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www.rhetorik.ch aktuell: (20. Juli, 2003)

In Krisensituationen gehört der Kapitän auf Deck



David Kelly Wir sehen schwarz für den Britischen Premierminister Tony Blair. Trotz des Selbstmordes des Biowaffenexperten David Kelly setzt der Premier seine Asienreise fort und reist nicht zurück. BBC meldete am 20. Juli dass Kelly die Quelle für Reporte waren, dass die Britische Regierung Geheimdienstinformationen übertrieben hatte. Der sensible Kelly hatte verneint, dass er die Hauptquelle für diese Geschichte sei.
Seit Wochen wuchs der Druck auf Tony Blair. Im Moment ist die Regierung unter Druck, ihre Rolle zu den Geschehnissen, die zu Kellys Tod geführt hatten zu erklären. Wie auch für George Bush wird für den englischen Premierminister die Uran Story über angestrebte Uran Käufe des Irak in Afrika immer wirrer, die Geschichte über Massenvernichtungsmittel wird dubioser.


David Kelly Ungeklärt ist, ob der Wissenschaftler David Kelly der einzige Kronzeuge des Reporters Andrew Gilligan war. Im umstrittenen Dossier wurde behauptet, der Irak könne binnen 45 Minuten chemische Waffen einsetzen. Andrew Gilligan


Für Tony Blair ist die Geschichte brisant. Es geht immerhin um seien Glaubwürdigkeit. Der Tod des Spezialisten Kelly stürz Blair tiefer in seine grösste Krise. Im britischen "Independent" werden bereits "Lügen" der Kriegsbefürworter aufgelistet:

  • Der Irak sei für die Attentate vom 11. Sept verantwortlich gewesen
  • Der Irak und al-Quaida haben zusammengearbeitet
  • Der Irak habe versucht in Afrika Uran zu kaufen
  • Der Irak wollte Aluminiumröhren einkaufen, um Atomwaffen zu bauen
  • Der Irak besitzt grosse Vorräte an chemischen und biologischen Waffen
  • Der Irak besitzt 20 Raketen, die chemische oder biologische Sprengköpfe tragen können
  • Hussein hat Mittel, um die tödlichen Pocken-Viren zu entwickeln.
  • Die Uno-Waffeninspektoren stützen die britischen Behauptungen
  • Frühere Waffeninspektionen schlugen fehl
  • Der Irak ist fähig, seine Massenvernichtungswaffen inner halb von 45 Minuten einzusetzen
  • Der Krieg ist einfach zu gewinnen
  • Massenvernichtungswaffen sind gefunden worden
  • Koalitionstruppen wurden mit chemischen und biologischen Waffen angegriffen
Bush und Blair werden diese "Lügen" nicht so leicht unter den Teppich kehren können. Es steht noch eine harte Auseinandersetzung bevor. Auch Kriegsgegnern werden "Lügen" vorgeworfen. Die Westschweizer Zeitung "Le Temps" zum Beispiel listet folgende "falsche Behauptungen" auf:

  • Von Hussein droht keine Gefahr
  • Es gibt keine Verbindung zwischen Irak und al-Quaida
  • Es waren die USA, die Irak aufgerüstet haben
  • Der Irak-Krieg schwächt den Kampf gegen den Terrorismus
  • Der Irak-Krieg wird eine neue Welle von Terroranschlägen auslösen
  • Der nahe Osten und die arabische Strasse werden explodieren
  • Der israelisch-palästinensische Konflikt wird verschärft
  • Der Irakkrieg wird zu einem Massensterben führen
  • Die Zivilbevölkerung wird am meisten leiden
  • Die Wirtschaft wird durch höhere Erdölpreise gelähmt


Tony Blair Es geht uns hier nicht darum, wer - vor - während und nach dem Irakkrieg "gelogen" hat. In Grossbritanien geht es bei Tony Blair jetzt vor allem um seine Glaubwürdigkeit. Nimmt der Premierminister diese Vorwürfe nicht persönlich in die Hand d.h. kommt der Kapitän in der bestehenden Krisensituation nicht auf Deck, kann sein Fernbleiben gravierende Folgen haben. Blair verlässt Korea im Moment und reist nach China. Blair wurden am Samstag harte Fragen in einer Pressekonferenz in Tokyo gestellt. CNN berichtete am 20. Juli, ein Journalist habe gerufen: "Premierminister, Haben Sie Blut an den Händen? Werden sie zurücktreteten?"


Nachtrag vom 21. Juli: Blair wirkt angeschlagen
So kennen wir Tony Blair nicht. Als Sonnyboy und mediengewandter Politiker ist er dem Publikum bekannt. Noch nie seit den sechs Amtsjahren wirke Blair so angeschlagen wie nach dem Tod Kellys. Mit versteinerter Miene hörte er sich die Frage eines japanischen Journalisten an:

"Klebt Blut an Ihren Händen?"


Schlagzeilen zum Tod des 'Maulwurfs' Der Japaner bekam zwar keine verbale Antwort. Doch die Mimik des Adressaten sprach Bände. Blair wollte bewusst Zeit gewinnen und kehrte trotz der Vertrauenskrise nicht nach England zurück. Er hoffte, mit einem blauen Auge davonzukommen. Er sprach von einer "furchtbaren Tragödie". Er war überzeugt, dass sich die derzeitige Aufregung wie üblich beruhigen wird. In England wollen jedoch gewisse Politiker Köpfe rollen sehen. Glenda Jackson, eine Rebellin in den Reihen der Labour Party, forderte einen klaren Schnitt: Blair müsse zurücktreten. Blair als rhetorisch robuster Wahlkämpfer lässt sich als Siegertyp nicht so rasch beirren und glaubt nach wie vor, er habe für sein Land stets das Richtige getan. Er blieb bewusst im Ausland mit der Begründung:


Dies würde "mehr Hitze als Licht" erzeugen.


Die Ankündigung einer umfassende Untersuchung über den Tod Kellys genügt nach unserem Dafürhalten nicht. Wir vermuten, dass das Fernbleiben Blairs zusätzlich Hitze erzeugen wird und das Zuwarten sogar zu einem Flächenbrand führen könnte.


Nachtrag 23. Juli: Widerspruch erhöht den Druck
Blair wies jede Verantwortung für das Bekanntwerden von Kellys Identität von sich. Er sagte auf dem Flug nach Hongkong:

"Ich habe das Durchsickernlassen von Kellys Namen nicht genehmigt. Anders lautende Berichte seien "völlig unwahr".


Die Zeitung "The Independent" berichtete dagegen, das Büro Blairs habe das Ministerium gegen dessen Willen genötigt, den Namen Kellys als Informant des Senders BBC publik zu machen. Blair bleibt damit im Kreuzfeuer der Kritik von Politik und der Medien auch da seine Aussage im Widerspruch mit Kommentaren seines Sprechers am Montag zu stehen scheint.


Nachtrag vom 23. Juli: Cherie Blairs Beatles Serenade.
Cherie Blair Nachdem Blair am 22. Juli in Pekings Tshinghua Universität mit Studenten heftig über die kelly Affaire diskutiert hatte und der Britische Premier mit akademischen Persönlichkeiten die Hände geschüttelt hatte, rief ein Student: "Sing uns ein Lied!". Blair, der ein Lead sänger in einer Studentenband "Ugly Rumours" gewesen war delegierte die Sache aber an seine Frau: Blair "Ein Song? The Beatles? Wo ist meine Frau?". Cherie sang dann den ersten Vers des Beatles songs: "When I'm 64", was mit warmem Applaus quittiert wurde. Die dahin geträllerte Version des Beatles-Songs wird in den Clubs der Urlaubsinseln Ibiza und Zypern bereits rauf und runter gespielt. "Die Aufnahme befindet sich auf einen Siegeszug durch die Nachtclubs in ganz Europa", zitiert "Independent" einen namentlich nicht genannten Vertreter der Musikindustrie. Cherie Blair


Nachtrag vom 25. Juli: Mehr Druck auf den britischen Premier.
Alastair Campbell Nach Daily Telepraphs YouGov Umfrage haben nur noch 24 Prozent der Briten Vertrauen zu Blair. Die erschütternden Zahlen bestätigen, dass das Vertrauen auf einem Tiefsttand ist. Der Tod des Waffenexperten Kelly habe Blairs Glaubwürdigkeit endgültig pulverisiert. Es sei auch durchgesickert, dass Blairs Kommunikationsberater Alastair Campbell zurücktreten wolle, obwohl Blairs Büro diese Meldung verneint.


Nachtrag vom 31. Juli: Blair bleibt ein begnadeter Darsteller. An seiner offiziellen Medienkonferenz mit Tony Blair dominierte - wie erwarte - das Kelly-Thema. Obschon in der Öffentlichkeit ins grösste Umfragetief gefallen, gab sich der Premierminister als gutgelaunter Medienprofi. Weder stotterte er, noch versprach er sich. Nicht ein einziges Mal. Der begnadete Darsteller pflegt immer dieselben Rituale: Dasselbe Ambiente, holzgetäferte Wände, goldene Kronleuchter an der weissen Stuckdecke, alles britisch gediegen.

Selbst wenn dem Journalisten beinahe der Kragen platzt:

"Treten Sie nun zurück? Antworten sie uns!"


bleibt der Kravattenmann ruhig und vermeidet als Medienkünstler konkrete Antworten. Was die Anwesenden erfahren und bewusst wiederholt wird:

  • Die Leute müssen wissen: Was wir getan haben, war richtig und berechtigt.
  • Wir werden noch beweisen, dass der Irak massenvernichtungsmittel hatte.
  • Ihr müsst Geduld haben! Wartet die Untersuchungen ab!
Angesprochen auf die Mahnung der Witwe Kellys, die verlangt, dass die Politiker in sich gehen, bemerkt Blair diplomatisch:

"Ja, wir haben alle zu lernen."


Wir erlebten an der Pressekonferenz einen selbstsicheren, wachen Medienprofi, der entspannt in die Ferien verreisen will. Seine Kernaussage lautete: "Abwarten -abwarten -abwarten".


Blair weiss genau, dass er letztlich nicht am Kapitel Irak gemessen wird. Die Hinhaltetaktik könnte sich deshalb auszahlen. Denn: Beim Wahlkampf geht es um Naheliegenderes: Um Wirtschaft, Krankenhäuser, Schulen und Kriminalität.


Nachtrag vom 29. August. Blair bestreitet jede Schuld.
Der britische Premier Tony Blair hat vor dem Untersuchungsausschuss zur Kelly Affaire den Vorwurf scharf zurückgewiesen, seine Regierung habe das umstrittene Dossier über irakische Massenvernichtungswaffen aufgebauscht.


Nachtrag vom 30. August. Blairs Kommunikationsberater Campbell nimmt den Hut
Campbell geht Das nächste Opfer im Wirbel rund um die Blair- Kelly Geschichten ist Blairs rechte Hand Alastair Campbell, der die Kommunikation und Strategie von Blair geleitet hatte. Es war wie ein Paukenschlag, als der Pressechef des britischen Premiers am 29. August seinen Rücktritt bekannt gab. Dieser Abschied ist ein Politikum, das gewiss weitere Folgen haben wird. Campbell zählt zu den Schlüsselfiguren im erbitterten Streit zwischen Blairs Kabinett und dem Rundfunksender BBC. Campell musste sich vom BBC-Journalisten Andrew Gilligan vorwerfen lassen, ein Geheimdossier über irakische Waffen aufgebauscht zu haben. Gewiss kann Blair jetzt nicht so schnell wieder zur Tagesordnung übergehen. Campbell's Nachfolger wird David Hill, der frühere Kommunikationschef der Labour Partei.


Nachtrag vom 2. Sept. Vorwürfe gegen die Regierung Die Witwe des britschen Waffenexperten Kelly erhob vor dem Untersuchungsausschuss schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Kelly habe sich vom Ministerium bei seiner Blossstellung verraten und unter seinem Wert behandelt gefühlt. Die Verantwortung für Kellys Blossstellung hat letzte Woche Premierminister Blair persönlich übernommen. Ob dieses "mea culpa" genügt, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen?


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