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www.rhetorik.ch aktuell: (1. Januar, 2004)

Sprachpolizei säubert Schulbücher



Die Anstrengungen in den 60er und 70er Jahren, Fairness und Balance in die Textbücher der Schule und Prüfungen zu bringen waren sicher zum Teil notwendig. Die Sache wurde aber auch übertrieben. Das Sachbuch "Die Sprachpolizei" von Diane Ravitsch analysiert und kritisiert Fehlentwicklungen und Auswüchse dieser zum Teil grotesken Sprachsäubereien. Die Aktivitäten der "Sprachpolizei" wurden vor allem fraglich, wenn die Korrekturen zur Zensur, zur Verdrehung von historischen Tatsachen oder zur Veränderung von alten Textdokumenten geführt hatten. Vergleiche zu diesem Thema auch: Feministische Rhetorik.


Fundamentalisten brachten es fertig, dass aus amerikanischen Schulbüchern und Examen-Texten das Wort "Dinosaurier" verbannt wird. Christliche Fundamentalisten, welche die Evolutionslehre ablehnen, werten sich mit Erfolg gegen das Wort. Feministische Rhetorik verbannen das Wort "Schneemänner" Statt "Snowman" muss es nun "Schneeperson" heissen. Das Kinderbuch (The little engine that could) "Thomas, der Dampfzug" wurde schon aus Schulstuben verbannt, weil der Zug männlich ist.
Ursprung solcher Zensuren ist ein übertriebener Fairnessgedanke. Auf der Suche nach sprachlichen Stolpersteinen können die Gleichmacher aber auch über das Ziel hinausschiessen.

Während Wörter wie "Negro" oder "Gringo" zu Recht aus dem Wortschatz gestrichen wurden - sie gelten als Schimpfwort - sind auch Worte wie "Delphin" zu vermeiden. Denn es geht um regionale Benachteiligung, wenn ein Kind im Landesinnern der USA keinen Bezug zu diesem Tier herstellen könne und damit in Prüfungen schlechter abschneide. Das Buch "Der freundliche Delphin" (The friendly Dolphin) wurde so aus den Lehrstuben verwiesen. In den USA wurde im Jahre 2003 staatliche Schulprüfung, in der es darum geht, einen Aufsatz über einen "Schneetag" zu verfassen, für ungültig erklärt, weil es Kinder geben könnte, die noch nie Schnee gesehen haben könnten. Es wird dabei ausser Acht gelassen, dass die meisten Kinder im Fernseh und Internetzeitalter virtuell mehrmals um die Welt gereist sind.

Alle Anspielungen auf Rassenunterschiede werden auch aus älteren Literaturtexten gestrichen. Obwohl gewisse Erlebnisse erste durch den Umstand, dass ein einziges weisses Kind in einem schwarzen Stadtviertel lebt, aussagekräftig wird, oder ein Schwarzer als Sklave in einer weissen Familie arbeiten muss wie in "Onkel Toms Hütte". Sprachpolizisten säubern Texte hinsichtlich Bezüge auf Religion, Ethnie, Drogen, Sex, harmlose Flüche.

Diane Ravitch - Professorin für Erziehungsgeschichte an der New Yorker Universität - beschreibt im Buch "The Language Police" wie grotesk die Zensur im Bereich Schulmaterial wütet. Ravich findet dass Änderungen wie in den nebenstehenden Kasten schädlich für das Kind ist. Es fördere die Langeweile und mache die Jugendlichen zynisch.

Ravich schlägt vor, es den Lehrern zu überlassen, welches Buch- und Schulmaterial sie verwenden wollen.
  • Frauen sollen nicht als Haushaltshilfe, Männern keine Doktoren oder Juristen sein.
  • Ältere Leute müssen aktiv und kräftig gezeigt werden.
  • Bergsteigergeschichten würden Kinder diskriminieren, die in flachen Regionen leben.
  • Mädchen dürfen nicht gezeigt werden wie sie dem Sport zuschauen, sie müssen den Sport betreiben.
  • Kinder dürfen nicht gezeigt werden, wie sie die Autorität der Erwachsenen in Frage stellen.
  • Hauptcharaktere dürfen nicht Waisen, Geister, oder Tiere mit negativen oder schmutzigen Assoziationen sein wie Mäuse, Käfer oder Skorpione.
  • Ehnische Vorurteile dürfen nicht verbreitet werden, wie dass Kinder mit Irischem Blut Polizeibeamte sind, schwarze Personen Athleten oder Leute mit mexikanischem Ursprung Gärtner.


Märchen sind out, weil Prinzessinnen sexistisch sind und Zauberer unchristlich.
  • Hinweise auf Speck und Eier oder Eis werden nicht mehr so ohne Weiteres akzeptiert. Dies aus Vorbehalten über die Essgewohnheiten der Kinder.
  • Worte wie "Yacht" oder "Polo" sind verbannt, weil sie elitär sind.
  • Worte wie "Bücherwurm" oder "blind" werden vermieden, weil sie anstössig sind.
  • Worte wie "Zur Hölle" sind zu stark und werden durch "Zum Kuckuck" ersetzt.
  • "Gott" ist verbannt, weil zu religiös.
Ravitch sagt, es sei amüsant, dass sogar Titel wie der Klassiker

"The old man and the sea"


(Der alte Mann und das Meer) von Ernst Hemingway bei jedem Wort ausser "the" und "and" anstössig sei:
  • "Alt" ist "ageistisch" (altersdiskriminierend),
  • "Mann" ist "sexistisch" (geschlechterdiskriminierend),
  • "Meer" ist geographisch diskriminierend und kann nicht verwendet werden, weil nicht alle am Meer leben.

Der Titel müsse also neutral so heissen:

"The Older Person and the Water"


(Die ältere Person und das Wasser).


Protestgruppen nutzen die Gelegenheit, ihre zum Teil grotesken Ansprüche bei den wenigen Schulbuchverlagen geltend zu machen. Interessanterweise sind die Sprachpolizisten sowohl auf dem linken oder rechten politischen Lager zu finden. Auf der rechten werden zum Beispiel Worte wie "Homosexuell, Gay" gestrichen, auf der linken Hinweise auf "Yachten, Golf, Polo".
Die Verlage geben im Allgemeinen sofort nach. Der Ruf, kontrovers zu sein, könnte den Verkauf eines Buches verhindern. Die Verlage gehen deshalb noch einen Schritt weiter: Sie berücksichtigen allfällige Einwände von sich aus. Somit wird Jugendlichen ein blutleerer, abgeschliffener Lesestoff vorgesetzt.

Die Sprachpolizei filtert auch wegen Markenschutz, denn Prozesskosten sind für die Verleger teuer. Beispiele:
1) Erfolgreiche Produktnamen werden oft auch als Synonym zum Überbegriff benannt. Da das längerfristig der Marke schaden könnte, wehren sich Firmen dagegen.

Nachtrag vom 15. August:Der Aktuellartikel: Marken als generische Sprachbegriffe thematisiert diese Problematik.
Google = Suchen
Hoover = Staubsauger
Jeep = Geländewagen
Xerox = Photokopierer
Kleenex = Papiertaschentuch
Rollerblade = Inline Skates
2) Firmen mit Produktenamen, die mit gängigem Vokabular gebildet sind, schränken deren Gebrauch in ähnlichem Kontext ein:
"Windows" (Microsoft) = Computerbenützeroberfläche. In einem Schulbuch müssten alle Betriebsysteme (Apple, PC) erscheinen.
"Memory" (Ravensburger) = Gedächnisspiele. Ein Schultextbuch oder ein Test dürfte ein Gedächtnisspiel nicht so benennen. (Siehe Massenabmahnungen in diesem Beispiel).
3) Der Gebrauch von Firmennamen in Texten könnte versteckte Werbung sein und wird deshalb vermieden.
Expliziten Automarken
Expliziten Getränkenamen
Expliziten Waschmittelnamen
Namen von Ferienorten




Nachtrag vom 6. Februar, 2004. Nachdem der Amerikanische Bundesstaat Georga den Begriff "Evolution" aus dem Schulvokabular verbannen wollte, ist die Sache rückgängig gemacht worden. Die Motivation des Schrittes war gewesen, dass der Begriff "Evolution" zu kontrovers sei und deshalb mit "Biologischem Wechsel im Laufe der Zeit" ersetzt werden müsse. Der Schritt wurde aber heftig kritisiert und der ehemalige Präsident Jimmy Carter meinte, dass die Sache den Staat Georgia der Lächerlichkeit preisgebe. Die Superindendentin Kathy Cox von Georga meinte nun, dass sie vorschlagen werde, den alten Begriff wieder einzuführen. Anstadt Kontroverse zu verhindern, habe die Sache mehr Kontroverse verursacht.


Fazit. Bei Kommunikationsprozessen müssen zwar Vereinbarungen festgelegt und Regeln eingehalten werden. Willkürliche Zensur und sektiererhaftes Verhalten ist aber fragwürdig und kontraproduktiv. Die Gründe für Sprachkorrekturen sind verschiedenartig:
  • Ethnisch z.B. "rassistisch"
  • Religiös z.B. "blasphemisch, sektiererisch"
  • Geographisch z.B. "ungleicher Erfahrungsbereich"
  • Sozial z.B. "elitär, ärmlich"
  • Randgruppen z.B. "blind, krank, alt,"
  • Geschlechtlich z.B. "sexistisch"
  • Markenschutz z.B. "generische Wörter, versteckte Werbung"
  • Vorbildfunktion z.B. "Süssigkeiten, Fastfood, Sex, Drogen, rauhe Sprache"
Der blutleere und abgeschliffener Lesestoff wird dann auf anderen Kanälen kompensiert: die Popkultur zum Beispiel füllt mit ihrer Fülle von Reizen das Vakuum.








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