rhetorik.ch aktuell:
Rhetorik.ch


Knill+Knill Kommunikationsberatung

Knill.com

www.rhetorik.ch aktuell: (22. Februar, 2002)


"Wenn es dem Esel zu wohl wird ..."


Christine Beerli In einer Arena-Runde vom Schweizer Fernsehen kam es am 15. Februar zur Auseinandersetzung um den UNO Beitritt der Schweiz.
Mit dabei waren die bekannten Kontrahenten Deiss und Blocher. Auf der Befürworterseite hatte Bundesrat Deiss die erfahrene FDP-Ständerätin Christine Beerli an seiner Seite, die es über weite Strecken aussergewöhnlich gut verstand, sachlich und überzeugend die Fakten und Voten verständlich und mediengerecht vorzutragen.
Stimme, Inhalt und Person stimmten überein. Christine Beerli wirkte glaubwürdig!
Die Politikerin schnitt in der Beurteilung der Zuschauer im ersten Teil sehr gut ab. Vermutlich merkte Frau Beerli während der Debatte, dass sie sehr gut im Rennen lag, und dass sie Nationalrat Blocher ernsthaft Paroli bieten konnte. Erfolg beflügelt bekanntlich und gibt Aufwind.
Bis zu einem Moment (in der Endphase), an dem es der Politikerin vielleicht zu wohl wurde und sie noch "einen Zacken" zulegte.
Angestachelt durch den Erfolg wurde sie vielleicht zu übermütig und machte plötzlich einen gravierenden Fehler.
Wer kennt nicht den Ausspruch:

Esel auf Eis "Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis."


Diese Lebensweisheit gilt für alle, die vom Erfolg getragen werden. Christine Beerli wagte sich auf Eis, sogar aufs Glatteis.
Möglicherweise war es Leichtsinn, der sie gegen Ende der Debatte dazu verleitet hatte, Blocher frontal anzugreifen und ihn unverhofft als Lügner zu bezeichnen.
Wer sich mit Kampfrhetorik auseinandersetzt, weiss: Blocher erhielt mit dieser Beschuldigung einen Steilpass und nützte die Chance, gezielt zurückzusschlagen.
Blocher musste das Wort erteilt werden. Den Angriff gab der gewiefte Rhetoriker postwendend mit einem Konter so hart zurück, dass die Politikerin nichts mehr sagen konnte - lediglich noch kurz stammelte; sie habe "Lügner" heute zum ersten Mal gesagt.
Christine Beerli Körpersprache und Gesichtsfarbe machte den Zuschauern deutlich, dass Christine Beerli hart getroffen worden war. Sie wurde bleich und bemühte sich mit aller Kraft - zu offensichtlich - Haltung zu bewahren. Aber die Folgen waren eindeutig: Die Ständerätin war nach Blochers Konter unfähig, weiter zu kämpfen. Sie blickte wie eine Schülerin, die beim Spicken entdeckt worden war, beschämt zu Boden.
Was sagte denn Rhetoriker Blocher nach der gewagten Behauptung, er sei ein Lügner?
Das gehe nun eindeutig zu weit, wehrte sich Blocher vehement und setzte damit ein Stop-Signal. Mit einer Stimme die nach "Unverschämtheit!" klang, sagte er:

"Es ist allmählich unerträglich, wenn die Warnungen der SVP immer als Lüge bezeichnet werden. Als die SVP beim Krankenversicherungsgesetz behauptet habe, die Kosten würden eskalieren, wurde sie auch als Lügner bezeichnet. Die Kosten stiegen jedoch. Als die SVP gewarnt habe vor den Summen, die für die marode EXPO nachbezahlt werden müssten, hiess es ebenfalls: Die SVP lüge. Doch hatte die Partei auch damals Recht. Genau das Gleiche bei der Swissair: Wir wurden als Lügner hingestellt, als wir gesagt hatten, es werde viel mehr kosten."

Blocher konnte so dank der Lügneraussage einen geschickten Gratis-Werbespot für die SVP platzieren. Damit wurde der unüberlegte Angriff Beerlis zum Bumerang. Blocher gelegen, denn er hatte gegen Bundesrat Deiss einen recht schweren Stand.
Bestimmt merkte die Ständerätin kurz nach ihrer unbedachten Attacke, dass sie während Sekunden den Kopf verloren hatte. Beerli als Fürsprecherin und Schnelldenkerin musste dies blitzartig realisiert haben.
Im Nachhinein ist sie bestimmt "über die Bücher gegangen" und hat überlegt, was sie an Stelle des persönlichen Angriffs unter der Gürtellinie besser hätte sagen können.
Ein paar mögliche Varianten:
  • Beerli hätte den Vorwurf in eine Frageform kleiden können.
  • Sie hätte eine ICH - Aussage machen können.
  • Es wäre möglich gewesen, die Fakten der sogenannte Lüge genau zu beschreiben; um nachher anzufügen: Was stimmt nun: Dies oder jenes?
Christine Beerli Frau Beerli hatte mit dem Angriff auf die Person das Harvard-Prinzip missachtet: Nach diesem Prinzip ist mit dem Gegner als Person freundlich aber in der Sache hart zu bleiben.
z.B. "Ich verstehe Sie, wenn Sie davon ausgehen, dass..... Wenn wir berücksichtigen, dass..... sind wir mit Ihrer Ansicht gar nicht einverstanden. Wir....."

Den Menschen zu verstehen, muss nicht heissen, auch mit seinen Aussagen einverstanden sein.
FAZIT. Auch wenn wir in einem Gespräch gut ankommen, dürfen wir uns nie im Erfolg baden und plötzlich unbedacht reden!
Links zum Thema:


Rhetorik.ch 1998-2012 © K-K Kommunikationsberatung Knill.com