Nachtrag vom 30. März, 2003,
Bundesrätin Calmy-Rey handelt couragiert und macht wieder von sich reden
Ab Montag, 31. März will die neue Aussenmininisterin auf der Webseite
www.eda.admin.ch eine laufend
aktualisierte Liste der zivilen Opfer im Irak- Krieg publizieren.
Sie wird darin die Zahl der Getöteten laufend nachtragen, "damit wir uns
bewusst werden, wie schrecklich der Krieg ist." In einem Interview mit dem
"Sonntagsblick" begründete die Bundesrätin dieses aussergewöhnliche
Vorgehen wie folgt: "Wir sind ein Depositärstaat der Genfer Konventionen
und diese Konventionen regeln die Art, wie Krieg geführt werden soll. Das
Prinzip ist, dass zwischen zivilen und militärischer Bevölkerung
unterschieden wird im Bestreben, die Zivilbevölkerung zu schützen."
Die Aussenministerin beweist einmal mehr, dass Sie nicht gewillt ist, sich
bei den Auftritten zum Irakkrieg einbinden zu lassen.
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Nach "Sonntagszeitung" kommt Calmy-Rey mit solchen Sololäufen aber zunehmend
unter Druck. Ärger handelte sie sich ein, weil sie sich nach der angeblichen
Bereinigung der Meinungsdifferenzen zum Waffenausfuhrstopp, plötzlich gegen
die gemeinsamen Beschlüsse durchsetzen möchte. Von verschiedensten
Seiten wird die Bundesrätin beschossen: Sie versuche den Einfluss des
Volkswirtschafts- und des Verteidigungsdepartementes zu beschneiden.
Selbst von der eigenen Partei wurde sie kritisiert, nachdem sie am Fernsehen
ohne Absprache mit dem Medienminister Leuenberger die Berichterstattung des
Schweizer Fernsehens zum Irakkrieg beanstandet hatte. Es hiess, sie wolle sich
als Friedenstaube profilieren und disqualifiziere dadurch die anderen
Regierungsmitglieder als Falken. In einigen Departementen fordert man nach
Sonntagszeitung bereits eine Aussprache mit dem Bundesrat.
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Nachtrag vom 1. April. Zum Sonntagsblick Interview.
Die Bundesrätin hat zwar innovative Ideen, deren vorschnelle
Ankündigungen waren vielleicht aber etwas zu forsch:
Zur angekündigten Liste der Kriegsopfer gibt es Probleme, denn
die beiden Kriegsseiten wollen die Listen von Kriegsopfer nicht ohne
weiteres ausliefern. Auch ist es bei den Irakis ist es schwierig, zwischen
Zivilisten und Soldaten zu unterscheiden. Der Tages Anzeiger
titelte "Calmy-Rey: Die Fauxpas häufen sich". Am
1. April gab Calmy-Rey in einem Communiqué bekannt, dass die
Opferliste nicht realisert werden könne.
Wer vorschnell reagiert und ohne Absprache mit
Experten handelt, läuft Gefahr, die Öffentlichkeit zu irritieren
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Calmy-Rey kündigte im Sonntagsblickinterview auch an,
anlässlich ihrer ersten grossen Auslandreise von Mitte
Mai in Nordkorea die Demarkationslinie zu Südkorea zu
Fuss überqueren zu wollen. EDA-Stellen befürchten
Nord- und Südkorea könnten ihre Zusage
rückgängig machen, weil sie die
Publizität dieses symbolischen Aktes scheuen.
Überstürztes Informieren kann angekündigte Pläne
gefährden.
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Interview von Henry Habegger mit Michele Calmy-Rey im
Sonntagsblick
vom 30. März, 2003
Blick: Frau Bundesrätin, Ihr Departement veröffentlicht ab
Montag auf dem Internet eine laufend aktualisierte
Liste über die Anzahl der zivilen Opfer im Irak-Krieg. Weshalb
machen Sie das?
Micheline Calmy-Rey: Aus der Überlegung heraus, dass wir
Depositärstaat der Genfer Konventionen sind. Und diese Konventionen
regeln die Art, wie der Krieg geführt werden soll. Das Prinzip
ist, dass zwischen ziviler und militärischer Bevölkerung
unterschieden wird im Bestreben, die Zivilbevölkerung zu
schützen.
Blick: Und was ist der Sinn der Liste?
Calmy-Rey: Es gibt schon heute, nach neun Kriegstagen, viele zivile
Opfer. Das Wichtige an der Liste ist, dass sie einen Überblick
gibt. Wenn wir täglich in der Zeitung darüber lesen, trifft
uns das mehr oder weniger. Erst wenn wir die ganze Liste sehen, wird
uns bewusst, wie schrecklich das ist.
Blick: Sie wollen, dass wir die Folgen des Kriegs klarer vor Augen haben?
Calmy-Rey: Ja. Krieg gab es immer. Aber die Kriege der Neuzeit fordern oft
mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung als unter den Soldaten. Man
hat uns zwar einen "sauberen Krieg" versprochen. Jetzt sehen wir, dass
Krieg nie "sauber" ist.
Blick: Kann die Schweiz noch mehr machen, um die Kriegsfolgen zu mildern?
Calmy-Rey: Wir sind an allen Fronten sehr aktiv. Wir setzen uns für
humanitäre Hilfe ein. Wir werden sobald wie möglich mit unseren
Leuten in den Irak zurückkehren. Wir haben mit der humanitären
Genfer Konferenz viel erreicht, nächste Woche findet eine weitere
statt, um die Hilfe zu verbessern: logistisch, finanziell. Ein grosses
Problem, das wir angehen, werden die Flüchtlinge sein. Stellen
Sie sich vor: In Jordanien hat es noch irakische Flüchtlinge aus
dem ersten Golfkrieg von 1991. Das ist ein gewaltiges Problem für
die Nachbarländer.
Blick: Werden Sie in Genf dabei sein?
Calmy-Rey: Am Arbeitstreffen selbst sicher nicht. Das Treffen soll kein
politisches werden, sonst verliert es seine Wirksamkeit.
Calmy-Rey: Die Uno hat die Fortsetzung des Programms "Oil for food"
beschlossen. Sind Sie zufrieden?
Calmy-Rey: Unser Uno-Botschafter hat sich auch dafür eingesetzt. Wir
haben diesen Entscheid erwartet und unser zweites Genfer Treffen
entsprechend terminiert.
Blick: Haben Sie Anzeichen dafür, dass die USA die Uno ernster
nehmen?
Calmy-Rey: Ich hoffe es. Immerhin haben sich die USA monatelang
bemüht, die Unterstützung der Uno für den Krieg zu
bekommen. Das zeigt, dass die Uno wichtig ist. Sie entwickelt sich. Die
Inspektoren zum Auffinden von Massenvernichtungswaffen sind ein wichtiges
neues Instrument. Die Schweiz wird sich dafür einsetzen, dass
solche Instrumente ausgebaut werden. Für unsere Sicherheit ist es
sehr wichtig, die Uno weiterzuentwickeln. In der Uno liegt die Hoffnung,
nicht im Krieg.
Blick: Im Mai werden Sie international ein Zeichen setzen. Sie reisen
nach Asien und wollen zu Fuss über die Demarkationslinie von Nord-
nach Südkorea gehen. Warum?
Calmy-Rey: Das ist ein symbolischer Akt. Es geht darum, zu zeigen,
dass man vom einen Land ins andere gehen kann, auch wenn das eine vom
anderen getrennt ist. Dass ich das überhaupt tun kann, zeigt,
welches Vertrauen und welche Glaubwürdigkeit die Schweiz geniesst.
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