei brisante Fragen, die im Zusammenhang mit der Spuckgeschichte gestellt werden müssen Urs Leutert vom Schweizer Fernsehen DRS sagte nachträglich, sie wären erst am Sonntag beim Einrichten der Hintertorkamera auf die brisanten Bilder gestossen, die den Spuckenden zeigen. Diese Geschichte ist für Fernsehprofis unglaubwürdig oder sie zeugt von Unprofessionalität. Als der Vorwurf des Spuckens diskutiert wurde, hätte man bei allen Kameras die Bilder gezielt suchen können. Jene Bilder die Frei be- oder entlastet hätten.

Auf jeden Fall stellt sich schon die Frage, warum denn die Sportredaktion des Schweizer Fernsehens sich nicht schon vor dem Sonntag gefragt hat, ob es nicht aus einer anderen Kameraperspektive noch Bilder der fraglichen Szene gibt, welche vielleicht den Sachverhalt klären würden. Schliesslich laufen ja in der Regel bei allen Kameras Aufzeichnungsmaschinen mit, um im Bedarfsfall Zeitlupenbilder aus allen möglichen Perspektiven zeigen zu können. Wurden diese Aufzeichnungen überhaupt gesichtet? - Falls ja, warum ist man nicht schon früher auf die Bilder gestossen? Falls nein, warum hat man das nicht versucht?


Die Reaktion des Verbandes und des Sportchefs waren unverhältnismässig. Leutart unterstrich vor den Medien plötzlich die Unabhängigkeit des Fernsehens. Niemand kennt jedoch den Vertrag zwischen Fussballverband und Fernsehen. Die zweite Frage ist:

Was steht in diesem Vertrag?


Der ehemalige Tele Ostschweiz Chefredaktor Patrick Senn erinnert sich, dass Sportverbände oder ihre Rechtevermarkter immer wieder versucht haben, eine kritische Berichterstattung auszuschliessen. "In den Vertragsentwürfen fanden sich oft Passagen, die dem Sinne nach die Fernsehstation dazu verpflichten sollten, am Sender ein positives Bild einer Sportart zu vermitteln." Klar ist, dass es bei diesen Verträgen immer um sehr viel Geld geht, welche ein TV-Veranstalter für die Senderechte bezahlen soll und die er dann über Sponsoring und Werbeeinnahmen wieder hereinbringen will. Das führte so weit, dass zum Beispiel das Schweizer Fernsehen schon Kameras von Regionalfernsehstationen in Fussballstadien beschlagnahmen wollte, mit der Begründung, nur das Schweizer Fernsehen hätte die Rechte, um über ein Fussballspiel zu berichten. Wenn die Sportberichterstattung aber tatsächlich unabhängig und kritisch ist, kann das im schlimmsten Falle dazu führen, dass sich das Publikum von einer Sportart abwendet - z.B. wenn wie im Radsport auskommt, dass in einer Sportart in grossem Stil mit unerlaubten Mitteln gearbeitet wird. Dadurch gehen der Fernsehstation aber wieder Werbe- und Sponsoringeinnahmen verloren - deshalb stellt sich die Frage, ob ein Fernsehsender überhaupt ein Interesse hat, kritisch zu berichten. Im übrigen wird in solchen Verträgen immer eine Klausel eingefügt, dass beide Seiten über den konkreten Vertragsinhalt Stillschweigen bewahren müssen. Warum eigentlich? Warum dürfen zum Beispiel die Gebührenzahler nicht wissen, was in den Verträgen zwischen dem Fussballverband beziehungsweise ihren Vermarktern und der öffentlich-rechtlichen Fernsehstation geschrieben steht? Es wäre deshalb äusserst interessant zu erfahren, was im Vertrag zwischen SF DRS und Fussballverband tatsächlich gestanden hat. Transparenz ist gefragt!

Ein Kommentar im Persönlich zu diesen zwei Fragen.


Auch beim Verband gibt es Unklarheiten

Quelle: www.sport-magazin.ch 10 vor 10 brachte am 22. Juni brisante Neuigkeiten zur Spuckgeschichte. Bis anhin beharrte die Verbandspitze darauf, dass sie vom der Spuckgeschichte nichts gewusst haben. Nun scheint diese Haltung zu bröckeln. Es gibt Anzeichen, dass von den Verbandsmitgliedern doch jemand etwas gewusst hatte. Nervosität dominiert nicht nur bei den Verbandsmitglieder. Auch Köbi Kuhn wirkte ungehalten bei seiner Interviewverweigerung vor der Kamera. Aufschlussreich waren für uns folgende Bemerkungen Kuhns:


"Ihr vom Fernsehen redet immer von Partnerschaft und lasst uns dann auflaufen! Ihr hättet uns sagen können, was ihr für Bilder habt."


Dieser Vorwurf verstärkt die Vermutung, dass Trainer Kuhn die Zusammenarbeit gleichsam als partnerschaftlichen Pakt sieht.

Bei Verbandsmitglied Benoit wurde spürbar, dass er Kenntnis hatte von der Spuckgeschichte.

Auf die konkrete Frage:

"Haben sie es gewusst?"


antwortete er:

"Kann ich nicht beantworten! Offiziell habe ich nichts gewusst!"


Weshalb kann er nicht antworten? Hat er es inoffiziell gewusst? Falls all die brisanten Fragen nicht geklärt werden, bleibt zu vieles hinter einem Schleier des Ungewissens verborgen. Die Spuck-geschichte würde gleichsam zu einer Spuk-geschichte.

Die Spiele der Nationalmannschaft sind zu Ende. Bei der Spuckaffaire kommt es gewiss noch zu einem Nachspiel.




Nachtrag vom 27. Juni, 2004: Das Informationsmissmanagement des SFV hat Folgen.

Wer in Krisensituationen lügt und Tatsachen bestreitet, gerät zwangsläufig ins Offside. Erhalten die Herren des Fussballverbandes nun eine rote Karte?

Im Tagesgespräch vom 24. Juni (SR DRS1) musste der Präsident des Schweizerischen Fussballverbandes Ralph Zloczower eingestehen, dass die Öffentlichkeitsarbeit nach der Spuckaffaire nicht gut war und sich der Verband nachträglich mit die Frage des Informationsmanagements auseinandersetzen müsse.

Für uns bestätigt dieser "Informationsgau" bei einem Verband, dass es sich lohnt, vor einer Krise mit dem Krisenmanagement auseinanderzusetzen.


Anlässlich eines Kommunikationsseminars rieten wir vor einigen Jahren einer Institution, in Ruhe die Thematik "Krisenkommunikation" zu überdenken. Die Geschäftleitung fand, dazu fehlten die finanziellen Mittel. Es dauerte nicht lange und die nämlich Institution geriet nach einer Krise in einen endlosen Medienwirbel. Die Aufwendungen für die "Korrekturarbeiten" standen in keinem Verhältnis zu den Kosten eines Seminars in "Krisenkommunikation". Die enormen Imageschäden waren nicht in Franken auszumachen.

Bei Schweizerischen Fussballverband begann die Spuckgeschichte recht harmlos. Es ging nur um die einzige Frage: ob Fussballer Frei gespuckt hat oder nicht. Dann folgte der "Frei-spruch" - mangels Beweisen. Plötzlich tauchten die Beweisbilder auf. Auch das Fernsehen DRS kam mitten ins Kreuzfeuer der Kritik. Hernach sog es die Delegation des SFV in den Medienstrudel. Die Mauer der Dementis begann zu bröckeln. Zuerst brachte sich der Kommunikationschef Pierre Benois selbst ins Abseits. Er hatte Kenntnis vom tatsächlichen Sachverhalt. Die Medien vermuteten, dass Frei zum Lügen aufgefordert wurde und hernach geopfert wurde. Nun standen plötzlich die "Lügenfunktionäre" im Zentrum der Auseinandersetzung. Köbi Kuhn verstrickte sich ebenfalls in Widersprüche. (Er zog ein Geständnisinterview zurück) Kuhn liess deutlich erkennen, dass er eine "Hofberichterstattung" erwartet hatte. Als Trainer hatte er ebenfalls Kenntnis von der Spuckgeschichte.

Fazit: Diese Geschichte gedieh auf dem Humus dilettantischer Öffentlichkeitsarbeit, unwahrer Verlautbarungen und einem üblen Versteckspiel. Nun wurde viel Geschirr zerschlagen und das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit des Verbandes sind angeschlagen. Die Affaire ist noch nicht vom Tisch. Bereits sind Anwälte an der Arbeit. (Klage gegen SF DRS usw.) Die kleine Spuckgeschichte hat eine Lawine losgetreten, in die nicht nur Frei, sondern auch die Verantwortlichen im Schweizer Fussballverband und die Medien geraten sind. Skandalisierungen waren seit je das beste Mittel, ein grosses Publikum zu erreichen.




SN Artikel vom Samstag, dem 26. Juni, 2004:


Titel aus dem Pressespiegel:

"Der Spu(c)k geht weiter" (Berner Zeitung)
" Aus Spucke wird eine Sintflut" (Der Bund)
"Spucke, Lügen und TV Tape" (Facts)
"Schpeuz - Alex" (Woz)
"Lügen wie gespuckt" (Neue Luzerner Zeitung)
"Spuckers Spuk" (Süddeutsche Zeitung)
"Lamas spucken nur im Notfall" (Basler Zeitung)
"Schon Jesus hat einem Blinden in die Augen gespien und ihn wieder sehend gemacht" (Die Weltwoche)


Quelle: Blick vom 27. Juni, 2004
Quelle: Sonntagszeitung vom 27. Juni, 2004




Nachtrag vom 30. Juni, 2004: Nachlese im Zischtigclub vom 29. Juni

Ueli Heiniger Das Zischtigsclubgespräch - geleitet von Ueli Heiniger - machte die verschiedenen Dimensionen der Spuckaffaire bewusst. Für den Psychologen in der Diskussionsrunde hatte die Affaire auch eine psychologische Dimension. Sie sei ein Lehrbuchbeispiel, die zeigt, wie mit Aggressionen und Fehlern umgegangen werden könnte oder wie damit nicht umgegangen werden konnte. Die Dimension des Verbandes, der Kommunikation, des Krisenmanagements und des Schweizer Fernsehens wurden ebenfalls thematisiert. Die verschiedensten Spannungsfelder unserer Analysen kamen nur zum Teil zur Sprache.

Das Fernsehen wurde von den Vertretern des Sportes zu stark als verlässlicher Partner gesehen. Beim Team war rund um die Uhr ein Journalist (Masafret) anwesend. Es baute sich dadurch ein Vertrauensverhältnis zwischen Fernsehen und Mannschaft auf. Die Spieler begriffen nicht, dass das Fernsehen als "unabhängige" Kontrollinstanz dem Team gleichsam "in den Rücken fallen" muss. Aus Solidarität zur Gruppenmeinung nahm deshalb kein Spieler der Nationalmannschaft an der Diskussionsrunde im Fernsehen teil. Die Tatsache, dass die Beweisbilder erst 14 Stunden später geliefert worden waren, wurde im Zischtigclub zu wenig hinterfragt. (Diese Tatsache wurde lediglich erwähnt). Der Vertrag zwischen Fernsehen und Fussballverband wollte ebenfalls niemand genauer kennen. Die kritische Rolle des Fernsehens (im Nachhinein) kam somit für viele Zuschauer einem "Landesverrat" gleich.

Die schlechte Kommunikationskultur und das dilettantische Krisenmanagement wurde hingegen immer wieder angesprochen. Unser wichtigster Grundsatz der Krisenkommunikation wurde bei der Spuckaffaire laufend missachtet:

Was vor den Medien gesagt hat, muss wahr sein. Aber es muss nicht alles gesagt werden, das wahr ist!




Fazit: In Krisensituationen sind gegensätzliche Verlautbarungen, Versteckspiele, Lügengeschichten immer kontraproduktiv.










Luegen haben kurze Beine Nachtrag vom 4. July, 2004:

Im Zusammenhang mit der Spuckaffaire machte folgender Witz die Runde:

Weshalb tauschen die Spieler nach dem Match die Leibchen? Damit jeder mit seiner Spucke nach Hause geht.


Was sagt Kommunikationsberaterin Beatrice Tschanz zur Lügengeschichte?

"Leugnen ist das Dümmste"


Beatrice Tschanz bestätigt in einem Interview in der SonntagsZeitung vom 4. Juli unsere Thesen:
  • Das dumme Verhalten der direkt Beteiligten führte dazu, dass aus einer Mücke ein Elefant gemacht werden konnte.
  • Neue Technologien dokumentieren heute während eines Fussballspiels jede Gestik. Etwas Geschehenes zu leugnen ist deshalb das Dümmste!
  • Dass in der Hitze des Gefechtes gespuckt oder getreten wird, ist immer möglich. Stellt man den Vorfall nachher in Abrede, wird er plötzlich zur Geschichte.
  • Richtiges Verhalten ist ganz einfach. Man muss bei der Wahrheit bleiben. Die Wahrheit ist der schnellste, direkteste und sauberste Weg. Ich bin überzeugt: Bei einem Eingeständnis hätte sich niemand gross aufgeregt.
  • Die Verteidigungshaltung des Kommunikationschefs wurde ihm zum Fallstrick. Bei aller Loyalität ist er letztlich der Wahrheit verpflichtet.
  • Für uns machte Beatrice Tschanz noch folgende wichtige Aussage zum Unterschied zwischen Krisenmanagement im Sport und in der Wirtschaft: Es ist dasselbe! Die Nuancen liegen nur in den Auswirkungen, in den Dimensionen. Letztlich ist aber eine schleichende Krise, die sich durch eigenes Fehlverhalten selber potenziert, das Schlimmste! Irgendwann verliert man dann die Kontrolle.




Nachtrag vom 14. Juli, 2004

Fünf lange Stunden brüteten die Uefa-Richter am Mittwoch über dem Fall Alex Frei. Nach Informationen von SF DRS sollen Frei's Aussagen in krassem Widerspruch zur Version der geladenen SFV-Vertreter gestanden haben. Das Schmierentheater geht also munter weiter.

Der Nationalmannschafts-Delegierte Ernst Lämmli geriet vor den TV-Kameras in Rage und bestritt erneut alle Vorwürfe, von der Spuckattacke auf den Engländer Steven Gerrard gewusst zu haben.





Nachtrag vom 16. Juli, 2004: Ist der Spuk zu Ende?

Die Uefa-Richter einigten sich im Fall des Nati-Stürmers auf den Mittelwert zwischen den Forderungen von Verteidigung (ein Spiel Sperre) und Anklage (fünf Partien), womit Frei die gleiche Strafe aufgebrummt bekommt wie Italiens Fussball-Lama Francesco Totti.

Frei hat eine der drei Spielsperren bereits abgesessen und verzichtet auf einen Rekurs gegen das heutige Urteil - wohl im Wissen, dass er nach dem ganzen Lügen-Theater glimpflich davongekommen ist.

Für die undurchsichtig agierende Schweizer Funktionärsriege ist die Angelegenheit trotz der Absolution durch die Uefa nicht endgültig ausgestanden. Noch immer läuft die interne Untersuchung unter der Leitung von Ulrich Fässler, die Zloczower und Co. auf Druck der Medien selbst in Auftrag gegeben hatten.




Nachtrag 19. Juli 2004: Heinz Keller zur Spuckaffaire

Heinz Keller, Direktor des Bundesamtes für Sport will Klarheit: Man darf sich nicht mit "Aussage gegen Aussage" begnügen und findet: "Die Wahrheit muss auf den Tisch!" Heinz Keller ist mit seiner Meinung nicht allein.




Nachtrag vom 30. Juli. Frei nimmt Patenschaft für ein Lama:

Endlich gibt es einen passende Deckel auf die unsägliche Alex-Frei-Affäre. Der Abschluss stammt vom Hauptdarsteller selbst: Frei entschuldigt sich öffentlich in einem Brief - und übernimmt die Patenschaft für ein Lama im Basler Zolli!




Nachtrag vom 12. August, 2004: Erste Massnahmen nach den Ungereimtheiten im Schweizerischen Fussballverbandes.

Kommunikationschef Pierre Benois, der Kenntnisse über den Tatbestand nicht weitergemeldet hatte, wird entlassen. Ob dieses "Bauernopfer" genügt, den Fall ad acta zu legen?




Nachtrag vom 27. August, 2004:

Blick berichtet, dass der Fussballverband im Besitz eines schriftlichen Uefa Urteils zur Spuck-Affaire ist. Ob das Dokument wirklich unter Verschluss bleiben wird.




Nachtrag vom 1. September 2004: Fässler-Bericht zur "Spuck-Affäre":

Der umfassende Schlussbericht zur "Affäre Alex Frei" liegt vor. Ulrich Fässler stellte dabei im Verband Führungsdefizite fest. Erneut wird SFV-Kommunikationschef Pierre Benoit beschuldigt die Verantwortung für die verhängnisvolle Entwicklung zu haben. Fässler:

"Benoit kannte in kritischen Phasen den Sachverhalt, als Alex Frei ihn um Rat gesucht hat. Benoit hätte in seiner Funktion die SFV-Delegation um Präsident Ralph Zloczower informieren sollen. Weil Frei und Benoit aber unbedingt wollten, dass der Stürmer gegen Frankreich eingesetzt werden kann, sind sie Gefangene ihrer eigenen Strategie geworden"


Benoit geriet in einen Loyalitätskonflikt. Einerseits hatte er Frei das Versprechen gegeben, niemandem zu sagen, dass dieser gespuckt habe. Andererseits hätte er wissen müssen, dass dieser Fall für den SFV brenzlig werden könnte. Fässler, der einzig mit Alex Frei nicht sprechen konnte.

"Aber auch das Verhalten anderer Mitglieder der offiziellen SFV-Delegation war schwach", Sein Anwalt war dagegen. Ich finde diese Strategie fragwürdig, denn Frei war schliesslich der Auslöser dieser Affäre."


Auch die Verbandsverantwortlichen, insbesondere Zloczower und der Nationalmannschaftsdelegierte Ernst Lämmli sollen laut Fässler Fehler gemacht haben:

"Sie hätten viel früher reagieren und Frei resolut zur Rede stellen müssen."


Laut Fässler sei die Delegation nicht für Führungsaufgaben während dem Aufenthalt in Portugal vorbereitet gewesen. Pflichtenhefte fehlten, es habe gravierende Kompetenzkonflikte gegeben, vor allem zwischen Benoit und Lämmli. Man habe die Dynamik des Falles unterschätzt und die falsche Krisenstrategie gewählt. Fässler:

"Das Misstrauen der Medien wurde immer grösser, und der SFV hat es mit ungeschickten Auftritten verstärkt."


Der Konflikt zwischen dem SFVund SF DRS wurde von Fässler auch untersucht.

"Hier hat es viele widersprüchliche Aussagen gegeben. Ich bin aber überzeugt, dass SFDRS erst kurzfristig von den neuen Aufnahmen, die Frei überführten, erfahren hat." "Es hat sich rasch gezeigt, dass der SFV unter einer Führungsschwäche leidet",


Er nahm die Möglichkeit wahr und gab dem SFV deshalb eine ganze Reihe von Empfehlungen ab: so soll der überalterten Zentralvorstand mit neuen, frischen Kräften ergänzt werden. Zloczower besitze zu viel Machtfülle. "Bei der Ausrichtung der Euro 2008 brauchts dynamische Leute." Und: "Wir müssen dem SFV nun Zeit geben, die vielen Probleme anzugehen." Über die Zusammenarbeit mit Benoit müsse der Verband aber sofort entscheiden. "Swiss Soccer", das Sponsorenteam des Verbandes, erwartet derweil vom SFV, dass er die Lehren aus der "Spuckaffäre" zieht und mit Massnahmen dafür sorgt, dass solche Ereignisse in Zukunft vermieden werden. Zloczower:

"Was die Kommunikation angeht, bin ich mit Fässlers Urteil vorbehaltlos einverstanden"


Während der SFV-Zentralpräsident die Vorbehalte im Zusammenhang mit der Abgrenzung der Kompetenzen bedingt verstehen kann (Zloczower: "Sie wurden zu wenig gut durchgesetzt"), will er von einer Führungsschwäche der Verbandsspitze aber nichts wissen.

"Ich bin der festen Überzeugung, das wir damals unsere Führungsverantwortung vollumfänglich wahrgenommen haben." Es sei leicht, im Nachhinein von Fehlern zu sprechen - in Kenntnis aller Fakten. "Wenn wir damals alles gewusst hätten, hätten wir vielleicht anders gehandelt."


Timeline der "Spuckaffäre Alex Frei" nach Blick:

17.Juni: Die Schweiz spielt in Coimbra das zweite EM-Gruppenspiel gegen England - und verliert mit 0:3.
18.Juni: Das ZDF zeigt TV-Bilder aus dem England-Spiel. Man könnte die Bilder so deuten, dass Frei seinen Gegenspieler angespuckt hat. Den absoluten Tatbeweis erbringen die Aufnahmen nicht.
19.Juni: Alex Frei erklärt öffentlich: "Ich habe Steven Gerrard nicht angespuckt." Die Disziplinarkommission der Uefa leitet auf Grund der TV-Bilder eine Untersuchung gegen Frei ein. 20.Juni: Die SFV-Funktionäre Peter Stadelmann und Peter Gilliéron erwirken im Lissabonner Hotel Le Méridien einen Freispruch für Frei - mangels Beweisen. Wenige Stunden später strahlt SFDRS neue Bilder aus, die klar belegen, dass Frei doch gespuckt hat.
21.Juni: Vor dem EM-Spiel gegen Frankreich sperrt die Uefa Alex Frei superprovisorisch für die restlichen Spiele des Turniers. Die SFV-Spitze erklärt vor dem letzten Gruppenspiel der Schweizer gegen Frankreich, nicht gewusst zu haben, dass Frei gespuckt hatte. Frei schweigt und nimmt sich einen Anwalt. Die Nationalspieler und Trainer Kuhn verweigern nach der 1:3-Niederlage gegenüber SFDRS aus Protest jegliche Interviews.
22.Juni: SFV-Kommunikationschef Pierre Benoit gibt spätabends gegenüber SFDRS zu, seit dem 18.Juni gewusst zu haben, dass Frei gespuckt hatte. Benoit begründet das lang andauernde Schweigen mit dem "speziellen Verhältnis" zum Spieler.
23. Juni: Die Schweizer Nati fliegt zurück. Die Verbandsspitze um Zentralpräsident Ralph Zloczower bleibt dabei, nichts gewusst zu haben. Benoit bekommt einen Maulkorb verpasst. Eine interne Untersuchung hält Zloczower (noch) nicht für nötig.
26.Juni: Der SFV beugt sich dem öffentlichen Druck und will nun doch eine unabhängige Untersuchungskommission einsetzen.
1.Juli: Der Luzerner alt Regierungsrat Ulrich Fässler wird mit der Leitung der internen Untersuchung beauftragt.
14.Juli: Am Uefa-Hauptsitz in Nyon wird der "Fall Frei" vor der Rekurskommission neu verhandelt. Frei wird mit drei Spielsperren bestraft; der SFV wird in der Urteilsbegründung gerügt und muss 2/3 der Verfahrenskosten übernehmen.
11.August: Kommunikationschef Pierre Benoit wird von seinen Aufgaben beim Nationalteam suspendiert und in den Bürodienst versetzt.
31.August: Ulrich Fässler präsentiert seinen Untersuchungsbericht. Die SFV-Spitze wird vom Vorwurf der Lüge zwar entlastet, daneben aber schwer kritisiert.






Nachtrag vom 3. September 2004: Schlussbericht Es lohnt sich den Fässlerbericht (PDF) mit dem SFV Bericht (PDF) zu vergleichen:


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