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| Das Fernsehen wäre immer verpflichtet, Sachverhalte so darzustellen, wie sie sind. Wären die Medienleute Anwälte der Fussballspieler - würden sie Sachverhalte bewusst verschwiegen oder beschönigen. Dies käme einem fragwürdigen anwaltschaftlichen Journalismus gleich. Wohlwissend, dass es keine absolute Objektivität gibt, müssten sich Medienkonsumenten stets darauf verlassen können, dass nationale Medien niemanden bewusst bevorzugen oder schonen. Wer Medien unter Druck setzt, der "presst" nach unserem Dafürhalten. Der Begriff "Erpressung" hat mit "Pressen" zu tun - nicht aber mit "Presse". So wie die Medien für die Offenlegung von Missständen nicht unter Druck gebracht werden dürfen (FC Fans attackierten nach Medienberichten TV- Hüppi mit WC Papier!), so wäre es anderseits ebenfalls unkorrekt, wenn Medien wichtige Persönlichkeiten (oder Institutionen) für spannende Geschichten entgegenkommen würden. |
Zwei brisante Fragen, die im Zusammenhang mit der Spuckgeschichte gestellt
werden müssen
Urs Leutert vom Schweizer Fernsehen DRS sagte nachträglich,
sie wären erst am Sonntag beim Einrichten der Hintertorkamera
auf die brisanten Bilder gestossen, die den Spuckenden zeigen.
Diese Geschichte ist für Fernsehprofis unglaubwürdig oder
sie zeugt von Unprofessionalität. Als der
Vorwurf des Spuckens diskutiert wurde, hätte man bei allen Kameras
die Bilder gezielt suchen können. Jene Bilder die Frei be- oder
entlastet hätten.
Die Reaktion des Verbandes und des Sportchefs waren unverhältnismässig. Leutart unterstrich vor den Medien plötzlich die Unabhängigkeit des Fernsehens. Niemand kennt jedoch den Vertrag zwischen Fussballverband und Fernsehen. Die zweite Frage ist:
Der ehemalige Tele Ostschweiz Chefredaktor Patrick Senn erinnert sich, dass Sportverbände oder ihre Rechtevermarkter immer wieder versucht haben, eine kritische Berichterstattung auszuschliessen. "In den Vertragsentwürfen fanden sich oft Passagen, die dem Sinne nach die Fernsehstation dazu verpflichten sollten, am Sender ein positives Bild einer Sportart zu vermitteln." Klar ist, dass es bei diesen Verträgen immer um sehr viel Geld geht, welche ein TV-Veranstalter für die Senderechte bezahlen soll und die er dann über Sponsoring und Werbeeinnahmen wieder hereinbringen will. Das führte so weit, dass zum Beispiel das Schweizer Fernsehen schon Kameras von Regionalfernsehstationen in Fussballstadien beschlagnahmen wollte, mit der Begründung, nur das Schweizer Fernsehen hätte die Rechte, um über ein Fussballspiel zu berichten. Wenn die Sportberichterstattung aber tatsächlich unabhängig und kritisch ist, kann das im schlimmsten Falle dazu führen, dass sich das Publikum von einer Sportart abwendet - z.B. wenn wie im Radsport auskommt, dass in einer Sportart in grossem Stil mit unerlaubten Mitteln gearbeitet wird. Dadurch gehen der Fernsehstation aber wieder Werbe- und Sponsoringeinnahmen verloren - deshalb stellt sich die Frage, ob ein Fernsehsender überhaupt ein Interesse hat, kritisch zu berichten. Im übrigen wird in solchen Verträgen immer eine Klausel eingefügt, dass beide Seiten über den konkreten Vertragsinhalt Stillschweigen bewahren müssen. Warum eigentlich? Warum dürfen zum Beispiel die Gebührenzahler nicht wissen, was in den Verträgen zwischen dem Fussballverband beziehungsweise ihren Vermarktern und der öffentlich-rechtlichen Fernsehstation geschrieben steht? Es wäre deshalb äusserst interessant zu erfahren, was im Vertrag zwischen SF DRS und Fussballverband tatsächlich gestanden hat. Transparenz ist gefragt!
Auch beim Verband gibt es Unklarheiten
Dieser Vorwurf verstärkt die Vermutung, dass Trainer Kuhn die Zusammenarbeit gleichsam als partnerschaftlichen Pakt sieht. Bei Verbandsmitglied Benoit wurde spürbar, dass er Kenntnis hatte von der Spuckgeschichte.
Die Spiele der Nationalmannschaft sind zu Ende. Bei der Spuckaffaire kommt es gewiss noch zu einem Nachspiel. |
Nachtrag vom 27. Juni, 2004: Das Informationsmissmanagement des SFV hat Folgen.
Wer in Krisensituationen lügt und Tatsachen bestreitet, gerät zwangsläufig ins Offside. Erhalten die Herren des Fussballverbandes nun eine rote Karte? Im Tagesgespräch vom 24. Juni (SR DRS1) musste der Präsident des Schweizerischen Fussballverbandes Ralph Zloczower eingestehen, dass die Öffentlichkeitsarbeit nach der Spuckaffaire nicht gut war und sich der Verband nachträglich mit die Frage des Informationsmanagements auseinandersetzen müsse.
Anlässlich eines Kommunikationsseminars rieten wir vor einigen Jahren einer Institution, in Ruhe die Thematik "Krisenkommunikation" zu überdenken. Die Geschäftleitung fand, dazu fehlten die finanziellen Mittel. Es dauerte nicht lange und die nämlich Institution geriet nach einer Krise in einen endlosen Medienwirbel. Die Aufwendungen für die "Korrekturarbeiten" standen in keinem Verhältnis zu den Kosten eines Seminars in "Krisenkommunikation". Die enormen Imageschäden waren nicht in Franken auszumachen. Bei Schweizerischen Fussballverband begann die Spuckgeschichte recht harmlos. Es ging nur um die einzige Frage: ob Fussballer Frei gespuckt hat oder nicht. Dann folgte der "Frei-spruch" - mangels Beweisen. Plötzlich tauchten die Beweisbilder auf. Auch das Fernsehen DRS kam mitten ins Kreuzfeuer der Kritik. Hernach sog es die Delegation des SFV in den Medienstrudel. Die Mauer der Dementis begann zu bröckeln. Zuerst brachte sich der Kommunikationschef Pierre Benois selbst ins Abseits. Er hatte Kenntnis vom tatsächlichen Sachverhalt. Die Medien vermuteten, dass Frei zum Lügen aufgefordert wurde und hernach geopfert wurde. Nun standen plötzlich die "Lügenfunktionäre" im Zentrum der Auseinandersetzung. Köbi Kuhn verstrickte sich ebenfalls in Widersprüche. (Er zog ein Geständnisinterview zurück) Kuhn liess deutlich erkennen, dass er eine "Hofberichterstattung" erwartet hatte. Als Trainer hatte er ebenfalls Kenntnis von der Spuckgeschichte.
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Titel aus dem Pressespiegel: | |
"Der Spu(c)k geht weiter" | (Berner Zeitung) |
" Aus Spucke wird eine Sintflut" | (Der Bund) |
"Spucke, Lügen und TV Tape" | (Facts) |
"Schpeuz - Alex" | (Woz) |
"Lügen wie gespuckt" | (Neue Luzerner Zeitung) |
"Spuckers Spuk" | (Süddeutsche Zeitung) |
"Lamas spucken nur im Notfall" | (Basler Zeitung) |
"Schon Jesus hat einem Blinden in die Augen gespien und ihn wieder sehend gemacht" | (Die Weltwoche) |
Quelle: Blick vom 27. Juni, 2004 |
Quelle: Sonntagszeitung vom 27. Juni, 2004 |
Nachtrag vom 30. Juni, 2004: Nachlese im Zischtigclub vom 29. Juni Das Zischtigsclubgespräch - geleitet von Ueli Heiniger - machte die verschiedenen Dimensionen der Spuckaffaire bewusst. Für den Psychologen in der Diskussionsrunde hatte die Affaire auch eine psychologische Dimension. Sie sei ein Lehrbuchbeispiel, die zeigt, wie mit Aggressionen und Fehlern umgegangen werden könnte oder wie damit nicht umgegangen werden konnte. Die Dimension des Verbandes, der Kommunikation, des Krisenmanagements und des Schweizer Fernsehens wurden ebenfalls thematisiert. Die verschiedensten Spannungsfelder unserer Analysen kamen nur zum Teil zur Sprache. Das Fernsehen wurde von den Vertretern des Sportes zu stark als verlässlicher Partner gesehen. Beim Team war rund um die Uhr ein Journalist (Masafret) anwesend. Es baute sich dadurch ein Vertrauensverhältnis zwischen Fernsehen und Mannschaft auf. Die Spieler begriffen nicht, dass das Fernsehen als "unabhängige" Kontrollinstanz dem Team gleichsam "in den Rücken fallen" muss. Aus Solidarität zur Gruppenmeinung nahm deshalb kein Spieler der Nationalmannschaft an der Diskussionsrunde im Fernsehen teil. Die Tatsache, dass die Beweisbilder erst 14 Stunden später geliefert worden waren, wurde im Zischtigclub zu wenig hinterfragt. (Diese Tatsache wurde lediglich erwähnt). Der Vertrag zwischen Fernsehen und Fussballverband wollte ebenfalls niemand genauer kennen. Die kritische Rolle des Fernsehens (im Nachhinein) kam somit für viele Zuschauer einem "Landesverrat" gleich. Die schlechte Kommunikationskultur und das dilettantische Krisenmanagement wurde hingegen immer wieder angesprochen. Unser wichtigster Grundsatz der Krisenkommunikation wurde bei der Spuckaffaire laufend missachtet:
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Nachtrag vom 4. July, 2004: Im Zusammenhang mit der Spuckaffaire machte folgender Witz die Runde:
Was sagt Kommunikationsberaterin Beatrice Tschanz zur Lügengeschichte?
Beatrice Tschanz bestätigt in einem Interview in der SonntagsZeitung vom 4. Juli unsere Thesen:
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Nachtrag vom 14. Juli, 2004 Fünf lange Stunden brüteten die Uefa-Richter am Mittwoch über dem Fall Alex Frei. Nach Informationen von SF DRS sollen Frei's Aussagen in krassem Widerspruch zur Version der geladenen SFV-Vertreter gestanden haben. Das Schmierentheater geht also munter weiter. Der Nationalmannschafts-Delegierte Ernst Lämmli geriet vor den TV-Kameras in Rage und bestritt erneut alle Vorwürfe, von der Spuckattacke auf den Engländer Steven Gerrard gewusst zu haben. |
Nachtrag vom 16. Juli, 2004: Ist der Spuk zu Ende? Die Uefa-Richter einigten sich im Fall des Nati-Stürmers auf den Mittelwert zwischen den Forderungen von Verteidigung (ein Spiel Sperre) und Anklage (fünf Partien), womit Frei die gleiche Strafe aufgebrummt bekommt wie Italiens Fussball-Lama Francesco Totti. Frei hat eine der drei Spielsperren bereits abgesessen und verzichtet auf einen Rekurs gegen das heutige Urteil - wohl im Wissen, dass er nach dem ganzen Lügen-Theater glimpflich davongekommen ist. Für die undurchsichtig agierende Schweizer Funktionärsriege ist die Angelegenheit trotz der Absolution durch die Uefa nicht endgültig ausgestanden. Noch immer läuft die interne Untersuchung unter der Leitung von Ulrich Fässler, die Zloczower und Co. auf Druck der Medien selbst in Auftrag gegeben hatten. |
Nachtrag 19. Juli 2004: Heinz Keller zur Spuckaffaire Heinz Keller, Direktor des Bundesamtes für Sport will Klarheit: Man darf sich nicht mit "Aussage gegen Aussage" begnügen und findet: "Die Wahrheit muss auf den Tisch!" Heinz Keller ist mit seiner Meinung nicht allein. |
Nachtrag vom 30. Juli. Frei nimmt Patenschaft für ein Lama:
Endlich gibt es einen passende Deckel auf die unsägliche Alex-Frei-Affäre. Der Abschluss stammt vom Hauptdarsteller selbst: Frei entschuldigt sich öffentlich in einem Brief - und übernimmt die Patenschaft für ein Lama im Basler Zolli! |
Nachtrag vom 12. August, 2004:
Erste Massnahmen nach den Ungereimtheiten
im Schweizerischen Fussballverbandes. Kommunikationschef Pierre Benois, der Kenntnisse über den Tatbestand nicht weitergemeldet hatte, wird entlassen. Ob dieses "Bauernopfer" genügt, den Fall ad acta zu legen? |
Nachtrag vom 27. August, 2004: Blick berichtet, dass der Fussballverband im Besitz eines schriftlichen Uefa Urteils zur Spuck-Affaire ist. Ob das Dokument wirklich unter Verschluss bleiben wird. |
Nachtrag vom 1. September 2004: Fässler-Bericht
zur "Spuck-Affäre": Der umfassende Schlussbericht zur "Affäre Alex Frei" liegt vor. Ulrich Fässler stellte dabei im Verband Führungsdefizite fest. Erneut wird SFV-Kommunikationschef Pierre Benoit beschuldigt die Verantwortung für die verhängnisvolle Entwicklung zu haben. Fässler:
Benoit geriet in einen Loyalitätskonflikt. Einerseits hatte er Frei das Versprechen gegeben, niemandem zu sagen, dass dieser gespuckt habe. Andererseits hätte er wissen müssen, dass dieser Fall für den SFV brenzlig werden könnte. Fässler, der einzig mit Alex Frei nicht sprechen konnte.
Auch die Verbandsverantwortlichen, insbesondere Zloczower und der Nationalmannschaftsdelegierte Ernst Lämmli sollen laut Fässler Fehler gemacht haben:
Laut Fässler sei die Delegation nicht für Führungsaufgaben während dem Aufenthalt in Portugal vorbereitet gewesen. Pflichtenhefte fehlten, es habe gravierende Kompetenzkonflikte gegeben, vor allem zwischen Benoit und Lämmli. Man habe die Dynamik des Falles unterschätzt und die falsche Krisenstrategie gewählt. Fässler:
Der Konflikt zwischen dem SFVund SF DRS wurde von Fässler auch untersucht.
Er nahm die Möglichkeit wahr und gab dem SFV deshalb eine ganze Reihe von Empfehlungen ab: so soll der überalterten Zentralvorstand mit neuen, frischen Kräften ergänzt werden. Zloczower besitze zu viel Machtfülle. "Bei der Ausrichtung der Euro 2008 brauchts dynamische Leute." Und: "Wir müssen dem SFV nun Zeit geben, die vielen Probleme anzugehen." Über die Zusammenarbeit mit Benoit müsse der Verband aber sofort entscheiden. "Swiss Soccer", das Sponsorenteam des Verbandes, erwartet derweil vom SFV, dass er die Lehren aus der "Spuckaffäre" zieht und mit Massnahmen dafür sorgt, dass solche Ereignisse in Zukunft vermieden werden. Zloczower:
Während der SFV-Zentralpräsident die Vorbehalte im Zusammenhang mit der Abgrenzung der Kompetenzen bedingt verstehen kann (Zloczower: "Sie wurden zu wenig gut durchgesetzt"), will er von einer Führungsschwäche der Verbandsspitze aber nichts wissen.
Timeline der "Spuckaffäre Alex Frei" nach Blick:
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Nachtrag vom 3. September 2004: Schlussbericht
Es lohnt sich den Fässlerbericht (PDF) mit dem
SFV Bericht (PDF) zu vergleichen:
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