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www.rhetorik.ch aktuell: (21. Feb. 2004)

MusicStar, was kommt danach?



Der Erfolg gibt dem Konzept recht. Die Einschaltquoten schlugen die Erwartungen. Von der ersten Sendung bis zum Halbfinale vom letzten Samstag stieg die Zahl der Zuschauer von 700 Tausend auf 1.15 Millionen. Das sind Einschaltquoten bis zu 58 Prozent. Zum Vergleich: Die Tagesschau von SFDRS kommt auf einen Schnitt von 988 Tausend Zuschauerinnen und Zuschauer.

Fortsetzung vom 2. Februar 2004


Erfolgsrezept

Das Erfolgsrezept der Sendung basierte auf dem Zusammenspiel verschiedener Phänomene:

  • Der Zyklus hatte Talentschuppencharakter. Amateurs werden professionellen Bedingungen ausgesetzt.
  • Die Fortsetzungsgeschichte zwingt zum Mitverfolgen des Geschehens.
  • Die Dramaturgie ist perfekt inszeniert. Die Zuspitzung ist programmiert. Das Moderatorenteam heizt das Publikum an.
  • Das Belohnungs- und Bestrafungsmodell kennen alle. Jeder kennt die Situation des Sieges oder der Niederlage (Examen, Prüfungen, Sport).
  • Das Event wird von allen Medien mitgetragen. Kein Medium kann sich dem grossen Interesse der Konsumenten entziehen. Print- und elektronischen Medien unterstützen Dominoeffekt und es kommt damit zu einem Multiplikationseffekt (gegenseitiges Aufschaukeln).
  • Prominente wirken mit. Es kommt zur erwünschten Personifizieren der Mitwirkenden. Die sind alles gute Voraussetzungen für eine Boulvardisierung.
  • Analog den Fortsetzungsgeschichten bei früheren Krimiserien (Der Schal) kommt es nach längere Zeit wieder einmal zum Phänomen "Strassenfeger".
  • Schein und Sein wird instrumentalisiert
  • Es kommt zu einem Massen-Erlebnis. Jung und Alt ist mit dabei. Jeder kann mitbestimmen, findet Gesprächsstoff und kann mitreden. MusicStar ist ein Kollektiverlebnis wie es sonst nur ein Grossveranstaltung vermitteln kann. Fussballmatch, Popkonzert. Das Fieber der Fans ist ansteckend.
  • Es ist ein Gesellschaftsspiel mit magischer Wirkung (z.B. Typolgisierungen der mutmasslichen Stars).
  • Medienkritiker sind sich einig. Im Vergleich zu der deutschen Version, hat die Sendereihe MusicStar am Schweizer Fernsehen mehr Qualität. Die Kandidaten werden nicht fertiggemacht.
  • Die Sendung unterhält und will nicht mehr. Es braucht keine grosse Konzentration. Das Konzept ist einfach und anspruchslos. Jeder kann die Sorgen und Nöte des Alltages vergessen. Die Sendung befriedigt das Unterhaltungsbedürftnis. Kein Vergleich zu Big Brother. Das Interesse an der Container Show sackte in sich zusammen - die Sendung verschwand.
  • Eine riesen Unterhaltungsindustrie sorgt bei MusicStar dafür, dass das Feuer nicht erlöscht, denn die Produkte müssen vermarktet werden.

Kritik.

  • Die fragwürdige boulevardeske Begleitung von "Blick" und "SF DRS" sei eine inszenierte Geschichte.
  • Kritiker fragten sich, warum die Teilnehmer psychologisch betreut werden mussten. Die Tatsache zeige, dass Jugendliche Schaden nehmen könnten.
  • Die Inszenierung von Skandalierungen sei Sensationalisierung.
  • Die Verquickung des Jurymitgliedes als Redaktor einer Boulevardzeitung sei fragwürdig.
  • Dass Jurymitglied Chris von Rohr mit dem eigenen "Dräck"-Song die Kandidaten konkurrenzierte heisse, dass er seine Popularität so offensichtlich ausgenützt hat. War das ein Missbrauch seiner Rolle?


Erfahrungen von anderen Ländern.

Ob es eine zweite Staffel von MusicStar gibt, wird in ein paar Wochen entschieden. Obwohl der Erfolg nach einer Fortsetzung schreit, mahnen Zahlen aus dem Ausland zur Vorsicht. Espace.ch schreibt, dass in Spanien etwa die Zuschauerzahl zwischen der ersten und dritten Staffel der Casting-Show "Operación Triunfo" von 11 Millionen auf 4 Millionen absackte. Auch in anderen Ländern schalteten bei neuen Staffeln weniger Leute zu. Und von der Container-WG-Show "Big Brother" hatten die Zuschauer in der Schweiz ebenfalls nach einem Mal genug.

Die Luft ist schnell raus bei solchen Formaten.


betont Medien- Experte Louis Bosshart von der Uni Freiburg. Eine zweite Staffel funktioniere nur, wenn eine Pause eingelegt wird. Es brauche eine gewisse Exklusivität und ständig neue Ideen. Zudem sei das Potenzial an Talenten in einem kleinen Land wie der Schweiz begrenzt.

Die "MusicStar"-Macher sind sich offenbar dessen bewusst. Pressesprecher Urs Durrer meint, die ernüchternden Erfahrungen aus dem Ausland würden in die Analyse einfliessen:

"Zunächst stellt sich die Frage, ob es überhaupt weitergeht",


Und falls ja, so müsse man sich weiter fragen, ob einfach nachgedoppelt werden soll oder ob etwas am Konzept der Show verändert werden müsse.

Chris von Rohr

Chris von Rohr gab ein paar Interviews in "Radio Extra Bern, die zum Teil auf espace.ch zu hören waren. Wie schon vorher bemerkt, ist bei Rohrs Moderation in der Sendung keine Exekutionsrhetorik zu beanstanden.

Auf die Frage ob das Niveau abgegeben habe Zu einem Song Zum Vorwurf der Selbstinszenierung Zu seinem Erfolg


Nachtrag vom 22. Februar: Was ist gute Unterhaltung?

Im Sonntagsblick vom 22. Februar diskutierten TV-Macher über den bunten Abfalleimer "Unterhaltung". Aufschlussreich finden wir nachfolgenden Zitate über echte Unterhaltung beim Fernsehen. Zum Zitat, dass Unterhaltung sich auf die Formel "Titten, Tod, Tiere, Tränen" reduzieren liesse, ässerten sich Max Sieber, Hannes Bichsel und Marc Götz:
  • Max Sieber, Leiter der Unterhaltung vom Schweizer Fernsehen DRS:

    Unterhaltung heisst: Emotionen. Emotionen, Emotionen


  • Hannes Bichsel, der "Big Brother" Chef, fand hingegen:

    Ich denke, die Leute haben gerne Geschichten, Spannung, etwas mit einem Anfang und einem Ende. Letztendlich geht es immer um menschliche Bedürfnisse, die sich nicht ändern, auch wenn die Fernsehformate ändern.


  • Marc Götz, vom Ringier TV, ergänzte:

    Gute Unterhaltung ist alles, was emotional berührt und nicht langweilt. Sendungen sind spannend, wenn das Publikum mitentscheiden kann.


  • "Viva"-Chefin, Asta Baumüller, fand hingegen:

    Man kann auch etwas Aufklärerisches unterhaltend aufbereiten.


Nach unserem Dafürhalten veranschaulichen Sendungen wie "MusicStar" oder "Big Brother", dass sich das öffentlich rechtliche Fernsehen im Grunde genommen zunehmend die privaten Sender kopieren. Auch künftighin bestimmt letztlich die Einschaltquote über Erfolg oder Niederlage bei Unterhaltungssendungen. Die Diskussion, ob die Einschaltquoten tatsächlich das Mass aller Dinge ist (d.h. ob das Volk kompetent ist, zu entscheiden, was guter Geschmack ist) - diese Diskussion wird noch lange weitergehen.


Als Schlusswort können wir noch anfügen:

Unterhaltung "Ja" - aber "Kei Dräck".




Nachtag vom 27. Februar, 2004: Radio DRS hat gemeldet, dass "MusicStar" 2005 in die zweite Runde gehen wird. Dies war nach "eingehender Analyse" von der Geschäftsleitung des Schweizer Fernsehen DRS entschieden worden. Voraussichtlich werden sich die Zuschauer von Januar bis März 2005 über neue "Carmens, Pieros und Danielas" freuen können. Ob das Fernsehen analog traumhafte Einschaltquoten wie beim vergangenen Samstag haben wird, ist offen. "Ein Jahr sollte ein guter Zeitabstand sein", sagte SF-DRS-Programmdirektor Adrian Marthaler zur Entscheidung. Er sei optimistisch - im vollen Wissen, dass gleiche Formate in Deutschland und Österreich bei der zweiten Staffel ziemlich abgestürzt waren: "Dieses Format kann auch ein zweites Mal funktionieren." Die zweite Staffel soll aber nicht einfach eine Kopie der ersten sein. Ob Modus, Austragungsort und Format gleich bleiben werden, müsse überdacht werden, sagte Marthaler. Das Moderatorenteam Nina Havel und Roman Kilchsberger scheint gesetzt. Das Schweizer Fernsehen DRS verriet heute auch, dass die Mehreinnahmen aus dem Telefonvoting für die Wiederaufnahme der Produktion schweizerischer Sitcoms verwendet werden.




Nachtrag vom 13 März 2005: Chris von Rohr wünscht weniger Draeck:

Letztes Jahr wünschte sich Chris von Rohr bei den Präsentationen "MusicStar 04" mehr Dräck! Wir plädierten damals für "weniger Dräck" - in Anspielung auf gewisse verbale Entgleisungen. Wir freuen uns nun, dass Chris von Rohr nach Abschluss der MusicStar Ausscheidungen sich für eine Werbekampagne "Einholzer Reinigungen" zu Verfügung gestellt hat "weniger Dräck" wünscht. Ob bei Bohlen und Co die Sprachverschmutzung mit Eiholzers Reinigungen nachträglich säubern lassen, ist jedoch zu bezweifeln.


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